Sie sind überall, ihrem Sprühnebel kann man kaum noch entkommen: Desinfektionsmittel. Vor allem seit der Wiederöffnung von Geschäften, Restaurants, Hotels, Schulen und Kindergärten werden die chemischen Keulen gleich literweise im Kampf gegen das Coronavirus eingesetzt – oft nach dem Motto: viel hilft viel. Doch Chemiker und Hygienexperten warnen: Die Chemiekeule ist hochgradig gefährlich, sie kann schwere Reizungen bis hin zu Vergiftungen auslösen und Haut, Leber, Lunge und Nerven schädigen. „Die Politik muss diese Desinfektionsorgien unverzüglich stoppen“, fordert Chemieprofessor Michael Braungart, Gründer des renommierten Hamburger Umweltinstituts.
Desinfektionsmittel gelten derzeit als das Mittel der Wahl, um dem Coronavirus den Garaus zu machen: An jedem Eingang zu Geschäften oder Restaurants stehen Spender mit Desinfektionsmitteln, Gäste sind verpflichtet, sich die Hände zu desinfizieren. dasselbe Bild in Schulen: Kinder müssen sich vor dem Betreten der Klassenräume die Hände desinfizieren, oft sogar mehrmals am Tag. Zum Einsatz kommen dabei meist anti-virale Desinfektionsmittel, das Problem dabei: die Mittel sind alles andere als harmlos.
„Krebserregend, sensibilisierend, allergieauslösend, lungen-, leber- und nervenschädigend“ nennt das Hamburger Umweltinstitut viele Inhaltstoffe gängiger Desinfektionsmittel, und warnt: Es bestehe ein erhebliches Gesundheitsrisiko. „Desinfektionsmittel sind im allgemeinen Lösungsmittel“, erklärt der Gründer des Hamburger Umweltinstituts, Michael Braungart, im Interview mit Mainz& – und genau die seien hochgradig schädlich für den Körper. Der massenhafte Einsatz dieser Mittel, „das ist chemische Belästigung und schädlich für das Gemeinwohl“, betont der Chemieprofessor: „Die Politik muss diese Desinfektionsorgien unverzüglich stoppen.“
Eingesetzt werde in den Desinfektionsmitteln aus Kostengründen häufig der Sekundäralkohol Isopropanol, der Stoff sei aber „dreimal giftiger als Ethanol und sehr stark nervenschädigend“, warnt Braungart: Das Mittel greife in die Übertragungen von Nervenimpulse an den Synapsen im Gehirn ein, die Folge könnten erhebliche Nervenschädigungen sein, dazu Schäden am Immunsystem. „Das Nervensystem setzt Botenstoffe an den Synapsen frei, genau in dieses System greift das Lösungsmittel ein“, erklärt Braungart: Dabei würden die Nervenübertragungen drastisch beeinflusst, „das führt zu nervösen Beschwerden wie Zittern und anderen Symptomen von Nervenschädigungen, auch zu Nervenschmerzen.“
Desinfektionsmittel zerstörten zudem die Struktur der Haut und verursachten rissige, ausgetrocknete Stellen, „damit erreichen wir letztlich das Gegenteil von Schutz“, erklärt Braungart weiter: Die Haut werde durch die Risse anfälliger für Infektionen, creme man sie dann ein, ziehe das erst Recht Mikroorganismen an. „Wir erreichen letztlich das Gegenteil“, betonte Braungart, die Infektionsgefahr steige. „Die Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren wird viel höher, wenn ich gleichzeitig das Immunsystem schädige“, betont der Chemiker. Die massenhafte Verwendung von Desinfektionsmitteln erhöhe zudem „die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken.“
Braungart ist nicht der Einzige, der die derzeit vorherrschende massenhafte Verwendung von Desinfektionsmitteln kritisch sieht: „Uns wird das schlicht zu viel“, sagt auch Heinz-Jörn Moriske, Leiter der Beratung für Umwelthygiene am Umweltbundesamt. Die Verwendung von antiviralen Mitteln in Gebäuden und Supermärkten, die Desinfektion nach jedem Gast in Restaurants oder bei Friseuren sei „überflüssig“, betont Moriske im Gespräch mit Mainz&. Auch noch Sitzflächen zu desinfizieren, „das ist viel zu übertrieben und zu viel des Guten“, betont Moriske.
„Der Nebel von den Desinfektionsmitteln wird beim Versprühen direkt eingeatmet, das ist mit Sicherheit nicht harmlos“, erklärt Moriske, das könne Atemnot oder Hustenanfälle auslösen. „Wenn die Kellner nach jedem Gast die Tische abwischen sollen, atmen sie das Zeug ein“, warnt Moriske, „das Personal schädigt sich damit selbst.“ In Privathaushalte gehörten die Desinfektionsmittel schon gar nicht, warnt der Umwelthygieneexperte: „Die Leute sprühen zuhause planlos alles Mögliche damit ein, Tisch, Flächen, Betten, den Nachtisch, weil sie Angst haben, das Virus würde sich beim Ausatmen überall auf den Flächen in der Wohnung verteilen.“ Die Wirkstoffe könnten aber höchst schädliche Reizerscheinungen auslösen, in die Toilette gekippt dazu Schäden in der Umwelt und im Wasser verursachen.
Dabei reiche sorgfältiges Händewaschen mit Seife oder seifenhaltigen Mitteln wie Spülmittel völlig aus, betont Braungart: „Es gibt keinen einzigen Beleg, dass die Desinfektionsmittel im Alltag etwas bringen in Bezug auf das Coronavirus.“ Es gebe keinen Nachweis von vermehrungsfähigen Viren auf Türgriffen, der Hauptverbreitungsweg sei über Tröpfcheninfektion und über Aerosole in der Luft, deshalb sei es sinnvoll, eine Maske zu tragen. Auch der bekannte Virologe Christian Drosten betonte Mitte Mai in seinem NDR-Podcast, „das ständige Hinweisen auf Händewaschen und Desinfektionssprays, die man auf Oberflächen sprüht, ist nach meinem Gefühl total übertrieben.“ Durch das viele Händewaschen und das viele Desinfizieren werde gar nicht so viel bewirkt“, warnte Drosten – es sei ein Trugschluss zu sagen, „wir machen jetzt hier alles auf, weil wir ja jede Menge Desinfektionsmittel versprühen und uns immer schön die Hände waschen.“
Als entscheidender Übertragungsweg für das Coronavirus gilt inzwischen die Ansteckung über den Luftweg, eine Schmierinfektion über Gegenstände macht nach Ansicht der Virologen lediglich etwa zehn Prozent aus. Das Bundesinstitut für Riskobewertuung warnte bereits 2003 vor dem Einsatz von Desinfektionsmitteln in privaten Haushalten – es bestehe hohe Vergiftungsgefahr, dazu befördere der Einsatz solcher Mittel Resistenzen etwa gegen Antibiotika.
„Desinfektionsmittel und Biozide gehören nicht in private Haushalte, diese Botschaft geben wir schon seit Jahren heraus“, sagte auch Umwelthygieniker Moriske. Die Wirkung der Mittel sei überhaupt nicht belegt, die Wirkstoffe könnten hingegen schädlich sein. Das gründliche Handewaschen mit echter Seife reiche völlig, betont auch Moriske, auch Tische in Restaurants müssten nicht jedes Mal mit Desinfektionsmittel drüberwischen, „erst Recht muss man nicht die Sitzflächen desinfizieren, das ist viel zu viel des Guten.“
„Das ist zusätzlich dumm“, sagt Braungart, denn mit den scharfen Mitteln zerstöre man die Oberflächen, gerade auch von Kunstleder auf Sitzen. „Sie rauen damit die Oberfläche auf, es lagert sich dadurch noch viel mehr Dreck an“, erklärt der Experte. Sorgfältiges Reinigen mit einem seifenhaltigen Mittel – etwa Spülmittel – eiche völlig aus, um Keime abzuwehren. Für das Händewaschen seien am besten eigentlich Olivenseifen und Kernseifen wirksam“, betonte Braungart, der Grund: „Die Coronaviren haben eine Fetthülle, und da die Seife aus Fett hergestellt wird, ist der Vorteil, dass sie direkt das Virus umschließt und damit leicht entfernt.“
Hygieneexperte Moriske gibt zudem zu bedenken: Es gebe schließlich „auch Personen, für die ist das alles zusätzliches Gift.“ Abwehrgeschwächte Menschen oder Personen, die allergisch auf chemische Mittel reagierten, seien eine wachsende Personengruppe, für diese könnten die Desinfektionsmittel zu gesundheitlichen Störungen führen. „Da gibt es gar keine Differenzierung, da wird nach Gießkannenprinzip vorgegangen“, kritisiert Moriske, „auf die medizinische Sensibilisierung wird keinerlei Rücksicht genommen.“
Der Wunsch nach Schutz und Desinfektion sei verständlich, betont Moriske zugleich: „Man kann sich mal beim Betreten der Wohnung die Hände desinfizieren“, rät Moriske, das gelte vor allem nach der Benutzung von ÖPNV oder dem Aufenthalt an anderen Orten mit Hunderten von Personen pro Tag: „Aber einmal und nicht zehnmal am Tag“, betont der Experte, „alles andere ist Humbug.“
Info& auf Mainz&: Mehr zum Thema Gefahr durch Desinfektionsmittel findet Ihr hier beim Umweltbundesamt und hier beim Hamburger Umweltinstitut. Alles