Dramatische Szenen auf der griechischen Insel Lesbos: In der Nacht zu Mittwoch brachen in dem Flüchtlingslager Moria mehrere Brände aus, ein Großteil des Lagers soll zerstört sein. Angesichts der Katastrophe fordert der Mainzer Arzt Gerhard Trabert nun die Evakuierung von besonders Betroffenen aus dem Camp nach Deutschland. Europa müsse sofort reagieren, „Deutschland muss sofort reagieren“, forderte Trabert im Gespräch mit Mainz&. Der Initiativausschuss für Migrationspolitik rief gemeinsam mit Flüchtlingsorganisationen für den Abend zu einer Kundgebung in Mainz auf: Um 19.00 Uhr soll auf dem Schillerplatz auf Höhe des Osteiner Hofs eine spontane Demonstration stattfinden.

Der Mainzer Arzt Gerhard Trabert bei einem besuch in Nordsyrien. - Foto: Trabert
Der Mainzer Arzt Gerhard Trabert bei einem besuch in Nordsyrien. – Foto: Trabert

„Heute Nacht sind im Elendslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos an mehreren Stellen Feuer ausgebrochen, zwischenzeitlich stand fast das ganze Lager in Flammen, da die Brände wegen des starken Windes nicht unter Kontrolle gebracht werden konnten“, teilte der Initiativausschuss für Migrationspolitik in einer Pressemitteilung am Mittwoch mit. Der Ausschuss setzt sich aus Mitgliedern der direkt gewählten Ausländerbeiräte sowie aus Mitarbeitern von Wohlfahrtsverbänden und Migrantenorganisationen zusammen. Nach Angaben der griechischen Regierung sei der Großbrand mittlerweile zwar weitgehend unter Kontrolle, zurück bleibe aber fast völlige Zerstörung.

Viele der Bewohner seien in die umliegenden Wälder geflohen, einige hätten versucht, sich in der nächstgelegenen Stadt in Sicherheit zu bringen. Griechischen Medien zufolge gebe es wohl keine Verletzen oder Tote, doch es gebe auch andere Berichte von verletzten menschen und sogar Getöteten – und die Bilder der Zerstörung im Camp seien „mehr als erschreckend und bestürzen uns zutiefst“, so die Mitteilung weiter.

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„Ich habe gerade Videos geschickt bekommen, die Kinder sitzen alle draußen, am Straßenrand, da ist nichts mehr“, berichtete Trabert im Gespräch mit Mainz&, „da ist jetzt absolutes Chaos.“ In dem Flüchtlingslager Moria auf Lesbos gebe es rund 1.000 chronisch kranke und behinderte Menschen und Verletzte sowie Kinder, diese müssten sofort ausgeflogen werden. „Viele Unterkünfte sind abgebrannt, vieles ist total zerstört, da kann man nicht mehr weiterleben“, betonte der Mainzer Obdachlosenarzt und Professor für Sozialmedizin.

Handyvideo vom Brand im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos. - Video: Trabert, Screenshot: gik
Handyvideo vom Brand im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos. – Video: Trabert, Screenshot: gik

Trabert war selbst vor zweieinhalb Wochen nach Moria gereist und hatte dort vor allem Flüchtlinge mit Behinderungen besucht. „Es gibt sehr viele körperbehinderte Menschen dort, Amputierte und Querschnittsgelähmte“, berichtete er. Laut UN-Konvention sei das ein besonders geschützter Personenkreis, dem aber kaum geholfen werde. „Ich hatte Rollstühle dabei, Rollatoren und Arzneimittel“, berichtete Trabert weiter, die Hilfsmittel gingen zur Unterstützung an die einzige Physiotherapeutin des Lagers, Fabiola Rosé.

„Die Bedingungen waren dramatisch schlecht“, erzählte der Mainzer weiter. Ungefähr 200 Menschen hätten sich eine Toilette teilen müssen, Wasser gebe es nur morgens und abends, Duschen sei nur alle paar Wochen möglich. „Die medizinische Versorgung war nur noch marginal vorhanden“, berichtete Trabert, „überall gibt es Kakerlaken und Ratten, und die Ratten beißen die Menschen in die Beine.“

Trabert lernte dort auch den syrischen Flüchtling Abdul Karim kennen, der 26-Jährige sei nach eine Schussverletzung auf seiner Flucht aus Nordsyrien querschnittsgelähmt, könne die Beine nicht bewegen und habe keine Blasen- und Darmfunktion, berichtete der Arzt: „Man hat uns zugestimmt, dass dieser Mann dringend dort raus muss, dass man eine Unterkunft sucht – es ist nichts geschehen.“

„Abdul Karim hat in dem zentralen Bereich gelebt, wo es gebrannt hat“, sagte Trabert, „wir wissen nicht, ober er verletzt ist, ob er noch lebt.“ Die Betreuer könnten nicht zu ihm, das Camp sei abgeriegelt. Den Berichten seiner Kontaktleuten nach habe es wohl mehrere Brände gegeben, berichtete Trabert, davon sei ein Brand wohl in der Nähe des Camps einer rassistisch-rechten Aktivistengruppe ausgebrochen. Der Brand im Lager könnte aus Verzweiflung über die Situation der Geflüchteten selbst gelegt worden sein, sagte er weiter.

Zerstörung im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos nach dem Brand. - Video: Trabert, Screenshot: gik
Zerstörung im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos nach dem Brand. – Video: Trabert, Screenshot: gik

Vor gut einer Woche war in Moria der erste Fall einer Coronavirus-Infektion entdeckt worden, inzwischen gebe es offiziell 35 Fälle. „Das hat die Situation noch erheblich verschärft“, sagte Trabert. Nun müssten die Menschen die Nacht auf der Straße verbringen, „und nicht nur diese Nacht“, warnte er: „Wie wollen Sie 12.000 Menschen auf dieser Insel unterbringen? Das wird nicht funktionieren.“

Deutschland müsse nun sofort reagieren und eine Evakuierungsaktion starten, forderte Trabert, das gehe auch trotz Covid-19. „Wir können die Menschen ja hier unter Quarantäne stellen und dann verteilen, die Infrastruktur haben wir“, fügte er hinzu: „Wir müssen jetzt handeln, es muss jetzt etwas geschehen.“

Eine solche Evakuierung forderten am Nachmittag auch Integrationsministerin Anne Spiegel (Grüne) sowie zahlreiche Vertreter von Flüchtlingsorganisationen. „Wir sind entsetzt und empört über die Ereignisse der vergangenen Nacht im Flüchtlingslager Moria“, teilten auch der Arbeitskreis Asyl, der Flüchtlingsrat RLP e.V. und Aktiv für Flüchtlinge Rheinland-Pfalz mit: „Es übersteigt unsere Vorstellungskraft zu begreifen, wie Europa da wegschauen kann.“ Die Organisationen kritisierten am Mittwoch erneut, es sei vor allem die Blockadehaltung von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), der seit Wochen alle Aufnahme- und Hilfsversuche der Bundesländer blockiere.

„Diese Katastrophe ist die Folge einer gewollten europäischen und deutschen Politik der Abschottung, Ausgrenzung und Abschreckung“, kritisierte auch der Initiativausschuss. Neben ganzen Bundesländern hätten sich auch hunderte Kommunen zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria bereit erklärt. „Kein einziger Mensch sollte diese Erfahrungen machen müssen“, so die Kritik weiter: „Mindestens 2.100 von ihnen wäre dieses Desaster definitiv erspart geblieben, wenn die Bundesregierung sich nicht hinter ihrer Blockadehaltung verschanzt, sondern die Aufnahmezusagen der Länder in Anspruch genommen und sich den Landesaufnahmeprogrammen von Berlin und Thüringen nicht in den Weg gestellt hätte.“

Info& auf Mainz&: Ein Bündnis von Organisationen ruft nun für heute, 9. September, 19.00 Uhr auf dem Schillerplatz in Mainz zu einer spontanen Kundgebung auf, darunter sind: Seebrücke Mainz, RESQSHIP, DIE LINKE Mainz/Mainz-Bingen, Attac Mainz, AK Asyl – Flüchtlingsrat Rlp, Verdi Migrationsausschuss, Armut & Gesundheit, Gutmenschlische Aktion Mainz, Initiativausschuss für Migrationspolitik in RLP.

 

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