Der Ärger um die Corona-Soforthilfen wird in Rheinland-Pfalz immer größer, nach wie vor berichtet ein Großteil der Unternehmen: Auch 14 Tage nach Antragstellung sei bei ihnen noch kein Geld angekommen. Vor dem Osterwochenende hatte Rheinland-Pfalz lediglich 2.200 Anträge bewilligt und rund 17,5 Millionen Euro ausgezahlt – in Hessen waren es da schon rund 250 Millionen Euro, in Baden-Württemberg 1,42 Milliarden Euro und in Nordrhein-Westfalen 2,33 Milliarden Euro. Scharfe Kritik kommt von der CDU-Opposition, die vom einem Skandal spricht: Die Landesregierung lasse die Betriebe „im Regen stehen“. Das gilt umso mehr für Freiberufler und Solo-Selbstständige – sie fallen weiter praktisch komplett durch alle Hilfsnetze. Denn auch bei der Corona-Grundsicherung wird weiter scharf hingeschaut: Es gibt Vermögensprüfungen, stapelweise Antragsunterlagen und eine genaue Prüfung auf Bedürftigkeit. Künstler und Solo-Selbstständige zeigen sich tief enttäuscht von der Politik in Rheinland-Pfalz.
„Meine Freunde in Stuttgart haben das Geld schon auf dem Konto, hier bei uns kommt nichts an“, schimpft Joachim Schmitz. Schmitz ist professioneller DJ, mit seiner Agentur legt er auf großen Firmenevents auf, vielfach im Raum Stuttgart. Dort lebe er inzwischen auch die meiste Zeit, berichtet Schmitz im Gespräch mit Mainz&, seinen Firmensitz habe er aber noch immer in der Pfalz – und genau das sei jetzt sein Problem: Denn während Baden-Württemberg ein eigenes Landesprogramm zur Absicherung von Kleinunternehmern und Solo-Selbstständigen aufgelegt hat, leitet Rheinland-Pfalz lediglich die Soforthilfen des Bundes weiter. Die aber sind eng an die Betriebskosten gebunden, das Ergebnis: In Rheinland-Pfalz dürfen die Gelder nicht für den eigenen Lebensunterhalt und nicht als Ersatz für durch die Coronakrise entgangenen Umsatz verwendet werden.
„In Baden-Württemberg kriegt jeder seinen Umsatz erstattet, während Rheinland-Pfalz die Leute in Hartz IV schickt“, sagt Schmitz. Tatsächlich heißt es in Bewilligungsbescheiden aus Baden-Württemberg explizit, die Gelder dürften auch für Umsatzeinbrüche wegen der Coronakrise verwendet werden, Mainz& liegt ein entsprechender Bescheid vor. In Rheinland-Pfalz wird das Solo-Selbstständigen und Kleinunternehmern verweigert, weil das Land im Gegensatz zu seinen Nachbarn kein eigenes Zuschussprogramm auflegte. „Das kann doch nicht angehen, ich muss doch als Bürger gleichbehandelt werden“, schimpft Schmitz. Seit mehr als 20 Jahren betreibt er seine DJ-Agentur jetzt schon, doch nun steht der 47-Jährige komplett ohne Hilfen da.
Schmitz stellte seinen Antrag auf Soforthilfe in Rheinland-Pfalz direkt am 30. März, bis heute hat er lediglich eine Bestätigungsmail erhalten. Auch die ließ mehr als acht Tage auf sich warten: Erst am 8. April verschickte die zuständige Investitions- und Strukturbank (ISB) Rheinland-Pfalz die Bestätigungen. „Von wegen „digital first“ in der Landesverwaltung“, spottete CDU-Generalsekretär Gerd Schreiner: Wirtschaftsminister Volker Wissing (FDP) habe 2016 bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags erklärt, Digitalisierung sei ein Schwerpunkt seiner zukünftigen Politik. „Dabei ist er noch nicht mal in der Lage, ein digitales Verfahren für die Beantragung der Finanzhilfen in der Corona-Krise hinzubekommen“, schimpfte Schreiner.
Von der ISB hieß es am Gründonnerstag, man habe bis 16.00 Uhr knapp 2,.200 Anträge bewilligt und rund 17,5 Millionen Euro an Soforthilfen ausgezahlt – allerdings waren zuvor rund 61.000 Anträge eingegangen, die einen Wert von rund 97,4 Millionen Euro haben. Wirtschaftsminister Wissing musste zudem im Wirtschaftsausschuss des Mainzer Landtags einräumen, die Auszahlung der Gelder laufe schleppend: Er hoffe, dass die Gelder bis Ende April flössen, sagte der Minister.
Die CDU-Opposition schäumte und sprach von „skandalösen Zuständen“: Die Antragsbearbeitung verlaufe schleppend, dringend benötigte Gelder flössen „nur tröpfchenweise“, schimpfte CDU-Landtagsfraktionschef Christian Baldauf: „Andere Bundesländer reichen bereits seit Wochen in hohem Maße Finanzhilfen an die krisengeschädigten Unternehmen aus, Rheinland-Pfalz hinkt da meilenweit hinterher.“ Wenn Wissing hoffe, wenigstens bis Ende des Monats die überfälligen Gelder zu zahlen, dann sei das das Gegenteil einer Soforthilfe. Die Landesregierung sei trotz Vorwarnungen eben nicht vorbereitet gewesen, schimpfte auch der CDU-Wirtschaftsexperte Helmut Martin: „Die Landesregierung lässt die kleinen und mittelgroßen Unternehmen schlichtweg hängen gerade dann, wenn Hilfe gebraucht wird.“
Bei der ISB zeigte man sich reuig und versprach, über das Osterwochenende mit aller Kraft durchzuarbeiten. Am Dienstag hieß es nun, man habe die Bearbeitung „massiv beschleunigt“, Verfahren seien automatisiert worden, zusätzlich abgestelltes Personal sei inzwischen gut eingearbeitet. 30.000 Anträge seien inzwischen bearbeitet und geprüft, allerdings liegen mittlerweile 64.000 Anträge mit einem Volumen von rund 550 Millionen Euro vor. „Alle arbeiten mit Hochdruck, um das Geld schnellstmöglich an die Unternehmen auszahlen zu können“, sagte ISB-Vorstand Ullrich Dexheimer. „Wir wollen, dass unsere Unternehmen in Rheinland-Pfalz schnell ihr Geld erhalten, um deren Liquidität zu sichern. Jeden Tag wird Geld ausgezahlt.“
Vor Ort scheint davon aber weiter wenig anzukommen. Auch am Dienstag zeigten sich gerade kleine Unternehmen mit Läden, Solo-Selbstständige und Freiberufler in Scharen frustriert. „Noch immer keine Antwort, noch immer kein Geld“, heißt es Dutzendweise in Hilfsforen sozialer Netzwerke. „Die Soforthilfe hat mit ‚Sofort‘ gar nichts zu tun, die kommt erst dann bei den Unternehmen an, wenn die Geschäfte wieder offen sind“, schimpfte etwa eine Kommentatorin – und adressierte ihre Wut direkt an Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD). Die musste sich unter ihrer Osterbotschaft erheblichen Frust anhören: „Geruhsame Ostern? Wie soll das gehen“, schimpfte eine: „Da werden Soforthilfen versprochen und nichts passiert…“ – faule Ostereier seien das.
Ein Tatoo- und Piercing-Studio habe er aufgebaut, „mit ganz viel Liebe“, sein Lebenstraum sei das, berichtete ein Kommentator, doch nun drohe seine ganze Existenz vernichtet zu werden. Am 30. März habe er seinen Antrag gestellt, Geld habe er noch immer nicht gesehen. „Sollte mein Studio den Bach runter gehen, mache ich Rheinland-Pfalz dafür verantwortlich“, drohte er. „Der größte Teil der Solo-Selbstständigen wird sowieso nichts oder wenig bekommen, sollen ALG 2 beantragen“, kritisierte ein weiterer Kommentator: „Das ist unwürdig!!“
In der Tat verweist die Politik in Rheinland-Pfalz Freiberufler, Künstler und Solo-Selbstständige ohne größere Betriebskosten genau dorthin: in die Grundsicherung der Agentur für Arbeit. Die Corona-Grundsicherung sei „ein guter Schutzschild“ und sichere die Existenz der Freiberufler ab, versicherte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) vergangene Woche persönlich in einem Facebookeintrag auf ihrer Seite. Die coronabedingten Leistungen gingen „deutlich“ über die normale Grundsicherung hinaus, es sei eine Art „Corona-Grundeinkommen“ für Selbstständige.
Auch bei der Bundesagentur für Arbeit wird auf der Homepage explizit versichert, der Antrag für das Corona-Grundeinkommen sei abgespeckt, eine Vermögensprüfung entfalle. Antragsteller erleben das in der Praxis ganz anders: „Die haben mir zum Antrag sieben Anhänge zugeschickt“, berichtet ein freiberuflicher Promoter aus dem Hunsrück gegenüber Mainz&: „Konten, Haus, Vermögen – ich soll alles offenlegen.“ Von seitenlangen Antragsformularen und genauen Fragen nach Kontoständen und Vermögenswerten berichten auch andere – das sei weder einfach noch unbürokratisch, stattdessen werde verlangt, dass man sich komplett „nackig mache.“
Der Antrag umfasse nun fünf statt vorher neun Seiten, heißt es bei der Mainzer Agentur für Arbeit auf Anfrage von Mainz&, die Voraussetzungen für das Grundeinkommen blieben aber die gleichen wie vorher: „Was wir prüfen und berechnen, das hat sich nicht geändert“, sagte eine Sprecherin. Auch die Vermögensprüfung ist keineswegs komplett entfallen: Laut Antragsformular gilt das nur, wenn der Antragsteller „kein erhebliches Vermögen“ besitzt. Ein erhebliches Vermögen beginnt bei 60.000 Euro aufwärts – und wer hier wahrheitsgemäß sein Kreuzchen setzt, gerät in die komplette Mühle des Amtes. „Zu den 60.000 Euro zählen die auch Lebensversicherungen, Aktien und Sparverträge“, berichtet Schmitz: „Ich habe eine Privatrente laufen, die müsste ich dann auflösen. Man soll als Selbstständiger privat vorsorgen, und das soll man jetzt anfassen? Das ist eine Frechheit.“
Bei der Agentur für Arbeit Rheinland-Pfalz bestätigen sie das Vorgehen: Größere Vermögen würden auf die gleiche Weise überprüft wie zuvor, Vermögen über 60.000 Euro müssten erst verwendet werden, bestätigte eine Sprecherin auf Mainz&-Anfrage: „Wir sind da an Recht und Gesetz gebunden“, der Gesetzgeber schreibe das so vor. Besondere Ausnahmen wegen Corona gebe es da nicht: „Grundsicherung ist Grundsicherung“, heißt es bei der Arbeitsagentur, „wir unterscheiden da nicht.“
„Das ist ein Künstler Hartz IV“, kritisiert Bassist Jörg Picone, auch er fällt durch das Raster der Soforthilfen, Grundsicherung aber bekommt er auch nicht, weil seine Partnerin noch einen Job hat – als Auszubildende in Teilzeit verdient sie nach Einschätzung des Staates zu viel. Bei der Bedarfsprüfung werde wie sonst bei Hartz IV auch das Einkommen in der „Bedarfsgemeinschaft“ angerechnet, für die Bewilligung die üblichen Hartz IV-Sätze angesetzt, bestätigt die Arbeitsagentur. Demnach stehen Einzelpersonen derzeit 432,- Euro zu, Menschen in Bedarfsgemeinschaften pro Person 389,- Euro. Damit kann schon ein Nettoeinkommen von 900 Euro des Partners zu viel sein, um Grundsicherung zu erhalten.
Ein Witz, findet Picone: „Die verstehen einfach nicht, dass ganz viele Künstler eben nicht in einer Studentenbude wohnen und vorher nicht am Hungertuch genagt haben“, sagt er. Die Ausgaben eines gestandenen Musikers lägen ja nicht auf Studentenniveau, es gebe Kosten für die private Krankenversicherung und für die private Rentenvorsorge, die würden aber in keiner Weise berücksichtigt. Tatsächlich werden bei der Grundversicherung nur die Kosten für den Basistarif der Krankenkassen erstattet, wer in einem höheren Tarif ist, muss die Differenz selbst bezahlen oder in den Basistarif wechseln – mit dem Risiko einer neuen Gesundheitsprüfung, will er nach Ende der Grundversicherung zurück in den alten Tarif.
„Man fällt durch alle Maschen durch, weil die Politik es nicht versteht – oder nicht verstehen will“, schimpft Picone, der Politik gehe es „nur noch um Klienteldenken und das eigene Machtdenken, man verschließt die Augen vor der Verantwortlichkeit.“ Gleichzeitig würden Zahnärzten 90 Prozent ihres Umsatzausfalls erstattet, das sei doch alles nicht mehr nachzuvollziehen, schimpft Picone: „Aber von uns wird verlangt, dass wir unsere Alltagsrückstellungen auflösen.“ Wer gut gewirtschaftet habe, wer vorgesorgt habe, um im Alter dem Staat eben nicht auf der Tasche zu liegen, der werde jetzt bestraft, kritisiert er: „Wenn wir jetzt alles versilbern, sind wir in zehn Jahren mittellos.“
Er werde wohl Ende des Monats in Privatinsolvenz gehen müssen, berichtet der Promoter – auch er habe nach Ansicht des Jobcenters wohl „zu viel Geld auf dem Konto.“ Aussagen wie die von Politikern wie Malu Dreyer, die Betroffenen machen sie wütend: „Es ist eine zutiefst verstörende Missachtung jeglicher Intelligenz zu behaupten, es sei für alle gesorgt“, kritisiert Picone: „Man hat sich mit der Kunst geschmückt, aber jetzt, wo es darum geht, der Kunst wirklich mal zu helfen, wird versagt.“ Auch Schmitz ist frustriert und will Konsequenzen ziehen: Er werde seinen Firmensitz nach Baden-Württemberg verlegen, sagt der 47-Jährige: „Als Steuerzahler war ich jahrelang in Rheinland-Pfalz erwünscht, jetzt bin ich hier der Gelackmeierte.“
Info& auf Mainz&: Die Informationen der Bundesagentur für Arbeit zum Corona-Grundeinkommen samt aller Anträge findet ihr hier im Internet. Mainz& berichtet bereits seit fast vier Wochen über die Sorgen und Nöte der Solo-Selbstständigen, die Problematik könnt Ihr hier nachlesen. Wie sich die Selbstständigen und Freiberufler als „Unternehmer zweiter Klasse fühlen“ haben wir hier aufgeschrieben. Einen Hilferuf von Honorardozenten in der Erwachsenenbildung findet Ihr hier bei Mainz& – er wurde bislang ebensowenig beantwortet wie rund ein Dutzend Brandbriefe oder Hilferufe aus der Kulturszene. Die Politik hat bisher nicht nachgebessert – inzwischen fordert das auch eine Petition auf der Plattform Campact, die Ihr hier findet.