Überraschung am Donnerstag: Schon einen Tag früher als eigentlich angekündigt stoppte die Bundesregierung die kostenlosen Corona-Bürgertests. Statt ab 1. Juli entpuppten sich die Bürgertests schon ab dem 30. Juni als nicht mehr kostenlos – nun muss zahlen, wer sich auf das Coronavirus testen lassen will. Einen kostenlosen Test gibt es nur noch für sehr wenige Risikogruppen, selbst bei erhöhtem Infektionsrisiko muss man nun 3,- Euro pro Test zahlen. Experten warnen: Die Dunkelziffer werde nun massiv steigen. Protest kommt von den Kassenärztlichen Vereinigungen: Kippt ihr Boykott die neue Verordnung wieder?

Der kostenlose Corona-Bürgertest ist seit dem 30. Juni gestrichen. - Foto: gik
Der kostenlose Corona-Bürgertest ist seit dem 30. Juni gestrichen. – Foto: gik

Die Corona-Sommerwelle rollt, die Sieben-Tage-Inzidenz erreicht in manchen Kreisen in Rheinland-Pfalz bereits wieder Werte von 1.000 oder mehr – doch dieser Anhaltspunkt dürfte künftig nichts mehr Wert sein: Seit Donnerstag sind die Corona-Bürgertests nicht mehr kostenlos. Der Bund hatte erst vor wenigen Tagen angekündigt, er werde die kostenlosen Tests nicht mehr finanzieren. Die Kosten von derzeit rund einer Milliarde Euro pro Monat seien nicht mehr tragbar, argumentierte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPS) und versprach zugleich: „Vulnerable Gruppen“ würden weiter geschützt.

Doch davon ist de facto nicht mehr viel übrig: Einen kostenlosen Coronatest können ab sofort nur noch Kinder unter 5 Jahren, Schwangere im ersten Drittel der Schwangerschaft, Besucher und Behandelte oder Bewohner in stationären oder ambulanten Pflege- und Krankeneinrichtungen, pflegende Angehörige und Haushaltsangehörige von nachweislich Infizierten erhalten. Einen kostenlosen Test bekommt man ferner noch zum „Freitesten“ nach einer Quarantäne oder wenn man aus medizinischen Gründen nicht gegen Corona geimpft werden kann – das war’s.

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Bürgertests kosten selbst bei Anlass nun 3,- Euro

Die kostenlosen Coronatests sind damit für alle anderen Gruppen gestrichen, also auch für Hochbetagte über 80 Jahre oder für Risikogruppen, die eine erhöhte Gefahr für einen schweren Verlauf haben. Selbst wer eine Person ab 60 Jahren oder eine Person besuchen will, die aufgrund einer Vorerkrankung oder einer Behinderung ein hohes Risiko
aufweist, schwer an Covid-19 zu erkranken, muss 3,- Euro für einen Test zahlen. 3,- Euro zahlen auch Testwillige, die sich vor einer Großveranstaltung oder einem Event in Innenräumen testen wollen, und nicht einmal eine Rote Warnung in der Corona-App berechtigt noch weiter zu einem kostenlosen Test: Auch dann müssen nun 3,- Euro gezahlt werden.

Die Corona-Testcenter müssen nun eine Menge Ausnahmeregeln prüfen. - Foto: gik
Die Corona-Testcenter müssen nun eine Menge Ausnahmeregeln prüfen. – Foto: gik

Wer gar zu keiner einzigen dieser Gruppen zählt, muss ab sofort für den Corona-Schnelltest die volle Summe bezahlen – in Mainzer Testzentren werden dafür zum Beispiel 9,90 Euro genommen. Experten warnen: Mit den Kosten werde die Bereitschaft, einen Coronatest zu machen, rapide sinken – damit aber würden deutlich mehr unerkannte Infektionen in der Bevölkerung kursieren. Auch die Corona-Inzidenzen seien so keine verlässliche Größe mehr.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte dazu, er hätte die Tests gerne weiter kostenlos gehalten, „das konnten wir uns aber nicht mehr leisten“. Gerade „mit Blick auf den bevorstehenden „schweren Herbst“, sei man wirtschaftlich aber nicht in der Lage dazu, die Ausgaben für Tests zu stemmen“, zitiert ZDF Heute den Minister. Deshalb habe man sich auf diejenigen beschränkt, „die den Test benötigen“, sagt Lauterbach.

 

Staat verabschiedet sich vom Schutz für vulnerable Gruppen

Damit verabschiedet sich die Bundesregierung explizit vom Schutz der Hochbetagten, die nicht in einem Pflegeheim leben, sowie von einem Schutz von Kindern und Jugendlichen sowie von einem Schutz der Bevölkerung gegen Long Covid und schwere Corona-Erkrankungen, die nicht unmittelbar im Krankenhaus landen, aber gleichwohl die Betroffenen über Wochen hinweg lahmlegen.

Kapitulation vor dem Coronavirus: So sah es schon zum zweiten Jahrestag der Corona-Pandemie der Karikaturist Ralf Böhme. - Grafik: RABE Cartoon
Kapitulation vor dem Coronavirus: So sah es schon zum zweiten Jahrestag der Corona-Pandemie der Karikaturist Ralf Böhme. – Grafik: RABE Cartoon

In der neuen Coronatest-Verordnung heißt es dazu explizit: „Die Verhinderung der Ausbreitung von Infektionen in der Bevölkerung generell tritt gegenüber dem Schutz von vulnerablen Populationen in den Hintergrund. Die anlasslose Testung asymptomatischer Personen in Form der Bürgertestungen verliert somit ihren Stellenwert.“ Das bedeutet nichts anders als: Eine Durchseuchung ist faktisch gewollt, welche „vulnerable Gruppe“ noch geschützt wird, sagt die Verordnung nicht.

Denn gleichzeitig lockert der Bund in seiner Absonderungsverordnung auch den Schutz von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen vor Corona-Infektionen beim Personal. Das Mainzer Gesundheitsministerium wies nun darauf hin, dass ab sofort die Regelung entfalle, nach der Beschäftigte in solchen Einrichtungen erst nach einem negativen Coronatest wieder zurück an ihren Arbeitsplatz durften.

 

Ministerium empfiehlt Kliniken „freiwilliges Freitesten“

„Diese Regelung findet sich in der ab dem 30. Juni 2022 geltenden Absonderungsverordnung nicht mehr wieder, da solche Antigentests nicht mehr unter die kostenlosen Bürgertests fallen“, teilte das Ministerium weiter mit. Den Einrichtungen werde „weiterhin empfohlen“, freiwillig ihre aus der Quarantäne zurückkehrenden Mitarbeiter freizutesten, „um das Infektionsgeschehen in den Einrichtungen möglichst gering zu halten.“

Der Frankfurter Virologe Martin Stürmer im Interview mit der SWR Sendung RLP aktuell. - Screenshot: gik
Der Frankfurter Virologe Martin Stürmer im Interview mit der SWR Sendung RLP aktuell. – Screenshot: gik

Damit werden Infektionsketten nun endgültig Tür und Tor geöffnet, während gleichzeitig die Maßnahmen, sie zu erkennen, de facto ersatzlos gestrichen werden. Der Frankfurter Virologe Martin Stürmer warnte denn auch am Abend im SWR-Fernsehen, „wir werden jetzt noch mehr den Durchblick und den Überblick über das Infektionsgeschehen verlieren.“ Viele Menschen würden jetzt nicht mehr zum Testen gehen. „Wir haben eh schon nicht gut nachvollziehbare Zahlen, das wird jetzt sicher nicht besser“, sagte Stürmer. Die realen Infektionszahlen seien jetzt schon „deutlich unterschätzt.“

Für die viel zitierte „Eigenverantwortung“ der Bürger sehe er derzeit noch nicht den richtigen Zeitpunkt gekommen, betonte Stümer zudem – zumal er das Gefühl habe, „dass viele Eigenverantwortung mit Egoismus gleichsetzen.“ Die jetzigen Corona-Varianten „geben uns noch nicht die Möglichkeit, alles los zu lassen, alles komplett in die eigene Hand zu geben, weil wir noch ungeklärte Baustellen haben“, betonte Stürmer weiter – eine dieser Baustellen sei Long Covid.

 

„So lange ich nicht sicher weiß, wie ich mich davor aktiv schützen kann, halte ich es für gefährlich“, betonte Stürmer in dem Interview – mehr dazu, wie gefährlich Long Covid ist, könnt Ihr hier bei Mainz& zur Gutenberg Long Covid-Studie nachlesen. Experten gehen davon aus, dass das Risiko für eine solche Erkrankung steigt, je öfter man sich mit dem Coronavirus infiziert. Er erwarte deshalb von der Regierung, dass wir die Menschen noch ein bisschen weiter vor solchen Geschichten schützen.“ Besonders schwierig könnte die Entwicklung zudem im Herbst werden: „Ich rechen damit, dass viele Menschen krank werden, und zwar so krank, dass sie zuhause bleiben müssen, und dass wir damit Einbußen in der Infrastruktur  bekommen werden.“

Corona-Sommerwelle legt bereits Kliniken, Praxen und Mobilität lahm

Auch die Nerobergbahn wird derzeit wegen Personalmangels ausgebremst - Grund: Corona. - Foto: gik
Auch die Nerobergbahn wird derzeit wegen Personalmangels ausgebremst – Grund: Corona. – Foto: gik

Doch diese Entwicklung ist längst Realität: Bereits jetzt rollt eine Corona-Sommerwelle durch die Republik, die mit der Variante BA.5 vielen Infizierten schwere Krankheitsverläufe mit hohem Fieber und drastischen Glieder- und Kopfschmerzen beschert, und zwar über Tage hinweg oder noch länger. Schon jetzt berichten Krankenhäuser, Arztpraxen und Rettungsdienste von akutem Personalmangel wegen der Krankheitswelle, die Mainzer Mobilität muss derzeit gar Fahrten streichen, weil zu viel Personal krank zuhause liegt – und die Nerobergbahn in Wiesbaden fährt derzeit nur von Mittwoch bis Sonntag. Die Ursache: Personalmangel durch Corona.

Öffentlich gesprochen wird darüber aber nicht – die Landesregierung Rheinland-Pfalz lehnte eine Fortführung der kostenlosen Bürgertests auf eigene Kosten ab. „Rheinland-Pfalz wird darüber hinaus keine weiteren Personengruppen substituieren“, sagte Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD). Es sei „zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr notwendig, uneingeschränkt alle zu testen.“ Dem hatten allerdings bereits vor dem Auslaufen Patientenschützer vehement widersprochen.

 

„Es reicht nicht aus, dass der Bundesgesundheitsminister von einer Sommerwelle redet. Damit die steigenden Infektionszahlen sich nicht zu einem Tsunami für Pflegebedürftige und Schwerstkranke entwickeln, muss Karl Lauterbach jetzt gegensteuern“, hatte der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, bereits vor einer Woche gefordert. Mit einem Ende der kostenlosen Tests würde „die Vorfeldbeobachtung in der Pandemie abgeschaltet“ – damit verabschiede sich Deutschland von einer „faktenbasierten Pandemiebekämpfung“.

Forderte die Beibehaltung der kostenlosen Bürgertests: Helge Schwab von der Fraktion der Freien Wähler im Mainzer Landtag. - Foto: FW
Forderte die Beibehaltung der kostenlosen Bürgertests: Helge Schwab von der Fraktion der Freien Wähler im Mainzer Landtag. – Foto: FW

Die Freien Wähler im Mainzer Landtag forderten denn auch, angesichts der schon vor den Sommerferien stark steigenden Corona-Zahlen eine Verlängerung der kostenlosen Bürgertests über den 30. Juni hinaus. „Über diese Vorsorge darf nicht der eigene Geldbeutel entscheiden“, kritisierte FW-Gesundheitsexperte Helge Schwab. Bürger, die sich aus sozialer Verantwortung präventiv testen lassen wollten, dürften nicht bestraft werden – auch nicht mit einem Kostenbeitrag von „nur“ 3,- Euro.

Für Ärger sorgte am Donnerstag zudem, dass die neue Testverordnung überraschend schon am 30. Juni in Kraft trat – und derzeit für erhebliches Wirrwarr sorgt. Denn wie die Bürger die Nachweise für die Ausnahmen erbringen, und wie die Testcenter sie kontrollieren sollen, ist völlig unklar. Im Mainzer Gesundheitsministerium hieß es dazu lediglich, wer zu einer der berechtigten Gruppe gehöre, könne „unter Vorlage der entsprechenden Nachweise und einer Selbstauskunft die kostenlosen Testungen weiterhin wahrnehmen.“

 

Kippt Boykott der Kassenärzte die Testverordnung?

Die Kassenärztlichen Vereinigung (KV) drohen nun genau deshalb mit einem Boykott der kostenlosen Bürgertests: Die Kassenärzte würden ab sofort keine Corona-Bürgertests mehr abrechnen, heißt es in einem Brief der Kassenärztlichen Vereinigungen an Minister Lauterbach, der dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vorliegt. Damit könnten die Tests faktisch nicht mehr stattfinden, weil die KVen die Abrechnungen der Test für den Bund vollziehen.

Bleiben die Corona-Testcenter bald leer und zu? - Foto: gik
Bleiben die Corona-Testcenter bald leer und zu? – Foto: gik

Angesichts der „schon jetzt bestehenden, eklatanten Betrugsproblematik“, werde man die Bürgertestungen „zukünftig nicht mehr abrechnen und auszahlen können“, heißt es in dem Schreiben weiter. Man könne nämlich die nun geschaffenen „kleinteiligen Anspruchsberechtigungen“ überhaupt nicht überprüfen, und schon gar nicht lasse sich überprüfen, ob diese von den Testzentren auch tatsächlich eingehalten würden, schreibt die LV weiter – im Klartext: Dem Betrug sei Tür und Tor geöffnet.

„Im Ergebnis können die Kassenärztlichen Vereinigungen nicht verantworten, sehenden Auges Auszahlungen auf Abrechnungen zu leisten, deren Richtigkeit sie nicht ansatzweise prüfen können“, so das Schreiben weiter. Das gelte umso mehr vor dem Hintergrund, dass gegen eine Kassenärztliche Vereinigung bereits staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen der Auszahlung von Finanzmitteln liefen. Zudem würden die Teststellen nach wie vor nicht auf Eignung und Zuverlässigkeit überprüft. Damit könnten die kostenlosen Bürgertests sogar vor einem Kollaps stehen, Testcenter schließen müssen.

Info& auf Mainz&: Die gesamten Regeln der neuen Corona-Testverordnung findet Ihr hier beim Bundesgesundheitsministerium im Internet. Das ganze Interview mit dem Frankfurter Virologen Martin Stürmer findet Ihr hier im Internet. Mehr zum Thema, wie gefährliche Long Covid ist, und wie viele Corona-Infizierte das betrifft , könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen:

Long Covid trifft 40 Prozent der Corona-Infizierten – Mainzer Gutenberg-Studie findet erschreckende Folgeschäden