Es gibt da dieses alte deutsche Sprichwort: „Wer dreimal lügt, dem glaubt man nicht.“ Es trifft heute auf eine Politikerin zu, die sich lange als Strahlefrau gerierte, und als „Vorzeigefrau“ gehypt wurde: Anne Spiegel, Vorzeige-Grüne aus Rheinland-Pfalz, Ministerin, Spitzenkandidatin, schließlich Bundesfamilienministerin. Heute ist sie zurückgetreten, nach einem verstörenden Auftritt am Sonntag – und nach einer langen Serie von Pannen, Fehlern, und ja: Lügen. Und nein, dies ist keine Geschichte von der bösen, harten Politik, und es ist auch keine Geschichte über Frauen in der Politik – es ist eine Geschichte über selbst verschuldete Pannen, Ausflüchte und Prioritäten. Der Mainz&-Kommentar.
Es war am Sonntagabend gegen 21.00 Uhr, als ein Auftritt die politische Landschaft verstörte: Annie Spiegel, nichts weniger als Bundesfamilienministerin der Grünen, machte private Probleme öffentlich, um sich damit für etwas zu entschuldigen, was eigentlich unentschuldbar war. Mitten in der schlimmsten Katastrophe der deutschen Nachkriegsgeschichte, machte die Politikerin Urlaub. Das Ahrtal lag in Schutt und Trümmern, Tausende waren obdachlos – und 134 Menschen von den Fluten in den Tod gerissen worden.
Anne Spiegel war zu dem Zeitpunkt Umweltministerin in Rheinland-Pfalz, und das war alles andere als ein unwichtiger Job zu diesem Zeitpunkt und an diesem Ort: Spiegel war zuständig für Hochwasser-Warnungen im Vorfeld – und die erreichten die wichtigen Zuständigen nicht. Spiegel hätte warnen können, Menschenleben retten können – sie tat es nicht, war nicht erreichbar in jener schicksalhaften Nacht. Und nur zehn Tage nach der Katastrophe fuhr Spiegel mit ihrer Familie in Urlaub – nicht ein paar Tage, nicht einmal eine Woche (was jeder verstanden hätte), nein: geschlagene vier Wochen.
Während die Menschen an der Ahr Schlamm aus ihren Häusern schaufelten, während Vermisste gesucht und Leichen geborgen wurden. Und während Hunderte, nein: Tausende aus ganz Deutschland ihren Urlaub opferten, um den Menschen im Ahrtal beim Schippen eben jenes Schlamms zu helfen. Beim Wegräumen von Schutt und Trümmern, von Müllbergen – für die genau: Anne Spiegel zuständig war.
Nun hat sie dafür eine Erklärung geliefert mit der Erkrankung ihres Mannes und mit dem Zustand ihrer vier kleinen Kinder, die „nicht gut durch die Pandemie gekommen“ seien. Sie tat es in einem Auftritt vor Kameras, die eine fahrige, angefasste Ministerin zeigten, unsicher und gleichzeitig offenbar von dem tiefen Bedürfnis getrieben, vor allem eines zu retten: Ihr Amt, ihre Karriere. Um jeden Preis.
Es war genau dieser Auftritt, der allen Profis im Politik-Betrieb endgültig klar gemacht hat: Diese Frau ist absolut nicht tragbar im Amt einer Bundesministerin. Das wurde wohl auch den Grünen endgültig klar, Vollprofis wie Robert Habeck und Annalena Baerbock dürften regelrecht Magenkrämpfe bekommen haben bei dem Anblick – ihr Schweigen wurde jedenfalls dröhnend laut. Überfordert, unprofessionell und rein Ich-Bezogen, so präsentierte sich eine Bundesministerin vor laufenden Kameras. Das politische Berlin staunte: Wen hatten sie da in einem der höchsten Ämter der Republik? Konnte das wahr sein?
Für die persönliche Lage der Familie Spiegel gab es danach viel Mitleid und Betroffenheit, doch seien wir mal ehrlich: Der Respekt und das Mitgefühl richteten sich in erster Linie auf Spiegels Mann und ihre Kinder. Ihren Mann hat Anne Spiegel mit seinem Schlaganfall ins Rampenlicht gezerrt, um ihn als Rechtfertigung für ihre eigenen politischen Fehltritte zu missbrauchen. Anstatt ihrem Mann und Partner in seiner üblen Erkrankung zur Seite zu stehen, machte Frau Spiegel ungeniert Karriere und raffte Amt um Amt an sich: Integrationsministerin, Spitzenkandidatin der Grünen in Rheinland-Pfalz, Umweltministerin (alles drei gleichzeitig!). Schließlich Koalitionsverhandlerin, stellvertretende Ministerpräsidentin, wieder Wahlkampf, wieder Koalitionsverhandlungen, schließlich Bundesministerin.
„Es war zu viel, das hat uns als Familie über die Grenze gebracht“, bekannte Spiegel am Sonntagabend in ihrem skurrilen Video. „Ach was!“, mochte man ihr zurufen: Was hast Du denn gedacht?!? Dass man politische Spitzenämter einfach mal mit vier kleinen Kindern vereinbar kann? Während der Mann laut eigener Aussage „keinerlei Stress“ haben durfte? Die halbe Republik saß während der Corona-Lockdowns mit kleinen Kindern im Homeoffice, und diese Familien hatten NICHT die finanziellen Möglichkeiten, sich Unterstützung zu organisieren wie eine Ministerin sie hat. Und wie viele von diesen Familien hatten zusätzlich Krebserkrankungen, Schlaganfälle, Herzprobleme?
„Ihr Privatleben sollte ganz offensichtlich als Entschuldigung für ihr politisches Fehlverhalten herhalten“, analysierte ZDF-Hauptstadtstudioleiter Theo Koll am Montagabend in den Heute-Nachrichten, und konstatierte: Spiegel habe versucht, mit den Schilderungen ihrer persönlichen Notlage „ihren politischen Kopf und ihr Amt zu retten“.
Das verdient nur ein Wort: schäbig.
Doch das Schlimmste dabei: Bis zum Schluss hat die Ministerin versucht, mit Tricks, Täuschungen und ja: Lügen ihren Kopf zu retten.
Lüge 1: In der Flutnacht erreichbar gewesen
Lüge Nummer eins: Sie sei in der Flutnacht des 14. Juli 2021 erreichbar gewesen und ihre „einzige Sorge“ am nächsten Tag habe den Menschen im Ahrtal gegolten.
Der Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Flutkatastrophe hat inzwischen eindrucksvoll dargelegt, dass das reine Fiktion ist. Spiegel war über Stunden hinweg in der Flutnacht nicht erreichbar, auch nicht für ihren Staatssekretär. Ihr einziges (!) angebliches Telefonat der Nacht in Sachen Flutkatastrophe ist nicht belegbar, bei Nachfragen zu genau diesem Thema verstrickten sich sowohl Spiegel als auch ihr Staatssekretär Erwin Manz ein ums andere Mal in Widersprüche. „Nach meiner Erinnerung“ habe sie Manz zurückgerufen, gibt Spiegel an, und sagt wörtlich: „Ich bin mir ziemlich sicher, meiner Erinnerung nach, kann ich mir das an dem Abend überhaupt nicht anders vorstellen, dass ich den Anruf gesehen habe und zurückgerufen habe.“ Ziemlich sicher, soso.
Weder mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) noch mit dem Innenminister kommunizierte Spiegel in der Flutnacht, am nächsten Morgen sorgte sie sich vor allem um eines: ihr Image – und nicht um die Menschen im Ahrtal.
Lüge 2: Vier Wochen Frankreich-Urlaub
Lüge Nummer 2: Spiegel verschwieg, dass sie nur zehn Tage nach der Flutkatastrophe im Ahrtal, am 25. Juli, in Urlaub fuhr – und zwar für ganze vier Wochen. Erfahren hat das damals niemand, nicht die Öffentlichkeit und nicht einmal ihre eigene Partei. Pressevertretern wurde unter der Hand in Mainz gesteckt, die Ministerin wolle „sich zurückhalten“ mit Besuchen im Ahrtal, „um den Aufräumarbeiten nicht im Wege zu stehen.“ Dass die Ministerin an der sonnigen Cote d’Azur saß, wusste niemand – nicht einmal die eigenen Leute.
Vergangenen Donnerstag fand in Mainz ein Krisentreffen der Grünen Rheinland-Pfalz statt, berichtet die „Zeit“ heute. Das Thema: Ob der Rücktritt der Ministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) in Nordrhein-Westfalen Auswirkungen auch auf Rheinland-Pfalz und auf die angeschlagene Ministerin Spiegel haben würde. Heinen-Esser war zurückgetreten, weil sie völlig instinktlos wenige Tage nach der Flut zu einer Familienfeier nach Mallorca geflogen war – und darüber gelogen hatte. Was Anne Spiegel ihren Leuten verschwieg: ihren eigenen Frankreich-Urlaub. Den räumte sie erst ein, als die BILD-Zeitung ihn herausfand – und log gleich schon wieder.
Lüge 3: An Kabinettssitzungen aus dem Urlaub teilgenommen
Lüge Nummer 3: Spiegel behauptete, sie sei auch im Urlaub durchgehend erreichbar gewesen – und sie habe an allen (!) Kabinettssitzungen teilgenommen. So teilte sie es der „Bild am Sonntag“ mit, so gab sie es ausdrücklich für die Berichterstattung frei. Es muss irgendjemandem aufgefallen sein, dass das nicht stimmen konnte – und dass womöglich in Mainz jemand das Gegenteil berichten würde. Denn Sonntagabend räumte Spiegel in ihrer Botschaft auf einmal ein: Oh, nein, sie habe noch mal nachgesehen – sie habe ja nun doch an keiner Kabinettssitzung teilgenommen – an keiner einzigen.
Das Landeskabinett RLP tagte nach der Flutkatastrophe dauernd und permanent, erst 3x pro Woche, dann 2x pro Woche. Es ging um Wichtigstes: Um Aufräumarbeiten, um die Bewältigung einer Jahrhundertkatastrophe, um das Bergen von 134 Toten. Und die Aufgaben der Umweltministerin waren wichtige: Der Wiederaufbau der Abwasserversorgung – denn die Abwässer flossen damals ungeklärt in die Ahr, von Tausenden Haushalten. Es gab keine Leitungen mehr, ja nicht einmal Toiletten, die stinkenden Abwässer gefährdeten Menschen, die mit dem Wasser der Ahr in Kontakt kamen. Davor jedoch warnte Spiegel erst Wochen später – die Autorin dieser Zeilen war live dabei.
Und es ging um den Wiederaufbau der Energieversorgung, Tausende hatten wochenlang keinen Strom, manche noch bis in den September hinein. Zuständig: Anne Spiegel und ihr Haus. Zuständig war die Ministerin aber auch für eine der wichtigsten Fragen der ersten Tage: Die Entsorgung des stinkenden Schlamms und der enormen, meterhohen Schuttberge von Müll, in denen sich Keime und Ratten tummelten – es bestand akute Seuchengefahr. Zuständig: Anne Spiegel. In ihrer Botschaft betonte die Ministerin nun, hätte es „irgendeinen Anlass gegeben, den Urlaub abzubrechen, ich hätte es getan.“ Man fragt sich: Welcher Anlass hätte das sein sollen, wenn Seuchengefahr, ein verwüstetes Tal und 134 Tote es nicht sind?
Das Umweltministerium sei durch die Staatssekretäre in den Kabinettssitzungen vertreten gewesen, heißt es nun aus der Mainzer Staatskanzlei – nur: Auch die fuhren in Urlaub. Erst Katrin Eder, dann Erwin Manz. Wie sehr sich die Menschen im Ahrtal nach der Flutkatastrophe allein gelassen gefühlt haben, kann man nachlesen, auch hier bei Mainz&. In den Tagen nach der Flut funktionierte so gut wie nichts, bis der Staat wirklich eine Art Organisation auf die Beine stellte, dauerte es vier Wochen, mindestens.
Doch eine zentral zuständige Ministerin ist nicht da – und verschweigt die Tatsache auch noch. Und man fragt sich nun unwillkürlich: Wo hat Anne Spiegel noch alles die Unwahrheit gesagt? Welche ihrer Aussagen im Untersuchungsausschuss haben denn nun gestimmt – und welche nicht? Spiegels Rücktritt ist ein wichtiger Erfolg der Aufklärung, die in genau diesem Ausschuss geleistet wird. Es dürfte spannend sein zu sehen, ob es das einzige Ergebnis sein wird. Denn noch hat niemand in der Mainzer Landesspitze die politische Verantwortung für die Toten der Flutnacht übernommen – auch Spiegel nicht.
Anne Spiegel hätte in der Krise zeigen können, dass sie Ministerin kann, kommentierte gerade Brigitta Weber in den Landesnachrichten des SWR: „Sie hat es nicht getan.“ Die Grünen müssen sich nun fragen lassen: Welches Personal schicken sie eigentlich in ihre höchsten Ämter? Diese Republik hat einen Anspruch auf Profis im Amt, auf Minister und Ministerinnen, die ihre Aufgabe Ernst nehmen und die ihre ganze Kraft dem Amt zur Verfügung stellen – genau das haben sie nämlich in ihrem Amtseid geschworen. Wer das nicht kann, der muss sein Amt zur Verfügung stellen, so einfach ist das.
Anne Spiegel wäre wahrlich jung genug gewesen, eine Auszeit zugunsten ihrer Familie zu nehmen und später wiederzukommen. DAS wäre honorig gewesen, DAS hätte höchsten Respekt abverlangt. Und DAS hätte auch der Politikbetrieb goutiert. Nein, hier geht es nicht um die Frage, wie menschlich der Politikbetrieb ist, oder wie brutal – was er fraglos ist. Es geht um Professionalität und um Lügen, es geht um Fähigkeit, Kompetenz und um Täuschung. Wer ein solches höchstes Amt der Republik annimmt, der weiß: Es wird einem alles abverlangen. Es geht darum, dem Volke zu dienen – und nicht sich selbst.
Spiegel kam ins Amt, weil sie Frau war und vom linken Flügel, vielleicht denken die Grünen ja auch mal darüber nach, ob ihre Prioritäten bei der Auswahl ihres Personals noch so zielführend sind. „Vielleicht“, sagte Theo Koll am Ende noch, „entscheidet ja auch einfach mal Qualifikation.“
Info& auf Mainz&: Mehr zum zum Rücktritt von Anne Spiegel und den Reaktionen darauf, lest Ihr hier bei Mainz&. Eine Analyse zum Auftritt von Ministerin Anne Spiegel am Sonntagabend lest Ihr hier bei Mainz&: