Er war Stadtrat, Grünen-Kreischef und ist aktuell Betriebsrat bei Boehringer Ingelheim, nun will er Oberbürgermeister von Mainz werden: Christian Viering, 38 Jahre, Chemikant. Der OB-Kandidat der Grünen wurde erst nach einem längeren Sondierungsprozess seiner Partei Mitte November auf den Schild gehoben. Im Mainz&-Wahl-Interview fordert Viering eine Abmeldeprämie für Autos, ein Programm für Balkon-Solaranlagen – und lässt Sympathien für eine Weinerlebniswelt erkennen. Unserer Frage nach einer englischen Begrüßung für Staatsgäste verweigerte sich Viering aber. Auch Lützerath und die Braunkohle sowie die „Letzte Generation“ waren ein Thema.

Mal mit Kapuzenpulli, mal mit Sakko: Grünen-Kandidat Christian Viering. - Foto: gik
Mal mit Kapuzenpulli, mal mit Sakko: Grünen-Kandidat Christian Viering. – Foto: gik

Kommenden Sonntag wählt Mainz ein neues Stadtoberhaupt, bisher stellten die Sozialdemokraten in den vergangenen 74 Jahren stets den Mainzer Oberbürgermeister. Doch mit dem Abgang von Michael Ebling (SPD) in Richtung Innenministerium wurden die Karten neu gemischt – der Ausgang der Wahl ist offen wie nie. Zuletzt verzeichneten die Grünen in Mainz große Erfolge: Im Stadtrat sind sie seit der Kommunalwahl 2019 mit 27,7 Prozent stärkste Kraft, bei der Landtagswahl 2021 holten sie erstmals das Direktmandat der Landeshauptstadt. Gemeinsam mit SPD und FDP regieren die Grünen seit 12 Jahren in einer „Ampel“-Koalition in Mainz und stellten mit Katrin Eder die Verkehrs- und Umweltdezernentin.

Nötig wird die Wahl, weil der bisherige Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) überraschend im Oktober zum Innenminister von Rheinland-Pfalz wurde – als Nachfolger des wegen der Flutkatastrophe im Ahrtal zurückgetretenen Roger Lewentz. Nun sucht Mainz einen neuen Oberbürgermeister – der Stadtchef wird in Personenwahl direkt von den Bürgern gewählt, und das gleich für acht Jahre. Mainz& hat deshalb sechs der sieben Kandidaten zum Interview gebeten: Wir wollen Euch Ideen, Konzepte und Visionen, aber eben auch die Person präsentieren, die sich da um das höchste Amt der Stadt bewirbt.

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2021 Rückzug aus der Kommunalpolitik, Themen Klima und Armut

Christian Viering war der letzte der sechs ernsthaften OB-Kandidaten, dessen Kandidatur bekannt gegeben wurde – die Grünen hatten da einen mehrere Wochen dauernden Sondierungsprozess hinter sich, weil unter anderem Klimaschutzministerin Katrin Eder (Grüne) absagte. Viering hatte sich eigentlich aus der Mainzer Kommunalpolitik schon verabschiedet: 2019 schied er nach zehn Jahren aus dem Mainzer Stadtrat aus, war noch bis 2021 Co-Kreischef der Mainzer Grünen, und gab dann alle Ämter auf.

Grünen-OB-Kandidat Christian Viering im Mainz&-Interview. - Foto: gik
Grünen-OB-Kandidat Christian Viering im Mainz&-Interview. – Foto: gik

Er habe „Platz für jemand Neues machen wollen“, für „frisches Blut“ im Stadtrat, erklärte Viering seinen Rückzug nun im Mainz&-Interview. Er habe sich auf die Kreispartei konzentrieren wollen. Geboren wurde Viering in Kirn an der Nahe, heute lebt der 38-Jährige mit seiner Frau und zwei Foxterriern in der Mainzer Neustadt. 2002 machte er eine Ausbildung als Chemiefacharbeiter bei Boehringer Ingelheim, arbeitete acht Jahre im Schichtdienst und ist seit 2014 als Betriebsrat in dem Pharmakonzern tätig – als Vertrauensmann für die Gewerkschaft IGBCE.

Viering trat denn auch als Kämpfer gegen Armut und für soziale Gerechtigkeit im Wahlkampf an. „Mainz muss bezahlbar sein“, heißt es auf seiner Homepage, Wohnen, Einkaufen oder die Nutzung öffentlicher Einrichtungen dürften nicht vom Geldbeutel oder der Herkunft eines Menschen abhängen. Doch gleichzeitig sorgte Viering im Wahlkampf für Irritationen, als er zum Thema Wohnen auf einem Wahl-Podium des DGB den Satz sagte: „Wir müssen uns ehrlich machen, und den Menschen sagen: es gibt auch Grenzen des Wachstums“ – man könne nicht „ständig weiter alles zubauen.“

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Grenzen des Wohnens, Lützerath und Letzte Generation

Linken-OB-Kandidat Martin Malcherek warf Viering daraufhin vor, wer einen Baustopp ausrufe, treibe die Mieten weiter in die Höhe – Viering wiederholte den Satz nicht. Sein Credo: In die Höhe bauen, keine neuen Flächen versiegeln. Für den Biotechnologie Campus an der Saarstraße spricht sich der Grünen-Kandidat aber dennoch aus.

Rheinufergestaltung am Mainzer Zollhafen: Wenig Grün, viel Beton. - Foto: gik
Rheinufergestaltung am Mainzer Zollhafen: Wenig Grün, viel Beton. – Foto: gik

Gegenwind erhalten die Grünen derzeit aber durch das Thema Braunkohleabbau in Lützerath, der Kompromiss um das Abbaggern des kleinen Ortes in Nordrhein-Westfalen wird den Grünen von vielen Anhängern verübelt. „Ich kann gut verstehen, dass sich ein Stückj weit die Wut an den grünen entlädt“, sagte Viering dazu im Mainz&-Interview – aber die Grünen hätten bei der Bundestagswahl eben zuletzt „nur“ – 80 Prozent der Wähler hätten andere Parteien gewählt: „Wenn man aus den Grünen eindrischt, werden aus den 20 Prozent keine 25 Prozent“, gab er zu bedenken.

Zum Thema „letzte Generation“, die gerade wieder in Mainz Straßen blockierte, sagte Viering: „Das wäre jetzt nicht mein Mittel der Wahl der Auseinandersetzung und der Diskussion“, sagte Viering dazu, „ich bin doch eher jemand, der ein Freund davon ist, sich mit Gesprächen und Argumenten zu überzeugen, und sich dafür auch Mehrheiten zu suchen.“ Viele in der Bewegung hätten aber wohl den Eindruck, es passiere zu wenig, die Aktionen der „Letzten Generation“ seien seinem Eindruck „fast von der Verzweiflung“ getrieben, „dass sie nicht gehört werden“.

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Abmeldeprämie für Autos, mehr Windkraft, Raum umverteilen

Er wolle „mit aller Konsequenz“ die Klimakrise zu bekämpfen, das sei sein Antrieb. Auf die Frage, wie er das Klima in Mainz retten wolle, verwies Viering auf Energiewende und Mobilitätswende. Mainz brauche ein Quartiersbezogene Wärmeplanung, forderte Viering im Mainz&-Interview, es gehe darum das Fernwärmenetz auszubauen, und Wärmequellen einzubeziehen wie etwa von Betrieben wie Schott. Mainz habe zudem gerade neue Flächen für Windkraft ausgewiesen – und es brauche mehr Photovoltaik auf städtischen Gebäuden. Auch ein Subventions-Programm für Balkon-PV-Anlagen wolle er ins Leben rufen.

Parkplatz am Gutenberg-Center: Warum steht hier keine Photovoltaik-Anlage? - Foto: gik
Parkplatz am Gutenberg-Center: Warum steht hier keine Photovoltaik-Anlage? – Foto: gik

Erstaunlich: Auf die Frage, warum auf großen Parkplätzen in Mainz keine Photovoltaikanlagen stehen, sagte Viering: „Das frage ich mich auch.“ Die Möglichkeiten seien aber „schlicht und ergreifend nicht vorhanden gewesen, wir waren in vielen Bereichen nicht handlungsfähig“, sagte Viering – weil der Mainzer Haushalt unter der Aufsicht der ADD gestanden habe.

In Sachen Mobilität sagt Viering: „Wir werden den Verkehrsraum umverteilen müssen, um attraktive Angebote für ÖPNV, Radverkehr und Fußgänger zu schaffen – und für mehr Grün.“ Will er Autos komplett aus der Innenstadt verbannen? „Nicht grundsätzlich“, sagte Viering nun im Mainz&-Interview, doch er wolle ganz konkrete Anreize schaffen für Menschen, die ihr Auto abschafften – mit einer Abmelde-Prämie. Auf die Frage, ob das nicht mehr ein Angebot für Menschen in der Neustadt oder Innenstadt, aber weniger in Randbezirken wie Drais sei, entgegnete Viering: „Warum?“

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Viering setzt auf Straßenbahn, Große Bleiche autofrei

Die Arbeitswelt habe sich stark geändert, viele machten heute Homeoffice, das habe auch ihr Mobilitätsverhalten verändert, sagte Viering weiter, und betonte: Mainz gehöre zudem nicht zu den Stau-reichsten Städten von Rheinland-Pfalz, die Lage sei nicht schlimmer als in Worms, Ludwigshafen oder Koblenz. „Wir müssen den Menschen Angebote machen, auf umweltfreundliche Mobilität umzusteigen“, sagte Viering.

Die Große Bleiche will Viering komplett autofrei machen - bis hinunter zum Rhein. - Foto: gik
Die Große Bleiche will Viering komplett autofrei machen – bis hinunter zum Rhein. – Foto: gik

Das bedeute Straßenbahn-Ausbau in Mainz, aber auch mehr Planung gemeinsam mit dem Landkreis zu Nahverkehrs-Linien. Wer in die Stadt komme, solle das nachhaltig tun. Zum Vorschlag von Quartiersgaragen, die im Stadtrat von der CDU vorgeschlagen wurden, sagte Viering: „Möglicherweise könnte man über so etwas nachdenken.“ Die Grünen hatten allerdings genau diesen Vorschlag im Mainzer Stadtrat vehement abgelehnt.

Zur Frage nach Betonflächen im Zollhafen oder auf anderen neu gestalteten Plätzen in Mainz, rechtfertigte Viering die bisherige grüne Politik: „Das sind Sachen, die müssen wir uns nachträglich anschauen und verbessern.“ Einen Baum zu pflanzen, sei gar nicht so teuer, „teuer ist es, ihn zu pflegen“ – und dafür hätte Mainz in der Vergangenheit nicht das Geld gehabt. Man müsse sich in der Innenstadt „den Beton ansehen und sich fragen: kann das weg“, fügte er auf die Frage, wo er mehr Grün schaffen wolle, hinzu. Die Große Bleiche will Viering vom Münsterplatz bis zum Rhein autofrei machen.

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Sympathie für Weinerlebniswelt, keine Gastro am Rhein

Die Idee von größerer über-parteilicher Zusammenarbeit im Stadtrat lehnte Viering ab: „Wenn man in einer Kommune langfristig Verantwortung tragen will, braucht es ein gemeinsames Verständnis von Verantwortung“, betonte er. Die Ampel-Koalition habe „sicher nicht immer alles richtig gemacht.“ Aber „es hilft niemanden, wenn wir im Stadtrat mit wechselnden Mehrheiten Anträge beschließen, dann aber keinen Haushalt zustande kriegen“, betonte Viering.

Zum Thema Hitzeaktionsplan sagte Viering, er wisse nicht, was der beinhalte, beim Thema mehr Gastronomie am Rheinufer äußerte er sich zurückhaltend. „Die Mainzer haben vor allem den Wunsch, dass wir das Rheinufer attraktiver gestalten“, sagte er. Es brauche mehr Grün, Gehölze und Artenvielfalt am Rheinufer vor der Neustadt; „Ich glaube, dass ist das, was die Mainzer in erster Linie wollen.“

Das Rheinufer vor der Mainzer Neustadt. - Foto: gik
Das Rheinufer vor der Mainzer Neustadt. – Foto: gik

Sympathien ließ Viering hingegen für die Idee der CDU-Wirtschaftsdezernentin Manuela Matz erkennen, eine Weinerlebniswelt zu schaffen. „Dass man irgendwo eine schöne Vinothek hat, wo man Wein probieren kann“, sagte er, das sei attraktiv. Der Kupferberg sei aber „möglicherweise etwas weit weg“, gerade für Touristen, die am Rhein ankämen.

Auf die Frage allerdings, wie er denn einen hohen Staatsgast auf Englisch begrüßen würde, verweigerte sich Viering: „Wir brauchen jetzt hier keinen Englischtest“, sagte er. Allerdings muss der Mainzer Oberbürgermeister immer wieder ausländische Staatsgäste wie etwa königliche Häupter oder den US-Präsidenten begrüßen. „das kriegen wir schon hin“, entgegnete Viering: „Das wichtigste ist erst einmal, dass man einen Oberbürgermeister hat, der die Sprache der Mainzer spricht“, fügte er hinzu. Die Mainzer entscheiden darüber mit ihrer Stimme am 12. Februar 2023.

Info& auf Mainz&: Das Interview mit Christian Viering wurde am 07. Februar 2023 in der Landes-Geschäftsstelle der Grünen Rheinland-Pfalz geführt, es war mit einer Dauer von 1.05 Stunden das längste Gespräch. Das ganze Mainz&-Video-Interview mit Christian Viering könnt Ihr hier auf Youtube ansehen. Mehr zu Christian Viering, seinem Werdegang und seinen Ideen für Mainz lest ihr hier bei Mainz& – und natürlich hier auf Vierings eigener Homepage im Internet.

Interviews& zur OB-Wahl: Mainz& hat sechs der sieben OB-Kandidaten zum Interview geladen, Lukas Haker von „Die Partei“ haben wir nicht gefragt – der Kandidat ließ sich zuletzt im Wahlkampf so gut wie nicht mehr blicken. Die Interviews mit allen sechs Kandidaten findet Ihr auf unserem Mainz&-Youtube-Kanal, die Nummerierung richtete sich nach der Reihenfolge, in der wir die Kandidaten interviewt haben. Mehr zu den Interviews hier: