Sie kamen wegen der Wissenschaft, und sie blieben wegen der Menschen: Die drei Biontech-Gründer Uğur Şahin, Özlem Türeci und Christoph Huber sind nun Ehrenbürger von Mainz. Die drei Wissenschaftler wurden am Donnerstag von der Stadt Mainz mit der höchsten Auszeichnung der Stadt für ihre Entwicklung des weltweit ersten Corona-Impfstoffs, aber auch für ihre Forschung in der Krebstherapie geehrt. Dass sich das Unternehmen Biontech „zu Mainz bekennt, ist für unsere Stadt ein großes Glück“, sagte Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD): Zum zweiten Mal nach Johannes Gutenberg werde Mainz dadurch das Glück zuteil, dass von hier aus eine „Revolution des Wissens“ ausgehe, die die Welt und vor allem die Medizin verändern werde.
Es war Mitte Januar 2020, als Uğur Şahin und seine Ehefrau Özlem Türeci am heimischen Küchentisch die Nachrichten über die Ausbreitung eines neuen, gefährlichen Virus verfolgten: Sars-CoV-2, der Erreger, der sich von China aus in rasender Geschwindigkeit um die Welt verbreitete und bis heute mehr als 452 Millionen Menschen weltweit infizierte – und mehr als 6 Millionen Menschen das leben kostete. Es war an jenem Küchentisch in einer Wohnung in Mainz, dass Şahin und Türeci beschlossen, ihr in Jahrzehnten erworbenes Wissen zu mRNA-Medizin, Immunologie und Krebsmedizin in die Waagschale zu werfen – für die Entwicklung eines Impfstoffes gegen Covid-19.
Das „Projekt Lightspeed“ machte seinem Namen alle Ehre: Mitte März schloss das Mainzer Unternehmen Biontech eine Koopepration mit dem US-Konzern Pfizer, im April erfolgten die ersten klinischen Tests, im Sommer 2020 die ersten weltweiten Studien an Patienten. Der Erfolg war überwältigend: Der erste Impfstoff, der auf Basis der mRNA-Technologie entwickelt wurde, zeigte eine Wirksamkeit von rund 95 Prozent gegen das neue Virus. Am 1. Dezember erteilte die EU die erste, bedingte Zulassung für den neuen Impfstoff, am 21. Dezember folgte die Marktzulassung – der Biontech-Impfstoff trat seinen Siegeszug rund um die Welt an und wurde zum schärfsten Schwert der Menschheit gegen die neue Pandemie.
Möglich wurde dies durch Jahrzehnte lange Forschung im Bereich der Krebstherapie: 1990 kam der renommierte Krebsforscher Christoph Huber an die Mainzer Unimedizin und legte hier den Grundstein für die Entwicklung eines Kompetenzzentrums für Krebsimmuntherapien. In Mainz habe es damals praktisch nichts gegeben, berichtete Huber am Donnerstag während des Festakts: „Diese Klinik war eine leere Klinik, mein Vorgänger hatte sämtliche Mitarbeiter mitgenommen.“ Das aber sei auch ein Vorteil gewesen, berichtete der gebürtige Österreicher: Die fehlenden Strukturen hätten neue Möglichkeiten eröffnet, „wenn da eine Enter-Mannschaft kommt, will man etwas bewegen“, sagte er schmunzelnd.
2001 lockte Huber zwei junge Wissenschaftler mit türkischem Hintergrund nach Mainz: Uğur Şahin und Özlem Türeci hatten sich beim Studium und Arbeiten in Bad Homburg kennengelernt, nun hatten die die Wahl zwischen Mainz und München, wie Türeci berichtete. „Wir haben uns aus zwei Gründen für Mainz entschieden“, erzählte Şahin, Huber sei dabei ein sehr wichtiger Grund gewesen. Der zweite aber war die Stadt Mainz: „Wir sind an einem wunderschönen sonnigen Tag nach Mainz gefahren, sind durch die Stadt gelaufen – und wir haben die unheimlich freundlichen Menschen hier erlebt“, erzählte Şahin: Im Gegensatz zu anderen Städten wie seiner Heimatstadt Köln seien in Mainz „die Menschen stehen geblieben und haben uns den Weg gewiesen, was uns sehr beeindruckt hat.“
2008 gründeten die beiden Mediziner und Forscher gemeinsam mit Huber die Firma Biontech als Ausgründung aus der Mainzer Universitätsmedizin. Das sei „ein bisschen wie eine Garagenfirma“ gewesen, berichtete Türeci am Donnerstag, „wir haben wirklich ganz unten angefangen.“ Ihr Fokus: die Entwicklung von Immuntherapien für einen patientenspezifischen Behandlungsansatz von Krebs sowie anderen schwere Erkrankungen. Biontech erforschte und entwickelte dabei von Anfang an Therapien auf der Basis der neuartigen mRNA-Technik – das Ziel war von Beginn an, einen persönlichen Impfstoff gegen Krebs und andere Krankheiten wie Multiple Sklerose zu entwickeln. Die Idee dabei: das körpereigene Immunsystem in die Lage zu versetzen, den schädlichen Krebs oder das schädliche Virus mit eigenen Mitteln zu bekämpfen – eine Revolution in der Medizin.
Genau damit hätten Sahin, Türeci und Huber „einen Paradigmenwechsel eingeleitet“, der der vergleichbar sei zur ersten Revolution die schon einmal von Mainz ausging, sagte Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) nun beim Festakt: der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg. Auch die Biontech-Gründer hätten mit ihrer Weitsicht und Tatkraft „eine Revolution des Wissens und der Möglichkeiten“ geschaffen, „die den Vergleich zu Johannes Gutenberg geradezu notwendig macht.“
„Die Welt zu verändern, ist kein leichtes Unterfangen“, sagte Ebling weiter, und den wenigsten Städten werde dieses Glück auch nur ein einziges Mal zuteil. Nun aber werde Mainz „dieses Glück dank Ihnen zum zweiten Mal zuteil – was für eine glückliche Stadt ist Mainz“, dankte der OB: „Dank Ihrer Arbeit ging Hoffnung um die Welt, in der dunkelsten Zeit der Pandemie, und allein das ist mehr, als eine Stadt hoffen darf, der Welt zu schenken.“
Der Weg, den die Forscher „auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt“ hätten, habe der Welt ein Stück ihr Leben zurückgegeben, Sicherheit und dazu auch noch Hoffnung auf eine Forschung, die sich anschickt, die Medizin zu verändern.“ Alle drei gehörten zu jenen wegweisenden Persönlichkeiten, die Grenzen und ein Nein nicht akzeptieren wollten. „Mit ihrer Vision und Tatkraft haben sie einen herausragenden Beitrag geleistet, unzählige Leben zu retten und uns unser Leben und Sicherheit zurückzugeben“, sagte Ebling.
Am Ende habe wohl vieles dafür zusammenkommen müssen: die Weltoffenheit von Mainz, der internationale Austausch, die Forschungsstrukturen natürlich, aber „nach mancher, nicht enden wollender Labornacht auch schlicht die Lebensqualität von Mainz“, sagte Ebling weiter: „Vielleicht gab es für Ihren Weg am Ende auch keine bessere Stadt als diese.“ Mainz schätze sich „glücklich, dass Mainz Ihnen Heimat geworden ist“, betonte der Oberbürgermeister zudem, „dass sich Biontech zu Mainz bekennt, ist für unsere Stadt ein großes Glück.“
Das ist inzwischen durchaus auch materiell gemeint: Der Erfolg des Corona-Impfstoffs spülte Milliarden in die Kassen von Biontech, allein im Jahr 2021 rechnet das Unternehmen mit einem Nettogewinn von 7,126 Milliarden Euro. Der Stadt Mainz beschert das wohl einen Jahresüberschuss von rund einer Milliarde Euro in der Stadtkasse – die Landeshauptstadt ist auf einen Schlag schuldenfrei. Mainzer werde das Unternehmen und seine Chefs weiter unterstützen bei ihrem Ziel, die Krebstherapie zu revolutionieren.
Auch der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) betonte, das Land wolle alles daransetzen, dass Mainz nun zum Hotspot für Biotechnologie werde. „Sie haben die Tür zur Heilung von Krankheiten aufgestoßen, auf diesem Weg wollen wir sie begleiten“, sagte Hoch: „Sie sind herausragende Repräsentanten der Stadt Mainz – Sie haben eine Platz im Herzen dieser Stadt.“
Und so habe „unsere Stadt das Glück, schon zum zweiten Mal der Welt etwas zu schenken, was ihren Verlauf verändert und zu einer Revolution des Wissens führt“, sagte Ebling, deshalb sei es ihm „eine unbändige Freude und eine Ehre“, den drei Forschern die Ehrenbürgerwürde von Mainz zu verleihen. Diese höchste Auszeichnung, die die Stadt zu vergeben hat, wurde vor den drei Biontech-Gründern erst 50 Mal im Laufe der Zeit vergeben. Zwei Ehrenbürger leben noch, beide waren am Donnerstag beim Festakt dabei: Monsignore Klaus Mayer, der einst die Chagall-Fenster für die Kirche St. Stephan nach Mainz holte, und die Mainzer Fastnachts-Sängerin Margit Sponheimer.
„Ich glaube, es ist wichtig, immer zu wissen, wo man hinmöchte, wenn man fokussiert ist, sieht man eigentlich gar nicht die Hürden, sondern man sieht den Weg“, sagte Sahin. Dabei sei es alles andere als einfach gewesen, gleichzeitig an der Uniklinik zu forschen und ein Unternehmen aufzubauen, Investoren zufrieden zu stellen, erzählte er, gleichzeitig in zwei Welten zu tanzen. „Wenn man dem Herzen folgt, merkt man den Schmerz nicht“, sagte Sahin.
Was sie sich für die Zukunft wünschen würden, fragte Moderatorin Gudula Gause noch. Dass sie ihre Arbeit erfolgreich weiterführen könnten“, sagte Sahin. „Dass das Vertrauen in die Wissenschaft wächst, die Probleme der Menschen zu lösen“, sagte Huber. Sie habe früher schon immer im Scherz gesagt, sie wünsche sich, „das, was mein Mann gesagt hat – und Weltfrieden“, sagte Türeci: „Das war immer Spaß – aber jetzt hat es einen anderen Einschlag.“ Frieden für die Ukraine, wünschte die Professorin – und dass die Mainzer die Kriegsflüchtlinge mit großem Herzen aufnehmen.
„Ohne Frieden ist alles nichts“, betonte auch Ebling. Auch dieser Festakt sei „ein Stück Freiheit, ein Stück demokratische Kultur und Freiheit der Wissenschaft, die wir hier zelebrieren.“ Und dann hatte Ebling noch einen Wunsch an seine Bürger: „Wenn Sie das nächste mal durch Mainz gehen und jemand fragt nach dem Weg: Bleiben Sie bitte stehen – wir wissen nicht, wann wir das nächste Mal wieder hier zusammenkommen.“
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