Es sind Schockwellen für den Einzelhandel in Mainz: Gleich drei alteingesessene Einzelhändler werden ihre Geschäfte in der Mainzer Innenstadt zu Jahresende schließen – und das ist nicht alles: Nach Mainz&-Informationen planen weitere Einzelhändler die Aufgabe ihrer Geschäfte. Die Gründe sind vielfältig, aber ein Hauptproblem nennen alle: Der Verkehr in Mainz und die dramatische Baustellenlage. Nun sagt auch der Inhaber von Juwelier Willenberg: „Ich sehe hier am Schillerplatz keine Zukunft mehr für mich.“ Die Mainzer FDP wirft derweil dem Mainzer OB „Schönfärberei“ vor und fordert eine ehrliche Standortanalyse – am Mittwoch beschäftigt sich damit auch der Mainzer Stadtrat.

Der traditionsreiche Kinderladen Wirth ist Ende 2025 Geschichte - das Geschäft schließt nach 100 Jahre seine Türen. - Foto: gik
Der traditionsreiche Kinderladen Wirth ist Ende 2025 Geschichte – das Geschäft schließt nach 100 Jahre seine Türen. – Foto: gik

Es war ein echter Schockmoment, als Ende des Sommers der Kinderladen Wirth das Aus seines Geschäftes ankündigte: Nach genau 100 Jahren wird der Kinderladen zum Jahresende seine Tore schließen, damit verliert Mainz eine Institution – und das letzte Kinderspielwaren-Fachgeschäft in der Innenstadt. Generationen von Mainzer kauften hier ihr Spielzeug, den ersten Teddy und auch Kinderwägen und Kindersitze fürs Auto, nun aber ist Schluss.

Grund für die Entscheidung seien vor allem drei Faktoren gewesen, sagt Inhaber Friedrich Demmler im Gespräch mit Mainz&: Corona, die Abwanderung des Handels ins Internet – und die seit zehn Jahren andauernde Baustellensituation rund um den Münsterplatz. Dort hatte die Stadt Mainz erst die Schillerstraße neu gestaltet, dann den Münsterplatz, seit Juli 2024 läuft nun der Umbau der Binger Straße. Die Folge für die Einzelhändler: Lange Staus auf einer der wichtigsten Mainzer Einfallsstraßen, die Kunden kommen mit dem Auto nur noch höchst erschwert in die Stadt – und dann auch nicht mehr bis zum Geschäft.

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Baustellen kosteten Kunden, kein Entgegenkommen der Stadt

„Die Baustellensituation hat einfach keinen Raum für Luft gegeben“, kritisiert Demmler im Gespräch mit Mainz&. Die Corona-Pandemie habe bereits dafür gesorgt, dass sich die Menschen an Homeoffice und Internet-Shopping gewöhnt hätten, „da konnte auch unser eigener Onlineshop nicht gegensteuern“, sagt Demmler. Dazu kam seither noch die wachsende Billigkonkurrenz von Internetshops aus China, aber eben auch das Thema Verkehr und Baustellen – seit zehn Jahren leide er jetzt unter immer wiederkehrenden Baustellen vor seiner Geschäftstür.

Friedrich Demmler, Inhaber des Kinderladens Wirth, beim Mainz&-Interview zur Schließung seines Geschäftes. - Foto: gik
Friedrich Demmler, Inhaber des Kinderladens Wirth, beim Mainz&-Interview zur Schließung seines Geschäftes. – Foto: gik

„So ein Geschäft in unserer Größe braucht das Hinterland“, sagt Demmler, mit Kunden aus Mainz allein sei das nicht aufrecht zu erhalten. Doch das „Hinterland“ werde von der Fahrt in die Stadt immer weiter abgeschreckt, dazu strich die Stadt Mainz Demmler auch noch die Ladezone vor der Haustür des Kinderladens – die aber war wichtig für Kunden, die Kinderwägen oder Kinderautositze kaufen wollten. Unterstützung während der Bauphase Binger Straße habe es von Seiten der Stadt auch keine gegeben, sagt Demmler: Eine Aktion, dass Kunden mal drei Stunden kostenlos parken könnten, sei „für die Stadt Peanuts“, hätte den Händler aber geholfen, im Hinterland Werbung zu machen.

Doch das sei offenbar nicht gewollt, stattdessen werde von Parkplätzen am Stadtrand geredet. Es sei aber doch „so was von naiv“ anzunehmen, die Kunden sollten vor der Stadtgrenze in den ÖPNV umsteigen, schimpft Demmler: „Die glauben doch wohl nicht im Ernst, dass Oma und Opa, Tante und Enkelkinder draußen das Auto stehen lassen, umsteigen auf den ÖPNV und dann wieder voll gepackt rausfahren.“ Wer von außerhalb nach Mainz komme, wolle zügig in die Stadt hineinfahren und vor Ort parken.

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Juwelier Willenberg: Werden Schillerplatz verlassen

Demmler ist mit seiner Kritik nicht allein – und nicht mit seiner Geschäftsaufgabe. Auch das alteingesessene und beliebte Fachgeschäft Listmann schließt seinen Laden am Mainzer Höfchen, das Wäschegeschäft C.O.Reuter seine Filiale im Pavillon auf der Ludwigsstraße. Listmann und Demmler geben an, es habe keine Nachfolger für ihre Geschäfte gegeben, doch alle klagen auch: Die Kundenfrequenz habe abgenommen in der Mainzer Innenstadt, viele Kunden kämen nicht mehr – gerade das Umland bleibe aus.

Jan Sebastian, Inhaber des traditionsreichen Juweliergeschäftes Willenberg am Schillerplatz will sein Geschäft dort ebenfalls schließen. - Foto: gik
Jan Sebastian, Inhaber des traditionsreichen Juweliergeschäftes Willenberg am Schillerplatz will sein Geschäft dort ebenfalls schließen. – Foto: gik

„Mit jeder Baustelle verliere ich Kunden, weil wir damit das rheinhessische Hinterland abhängen“, sagt auch Jan Sebastian, Inhaber des traditionsreichen Juweliergeschäfts Willenberg am Schillerplatz und Vorsitzender des Handelsverbandes Rheinland-Pfalz. An den Postleitzahlen der Kunden sei klar abzulesen, dass Mainz das Umland als Kunden verliere, sagt Sebastian, der Hauptgrund: Das katastrophale Baustellenmanagement und die Blockade wichtiger Einfahrtstraßen nach Mainz.

87 Prozent der Einzelhändler in Mainz hätten deutliche Umsatzrückgänge wegen der Baustellenlage, sagt Sebastian im Gespräch mit Mainz& – und kündigt an: Auch er werde sein Geschäft am Schillerplatz schließen. „Ich sehe hier keine Zukunft mehr für mich, ich habe den Glauben an den Geschäftsstandort Schillerstraße verloren“, sagt Sebastian. In dem Areal hätten sich immer mehr Cafés angesiedelt, dazu kämen vorwiegend Geschäfte für Seniorenbedarf, das sei einfach kein attraktives Handelsumfeld mehr. Gebummelt werde hier schon lange nicht mehr, die Kunden von außerhalb blieben weg.

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Willenberg: Umsatz und Mitarbeiter durch Baustellenlage verloren

„Ich habe in sieben Jahren 1,7 Millionen Umsatz verloren“, rechnet Sebastian vor. Vor vier Jahren habe er noch fünf Verkäufer und drei Azubis beschäftigt, jetzt seien es gerade noch eine Verkäuferin und zwei Azubis. Mit dem Start der Baustelle in der Binger Straße im März 2024 sei sein Umsatz um 25 Prozent gesunken, bei Kollegen seien es auch gerne mal 37 Prozent und mehr. Die Apotheke neben ihm habe Mitarbeiter entlassen müssen, „bei mir haben Mitarbeiter gekündigt, weil sie wegen der Baustellen nicht mehr in die Stadt kommen“, berichtet Sebastian.

Dauerstaus auf der Binger Straßen und zuletzt auch - wie hier - auf der Alicenbrücke: Wer will da noch nach Mainz fahren? - Foto: gik
Dauerstaus auf der Binger Straßen und zuletzt auch – wie hier – auf der Alicenbrücke: Wer will da noch nach Mainz fahren? – Foto: gik

„Die Dauerstaus bringen die Menschen dazu zu sagen: Das mache ich nicht mehr mit“, sagt Sebastian. Darunter litten auch Ärzte und Physiotherapeuten im Umkreis, etwa im Ärztehaus an der Großen Bleiche. „Wir sind hier alle im Epizentrum der Baustellen, aber das ist es nicht allein“, sagt Sebastian: „Mit jedem Absperren des Schillerplatzes, gehen die Umsätze um mindestens 15-20 Prozent runter – und ich gewinne die Kunden nicht mehr zurück!“ Ein Laden ab einer gewissen kritischen Größe brauche das Umland, um zu überleben, sagt Sebastian.

Dabei sind die Erkenntnisse keineswegs neu: Schon vor Beginn der Sperrung der Binger Straße warnte der Handel in Mainz vor einem Verkehrsinfarkt und einem Abhängen des städtischen Einzelhandels, die Mainzer Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne) antwortete: Die Innenstadt bleibe „weiterhin problemlos erreichbar“, die Stadt sei „nicht zu, nur anders erreichbar.“ Im Oktober 2024 meldeten bei einer Umfrage der IHK Rheinhessen drei Viertel der Einzelhändler teils massive Umsatzeinbrüche wegen des Mainzer Baustellenchaos – Reaktion der Stadt Mainz: keine.

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FDP wirft Haase „Schönfärberei“ vor: Braucht ehrliche Analyse

Stattdessen sprach Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) vergangene Woche von „sehr positiven Signalen“ für Mainz: Die Gewerbesteuer für den Einzel- und Großhandel sei von 2023 auf 2025 um über 40 Prozent gestiegen, freute sich der OB, entsprechend seien „auch die Erträge des Mainzer Einzelhandels in den beiden Jahren gestiegen.“ Ähnlich positiv sei die Entwicklung im Gastgewerbe, das sei „eine ausgesprochen erfreuliche Entwicklung.“ Die Leerstandsquote sei in Mainz zudem seit drei Jahren unverändert niedrig und liege mit 6,5 Prozent deutlich unter dem Bundesschnitt von 10 Prozent.

Auch beim Traditionsgeschäft Listmann am Höfchen gehe zum Jahresende die Lichter aus. - Foto: gik
Auch beim Traditionsgeschäft Listmann am Höfchen gehe zum Jahresende die Lichter aus. – Foto: gik

Die Mainzer FDP widersprach am Dienstag der Einschätzung, und warf Haase „Schönfärberei“ vor. „Weil die Gewerbesteuer steigt, soll die Mainzer Wirtschaft gerade im Bereich Handel im Wachstum sein“, sagte FDP-Fraktionschefin Susanne Glahn, das halte aber einer genaueren Betrachtung nicht stand.

Denn die Stadt berufe sich auf Steuervorauszahlungen für 2024, das sei aber „keine belastbare Basis“, sondern „unsauber und irreführend“, schimpfte Glahn: „Ohne final geprüfte Gewerbesteuerbescheide sind solche Wachstumsbehauptungen faktisch nicht belastbar.“ Zudem könne man nicht einfach Großhandel und Einzelhandel „in einen Topf“ werfen. Auch Sebastian sagt, die Zuwachszahlen könnten für den Einzelhandel nicht stimmen, Handelsverband-Geschäftsführer Thomas Scherer betont: „Wir haben zurückgehende Umsätze im Vergleich zu 2024, wenn wir Stagnation haben, sind wir schon froh.“

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FDP: Wissen von drei bis vier weiteren Schließungen in Mainz

Die Geschäftsaufgaben seien „ein Warnsignal“, sagt auch FDP-Chefin Glahn und warnt: „Uns liegen nachweislich weitere drei bis vier bevorstehende Schließungen innerstädtischer Ladengeschäfte vor.“ Diese Entwicklung sei alarmierend, das Bild einer „stabilen oder gar wachsenden Innenstadtdynamik“ falsch. „Die zahlreichen Geschäftsaufgaben sind kein zufälliges oder harmloses Phänomen, sondern ein strukturelles Problem“, betont Glahn. Gerade die Aufgabe von Traditionsgeschäften, die oftmals generationsübergreifend geführt wurden, dürfe nicht einfach ignoriert werden.

Baustelle Münsterplatz: Seit zehn Jahren immer wieder Baustelle. - Foto: gik
Baustelle Münsterplatz: Seit zehn Jahren immer wieder Baustelle. – Foto: gik

Die FDP, die bereits mehrfach im Stadtrat ein besseres Baustellenmarketing gefordert hatte, fordert nun einen „offenen, ehrlichen und faktenbasierten Blick auf die Entwicklung der Mainzer Innenstadt.“ Dazu gehörten transparente Zahlen, differenzierte Auswertungen und die Bereitschaft, Probleme auch als solche zu benennen. Eine Stadtentwicklungspolitik, die schwierige Tendenzen ausblende, „gefährdet die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Mainz“, schimpfte FDP-Bauexperte Thomas A. Klann. Am Mittwoch werden die Baustellen und ihr Management erneut Thema im Stadtrat sein.

„Mein großer Aufschrei lautet: verdammt, Stadt, lernt doch endlich mal was!“, bilanzierte Juwelier Sebastian: „Holt Euch endlich Experten, macht endlich ein Konzept für die ganze Stadt – mit Verkehr, mit Stadtentwicklung!“ Wo seien denn die Pläne für die Bereiche Verkehr, Parken und Parkhäuser? „Es geht nicht nur um einzelne Straßenzüge, sondern um die ganze Stadt“, warnte Sebastian: „Wo will die Stadt denn hin, wo will Mainz denn in ein paar Jahren stehen?“ Ja, natürlich könne man Mainz auch komplett autofrei machen und nur noch Fahrräder auf den Straßen zulassen. „Macht die Stadt autofrei, macht sie ‚grüner“‚“, sagte Sebastian, „aber dann müsste Ihr mit den Konsequenzen leben.“

Info& auf Mainz&: Einen ausführlichen Bericht zur IHK-Umfrage zu Kundenschwund und Umsatzrückgang speziell seit der Sperrung der Binger Straße lest ihr hier bei Mainz&.

Kundenschwund und Umsatzeinbußen durch Baustellenchaos in Mainz: Umfrage der IHK Rheinhessen zeigt stark-negative Folgen