Am Tag zwei des Anlaufens der Finanzhilfsprogramme von Bund und Ländern zur Abfederung der Coronakrise herrscht Ernüchterung bei Unternehmen und Soloselbständigen. „Die Hilfen kommen nicht an“, sagt etwa der Vorsitzende der Interessengemeinschaft Mainzer Schausteller und Marktbeschicker, Marco Sottile, die Hilfsprogramme gingen am realen Bedarf der Unternehmen vorbei. Auch Soloselbstständige und Freiberufler hatten gehofft, mit den Soforthilfen von 9.000 oder 15.000 Euro die kommenden drei Monate überbrücken zu können. Doch nach den jetzt geltenden Regeln dürfen von den Soforthilfen weder Personalkosten noch der eigene Lebensunterhalt gezahlt werden – lediglich laufende Betriebsausgaben. Damit fallen gerade viele Soloselbständige, Künstler und Freiberufler durch das aufgespannte Rettungsnetz.
Vor zwei Wochen hatten Bund und Land mit großer Geste versprochen, es werde jedem einzelnen Unternehmer im Land geholfen, der wegen der Coronakrise in Schwierigkeiten komme – „wir wollen hier in Rheinland-Pfalz keine einzige Insolvenz wegen Coronavirus erleben“, betonte der rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Volker Wissing (FDP) höchstpersönlich. Die Zusage galt explizit auch für Soloselbständige und Freiberufler, aus dem Wissenschaftsministerium in Mainz hieß es, man werde auch Künstlern, Fotographen, Musikern und den vielen Kulturschaffenden unter die Arme greifen. „Wir setzen darauf, dass Soloselbständigen und Kleinstunternehmen mit dem Bundeszuschuss rasch und unbürokratisch Soforthilfe geleistet wird“, betonte Wissing.
Doch davon ist praktisch nichts übrig geblieben: Seit Montagfrüh kann man in Rheinland-Pfalz die Soforthilfen des Bundes für kleine Unternehmen und Soloselbstständige beantragen, 32.000 Anträge gingen bis Dienstagmorgen, 10.00 Uhr, bei der zuständigen Investitions- und Strukturbank (ISB) des Landes ein. Doch beim Blick in die Antragsunterlagen, herrschte bei so manchem Unternehmer blanke Ernüchterung. Denn die Hilfsprogramme fördern lediglich „Liquiditätsengpässe im Bereich der Betriebskosten“, wie die ISB klarstellt, was darunter fällt, ist eng begrenzt: Mit den Zuschüssen dürfen nämlich lediglich „fortlaufende betriebliche Sach- und Finanzaufwendungen“ bezahlt werden – also gewerbliche Mieten, Pachten oder Leasingaufwendungen. Nicht bezahlen hingegen darf man damit aber Personalkosten oder gar den eigenen Lebensunterhalt – ein Problem für viele Kleinunternehmer.
9.000 Euro Soforthilfe gewährt der Bund Kleinunternehmen mit bis zu fünf Mitarbeitern, 15.000 Euro Unternehmen bis zu 10 Mitarbeitern. Das Land Rheinland-Pfalz hat das mit zusätzlichen Krediten in Höhe von 10.000 Euro flankiert – eigene Zuschüsse stellt das Land weiter nicht zur Verfügung. „Die Ein- bis Zwei-Mann-Betriebe in unserer Branche, die brauchen jetzt Bargeld“, sagt Schaustellersprecher Sottile: „Ein Betrieb mit 50.000 Euro bräuchte jetzt 30 Prozent liquide Mittel, um den Betrieb bis August aufrecht erhalten zu können.“ Ihn selbst habe bislang nur sein gutes Verhältnis zu seiner Hausbank und „mein eigenes Verhandlungsgeschick weitergebracht“, sagt Sottile: „Vom Staat fühle ich mich unheimlich im Stich gelassen.“
Das Problem trifft alle, die im weitesten Sinne in einem Saisongeschäft arbeiten: Restaurants mit Terrassenbetrieb oder vorwiegend Ausflugsgeschäft, Beschicker von Märkten und Festen und eben auch Schaustellerbetriebe. Sie alle haben mit dem Winter eine Durststrecke hinter sich, in der sie wenige oder oft auch gar keine Einnahmen verbuchen konnten. An Ostern wäre nun die Freiluftsaison gestartet, die erste neue Quelle für Einnahmen auf Festen, Märkten oder eben in Ausflugslokalen. Manch einer habe sein Restaurant renoviert, Schausteller in ihre Fahrgeschäfte investiert oder gar neue Karussells angeschafft, sagt Sottile – ein zusätzlicher Kredit sei da schlicht nicht zu stemmen.
So hatten viele Kleinunternehmer ihre ganze Hoffnung auf die Soforthilfeprogramme gesetzt – nun kommt das böse Erwachen: Für die Anträge berücksichtigt werden nur gewerbliche Betriebsausgaben, „Personalaufwendungen zählen nicht zum Sach- und Finanzaufwand“, heißt es in den Unterlagen explizit, und auch der eigene Lebensunterhalt darf davon nicht bestritten werden. „Das ist lächerlich“, schimpft Sottile – wovon solle er denn seine derzeit zwei Mitarbeiter weiter bezahlen? „Ich habe Personal beschäftigt, das ich nicht wegschicken kann – ich weiß ja nicht, wann es wieder losgeht“, sagt er. Entscheide die Politik, kurz nach Ostern doch wieder die Märkte zu öffnen, müsse das Personal parat stehen, die Fahrgeschäfte die aktuellen TÜV-Prüfungen nachweisen können.
Die Kontaktbeschränkungen zur Eindämmung der Coronapandemie seien gut und richtig, betont Sottile, „aber für mich kommt das hier gerade einem Berufsverbot gleich“ – schließlich könne er noch nicht einmal ins Ausland ausweichen, überall gälten ja dieselben Verbote. Auch gebe es „mittlerweile Betriebe, die sind so klein und haben so einen geringen Jahresumsatz, die sind schon jetzt an einem Punkt, ihre Familien nicht mehr ernähren zu können“, sagte Sottile. Rund 5.000 Schaustellerbetriebe gibt es bundesweit, werde denen nicht geholfen, „wird es 40 Prozent der Betriebe mit der Insolvenz treffen“, schätzt Sottile.
Groß ist die Ernüchterung derweil auch bei den Künstlern, Musikern, Freiberuflern und Theaterschaffenden. „Für Künstler, die gewerbliche Mieten etwa für Büros, Ateliers oder Proberäume zahlen müssen, kann das Programm in Betracht kommen“, sagte Björn Rodday, einer der beiden Kulturberater des Landes Rheinland-Pfalz, „für alle anderen aber nicht.“ Sehr viele Künstler hätten häufig die für das Programm vorgesehenen Betriebsausgaben gar nicht, sie unterrichteten im heimischen Wohnzimmer oder in Chorsälen und würden nach Bedarf von Veranstaltern gebucht. „Die Soforthilfen greifen da bei den meisten gar nicht, Darlehen können vielfach gar nicht zurückgezahlt werden“, sagt Rodday, „Stand heute kann ich die meisten Soloselbstständigen nur auf ALG II verweisen. Das ist häufig die einzige konkrete Soforthilfe, die sie in Anspruch nehmen können.“
Damit schickt der Staat die Künstler, die Selbstständigen und die Freiberufler geradewegs zu den Arbeitsagenturen – für viele ist das ein Schock. Viele hatten Auftritte, Lesungen und Engagements in den kommenden Monaten vorzuweisen, hätten ihren Lebensunterhalt gut selbst bestreiten können. Doch der Ersatz von ausgefallenen Honoraren für Auftritte, die jetzt wegen der Coronakrise abgesagt wurden, ist von den Programmen des Bundes und des Landes nicht vorgesehen. Den Betroffenen bleibt nur der Gang zum Arbeitsamt – für viele bleibt da ein mulmiges Gefühl.
Zwar haben die staatlichen Stellen zugesichert, es werde keine Vermögensprüfung geben, doch das gilt nur für die ersten sechs Monate – unklar ist bislang, ob die Vermögensprüfung nicht noch rückwirkend nachgeholt wird. Das aber könnte manchen ins Schleudern bringen, der jetzt im Vertrauen auf den Staat die Soforthilfen beantragt hat, befürchten die Beratungsstellen in der Wirtschaft.
„Die Notlage der professionellen freien Theaterschaffen und vieler anderer Künstler bleibt bisher unberücksichtigt“, kritisierte deshalb gerade der Landesverband der professionellen freien Theater in Rheinland-Pfalz (Laprofth) in einem offenen Brief an Kulturminister Konrad Wolf (SPD): „Für die Mehrzahl der hier ansässigen Akteure hat Rheinland-Pfalz bisher keinerlei tragfähiges Hilfsangebot geplant.“ Viele andere Bundesländer hätten erkannt, dass Einkommen der Kunst- und Kulturschaffenden besonderen Regeln folgten und hätten deshalb additive Soforthilfen und Schutzschirme entwickelt. „Die rheinland-pfälzische Landesregierung hingegen gerät zum Schlusslicht“, kritisiert der Laprofth-Vorstand in dem Brief, der Mainz& vorliegt, und wirft der Landesregierung vor: „Eine Vielzahl ihrer Kunst- und Kulturschaffenden lässt sie ohne Schutzschirm im Regen stehen. Das kann und darf nicht gewollt sein.“
Auch in der freien Wirtschaft fordern sie Nachbesserungen: Die Industrie- und Handelskammern in Rheinland-Pfalz hatten am Wochenende gewarnt, zwei Drittel der Unternehmen bräuchten Soforthilfe in Form von Zuschüssen – auf Überbrückungskredite der KfW oder anderer Förderbanken setzten lediglich 18 Prozent der Unternehmen ihre Hoffnungen. Dazu mehren sich Berichte, dass Banken Kredite verweigern, weil ihnen das Ausfallrisiko zu groß sei – ein Grund dafür: Die Europäische Union erlaubt nur eine Absicherung der Kredite von 90 Prozent durch den Staat.
Hessen forderte deshalb noch am Samstag dringend Nachbesserungen: Darlehen für den Mittelstand kämen in der Breite nur an, wenn sie zu 100 Prozent vom Staat garantiert würden, „das ist aktuell nicht der Fall“, sagte der hessische Finanzminister – es war Thomas Schäfers letzte Pressemitteilung. Und darin warnte er: Banken täten sich gegenwärtig schwer, Kredite zu vergeben, die zu 10 Prozent mit eigenen Mitteln abgesichert werden müssten. Es gibt jedoch Alternativen: Ein Blitzkredit trotz schlechter Bonität. Das binde im Fall des Ausfalls „massiv das Eigenkapital der Banken, das ihnen für andere Kredite dann nicht mehr zur Verfügung steht.“ Und da in der jetzigen Situation die wirtschaftlichen Aussichten bei vielen Unternehmen große Sorgen bereiteten, „überlegt sich ein Banker, aus seiner Perspektive verständlicherweise sehr genau, ob er einem Unternehmer einen Kredit gewährt“, betonte Schäfer – die Europäische Union müsse hier dringend nachbessern.
Info& auf Mainz&: Die Anträge zu den Soforthilfen in der Coronakrise könnt Ihr hier beim Land herunterladen, dort gibt es auch Informationen zu weiteren Unterstützungen und Steuerprogrammen. Mehr zu den Warnungen der Industrie- und Handelskammer lest Ihr hier in diesem Mainz&-Artikel zur IHK-Blitzumfrage, mehr zum Schicksal des hessischen Finanzministers Thomas Schäfer lest Ihr hier bei Mainz&.