Was wollen die Mainzer auf der Ludwigsstraße in Sachen Einkaufszentrum? Das fragte Ende Juni die Stadt Mainz bei einer ersten Bürgerbefragung zu den neuen Plänen des Investors Dirk Gemünden – es war eine intensive, dreistündige Veranstaltung. In Vorträgen und später an Informationsständen informierten Investor und Planer über die Einzelheiten, die Mainzer konnten bunten Kärtchen an Stellwände pinnen und im Plenum ihre Meinung kundtun. An diesem Montag, den 26. August, werden nun die Ergebnisse vorgestellt. Konsequenzen, sagen Kritiker, werde das doch alles ohnehin nicht mehr haben: Die Pläne seien doch ohnehin ein „unabänderliches Diktat der Investoren“, die Wünsche der Bürger seien „der Form halber abgefragt, doch zugleich auch verworfen“ worden, schimpft der Runde Tisch Städtebaukultur, und warnt: Die Pläne gefährdeten die LU als Festmeile.
„Wie groß ist denn der Bedarf überhaupt“, fragte eine Mainzerin bei der ersten Bürgerbeteiligung Ende Juni im Kurfürstlichen Schloss, wo sei denn die Bedarfsanalyse für ein neues Einkaufszentrum? „Können wir die konkreten Studien sehen?“, wollte ein anderer Teilnehmer wissen. Mehr Grün, mehr Bepflanzung und mehr Schatten in der Innenstadt wünschten andere – bei dem großen Forum im Schloss wurde schnell klar: Die Mainzer haben noch viele Wünsche an die Neugestaltung der Ludwigsstraße. Die Pläne des Investors stehen indes weitgehend fest: Einen Einkaufs-Boulevard mit rund 15.000 Quadratmeter Einkaufsfläche will Gemünden mit seinen Firmen am heutigen Karstadt-Kaufhaus errichten.
„Wir haben uns immer wieder intensiv die Frage gestellt: wie wird die LU wieder zum Anziehungspunkt, als Einkaufsbereich, aber nicht nur“, sagte Tina Badrot, Tochter des Investors: „Wie können wir die LU wieder zum Magnet machen?“ Die Lösung der Firma Molitor: Man wolle einen Erlebnisort schaffen, das Handel, Genuss und Aufenthaltsqualität verbinde, „ein Konzept, das zu Mainz passt, aber das auch Strahlkraft für Touristen hat“, sagte Badrot. Man habe sich die Frage gestellt, wie der Handel der Zukunfta ussehe, betonte ihr Bruder Tim Gemünden, man wolle mit Attraktionen und Aufenthaltsqualität Frequenz für den handel schaffen.
Die Lösung soll dafür eine Art Passage sein, die die Besucher von der Ludwigsstraße in einen Innenhof zieht, in dem Pop-Up-Stores und eine große Freitreppe zur öffentlich zugänglichen Dachterrasse für Besuchermagnete sorgen. „Ich kann mit eine kleine Bühne für Mainzer Vereine dauerhaft vorstellen“, sagte Tim Gemünden, „wir wollen Mainzer Feste auch Indoor bespielen können.“ Ein Hotel auf dem Dach des heutigen Parkhauses sowie ein City-Hub, in dem Einkäufe gelagert und nach Hause geschickt werden können, sollen das Zentrum ergänzen. Entlang der Fuststraße und zum Bischofsplatz hin sollen Wohnungen entstehen, der Bischofsplatz ein ruhiger Platz bleiben.
Zum Bischofsplatz hin solle es „eine Staffelung“ geben, sagte Baudezernentin Marianne Grosse (SPD); die aber nicht genau präzisierte, was das bedeuten soll. Die Höhe der Gebäude an dem Platz solle aber „überprüft werden“, sagte sie – womöglich sollen die neuen Wohngebäude höher werden. Freifläche und Bäume des Bischofsplatz blieben aber erhalten, versicherte die Dezernentin. Auch habe der Investor den kleinen Platz zwischen vor dem Ballplatz, der derzeit als Parkplatz genutzt wird, zur Überplanung freigegeben, hier könne eine Freiflächennutzung samt Kinderspielplatz entstehen.
Überhaupt werde der Plan des Investors in das städtebauliche Gesamtkonzept eingegliedert, das der Stadtrat im April in Auftrag gegeben habe, betonte Grosse. Die Gebäudehöhen entlang der LU sollen aber auf 12,50 Meter angehoben werden, das sei städtebaulich vertretbar, sagte Grosse. Der Gutenbergplatz werde damit durch Gebäude mit unterschiedlicher Höhe begrenzt, in einem Wettbewerb solle das detailliert untersucht und auch eine Planung für den Leuchter-Pavillon direkt am Gutenberg-Platz mit entworfen werden – obwohl dieser noch in Privatbesitz ist. „Es werden klare Raumkanten definiert und Spielräume aufgezeigt, die im Rahmen des Wettbewerbs ausdefiniert werden können“, sagte Grosse. Klar sei aber: Die neue Konzeption des Investors lasse sich sehr viel besser als bisher in die bestehende Struktur eingliedern.
Ist also in Sachen Ludwigsstraße bereits alles entschieden? Die sogenannte Bürgerbeteiligung sei doch eine Farce, das Ergebnis stehe doch bereits fest, schimpfte die Bürgerinitiative Ludwigsstraße. Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) widersprach: „Nein, es ist nicht alles gesetzt, wir stehen noch ziemlich am Anfang und haben noch eine ganze Reihe von Etappen zu bewegen“, betonte Ebling, und verwies auf die städtebaulichen Wettbewerbe, die noch kommen sollen. Es gebe noch zahlreiche Punkte, an denen es „immer wieder Diskussionen geben wird und muss“, sagte Ebling. Am Ende stehe ein Satzungsbeschluss, und den könne nur der Stadtrat fassen.
Zugleich betonte der Oberbürgermeister, solche Entscheidungen seien „immer ein Abwägungsprozess“, Mainz schließlich auch „untrennbar mit dem Thema Handel verbunden.“ Wenn es gelinge, die Ludwigsstraße „als lebendige, bunte Achse zu erleben, sich dort zu begegnen, dann haben wir ein Stück Stadt in die Zukunft gerettet.“ So optimistisch waren indes die meisten Besucher nicht: Vor allem Interessenvertreter nutzten die Gelegenheit, noch einmal ihre Positionen zum Einkaufszentrum an der LU darzulegen.
„Mehr Mut zu moderner Architektur“, wünschte sich der Vorsitzende der Werbegemeinschaft Mainzer Einzelhändler, Martin Lepold. Den Gutenbergplatz als Geschichtsort zu realisieren und die alten französischen Pläne wieder sichtbar zu machen, wünschte sich Hartmut Fischer vom Rheinischen Verein für Denkmalpflege, und betonte: „Attraktiv sind Städte, die eine gewisse Identität ausstrahlen.“ Er wünsche sich ja „mehr Mut und einen geweiteten Blick“, sagte Lutz Hofer von der SPD Mainz-Altstadt: „Mir scheint die Sache sehr verengt auf die Frage, wie können wir hier einkaufen?“ Die Neugestaltung der LU sei in der Tat eine historische Chance, sagte Hofer: „Ich würde mir wünschen, dass wir mehr Mut haben, sie zu nutzen.“
Es gebe doch „drei Themen, denen wir nicht davon laufen können“, mahnte Ingrid Pannhorst, baupolitische Sprecherin der ÖDP: Klimawandel, die Digitalisierung im Einzelhandel und bezahlbares Wohnen seien die Megathemen, alle drei würden von den derzeitigen Planungen mitnichten gelöst. „Wenn wir nicht anfangen zu Begrünen, zu Durchschatten und zu Durchlüften“, werde die Innenstadt in Zukunft im Sommer vor Hitze nicht mehr nutzbar sein, warnte sie: „Mit einem klimatisierten Glaskasten wird das noch viel schlimmer.“
„Wir werden weder das Wohnraum- noch das Erwärmungsproblem in der Innenstadt an dieser Fläche lösen können“, sagte hingegen Markus Müller, Intendant des Mainzer Staatstheaters. Als unmittelbarer Nachbar des Komplexes wünschten er und seine Leute sich „einen Ort, an dem die Kultur auch eine Heimat hat“, sagte Müller. An dem Konzept von Gemünden gefalle ihm gut, „dass es unterschiedliche Orte für Kultur und für Begegnung geben soll“, betonte er: Die Dachterrasse, die Popup-Stores, der geplante Club im Tresorraum – „einen Erlebnisraum an 365 Tagen der echten Kultur, des Austausches und der Vielfalt“, wünschte sich Müller.
„Zu allen Positionen haben wir immer auch einen Gegenposition gehört“, resümierte denn auch der Moderator: Alt gegen neu, historisch gegen modern, Flanieren und Shoppen gegen Wohnraum und Kitas – „es konkurrieren ganz viele Perspektiven“, stellte er fest. „Die Frage, ob historisch oder modern ist doch gar nicht der Gegensatz“, konterte SPD-Stadtrat Andreas Behringer: „Entscheiden ist, dass wir Mainz-typische Bezüge herstellen.“ Das könne durch die Benutzung des typischen roten Sandsteins als Bauelement sein, oder durch historische Bauhöhen. „Es darf sehr wohl eine moderne Architektur sein, aber sie muss die Mainzer Identität sichtbar machen, die Geschichte muss sich dort wiederspiegeln“, fand Behringer, und forderte: „Der Wettbewerb braucht Vorgaben, die LU muss eine städtebauliche Einheit darstellen.“
Und genau da versage die Politik, warnte nun im Vorfeld der zweiten Bürgerbeteiligung der Runde Tisch Stadtbaukultur: „Wenn sich Politiker von Investoren abhängig
machen, die ihrerseits den Großmietern unterworfen sind („mit langfristigen Verträgen“),
dann müssen sie die ‚Alternativlosigkeit‘ ihrer Entscheidungen als Ultimatum vorschützen,
um Bürgerwillen zu beugen“, heißt es in einer Stellungnahme des Runden Tisches. Die öffentliche Autonomie werde so eingeschränkt, Bürgerwünsche spielten da keine Rolle mehr: „Bürgerwünsche wurden der Form halber abgefragt, doch zugleich auch verworfen, weil sie sich zwangsläufig gegenseitig widersprechen oder aufheben“, kritisiert der Runde Tisch.
So sei es ein Leichtes, die Pläne der Investoren „als unabänderliches Diktat“ darzustellen und das Resultat der Planungen als unwiderlegbar darzustellen. „Die baulichen Lösungen stehen längst fest, vom Gegenplan des Investors oktroyiert, der keine Wahl lässt“, kritisieren die städtebaulichen Berater: „Nachgeschaltete Wettbewerbsverfahren oder
Bürgerbeteiligungen sind in diesem Zusammenhang ein Possenspiel.“
Und dabei werde mit den neuen Plänen nichts weniger als die Einheit der Ludwigsstraße als städtebauliches Konzept zerschlagen, warnt das Gremium weiter: Der Längsachse zwischen Gutenbergplatz und Schillerplatz werde eine neue Querachse zum Bischofsplatz und zum Hotel verpasst, die Haupstraße so fragmentiert und den Interessen des Nutzungskonzeptes untergeordnet. „Für die Ludwigsstraße steht viel auf dem Spiel“, warnen die Verfasser: Die großen Stadtfeste und Umzüge von Mainz spielten sich auf der Längsachse ab, „vom Schiller- zum Gutenbergplatz“, vom Fastnachtsbrunnen zum Dom. „Der Widerstreit konträr ausgerichteter Konzepte kann ihnen auf Dauer Anziehungskraft, Begeisterung und Schwung entziehen“, heißt es weiter – Mainz drohe seine Festmeile zu verlieren.
Info& auf Mainz&: Die Ergebnisse der ersten Bürgerbeteiligungsveranstaltung werden am Montag, den 26.08.2019 um 19.00 Uhr im Gutenbergsaal in der Rheingoldhalle vorgestellt. Auch dann hätten die Bürger „erneut die Möglichkeit Fragen und Anregungen zu den Planungen für das Einkaufsquartier Ludwigsstraße vorzubringen“, heißt es von Seiten der Stadt. Mehr zur Kritik der BI Ludwigsstraße lest Ihr hier bei Mainz&, mehr zu den Vorstellungen des Rheinischen Vereins zum Gutenbergplatz haben wir hier aufgeschrieben. Die Pläne des Investors Gemünden für den Boulevard LU haben wir ausführlich hier dargestellt.