In der „Briefkopfaffäre“ um versuchte Einflussnahme der Medien-Staatssekretärin Heike Raab auf die Berichterstattung des SWR in Mainz ist von Entspannung nichts zu sehen: In einer hitzigen Sondersitzung debattierte der Landtag am Mittwoch über die Affäre, ihre Ursachen und Folgen – es wurde eine Generalabrechnung der CDU mit der Regierung von Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD). Die wies Vorwürfe gegen ihre Person scharf zurück, betonte aber zugleich: einen Grund zur Entlassung Raabs sehe sie nicht. Doch nun droht ein neuer Untersuchungsausschuss – und ein anonymer Brief erhebt schwere Vorwürfe gegen SPD-Parteichef und Ex-Innenminister Roger Lewentz.

Offizielles Portrait von Heike Raab als Staatssekretärin und Bevollmächtigte der Ministerpräsidentin. – Foto: Heike Raab
Offizielles Portrait von Heike Raab als Staatssekretärin und Bevollmächtigte der Ministerpräsidentin. – Foto: Heike Raab

„Rolle und Verantwortung von Ministerpräsidentin und Staatskanzlei bei der Einflussnahme auf die Berichterstattung unabhängiger Medien“ – so lautete der Titel der Sondersitzung des rheinland-pfälzischen Landtags am Mittwoch in Mainz. CDU und Freie Wähler hatten die Sitzung beantragt, Anlass war der Beschwerdebrief, den die Beauftragte der Ministerpräsidentin für die Medienpolitik der Länder, Heike Raab, am 2. Mai aus der Staatskanzlei an den SWR schickte. Darin beschwerte sich Raab über einen Satz des SWR-Hauptstadtkorrespondentin Georg Link, der in einer Liveschalte am 11. April dem damaligen Innenminister Roger Lewentz (SPD) eine Verantwortung für die 136 Toten der Ahrflut zugewiesen hatte.

Seither wirft die Opposition in Mainz Raab vor, sie habe mit Drohgebärden Einfluss auf die Berichterstattung des Mainzer Senders nehmen wollen, von „Drohgebären“ und „Einschüchterungsversuchen“ gegenüber der freien Presse ist die Rede. Raab hatte ihr Vorgehen hingegen als „Jedermannsrecht“ verteidigt, sich über das Programm des SWR zu beschweren, und betont: Sie würde den Brief wieder so schreiben. Am Mittwoch nun entschuldigte sich die Staatssekretärin erstmals öffentlich für ihr Vorgehen – nach tagelangem Trommelfeuer. „Aus der heutigen Sicht räume ich selbstkritisch ein, dass ich diesen Brief vom 2. Mai nicht mehr schreiben würde“, sagte Raab. Auch die Verwendung des Briefpapiers mit dem Briefkopf ihres offiziellen Amtes sei ein Fehler gewesen, „dafür möchte ich mich entschuldigen.“

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Raab: „Stehe hier heute selbstkritisch und mit Bedauern“

„Mich hat damals sehr bewegt die Aussage, der Innenminister müsste die vielen Toten verantworten“, gab Raab weiter zur Erklärung an: „Ja, ich habe diesen Gedanken niedergeschrieben – aber es war nie, zu keinem Zeitpunkt meine Absicht, Druck auf den SWR auszuüben.“ Sie habe weder die Löschung des Beitrags noch eine Richtigstellung gefordert, betonte Raab zudem. Die Erläuterung des SWR auf ihre Beschwerde hin sei für sie nachvollziehbar gewesen, „die Angelegenheit damit für mich erledigt.“

Medien-Staatssekretärin Heike Raab am Mittwoch am Rednerpult des Landtags während der Sondersitzung. - Screenshot: gik
Medien-Staatssekretärin Heike Raab am Mittwoch am Rednerpult des Landtags während der Sondersitzung. – Screenshot: gik

„Ich stehe hier heute sehr selbstkritisch und auch mit einem tiefen Bedauern“, sagte Raab weiter, zugleich aber „auch mit einer klaren Haltung zur Medienfreiheit: Die Unabhängigkeit der Medien ist für mich ein hohes Gut.“ Sie hätte die Angelegenheit in den Gremien des SWR einbringen sollen, sagte sie weiter, „denn das sind die Parlamente der Anstalten.“ Raab hatte vergangenen Freitag ihren Rückzug aus eben diesen Gremien erklärt, doch einen Rückzug aus ihrem Amt erklärte sie nicht – der Opposition reichte das nicht.

„Es geht hier nicht um eine lässliche Sünde, sondern um eine Todsünde im Verfassungsrecht“, stellte der Fraktionschef der Freien Wähler, Joachim Streit klar: „Wenn sich die einflussreichste Medienpolitikerin des Landes am Grundgesetz vergreift, dann hat die rheinland-pfälzische Demokratie Schaden genommen.“ Der Vorfall sei „ein gefundenes Fressen für alle die Verschwörungstheoretiker, die ohnehin die Unabhängigkeit der Presse in Frage stellen“, klagte Streit, und fügte hinzu: „Auch dem Durchschnittsbürger ist es sicher jetzt nicht wohler.“

Streit: „Erkennbar Macht missbraucht – das war eine Todsünde“

Raab aber habe bisher keinerlei Unrechtsbewusstsein gezeigt, und das gelte auch für die Landesregierung und Ministerpräsidentin selbst: „Frau Raab hat für alle erkennbar ihre Macht missbraucht, doch die Landesregierung war nicht in der Lage, diesen Fehler klar zu bekennen“, kritisierte Streit: Das sei „eine Darbietung politischer Verantwortungslosigkeit, die stilbildend für den Umgang dieser Landesregierung mit eigenen Fehlern ist.“ Auch die AfD sprach von „einem systemischen Problem“ und warf der Regierung Dreyer Unfähigkeit vor, Fehler einzugestehen. „Die Landesregierung betrachtet den SWR und auch das ZDF als ihre Haussender“, schimpfte der AfD-Abgeordnete Joachim Paul, die Staatsferne habe „tiefe Risse bekommen.“

Der der Fraktionschef der Freien Wähler, Joachim Streit. - Foto: Streit
Der der Fraktionschef der Freien Wähler, Joachim Streit. – Foto: Streit

Deutlicher wurde der ehemalige AfD-Fraktionschef Michael Frisch, der inzwischen als fraktionsloser Abgeordneter im Parlament sitzt: In der Affäre Raab zeige sich „eine Kultur der Abgehobenheit und Verantwortungslosigkeit, der jegliches Gespür für die Bedürfnisse der Menschen fehlt“, schimpfte Frisch: „Anmaßende Selbstgerechtigkeit, schamloses Kleben am Amt, mit dem man überfordert ist – das sind die Sumpfblüten, die auf 30 Jahren rotem Sumpf und inzwischen auch grünem wachsen.“ Niemand habe „in den vergangen Jahren die Demokratie in Rheinland-Pfalz so sehr beschädigt, wie diese Landesregierung“, bilanzierte Frisch.

Die Fraktionschefs von SPD, FDP und Grünen wiesen das zurück. „Sie wollen verletzen und provozieren“, warf SPD-Fraktionschefin Sabine Bätzing-Lichtenthäler vor allem der CDU vor: „Es geht Ihnen darum, die Ministerpräsidentin zu attackieren und zur geheimen Strippenzieherin zu machen“, das werde aber nicht verfangen. Gerade die Sozialdemokraten bräuchten „von Ihnen keine Belehrung, was die Freiheit des Wortes angeht“, sagte Bätzing-Lichtenthäler, und unterstrich: „Unsere Demokratie lebt von Teilhabe und Partizipation.“

Abrechnung der CDU mit Dreyer: „Das Land als Beute“

Ohne freie Presse gebe es kein freies Land, „für unser Gemeinwohl benötigen wir eine kraftvolle Presse und einen unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, so, wie wir ihn in RLP haben“, sagte die Fraktionschefin weiter: „Eine aufgeklärte Demokratie kann nur am Leben bleiben, wenn Gewählten und Regierenden auf die Finger geschaut wird und Missstände und Skandale aufgedeckt werden.“ Die Frage der Pressefreiheit sei „konstituierend für eine Demokratie“, sagte auch FDP-Fraktionschef Philipp Fernis: „Wir brauchen freie, unabhängige Medien mit einem klaren Anspruch: zu sagen, was ist.“

Warf der Regierung Dreyer Machtmissbrauch vor: CDU-Fraktionschef Gordon Schnieder am Mittwoch im Mainzer Landtag. - Foto: gik
Warf der Regierung Dreyer Machtmissbrauch vor: CDU-Fraktionschef Gordon Schnieder am Mittwoch im Mainzer Landtag. – Foto: gik

Doch von Seiten der CDU-Opposition wurde die Debatte zu einer Generalabrechnung: „Die Causa Raab steht heute nicht nur symptomatisch für eine Landesregierung, die seit vielen Jahren ganz gezielt versucht, sich die Medien gefügig zu machen“, kritisierte CDU-Fraktionschef Gordon Schnieder: „Die Causa Raab ist nichts anderes als ein Synonym für Machterhalt um jeden Preis, für roten Filz und parteipolitische Vetternwirtschaft.“

„Die SPD führt sich auf, als sei das Land ihre Beute“, schrieb Schnieder der Regierung ins Stammbuch – „und wehe, jemand übt Kritik.“ Die SPD halte sich als Regierungspartei für unfehlbar, und nichts dürfe in der Öffentlichkeit das Bild der Landesmutter inmitten treu sorgender Minister trüben. Kritik sei nicht gewünscht, werde unterdrückt oder habe ernste Konsequenzen – das bekämen Lehrer zu spüren, die Mängel offen ansprechen wollten, Polizisten oder Erzieherinnen, die sich aus Sorge um die Betreuungsqualität organisierten.

Dreyer: „Stehe ohne Wenn und Aber für unabhängigen Journalismus“

„Wir erleben eine Landesregierung, die egal was auch passiert, an nichts schuld ist“, kritisierte Schnieder: „Schuld trägt nie die betroffene Person, sondern Opposition und Medien – Schuld sind immer die anderen.“ Die Größe, eigene Fehler auch mal zuzugeben, sich gar zu entschuldigen, „diese Stärke fehlt Ihrer gesamten Regierung“, bilanzierte Schnieder. Die Causa Raab offenbare deshalb „ein doppeltes Führungsversagen“, denn auch Dreyer selbst habe versäumt, aufzuklären und für Transparenz zu sorgen.

Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) am Mittwoch im Plenum des Mainzer Landtags. - Screenshot: gik
Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) am Mittwoch im Plenum des Mainzer Landtags. – Screenshot: gik

„Sie haben sich das Handeln Ihrer Bevollmächtigten zu eigen gemacht“, warf Schnieder der Ministerpräsidentin vor: Könne sie denn überhaupt sicherstellen, dass in der Staatskanzlei „tatsächlich keine inhaltliche Mitwirkung in das Schreiben der Frau Raab eingeflossen ist?“ Welches Staatsverständnis offenbare sich denn, „wenn sie meinen, nach Gutdünken auf die Medien durchgreifen zu können?“ Dreyer müsse sich entschuldigen, Raab entlassen und „erklären, wie Sie sicherstellen wollen, dass das Ausüben von Druck durch Ihre Landesregierung auf die Medien hier und heute endet“, forderte Schnieder.

Doch Dreyer entschuldigte sich nicht: Sie nehme die öffentliche Diskussion um den Brief „sehr, sehr ernst“, aber sie habe „keinen Grund, an den Worten von Raab zu zweifeln“, entgegnete Dreyer. Sie bedauere, dass der Brief als versuchte Einflussnahme auf Medien verstanden worden sei, aber „das Bild, das hier gezeichnet wurde, weise ich mit voller Entschiedenheit zurück“, betonte die Ministerpräsidentin: „Ich stehe ohne Wenn und Aber für unabhängigen Journalismus. Ich würde zu keiner Zeit dulden, dass durch die Staatskanzlei Druck auf Medien ausgeübt wurde.“

Die SPD habe sich immer für unabhängige Medien eingesetzt, und für die Rechte von Journalisten. „Für mich und meine Landesregierung sind freiheitliche Medien das Fundament der Demokratie“, betonte Dreyer: „Sie können sich sicher sein: Mir sind freie und unabhängige Medien ein herzensanliegen und eine Grundüberzeugung – und das gilt auch für die Zukunft.“

Opposition sieht Raab beschädigt – und hat neue Fragen

Für die Opposition ist die Affäre damit noch lange nicht aus der Welt: Raabs Rückzug aus dem SWR und ihre Entschuldigung kämen viel zu spät, Raab und auch Dreyer blieben unglaubwürdig, sagte Schnieder. Die Medien-Staatssekretärin sei zudem in ihrem Amt diskreditiert, „sie kann uns auf Bundesebene nicht mehr glaubwürdig vertreten“, betonte auch CDU-Fraktionsvize Ellen Demuth. Und auch die Freien Wähler konstatierten, das Sonderplenum habe für wenig Klarheit gesorgt, und stattdessen „mehr Fragen als Antworten“ aufgeworfen.

Beschwerung vor dem Mainzer Landtag - und darinnen: Der Regierung droht ein neuer Untersuchungsausschuss. - Foto: gik
Beschwerung vor dem Mainzer Landtag – und darinnen: Der Regierung droht ein neuer Untersuchungsausschuss. – Foto: gik

Und tatsächlich hatte gerade Raab in ihrer Rede erneut für Verwirrung gesorgt, was die Abläufe rund um den Brief in der Staatskanzlei anging. Rückwirkend ärgere sie sich, dass sie die Vorgänge rund um das Verfassen des Briefs „so beantwortet habe, dass der Eindruck entstehen konnte, der Brief sei im Homeoffice verschickt worden“, sagte Raab – und räumte damit erstmals ein, dass der Brief durch ihr Büro in der Staatskanzlei ging. Sie habe das Schreiben, „soweit ich mich erinnere, im Homeoffice ausgedruckt und in meinem Büro in Mainz eingescannt“, sagte Raab nun – das Einscannen sei „im Homeoffice nicht möglich gewesen.“

Gleichzeitig betonte die Staatssekretärin: „Das Dokument habe ich nicht zu den Akten genommen und nicht in die E-Akte aufgenommen, es gibt zu dem Dokument auch keine analoge Akte.“ Das aber wirft die Frage auf: Wozu musste das Dokument dann in ihrem Büro eingescannt werden? Und wer versah das Schreiben mit dem offiziellen Briefkopf mit dem Datum vom 2. Mai? Und dann ist da die weiter unbeantwortete Frage, wer Raab auf das Schaltgespräch des SWR-Journalisten und den für den SPD-Chef Lewentz so pikanten Satz aufmerksam machte – und warum Raab Lewentz unmittelbar eine Kopie des Schreibens zuschickte.

Anonymer Brief belastet Lewentz: Journalist bedroht?

Ein anonymer Brief wirft dazu nun neue Fragen auf, in dem Brief beschreibt der Verfasser einen Vorgang, der sich am 26. April 2023 bei einem Hintergrundgespräch der Landespresskonferenz Rheinland-Pfalz zutrug. Zu Gast an dem Abend: Roger Lewentz. Und der reagierte auf jegliche Nachfrage zu der Verantwortung der Landesregierung und von ihm selbst für die Toten der Ahrflut ausgesprochen ungehalten. CDU-Fraktionschef Schnieder machte den Inhalt des Schreibens am Mittwoch in seiner Rede in Teilen öffentlich, und er zitierte, wie Lewentz eben jenen SWR-Kollegen vor versammelter Runde anfuhr: „Passen Sie jetzt genau auf, was Sie sagen! Wägen Sie ihre Worte! Ich habe davon gehört! WIR überprüfen das!“

Roger Lewentz, frisch wiedergewählter Parteichef der SPD Rheinland-Pfalz. - Foto: SPD RLP
Roger Lewentz, frisch wiedergewählter Parteichef der SPD Rheinland-Pfalz. – Foto: SPD RLP

Schnieder stellte genau diese Worte an den Beginn seiner Rede, und fragte: „Können Sie sich vorstellen, dass demokratische Politiker so mit Journalisten reden?“ Den Abgeordneten der Regierungsfraktionen hielt er vor: „Das ist die Wortwahl die Sie heute decken werden, die Sie heute verteidigen werden.“ Diese Aussagen seien „der Beginn eines groß angelegten Einschüchterungsvorhabens gewesen“, der in Raabs Brief gemündet habe, behauptete Schnieder, „nicht zur Verteidigung der Landesregierung, sondern zur Verteidigung der Partei.“

In den Reihen der Opposition wird nun offen über einen Untersuchungsausschuss nachgedacht, die AfD wird ihn kommende Woche in der letzten Sitzung des Jahres beantragen. Ob die übrigen Oppositionsfraktionen zustimmen, ist noch unklar, wahrscheinlicher ist, dass CDU und Freie Wähler im Januar einen eigenen gemeinsamen Antrag stellen. Man habe keine Zeitdruck, sagte ein Abgeordneter – 2024 steht nicht nur die Europawahl, sondern auch die Kommunalwahl in Rheinland-Pfalz vor der Tür.

Info& auf Mainz&: Einen ausführlichen Hintergrundbericht zur Briefkopfaffäre, und was die „Causa Raab“ mit der Flutkatastrophe im Ahrtal zu tun hat, lest Ihr hier bei Mainz&.