Nun also doch: Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) tritt zurück. Am Montagnachmittag verkündete die Ministerin ihren Rückzug damit, sie wolle „Schaden vom Amt abwenden.“ Ein Eingeständnis eigener Fehler vermied Spiegel dabei, die Ministerin tauchte anschließend ab. Einen Tag zuvor hatte Spiegel mit einem verstörenden Auftritt für Aufsehen gesorgt – inzwischen wird klar: Die Ministerin hatte selbst Mitstreiter in Mainz über ihren Frankreichurlaub im Unklaren gelassen. Die Grünen-Spitze in Berlin wiederum hatte einstimmig ihren Rücktritt gefordert, schon am Sonntag.

Spiegel als Umweltministerin am 14.07.2021 in der Plenardebatte des Mainzer Landtags. - Foto: gik
Spiegel als Umweltministerin am 14.07.2021 in der Plenardebatte des Mainzer Landtags. – Foto: gik

Der Druck auf Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) war immens gewachsen, seitdem das Kommunikationsverhalten der damaligen Umweltministerin in der Flutnacht im Ahrtal bekannt geworden war. Spiegel hatte weder vor Extremhochwasser gewarnt, noch ihren Fehler korrigiert, als neue, dramatische Informationen über die Lage im Ahrtal auftauchten. mehr noch: Die Ministerin war so gut wie nicht erreichbar in jener Flutnacht, sie kommunizierte nicht, und sie kümmerte sich auch nicht. Am folgenden Tag standen in Spiegels schriftlicher Kommunikation ihr eigenes Image sowie die Sorgen vor einem „Blame game“ gegen ihre Person im Vordergrund.

In der Flutnacht waren im Ahrtal 134 Menschen durch meterhohe Fluten in den Tod gerissen, Tausende Häuser zerstört, Existenzen vernichtet worden. Während der Aufräumarbeiten im Tal herrschte weitgehend Chaos, Strom und Abwasser lagen brach, riesige Müllberge türmten sich auf und wurden zur gefährlichen nächsten Hürde: Es bestand Seuchengefahr. Dass die Ministerin ausgerechnet in der dramatischen Lage nicht nur in Urlaub fuhr, sondern für ganze vier Wochen nach Südfrankreich verschwand, erfuhr derweil so gut wie niemand.

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„Zeit Online“ berichtete am Montag, Spiegel habe es sogar ihren eigenen Unterstützern verschwiegen. Vergangenen Donnerstag habe es ein Krisentreffen der Grünen in Rheinland-Pfalz gegeben, das Thema: Ob der Rücktritt von Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) in Nordrhein-Westfalen wohl Auswirkungen auch auf Spiegels angeschlagene Stellung wegen ihrem Management der Flutnacht haben würde? Heinen-Esser war zurückgetreten, weil sie völlig instinktlos wenige Tage nach der Flut zu einer Familienfeier nach Mallorca geflogen war.

Ministerin verschwieg Frankreich-Urlaub gegenüber eigener Partei

Müllberge vor Häusern in Dernau an der Ahr wenige Tage nach der Flut. - Foto: gik
Müllberge vor Häusern in Dernau an der Ahr wenige Tage nach der Flut. – Foto: gik

Was Anne Spiegel ihren Leuten verschwieg: ihren eigenen Frankreich-Urlaub. Stattdessen wurde im politischen Mainz in jenen Wochen kolportiert, die Ministerin „halte sich zurück“ mit Besuchen im Ahrtal. weil sie „den Aufräumarbeiten nicht im Wege stehen wolle.“  In der Tat: Spiegel ließ sich nur ein einziges Mal im Ahrtal blicken, am 10. August reiste sie aus dem Urlaub zu einem Besuch der Kläranlage in Dümpelfeld an. Während Tausende Helfer aus ganz Deutschland ihren Urlaub opferten, um Schlamm zu schippen und Müllberge zu beseitigen, reiste die Ministerin zurück an die Cote d’Azur – im Ahrtal wird das als Schlag ins Gesicht der vielen Betroffenen und Helfer empfunden.

Am Sonntag versuchte sich Spiegel dann in einem Video-Statement zu rechtfertigen, und führte als Grund eine belastende Familien-Situation an – doch was als Befreiungsschlag gedacht war, ging nach hinten los. Politiker und journalistische Beobachter zeigten sich fassungslos, wie unsicher, unprofessionell und gleichzeitig PR-gesteuert sich die Ministerin präsentierte. Als Spiegel am Ende des Videos sich wegdrehte und jemanden in PR-Sprech im Raum fragte, „ich muss das jetzt noch abbinden…“ war endgültig klar: Die 41-Jährige war im Amt einer Bundesministerin nicht mehr zu halten.

 

Verstörendes Video-Statement am Sonntagabend von Ministerin Spiegel. - Foto: gik
Verstörendes Video-Statement am Sonntagabend von Ministerin Spiegel. – Foto: gik

Wie die BILD-Zeitung am Montag berichtete, hatte es zuvor eine Krisensitzung der grünen Bundesspitze gegeben, mit 6:0 habe der Vorstand für einen Rücktritt Spiegels votiert. Doch die  Ministerin sträubte sich – und veröffentlichte das weithin als verstörend empfundene Statement. Damit war bereits am Montagfrüh klar: Der Rücktritt war nur eine Frage der zeit. Doch erst am Montagnachmittag, gegen 14.35 Uhr, teilte die Ministerin in einer dürren Pressemitteilung ihres Hauses mit: „Ich habe mich heute aufgrund des politischen Drucks entschieden, das Amt der Bundesfamilienministerin zur Verfügung zu stellen. Ich tue dies, um Schaden vom Amt abzuwenden, das vor großen Politischen Herausforderungen steht.“

Opposition: Rücktritt überfällig, Verantwortung nicht übernommen

„Der Rücktritt war notwendig, jeder weitere Tag im Amt hätte geschadet“, reagierte der rheinland-pfälzische CDU-Chef Christian Baldauf. Die Entschuldigung am Sonntagabend sei zu spät gekommen  und habe lediglich deutlich gemacht, „wie sehr sie im Ministeramt überfordert war.“ Spiegel habe in der Flutnacht und danach „ein fragwürdiges Kommunikationsverhalten“ gezeigt, „die Ministerin verstrickte sich in einem Netz von Unwahrheiten und Täuschungen“, kritisierte Baldauf.

CDU-Landeschef Christian Baldauf am Montag zum Rücktritt Spiegels im SWR Fernsehen. - Foto: gik
CDU-Landeschef Christian Baldauf am Montag zum Rücktritt Spiegels im SWR Fernsehen. – Foto: gik

„Ich habe großes Verständnis und Mitgefühl für die familiäre Situation von Anne Spiegel“, sagte der CDU-Landeschef weiter: „Jeder gerät in Lebenssituationen, die überfordern können. Politiker stehen jedoch in besonderer, öffentlicher Verantwortung. Wenn sie ihrem Amt aufgrund persönlicher Gründe nicht gewachsen sind, sollten sie dies erklären und rechtzeitig eine Auszeit nehmen.“

Die Freien Wähler monierten zudem, Spiegel habe auch in ihrem Rücktrittsstatement erneut keine Verantwortung für Versäumnisse in der Flutnacht übernommen. „Nach wie vor steht der Vorwurf im Raum, dass die enorm wichtige Lageeinschätzung der Präsidentin des Landesamtes für Umwelt vom Abend der Flutnacht – „hier bahnt sich eine Katastrophe an“ – die Einsatzkräfte, den Innenminister und die Ministerpräsidentin nicht erreicht hat“, betonte FW-Obmann Stephan Wefelscheid. Dafür trage Spiegel als damalige Umweltministerin die Verantwortung.

Stinkender Schlamm, gefährliche Müllberge: Die Situation im Ahrtal Tage nach der Flut. - Foto: gik
Stinkender Schlamm, gefährliche Müllberge: Die Situation im Ahrtal Tage nach der Flut. – Foto: gik

Wefelscheid kündigte zudem an, Spiegels Angaben, sie habe „auch aus dem Urlaub heraus ihr Ministerium telefonisch und per E-Mail weiter geführt“ und sei erreichbar gewesen, im Untersuchungsausschuss zu hinterfragen. „Ob dem so war, gilt es nun zu überprüfen.“, forderte er: „Angesichts der Meldungen über zerstörte Kläranlagen, verstopfte Abwasserrohre, verwesende Tierkadaver, ausgelaufene Heizöltanks, die aus normalem Schlamm eine giftige Masse machten, und im Raum stehendenden Meldungen schleppenden Verwaltungshandelns in den Wochen nach der Flut, bestehen zumindest Zweifel daran, dass die Krisenbewältigung im Nachgang reibungslos gelaufen ist.“

Funkstille, Imagesorgen und Blame Games – Ministerin Spiegel vor dem Ausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal

Ob Spiegel „aus der Ferne noch eine ausreichende Restführungsverantwortung für ihr Haus ausgeübt hat, oder herrschte dort absolute Führungslosigkeit“, diese Frage wolle er nun in den nächsten Wochen im Untersuchungsausschuss aufklären, kündigte Wefelscheid an. Der Ausschuss soll nicht nur die Versäumnisse in der Flutnacht selbst, sondern auch das politische Handeln in den Wochen danach aufklären, Spiegel wird auch dazu wohl erneut Stellung nehmen müssen.

Meterhohe Müllberge türmten sich im Ahrtal nach der Flut, wochenlang wusste niemand, wohin damit. - Foto: gik
Meterhohe Müllberge türmten sich im Ahrtal nach der Flut, wochenlang wusste niemand, wohin damit. – Foto: gik

Auch die AfD sprach mit Blick auf den Rücktritt von einem „längst überfälligen Schritt“, der für die Menschen im Ahrtal „ein schwacher Trost, für die politische Kultur im Land viel zu spät“ gekommen sei. Frau „Spiegel hat mit ihrer hartnäckigen Weigerung, Verantwortung für ihr nachgewiesenes Fehlverhalten zu übernehmen, das Vertrauen der Bürger in Politik und Staat massiv erschüttert und dadurch unserer Demokratie schweren Schaden zugefügt“, sagte AfD-Obmann Michael Frisch: „Wer so hohe moralische Ansprüche an andere stellt, wie das die grüne Ministerin immer getan hat, der muss sich an diesen Ansprüchen auch selbst messen lassen.“

Grüne in Mainz: „Spiegel hat herausragende Arbeit geleistet“

Die Grünen in Rheinland-Pfalz bedauerten hingegen den Rücktritt ihrer Frontfrau: „Wir nehmen die Entscheidung mit Bedauern zur Kenntnis“, erklärten die Mainzer Grünen-Ministerinnen Katrin Eder (Umwelt und Klimaschutz) und Katharina Binz (Familie). Spiegel habe „in ihrer kurzen Amtszeit als Umweltministerin wichtige Weichen gestellt für eine dialogorientierte Hauskultur“, betonte Eder: „Ich habe Anne Spiegel als empathischen Menschen erlebt. Sie war viel in Rheinland-Pfalz unterwegs und hat sich mit Herzblut für die Themen und Anliegen des Umwelt- und Klimaschutzministeriums eingesetzt und diese den Bürgerinnen und Bürgern im Land nahegebracht.“

Spiegel-Plakat im Landtagswahlkampf 2021. - Foto: Grüne RLP
Spiegel-Plakat im Landtagswahlkampf 2021. – Foto: Grüne RLP

Spiegels Arbeit im Familienministerium in Mainz sei „von einem starken Gerechtigkeitssinn geprägt gewesen“, betonte Binz. Sie habe sich für eine humane Flüchtlingspolitik stark gemacht, habe das Wohl von Familien und Kindern besonders im Blick gehabt und sei „stets eine starke Kämpferin für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen“ gewesen. „Der Schritt, den Anne Spiegel heute gegangen ist, verdient Respekt“, betonte Binz. Beide Ministerinnen wünschten ihr „viel Kraft, diese schwere Zeit zu überstehen.“

 

„Wir bedauern die Entwicklungen der letzten Tage sehr“, teilten die beiden Grünen-Landeschefs Natalie Cramme-Hill und Paul Bunjes mit: Anne Spiegel habe „mit ihrem sehr bewegenden Statement gestern Abend ihre persönliche Situation dargestellt. Wir sind überzeugt davon, dass es für unsere Gesellschaft wichtig ist, dass auch junge Mütter unsere Politik gestalten können müssen.“ Spiegel habe in Rheinland-Pfalz in den vergangenen 12 Jahren „herausragende politische Arbeit als Landtagsabgeordnete, als Familienministerin, als stellvertretende Ministerpräsidentin, als Spitzenkandidatin der letzten Landtagswahl und als Umweltministerin geleistet“ und den Landesverband nachhaltig geprägt. Die Grünen-Erfolge der vergangenen Jahre seien nicht zuletzt ihr zu verdanken.

Grünen-Landeschefin Natalie Cramme-Hill im Interview mit dem SWR. - Foto: gik
Grünen-Landeschefin Natalie Cramme-Hill im Interview mit dem SWR. – Foto: gik

Im Interview mit dem SWR sagte Cramme-Hill aber auch, die habe Spiegel stets als „sehr bedacht und konzentriert“ erlebt, sie habe ihre Entscheidungen immer genau abgewogen. Zur Frage, warum Spiegel ihre eigenen Leute noch vergangene Woche über ihren Frankreichurlaub im Unklaren ließ, wollte sich die Parteispitze in Mainz jedoch nicht äußern. „Bei der betreffenden Schalte handelte es sich um eine interne Sitzung, aus der wir nicht öffentlich zitieren“, teilten sie am Abend auf Mainz&-Anfrage mit: „Wir möchten aber betonen, dass wir als Landesvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rheinland-Pfalz an der Integrität und Aufrichtigkeit von Frau Spiegel keine Zweifel haben.“

Für die Bundesspitze der Grünen gilt das wohl eher nicht, sowohl Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, als auch Außenministerin Annalena Baerbock äußerten sich nur äußerst zurückhaltend. Spiegels Pressekonferenz sie „unter die Haut gegangen“, sagte Habeck. sie habe einen Weg beschritten, „der deutlich macht, wie brutal Politik sein kann“, sagte Baerbock. „Der Schritt ist bei aller großen Härte, und so schwierig diese Entscheidung auch war, richtig“, sagte Parteichef Omid Nouripur: „Wir danken ihr sehr, dass sie Verantwortung übernommen hat.“

Spiegel fällt indes erst einmal weich: Nach Angaben des Bundes des Steuerzahler stehen einem Bundesminister bereits nach einem Tag Amtszeit rund 75.660 Euro Übergangsgeld zu. Die Übergangsgelder würden allerdings ab dem zweiten Monat mit privaten Einkünften verrechnet, dennoch bleibe „ein üppiges Polster, wovon viele in der Privatwirtschaft nur träumen können“, heißt es dort.

Info& auf Mainz&: Unseren Kommentar zum Rücktritt Anne Spiegels als B Bundesfamilienministerin in Berlin lest Ihr hier:

Mainz&-Kommentar zum Rücktritt Anne Spiegel: Wer dreimal lügt… – Von Täuschen, Ausflüchten und Video-Statements