UPDATE — Es muss ein Gefühl gewesen sein wie bei Donald Duck: Der Erfolg des Mainzer Unternehmens Biontech beschert der Stadt Mainz nun einen Geldsegen ungeahnten Ausmaßes. 1,09 Milliarden Euro habe die Stadt voraussichtlich Ende des Jahres als Finanzüberschuss zu erwarten, teilte Finanzdezernent Günter Beck (Grüne) am Dienstag in Mainz mit, und staunte: „Das ist sensationell.“ Biontech legte am Dienstag neueste Quartalszahlen vor, und danach rechnet der Impfstoffhersteller in diesem Jahr nun mit 7,126 Milliarden Euro Nettogewinn. Mainz will nun vor allem zwei Dinge tun: Seine Schulden loswerden – und die Gewerbesteuer senken.

Staunen über den sensationellen Geldsegen: Finanzdezernent Günter Beck (Grüne). - Foto: gik
Staunen über den sensationellen Geldsegen: Finanzdezernent Günter Beck (Grüne). – Foto: gik

Im Mainzer Rathaus rieben sie sich ungläubig die Augen, man habe erst einmal ein paar Tage gebraucht, um diese Summe zu verdauen, räumte Finanzdezernent und Bürgermeister Günter Beck am Dienstag ein: „Das Ergebnis ist sensationell.“ In der Tat: Am Morgen war Mainz noch mit rund 1,3 Milliarden Euro verschuldet, davon Kassenkredite von rund 634 Millionen Euro – das ist nun auf einen Schlag vorbei. „Geplant war für 2021 mit einem negativem Haushalts-Ergebnis von 36 Millionen Euro, das mussten wir heute Morgen korrigieren“, sagte Beck – nun rechne die Stadt allein für 2021 mit einem Jahresüberschuss von 1,09 Milliarden Euro.

Dass der warme Geldregen von Biontech kommt, wollte zwar offiziell niemand bestätigen – die Stadt Mainz darf die Herkunft ihrer Gewerbesteuereinnahmen nicht konkret benennen. Dass der Geldsegen indes von der Firma mit der Adresse „An der Goldgrube stammt“, ist aber ein offenes Geheimnis: Am Montag hatte bereits Idar-Oberstein einen Geldregen von 200 Millionen Euro bekannt gegeben – in Idar-Oberstein hat Biontech ebenfalls einen Standort.

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Das Mainzer Unternehmen Biontech legte schwindelerregende Gewinnzahlen vor. - Foto: gik
Das Mainzer Unternehmen Biontech legte schwindelerregende Gewinnzahlen vor. – Foto: gik

Am Dienstag nun legte Biontech die Zahlen für das dritte Quartal 2021 vor, und präsentierte geradezu schwindelerregende Bilanzen: Danach schätzt das Unternehmen seine Gesamtumsätze allein im dritten Quartal 2021 auf etwas über sechs Milliarden Euro – der Nettogewinn betrug dabei 3,22 Milliarden Euro alleine in diesem Quartal. Für das gesamte Jahr 2021 rechnet Biontech nun mit 7,126 Milliarden Euro Nettogewinn – das lässt nun die Steuereinnahmen bei der Stadt Mainz in nie dagewesener Höhe sprudeln.

Es ist vor allem der Corona-Impfstoff Comirnaty, der Biontech vom defizitären Startup zum Großverdiener katapultiert: Mehr als zwei Milliarden Dosen Comirnaty hat Biontech eigenen Angaben zufolge gemeinsam mit seinem US-Partner Pfizer bis zum 2. November 2021 weltweit ausgeliefert, bis Jahresende sollen es drei Milliarden Dosen werden. Und ein Ende des Runs auf den Impfstoff ist nicht abzusehen: Im Oktober 2021 habe die japanische Regierung weitere 120 Millionen Dosen für Januar bestellt, teilte Biontech am Dienstag mit. Die US-Regierung bestellte am 28. Oktober weitere 50 Millionen Impfdosen des COVID-19-Impfstoffs für Kinder, 2022 sollen es bis zu 4 Milliarden Dosen werden.

Mit dem Corona-Impfstoff Comirnaty kam für Biontech der große Geldregen. - Foto: Biontech
Mit dem Corona-Impfstoff Comirnaty kam für Biontech der große Geldregen. – Foto: Biontech

So kann sich Biontech auch großzügige Gesten leisten: Bereits im September gaben die Mainzer gemeinsam mit Pfizer bekannt, weitere 500 Millionen Dosen zusammen mit den USA zu einem gemeinnützigen Preis an Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen sowie an Organisationen abzugeben. Biontech will eigenen Angaben zufolge auch „Impfstoffe auf dem afrikanischen Kontinent entwickeln und eine nachhaltige komplette Produktion (End-to-End) sowie einen erschwinglichen Zugang zu Impfstoff für Länder“ mit geringem Einkommen ermöglichen, heißt es in der heutigen Bilanz weiter.

„Wir arbeiten weiterhin mit Nachdruck daran, den globalen Impfstoffbedarf zu decken und setzen uns für einen gleichberechtigten Zugang ein“, betonte Biontech-CEO und Mitbegründer Ugur Sahin. Jüngste Erfolge sind die erste Notfallzulassung des Covid-19-Impfstoffs für Kinder zwischen 5  und 11 Jahren in den Vereinigten Staaten sowie Genehmigungen für Auffrischungsimpfungen in verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Jahrelang hatte das 2008 gegründete Mainzer Unternehmen an Impfstoffen unter anderem für Krebs, Multiple Sklerose und Malaria geforscht, Anfang 2020 stellten die Unternehmensgründer Ugur Sahin und seine Frau Türeci in einer mutigen Entscheidung ihr gesamtes Unternehmen auf die Entwicklung eines Corona-Impfstoffs um.

Der Impfstoff made in Mainz ist eine Weltsensation - und kommt nun auch der Stadt selbst zugute. - Grafik: Eisenmann
Der Impfstoff made in Mainz ist eine Weltsensation – und kommt nun auch der Stadt selbst zugute. – Grafik: Eisenmann

Der Mut und die jahrelange Forschung wurden mit dem ersten Corona-Impfstoff weltweit belohnt, der auf der neuartigen mRNA-Technologie beruht – es wurde ein sensationeller Erfolg. 2020 hatte Biontech noch einen Nettoverlust von 351,7 Millionen Euro bis Ende September gemacht, nun rechnet man mit 7,126 Milliarden Euro Nettogewinn für die ersten neun Monate 2021. Insgesamt weist Biontech für die neun Monate bis zum 30. September 2021 kommerzielle Umsatzerlöse in Höhe von geschätzten 9,769 Milliarden Euro Bruttogewinn aus. Inklusive weiterer Umsätze kommt Biontech nun auf einen Gesamtumsatz von 13,44 Milliarden Euro – verglichen mit 136,9 Millionen Euro im gleichen Zeitraum 2020.

„Man kann jetzt vom Wunder von Mainz sprechen“, staunte Finanzdezernent Günter Beck am Dienstag, und schränkte vorsichtig ein: „Ob das Ergebnis am 31.12. noch so sein wird, wird sich herausstellen.“ Bislang gehörte Mainz mit rund 1,3 Milliarden Euro Schulden zu den hoch verschuldeten Städten des Landes, der Haushalt stand unter der Aufsicht der ADD – und die hatte gerade erst im Juni den Haushaltsentwurf für 2021 und 2022 als rechtswidrig und inakzeptabel gerügt. Die Dienstaufsichtsbehörde stoppte gar den Haushalt für 2022 ganz und schimpfte, seine Liquiditätskreditaufnahme sei rechtswidrig, Mainz versuche nicht einmal, Einsparpotenziale oder Mehreinnahmen zu realisieren.

Blick auf das Mainzer Stadtmodell im Rathaus-Foyer, in der Mitte das Mainz 05-Stadion - auf den Flächen darunter soll der neue Biotech-Hub entstehen. - Foto: gik
Blick auf das Mainzer Stadtmodell im Rathaus-Foyer, in der Mitte das Mainz 05-Stadion – auf den Flächen darunter soll der neue Biotech-Hub entstehen. – Foto: gik

Nun ändert sich auf einen Schlag alles: „Wir sind in der Lage bis Ende 2022 schuldenfrei zu sein und die Kassenkredite auf null zurückzufahren“, kündigte Beck nun an – 634 Millionen Euro an Kassenkrediten will die Stadt auf einen Schlag tilgen. „Nichts ist wichtiger, als die Schulden loszubekommen, so dass die Stadt ohne Fesseln laufen kann“, betonte auch Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD), und stellte auch gleich Pläne für die Zukunft vor: Der bereits angedachte Biotechnologie-Hub soll nun mit Hochdruck ausgebaut werden. „Durch den Erfolg von Biontech wurde Mainz in der Pandemie zur Apotheke der Welt“, sagte Ebling, nun wolle man die Aufmerksamkeit und die Dynamik schnell zur weiteren Entwicklung nutzen: „Wir wollen da nicht schludern, sondern eher klotzen.“

Von rund 100 potenziellen Akteuren sprach Ebling dabei, er sehe ein Potenzial von rund 5.000 Arbeitsplätzen für Mainz. Dafür soll es nun nach jahrelangem Zögern mit dem Ausweisen von Gewerbeflächen ganz schnell gehen: Man könne für einen BioTech-Hub rund 30 Hektar Fläche zur Ansiedlung neuer Unternehmen zur Verfügung stellen, sagte Ebling weiter. 10 Hektar davon sind allerdings auf dem Gelände der GFZ-Kaserne bereits als Erweiterungsflächen für Biontech selbst verplant, die Freigabe der Kaserne soll nun Ende 20222, Anfang 2023 erfolgen.

Die neue Standortplanung von Mainz für den Biotech-Hub entlang der Saarstraße. - Grafik: Stadt Mainz
Die neue Standortplanung von Mainz für den Biotech-Hub entlang der Saarstraße. – Grafik: Stadt Mainz

Die übrigen Flächen sollen im unmittelbaren Umfeld der Hochschule Mainz auf den Erweiterungsflächen Richtung Kisselberg entstehen, zudem werde man weitere Flächen prüfen kündigte Ebling an. „Wir werden die städtebauliche Vision bis 2022 aufs Gleis gesetzt haben, mit welchem Vorgaben wir die Entwicklung steuern wollen“, sagte der Oberbürgermeister weiter, und kündigte zudem an: Er werde eine „Leitstelle Biotechnologie“ im Büro des Oberbürgermeister einrichten.

Damit greift der OB allerdings direkt in das Arbeitsfeld von Wirtschaftsdezernentin Manuela Matz ein, die CDU-Politikerin war überraschenderweise bei der Pressekonferenz am Dienstag nicht eingeladen. Es gehe heute „um die großen Linien“, wehrte Ebling Nachfragen von Journalisten dazu ab, warum die Wirtschaftsdezernentin nicht mit am Tisch sitze – es ist nicht das erste Mal, dass SPD und Grüne die ungeliebte CDU-Kollegin außen vor lassen. Die CDU kritisierte am Abend, Biontech sei „ein Paradebeispiel“ dafür, wie wichtig Gewerbeansiedlungen für eine Stadt seien – das Thema sei aber „jahrelang von SPD und Grünen abgetan worden“, sagte CDU-Wirtschaftsexperte Ludwig Holle. Erst Matz habe sich als neue Wirtschaftsdezernentin „mit Nachdruck für eine starke Wirtschaftsförderung eingesetzt“, unterstrich er.

Die Mainzer Pläne gehen aber noch weiter: Ebling kündigte an, Mainz wolle verstärkt Liegenschaften kaufen und Investitionen in ÖPNV und Klimaschutz voranbringen, als Beispiel nannte er den Ausbau der Straßenbahn. Zudem habe die Stadt ja auch „noch einiges an Investitionen vor der Brust“, sagte Ebling mit Blick auf die Rathaussanierung sowie die anstehende Sanierung des Kurfürstlichen Schlosses: „Es macht uns stärker zu wissen, dass wir das ohne eine Belastung machen können.“

Glückliche rot-grüne Stadtspitze: Ob Ebling (SPD, links) und Finanzdezernent Beck (Grüne). - Foto: gik
Glückliche rot-grüne Stadtspitze: Ob Ebling (SPD, links) und Finanzdezernent Beck (Grüne). – Foto: gik

Und dann bedankt sich Mainz gleich noch mit einem Lockangebot an die Wirtschaft: Die Gewerbesteuer soll von derzeit 440 Punkten auf 310 Punkte sinken, ein Geschenk von rund 350 Millionen Euro pro Jahr. Man habe sich dabei am Nachbarn Ingelheim orientiert sowie an weiteren Standtorten, an denen Biontech in Deutschland vertreten sei, sagte Beck., das sei „eine Offerte für die Ansiedlung von Wirtschaft.“ Bei der Industrie und Handelskammer Rheinhessen begrüßte man das: Die Senkung des Hebesatzes sei „ein richtiges und wichtiges Signal“, lobte IHK-Präsident Peter Hähner. Damit könne die Landeshauptstadt „den Nährboden bereiten, um Mainz zum führenden Biotechnologie-Standort auszubauen, mit dem entstehenden Wissenschaftscampus als Innovationstreiber und Arbeitsmarktmotor.“

Hähner mahnte zugleich aber auch, Mainz müsse die „Jahrhundertchance“ des Welterfolgs von Biontech nun aber auch mit guten Rahmenbedingungen nutzen: „Schlüssel sind flexibel verfügbare Flächen, entscheidend sind aber auch das passende Umfeld und kurze Entscheidungswege“, mahnte Hähner: „Jetzt ist Schnelligkeit gefragt – und eine enge Verzahnung von Wissenschaft, Politik und Wirtschaft.“ Von Seiten der Ampel-Koalition im Mainzer Stadtrat hieß es begeistert: „Das Jahr 2022 gibt uns die Zeit, um im Haushalt mit klugen Investitionen den Standort zu sichern, in Klimaschutz zu investieren und den sozialen Zusammenhalt weiter zu fördern.“

„Natürlich sind wir uns bewusst, dass ab morgen die Wunschzettel im Rathaus eingehen werden“, räumte Beck ein – ob die Mainzer sich jetzt aber über kostenlosen Nahverkehr oder weitere Annehmlichkeiten freuen dürfen, wollten weder Beck noch Ebling sagen. Erst einmal komme die Stadt jetzt „in eine Luxusproblematik rein“, sagte Beck: Die Stadt überlegt fieberhaft, wie sie die Millionen anlagen kann, ohne Geld zu verlieren. Für 2022 ist mit einem weiteren Jahresüberschuss von 490 Millionen Euro zu rechnen.

Wurde bei der Pressekonferenz außen vor gelassen: Wirtschaftsdezernentin Manuela Matz (CDU). - Foto: gik
Wurde bei der Pressekonferenz außen vor gelassen: Wirtschaftsdezernentin Manuela Matz (CDU). – Foto: gik

UPDATE&: Wirtschaftsdezernentin Matz meldete sich am Mittag via Pressemitteilung zu Wort: „Der Wirtschaftsstandort Mainz mit dem Schwerpunkt Biotechnologie wird durch die aktuelle sehr positive Entwicklung von BioNTech gestärkt werden“, sagte Matz, und betonte: „Deshalb war es uns als Stadt Mainz wichtig, mit der Senkung des Gewerbesteuerhebesatzes von 440 auf 310 Punkte ein starkes Signal an weitere ansiedlungswillige Biotech-Unternehmen, aber auch an bereits ansässige Unternehmen am Standort Mainz zu senden.“ Jetzt gelte es, den Biotech-Standort Mainz weiter voranzutreiben, um die sich bietenden Chancen zu nutzen. „Dies gelingt am besten, wenn man gemeinsam an einem Strang zieht“, fügte Matz noch hinzu, das sei „bei allen Beteiligten zu hoffen.“

Info& auf Mainz&: Mehr zu Biontech und seinem Impfstoff haben wir vor genau einem Jahr hier bei Mainz& erklärt, was die Stadt Mainz mit der GFZ-Kaserne plant, könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen. Unseren Bericht über den Mainzer Haushalt vom Juni findet Ihr hier. Den gesamten Quartalsbericht von Biontech mit vielen weiteren Details zu Impfstoff, Finanzen und weiteren medizinischen Entwicklungen findet Ihr hier im Internet.

 

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