Die Politik wirbt für Impfungen, die Menschen stehen Schlange für Booster-Impfungen – da schlagen kurz vor dem Wochenende Ärzte und Apotheker aus Hessen Alarm: Die Impfangebote des öffentlichen Gesundheitsdiensts müssten in der kommenden Woche wohl mit weniger Impfstoff auskommen als geplant – der Bund habe die zugesagten Liefermengen überraschend und ohne Vorwarnung reduziert. Das Impftempo sei in Gefahr, hieß es am Freitag nach einem Treffen der hessischen Impfallianz – der hessische Gesundheitsminister Kai Klose (Grüne) kritisierte das als „inakzeptabel.“ In Rheinland-Pfalz wird dagegen bei den Impfbus-Terminen noch immer der Impfstoff von Johnson & Johnson angeboten – obwohl dieser gegen die Delta-Variante deutlich weniger wirkt: Es drohen vermehrt Impfdurchbrüche.
Vor fast genau einer Woche hatte der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) überraschend angekündigt, den begehrten Corona-Impfstoff der Mainzer Firma Biontech ab dieser Woche zu rationieren: Arztpraxen könnten jetzt nur noch 30 Dosen ordern, geboostert werden solle vor allem mit dem Impfstoff von Moderna – es hagelte umgehend Kritik. Ausgerechnet zum Beginn der Booster-Kampagne für Auffrischungsimpfungen, bei endlich wieder steigenden Impfzahlen wolle der Minister den Impfstoff mit der größten Beliebtheit bei den Deutschen rationieren, das sei ein Desaster, schimpften Ärztevertreter und Virologen gleichermaßen.
Spahn musste daraufhin einräumen: Er halte keineswegs Impfstoff zurück, sondern er könne schlicht „nicht ausliefern, was nicht da ist“ – das Impfstofflager für Biontech laufe gerade wegen der hohen Nachfrage einfach leer. Durch diese „massive Nachfrage der letzten zwei Wochen“ habe er nur noch zwei bis drei Millionen Dosen Biontech zur Verfügung, räumte Spahn im ZDF ein – offenbar hatte die Bundesregierung ein rechtzeitiges Nachbestellen des Biontec-Impfstoffs schlicht verschlafen.
In den Arztpraxen führte das umgehend zu einem absoluten Beratungschaos: Spahn versicherte zwar wortreich, es sei genug Impfstoff für alle zum Boostern bis Jahresende da, doch das trifft eben „nur“ auf den US-Impfstoff von Moderna zu. Dieser Impfstoff beruht genau wie der von Biontech auf der mRNA-Technologie, bei dem den menschlichen Zellen der Bauplan zur Fertigung der Abwehrstoffe für das Coronavirus überbracht und der Körper so in die Lage versetzt wird, Abwehrstoffe zu bilden. Doch der Moderna-Impfstoff ist in Deutschland schlicht weniger bekannt, die Impfstoff-Dosis zudem höher dosiert als bei Biontech. Das könnte den Moderna-Impfstoff sogar wirksamer machen als den von Biontech, doch viele Menschen haben dazu nun Fragen – die Telefonleitungen in den Arztpraxen brechen seither unter dem Ansturm faktisch zusammen.
Nun könnte alles noch viel schlimmer kommen: Ärzte- und Apothekerschaft in Hessen warnten am Freitag gemeinsam mit dem hessischen Gesundheitsminister, es drohe kommende Woche das Platzen vieler Impftermine und ein Abbremsen des Impftempos. „Über die bereits bekannte Rationierung des Biontech-Impfstoffs hinaus wurden die zugesagten Liefermengen durch den Bund an die Apotheken sowohl für Biontech als auch Moderna nochmals reduziert“, heißt es in einer am späten Freitagnachmittag verschickten gemeinsamen Mitteilung. Damit sei die Impf-Steigerung der vergangenen Tage akut gefährdet.
Der Grund für die Deckelung sei vorab nicht durch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) kommuniziert worden, kritisieren Ärzteschaft, Apotheken und Minister nach einem Treffen der Impfallianz Hessen gemeinsam: „Alle Beteiligten der Impfallianz sind von dieser Reduzierung überrascht“, heißt es weiter – sie stehe dazu auch im Gegensatz zu den öffentlichen Aussagen des Bundes und erreiche die Allianz „in einer Phase, in der wir gemeinsam kontinuierlich erfolgreich dabei sind, die Impfkapazitäten in Hessen auszubauen.“ Sowohl Ärzteschaft als auch die Vertreter der Städte und Kreise fürchteten nun, dass nicht alle vereinbarten Impftermine eingehalten werden könnten.
„Das ist inakzeptabel“, schimpfte Gesundheitsminister Kai Klose (Grüne), „wir verlangen vom Bund eine klare Kommunikation zu den Gründen und vor allem die zeitnahe Auslieferung des benötigten Impfstoffs.“ Land und Kommunen schafften gerade wieder mehr Impf-Kapazitäten, die Bevölkerung zeige „eine hohe Impfbereitschaft – da darf es zum jetzigen Zeitpunkt nicht am Impfstoff scheitern“, betonte Klose: „Der Bund ist hier uns allen gegenüber in der Pflicht.“
In Rheinland-Pfalz weiß man davon offenbar noch nichts: Landesimpfkoordinator Daniel Stich, Staatssekretär im SPD-geführten Gesundheitsministerium, warb am späten Freitagnachmittag noch einmal ausdrücklich für die Corona-Impfung sowie den Auffrischungs-Booster und verwies dabei noch einmal auf das Angebot der Impfbusse. „Alle Menschen im Land, die sich impfen lassen wollen, haben damit die Möglichkeit, unkompliziert eine Coronaschutzimpfung zu erhalten“, sagte Stich. Seit Tagen werden die Impfbusse des Landes bei jedem Stopp völlig umlagert, viele Impfwillige müssen stundenlang in der Kälte ausharren, um an ihre Impfung zu kommen.
Die Stadt Mainz teilte derweil am Freitag weitere Termine der Impfbusse in Mainz mit und hat die anstehenden Termine wegen des hohen Andrangs von der Innenstadt weg an Sporthallen verlegt – die nächsten Impfbus-Stopps sind am 28. und 30. November sowie am 2. Dezember an der Mainzer Uni (Details unten). Dabei stünden die Vakzine von BioNTech und von Johnson & Johnson zur Verfügung – Letzteres ist allerdings ausgesprochen überraschend: Schon im Juli warnten Experten in den USA, der Johnson-Impfstoff habe in Laborexperimenten eine deutlich schwächere Schutzwirkung gegen die besorgniserregende Variante Delta erzielt als die beiden mRNA-Impfstoffe von Biontech und Moderna, wie etwa das Ärzteblatt am 21. Juli berichtete: „Die Forscher halten angesichts der Dominanz von Delta in vielen Ländern, so auch in Deutschland, eine größere Zahl von Durchbruchinfektionen für möglich.“
Im Mainzer Gesundheitsministerium heißt es dazu auf Mainz&-Anfrage: „Der Impfstoff wirkt und wird auch gerne genommen, gerade bei jenen, die mit ihrer Impfung ’spät dran sind'“, sagte ein Sprecher – schließlich sei man „nach nur einer Impfung vollständig geimpft und kann sich bereits vier Wochen darauf boostern lassen.“ Beim Robert-Koch-Institut warnt man derweil ausdrücklich, für den Janssen-Impfstoff bestehe derzeit „im Unterschied zu den anderen zugelassenen Impfstoffen eine vergleichsweise geringe Impfstoffwirksamkeit gegenüber der Delta-Variante“.
Den Impfschutz gegenüber Delta bezeichnet das RKI inzwischen als „ungenügend“ – Johnson-Geimpften werde dringend empfohlen, sich bereits nach vier Wochen mit einem anderen Impfstoff erneut immunisieren zu lassen. Gerade bei dem Janssen-Impfstoff beobachte man die meisten Impfdurchbrüche, warnt das RKI: „Problematisch ist auch, dass im Verhältnis zu den verwendeten Impfstoffdosen in Deutschland die meisten COVID-19-Impfdurchbruchserkrankungen bei Personen beobachtet werden, die mit der COVID-19 Vaccine Janssen geimpft wurden.“
Info& auf Mainz&: Mehr zu dem Chaos um den knappen Biontech-Impfstoff lest Ihr hier bei den Kollegen vom ZDF. Mehr zum Impfchaos rund um die Booster-Impfungen lest Ihr hier bei Mainz&. Die Mainzer Ärzteschaft lädt am 3. Dezember zu einer Sonder-Impfaktion in Mainz, hoffentlich gibt es dann genügend Impfstoff… mehr dazu hier auf Mainz&.
Eine Übersicht der Termine des Impfbusses des Landes findet Ihr hier im Internet, die nächsten Mainzer Termine sind diese:
Sonntag, 28. November 2021, 9.00 bis 17.00 Uhr
neu: an der Sporthalle der BBS I und III Am Judensand 8, 55122 Mainz
Dienstag, 30. November 2021, neu: 8.00 bis 15.00 Uhr
neu: an der Sporthalle Mombach “Am Großen Sand”, Obere Kreuzstraße 9-13, 55120 Mainz
Donnerstag, 2. Dezember 2021: Mainz Johannes Gutenberg-Universität, Forum universitatis 6, 55122 Mainz (09.00 – 17.00 Uhr)