Es war im Frühjahr 2021 als der damalige Oberbürgermeister der Stadt Mainz, Michael Ebling (SPD), einen Stopp von Antworten für alle Anfragen aus Mainzer Ortsbeiräten verfügte. Fortan beantwortete die Stadtverwaltung nicht mehr alle Anträge aus den Beiräten der Stadtteile, sondern suchte sich einzelne heraus – bis heute kritisieren das die Ortsbeiräte als “Entmachtung” und “Gutsherrenart”. Nun wollte der Ortsbeirat Altstadt von den OB-Kandidaten wissen: Wie halten Sie es mit den Ortsbeiräten in Zukunft? Wir dokumentieren die Antworten der beiden Kandidaten für die Stichwahl am k0ommenden Sonntag;: Nino Haase (parteilos) und Christian Viering (Grüne).

Tagung des Mainzer Stadtrats im alten Plenarrund des Landtags Rheinland-Pfalz im Juni 2020. - Foto: gik
Tagung des Mainzer Stadtrats im alten Plenarrund des Landtags Rheinland-Pfalz im Juni 2020. – Foto: gik

Das Thema berührt einen wichtigen Teil der Gemeindeordnung von Rheinland-Pfalz, denn dort heißt es im Paragraph 75: “Der Ortsbeirat ist zu allen wichtigen Fragen, die den Ortsbezirk berühren, vor der Beschlussfassung des Gemeinderats zu hören.” Tatsächlich wurden die Ortsbeiräte einst eingeführt, um den Stadtteilen einer immer weiter wachsenden Großstadt wie Mainz eine Mitsprache bei wichtigen Themen ihres Bereichs zu ermöglichen. Die Mitglieder werden bei den Kommunalwahlen demokratisch aus der Bevölkerung des Stadtteils gewählt.

Die Ortsbeiräte wurden denn auch als wichtiges Beteiligungsinstrument für die Beteiligung der Bürger an wichtigen Belangen ihres Lebensbereichs sowie “der Integration der Ortsbezirke in den gemeinsamen gemeindlichen Willen” ins Leben gerufen. Bei wichtigen Beschlüssen, die ihren Stadtteil betreffen, müssen sie gar vor einer Beschlussfassung im Stadtrat angehört werden.

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Keine Infos mehr zu Bauvorhaben, Satzungen, Richtlinien

[UPDATE&: Die folgende Passage wurde durch den Interviewpartner präzisiert] Doch der Informationsfluss zwischen Stadtverwaltung und Ortsbeiräten ist seit zwei Jahren gestört: “Es stapelten sich 2021 die Beschlüsse und Anfragen, auf die die Verwaltung über Monate nicht reagierte”, berichtet etwa Andreas Behringer (SPD), Mitglied des Ortsbeirats Altstadt. Auch bei Satzungen und Richtlinien wurden Ortsbeiräte nicht angehört, selbst wenn ihr Stadtteil maßgeblich betroffen sei. “Bis heute bekommen wir keine offiziellen Informationen mehr über Bauanfragen und Baubescheide. So wird die demokratische Mitwirkung der Ortsbeiräte, die die Gemeindeordnung festlegt, faktisch lahmgelegt”, klagt Behringer.

Das Stadthaus in der Großen Bleiche, Amtssitz des Mainzer Oberbürgermeisters. - Foto: gik
Das Stadthaus in der Großen Bleiche, Amtssitz des Mainzer Oberbürgermeisters. – Foto: gik

Aufgefallen sei die heimliche Änderung dem Ortsbeirat Altstadt im Laufe des ersten Quartals 2021: “Es gab auf einmal keine Sachstandsberichte mehr”, berichtet der SPD-Stadtrat. Daraufhin habe man im Hauptamt nachgefragt, dort hörten die verblüfften Gremienmitglieder: Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) habe verfügt, dass es auf Beschlüsse der Ortsbeiräte keine Reaktionen mehr gebe.

Das sorgte für erheblichen Unmut, auch in anderen Ortsteilen von Mainz: “Aus einer Mitteilung Ihrer Mitarbeiterin vom 06.04.2021 haben wir erfahren, dass Sie sich bereits seit Jahresbeginn das Recht herausnehmen, unsere Anfragen oder Anträge zu selektieren”, kritisierten etwa Mitglieder des Ortsbeirats Bretzenheim samt Ortsvorsteherin Claudia Siebner (CDU) im April 2021 in einem Offenen Brief an Ebling: “Sie entscheiden nach Gutsherrenart, welche beantwortet oder ohne inhaltliche Befassung nur zur Kenntnis genommen werden.”

Offener Brief: “willkürliche Verfügung”, “Rechtsbruch”, “Ohrfeige”

Das sei “eine willkürliche Verfügung”, die nicht nur einen Affront gegen den Ortsbeirat und seine ehrenamtlich und unentgeltlich tätigen Ortsbeiräte darstelle, “sondern auch ein glatter Rechtsbruch und Verstoß” gegen die Gemeindeordnung, schimpften die Unterzeichner weiter: “Dem Ortsbeirat wurden durch den Landesgesetzgeber eigene Rechte verliehen und Aufgaben übertragen.” Er habe die Belange des Ortsbezirks in der Gemeinde zu wahren und die Gemeindeorgane zu beraten, sei ein wichtiges Bindeglied zwischen Bürgern und Stadt – und deshalb habe diese auch die Pflicht, “sich mit den Anträgen, Anfragen oder Beratungen gehörig und angemessen zu beschäftigen und zu beantworten.”

Der heutige Innenminister Michael Ebling (SPD) bei einer Pressekonferenz als Oberbürgermeister von Mainz. - Foto: gik
Der heutige Innenminister Michael Ebling (SPD) bei einer Pressekonferenz als Oberbürgermeister von Mainz. – Foto: gik

Doch Ebling – heute Innenminister von Rheinland-Pfalz – nahm seine Anordnung nicht zurück: Drei Anträge pro Sitzung könne man beantworten, erfuhren die Ortsbeiräte – mehr sei von Seiten der Verwaltung durch den hohen Aufwand nicht zu schaffen. Heute, nach zwei Jahren, sei die Lage noch immer unklar, sagte Behringer nun im Gespräch mit Mainz&: Bis heute wisse man nicht, welche Anträge aus dem Ortsbeirat beantwortet würden, und welche nicht.

Der Ortsbeirat Mainz-Altstadt hat deshalb im Januar eine Resolution verfasst, in der es heißt: “Mainz braucht eine politische Kultur, in der die Bürgerinnen und Bürger frühzeitig informiert und beteiligt werden. Dies gilt ganz besonders für die Ortsbeiräte. Denn sie werden von den Bürgerinnen und Bürgern direkt und demokratisch gewählt, verfügen wie kein zweites Gremium über Ortskenntnis und repräsentieren die Bürgerschaft vor Ort.”

Resolution: “Gespräch mit Bürgerschaft als Bereicherung empfinden”

In der Resolution, die von allen Fraktionen im Ortsbeirat unterzeichnet wurde, wird der nächste Oberbürgermeister von Mainz aufgefordert: Zu seinen “unverzichtbaren Qualitäten” müsse es gehören, “das Gespräch mit der Bürgerschaft von sich aus zu suchen, und Beteiligung als Bereicherung zu empfinden – im Sinne einer lebendigen Bürgergesellschaft.” Der OB müsse regelmäßige Einwohnerversammlungen durchführen, auch in den Stadtteilen, auf die Beantwortung der Anträge aus den Ortsbeiräten achten, ihn bei wichtigen Vorhaben anhören und “regelmäßig persönlich an Ortsbeiratssitzungen teilnehmen (etwa alle 1-2 Jahre).”

SPD-Stadtrat Andreas Behringer im Wahlkampf zur Kommunalwahl mit einer "Ansprech-Bar". - Foto: Behringer
SPD-Stadtrat Andreas Behringer im Wahlkampf zur Kommunalwahl mit einer “Ansprech-Bar”. – Foto: Behringer

Dazu stellte der Ortsbeirat entsprechende Fragen an die Kandidaten zur Oberbürgermeisterwahl – bis auf den Kandidaten der “Partei” antworteten alle. Interessant sind im Vorfeld der anstehenden Stichwahl um das OB-Amt am kommenden Sonntag nun noch die Antworten der beiden Stichwahl-Kandidaten: Christian Viering und Nino Haase.

Viering antwortet in dem Fragebogen erstaunlich ausweichend: Auf die Frage, “Werden Sie als Oberbürgermeister regelmäßig in jedem Stadtteil eine Einwohnerversammlung
durchführen?, antwortet der Grünen-Kandidat wörtlich: “Der regelmäßige Austausch mit den Menschen in unserer Stadt ist für mich ein wichtiges Anliegen, wichtig ist mir
dabei, dass wir dabei auch gerade die Menschen in den Blick nehmen, die sich bisher bei solchen Angeboten nicht beteiligen wie z.B. Menschen mit Migrationshintergrund, von Armut betroffene Menschen und junge Menschen.” Das ist die gesamte Antwort.

Viering: “gemeinsames Verständnis der Arbeit in OBRs entwickeln”

Auf die Frage: “Werden Sie als Oberbürgermeister darauf achten, dass die Stadtverwaltung auf Beschlüsse/Anfragen der Ortsbeiräte zügig und vollständig durch  Sachstandsberichte/ Antworten schriftlich reagiert” antwortet Viering: “Grundsätzlich muss dies das Ziel sein, dazu ist es notwendig zusätzliche Kapazitäten in der Verwaltung bereitzustellen, was nun einfacher umzusetzen ist als es früher der Fall war.” Auch dies ist die komplette Antwort des Grünen-Kandidaten zu dieser Frage.

Der Kandidat der Grünen, Christian Viering. - Foto: gik
Der Kandidat der Grünen, Christian Viering. – Foto: gik

Und auf die Frage, ob er als Oberbürgermeister regelmäßig persönlich an Ortsbeiratssitzungen teilnehmen würde, antwortet Viering: “Ja, ob der genannte Rhythmus realistisch ist, wird man sehen müssen, aber grundsätzlich ist ein kontinuierlicher Austausch zwischen Stadtvorstand und Ortsbeiräten wichtig. Ich will nach der Kommunalwahl einen Prozess auf den Weg bringen, in dem wir ein gemeinsames Verständnis der Arbeit in den Ortsbeiräten entwickeln. Damit will ich mehr Klarheit und mehr Verständnis für die wichtige Arbeit in den Ortsbeiräten schaffen.” Dass die Rolle der Ortsbeiräte in der Gemeindeordnung bereits klar definiert ist, dazu äußert sich Viering nicht.

Haase hingegen hatte von Anfang an in seinem Wahlkampf das Thema Bürgerbeteiligung und insbesondere auch die bessere Einbindung der Ortsbeiräte zu einem seiner Kernthemen gemacht – kein Wunder, hatte er seine Arbeit auf der politischen Bühne doch mit dem Bürgerentscheid zum Bibelturm begonnen. “Für mich als möglichen unabhängigen OB ist das Mittel der Einwohnerversammlung sogar ein sehr wichtiges, wie ich bereits den ganzen Wahlkampf lang betone”, antwortete Haase denn auch dem Ortsbeirat Altstadt.

Haase: Einwohnerversammlung, dauerhafter Informationsfluss

Paragraph 16 der Gemeindeordnung gebe sogar vor, dass jährlich eine stadtweite Einwohnerversammlung stattfinden müsse – in Mainz habe er dies aber noch nie erlebt,  kritisierte Haase etwa auch im Mainz&-Interview. Im Fragebogen für den Ortsbeirat Altstadt plädiert Haase nun für eine jährliche Einwohnerversammlung für Mainz, sowie “zumindest alle zwei Jahre” in jedem Stadtteil eine solche Versammlung. “Demokratie benötigt dauerhafte Beteiligung – dafür stehe ich ein”, betont Haase.

Bürgerbeteiligung war von Anfang an ein Kernthema des parteilosen Nino Haase. - Foto: Haase
Bürgerbeteiligung war von Anfang an ein Kernthema des parteilosen Nino Haase. – Foto: Haase

Auf die Frage nach den Antworten auf Beschlüsse oder Anfragen aus den Ortsbeiräten, unterstreicht Haase, er wolle für zügige und vollständige Antworten durch Sachstandsberichte sorgen. “Eine Limitierung ist schlicht undemokratisch”, betont Haase zudem: “Sollten einzelne Ortsvorsteher oder -beiräte das normale Maß dauerhaft deutlich übersteigen, sollte zunächst die persönliche Kommunikation als Mittel der Wahl gelten.”

“Das Führen der Verwaltung und der Austausch mit den Ortsbeiräten ist die Kernaufgabe eines OB”, betonte Haase weiter: “Dauerhafte Kommunikation ist dabei von höchster Priorität und war bisher in Mainz unterentwickelt.” Auch hier haben wir die vollständige Antwort dokumentiert.

Mehr Budget & Kompetenz für Ortsbeiräte

Ortsbeiräte müssten “als gewählte Gremien wieder in den demokratischen Prozess eingebunden werden, inklusive eines dauerhaften Informationsflusses und in beratender Funktion”, schreibt Haase weiter. Auch wolle er die Kompetenzen der Ortsbeiräte durch “deutlich mehr Budget und Kompetenzausweitungen im Rahmen der Hauptsatzung” stärken – auch dies betont Haase bereits seit Wochen. “Wir haben in Mainz in den letzten Jahren immer mehr Proteste bei verschiedenen Projekten”, argumentiert Haase weiter: “Durch Beteiligung der Ortsbeiräte können mögliche Konflikte sogar frühzeitig entschärft werden.”

Und auf die Frage einer Teilnahme an Ortsbeiratssitzungen als OB, antwortet der parteilose Kandidat: “Ja, liebend gerne. Der Turnus [1-2 Jahre] deckt sich mit meinem Vorschlag bzgl. der Einwohnerversammlungen, und ist in meinen Augen für einen OB obligatorisch.” In dem AZ-Forum zur OB-Wahl am Dienstagabend kündigte Haase sogar an, die Stärkung der Ortsbeiräte zu einer seiner ersten Maßnahme innerhalb der ersten 100 Tage machen zu wollen, sollte er zum Oberbürgermeister gewählt werden. “Wir agieren derzeit an den Ortsbeiräten vorbei”, betonte Haase. Hier eine Änderung herbeizuführen, könne eine gute Möglichkeit sein, “schnell eine Veränderung der politischen Kultur auf den Weg bringen.”

Info& auf Mainz&: Den ganzen Offenen Brief des Ortsbeirats Mainz-Bretzenheim vom April 2021 könnt Ihr hier im Internet nachlesen. Das Mainz&-Interview mit Nino Haase findet Ihr hier, dort gibt es auch einen direkten Link zu dem ganzen Interview auf dem Mainz&-Youtube-Kanal. Das Mainz&-Interview mit Christian Viering samt Youtube-Link findet Ihr hier.