Neuordnung im Mainzer Stadtrat: Kurz vor der Kommunalwahl im kommenden Jahr löst sich die bisherige Stadtratsfraktion von Piraten & Volt auf und schließt sich der Fraktion der Grünen an. Stadtrat Maurice Conrad, einst als Vertreter der Piraten in den Rat gewählt, wird Mitglied der Grünen und ab August damit offizieller Grünen-Stadtrat. Der Vertreter der Partei Volt, eigentlich als unideologisches Gegengewicht gerade zu Parteien wie den Grünen angetreten, schließt sich nun ebenfalls der Stadtratsfraktion der Grünen an. Kommentar&: Damit verrät Volt seine ursprünglichen Versprechen an die Wähler und macht sich im politischen Parteienspektrum komplett verzichtbar.
Bislang stellten die Grünen im Mainzer Stadtrat seit der letzten Kommunalwahl 2019 bereits 17 Ratsmitglieder und bildeten ohnehin schon die stärkste Fraktion, nun bekommen die Grünen noch zwei Sitze mehr: Maurice Conrad und Tim Scharmann von der Fraktion Piraten & Volt lösen die eigene Fraktion auf, und schließen sich ab August der Ratsfraktion der Grünen an. Grund ist der Wechsel von Maurice Conrad: Der Student war ursprünglich als Vertreter der Piratenpartei 2019 in den Mainzer Stadtrat gewählt worden.
Conrad wurde als Gesicht der „Fridays for Future“-Bewegung in Mainz bekannt, bereits 2020 trat er bei den Piraten aus und gründete stattdessen die „Klimaliste RLP“ mit. Deren Zeil war eigentlich der Mainzer Landtag: Bei der Landtagswahl 2021 wollte man als „sehr offener und freier Zusammenschluss zivilgesellschaftlicher Akteure“ in den Landtag einziehen, und sich dort für Klimagerechtigkeit und die strikte Umsetzung des Pariser Klimaabkommens einsetzen.
Von Piraten zur Klimaliste zu den Grünen
Eine Partei wolle man gar nicht werden, wohl aber erheblichen Druck auf die Klimapolitik der anderen Parteien ausüben, sagte Conrad damals: Klimaschutz sei „eben kein parteiisches Interesse, sondern muss schnellstmöglich auf Basis von Wissenschaft und Forschung aufbauend umgesetzt werden“, sagte er damals. Die Klimaliste scheiterte bei der Landtagswahl spektakulär und kam gerade einmal auf 0,7 Prozent der Landesstimmen.
Am Dienstag gab Conrad nun bekannt, er werde den Mainzer Grünen beitreten. „Die Grünen sind der entscheidende politische Akteur, den wir für konsequente Klimapolitik brauchen“, betonte Conrad auf der Pressekonferenz, das zeige sich „insbesondere in den letzten Monaten.“ Auch stünden die Grünen „für eine konsequent liberale und progressive Gesellschaftspolitik, die die Rechte marginalisierter und queerer Menschen gegen das Erstarken des Rechtspopulismus verteidigt.“ Das seien für ihn auch persönliche Anliegen, betonte Conrad, und das wolle er in Zukunft mit derselben Überzeugung wie zuvor als Teil der Grünen tun.
Die Grünen wiederum betonten: „Wir freuen uns sehr, dass mit Maurice Conrad eine weitere, progressive und laute Stimme für den Klimaschutz Teil unseres Kreisverbandes wird“, sagte Grünen-Kreischefin Christin Sauer. Mit seinem Engagement für Klimaschutz, eine vielfältige Gesellschaft und gegen Rechts, zeige Conrad „seit langem die große inhaltliche Nähe zu unserer Partei.” Die Grünen hätten „der aktivistischen Szene“ immer nahe gestanden, „es ist unser Anspruch, die Themen der vielen Bewegungen – von Klima und Umwelt, über Tierschutz, Menschenrechte, Vielfalt und viele andere – in die Parlamente zu tragen“, betonte Sauer.
Fraktion Piraten & Volt löst sich auf – und tritt Grünen-Fraktion bei
Conrads Wechsel zu den Grünen hat allerdings deutliche Folgen im Mainzer Stadtrat: Damit löst sich die Fraktion Piraten & Volt notgedrungen auf, da ein Fraktionsstatus erst ab zwei Stadtratsmitgliedern gewährt wird. Die Zusammenarbeit mit Volt sei in der Vergangenheit „gewinnbringend für uns, und auch die gesamte politische Arbeit im Mainzer Stadtrat“ gewesen, betonte Conrad. Eine weitere Zusammenarbeit mit Volt sei für ihn daher wünschenswert.
Die bekommt er nun: Volt-Stadtrat Tim Avamarie-Scharmann kündigte an, sich nun ebenfalls der Stadtratsfraktion der Grünen anzuschließen, er bleibt aber Volt-Mitglied und Volt-Stadtrat. Der Zusammenschluss berge „viele Vorteile für Volt“, weil er die Möglichkeit stärke, „progressive Politik in Mainz zu machen“, sagte Avemarie-Scharmann zur Begründung. Das gelte „insbesondere im Bereich Klimaschutz, der jede politische Stimme im demokratischen Willensbildungsprozess benötigt.“
Volt wolle bei der Kommunalwahl 2024 in Mainz in eigener Fraktionsstärke in den Stadtrat einziehen, kündigte Avemarie-Scharmann an. Deshalb sei der Zusammenschluss mit den Grünen „auch eine gute Möglichkeit, nach vier Jahren ‚allein‘ in der Opposition, sowohl die Arbeit in einer Regierungskoalition als auch mögliche Koalitionspartner besser kennenzulernen.“
Europapartei Volt wollte Mobilität ideologiefrei denken
Bisher war die Europapartei Volt allerdings explizit mit dem Versprechen angetreten, Mobilität ideologiefrei neu zu denken, und Lösungen anhand von guten Beispielen anderer Länder zu suchen – beim Thema Mobilität etwa Oslo oder Gent. Volt versprach, sich für mehr Grün in der Stadt und mehr direkte Bürgerbeteiligung einzusetzen, auch das Thema Digitalisierung spielte eine große Rolle – Volt forderte unter anderem ein Bürgerbudget im Haushalt, mehr begrünte Gebäude in Mainz und kritisierte die Bürgerferne der Ampel-Koalitionen.
Nun tritt Volt ausgerechnet der Fraktion bei, die bei der Ablehnung ihrer Anträge stets ganz vorne mit dabei war – den Grünen. In den vergangenen Monaten war es um die Partei Volt in Mainz ohnehin sehr still geworden: Initiativen oder gar Aktionen gab es so gut wie keine mehr. Zuletzt war der Stadtrat einer Initiative der Fraktion gefolgt, Hygiene-und Menstruationsartikel in den Toiletten aller Einrichtungen der Stadt sowie in Schulen kostenlos bereitzustellen. Das war allerdings im November 2022 und basierte auf einer Initiative Conrads.
Im OB-Wahlkampf 2023 hatte sich Volt noch explizit als neutral erklärt und betonte, man werde keine Wahlempfehlung abgeben – wichtigstes Angebot der Partei war der Mainz-O-Mat als Hilfe bei der Wahlentscheidung. Bei der Kommunalwahl am 26. Mai 2019 war Volt auf 1,2 Prozent der Stimmen in Mainz gekommen und hält damit seither einen Sitz im Stadtrat. Die nächste Kommunalwahl steht am 09. Juni 2024 bevor – für die Kommunalpolitik in Mainz dürfte sie hoch spannend werden: Zuletzt hatten sich die Mehrheitsverhältnisse in Mainz deutlich verschoben – zu Ungunsten der Grünen.
Kommentar& auf Mainz&: Volt – Verrat & Bedeutungslosigkeit
Als 2019 gleichzeitig mit der Europawahl die Kommunalwahl in Rheinland-Pfalz stattfand, ließ eine kleine Partei aufhorchen: „Volt“ nannte sich die neue Formation, hervorgegangen war sie aus einer veritablen Bürgerbewegung, die nichts weniger auf den Fahnen stehen hatte, als ein demokratisches, bürgernahes Europa. Das mit den Fahnen war wörtlich zu nehmen, denn Volt machte mit großen Demonstrationen pro-Europa auf sich aufmerksam – es war die Zeit, in der Europa ein erheblicher Rechtsruck drohte und Populisten massenhaft Fakenews über das böse Brüssel streuten.
Klingt irgendwie vertraut? Ist es auch: 2023 ist die Situation eine ganz ähnliche, weil sich wieder in erheblichem Maße rechte Strömungen und rechte Populisten in Europa anschicken, die Macht zu übernehmen. Doch dieses Mal ist das in der öffentlichen Debatte irgendwie kaum ein Thema, weit und breit ist keine Partei in Sicht, die sich vehement dem Trend entgegen stemmt. Stattdessen werden die etablierten Parteien von CDU über SPD bis hin zu den Grünen (zu Recht) verdächtigt, mit ihrer Politik den rechten Populisten Vorschub zu leisten – die Parteienverdrossenheit gerade in Deutschland dürfte derzeit wahre Höhenflüge erleben.
Und was ist aus den einstigen Kämpfern gegen diesen Trend geworden? Fünf Jahre danach muss man konstatieren: nichts. 1.164 Wähler haben 2019 in Mainz der Partei „Volt“ ihre Stimme gegeben und sie damit immerhin auf Augenhöhe mit Freien Wählern und Piraten gebracht. Gewählt wurde „Volt“ aber vor allem, damit sie ein Gegengewicht bilden könnten – und zwar genau zu den Parteien der Ampel-Koalition aus Grünen, SPD und FDP. Volt versprach nämlich ein grüneres Mainz und eine Mobilitätspolitik ohne Ideologie, dafür mit pragmatischen Lösungen für alle Verkehrsträger – und nun schließt sich der Volt-Stadtrat ausgerechnet den Grünen an.
Das dürfen die Volt-Wähler mit Fug und Recht als Verrat werten, sind es doch ausgerechnet die Grünen, die seit mehr als zehn Jahren die Umwelt- und Verkehrsdezernentin in Mainz stellen. Und es waren die Grünen, unter deren Leitung in Mainz mehr Bäume gefällt wurden als gepflanzt, und deren Dezernatsleitung zusah, wie eins ums andere Mal Betonwüsten entstanden statt grüner Plätze. Mainz ist heute nicht mehr, sondern weniger Grün, und es hat eine Verkehrspolitik, die weithin vor allem mit einem Wort beschrieben wird: ideologisch.
Da wird den Pkws explizit der Kampf angesagt, wird Tempo 30 eingeführt ohne die versprochenen „Grünen Wellen“ zu realisieren. Da werden Durchfahrtsstraßen systematisch lahm gelegt, was schlichtweg zu mehr Staus und zu einer Abkehr des Umlands von der Einkaufsstadt Mainz führt. Den Grünen ist das egal, den Schaden an der Attraktivität nehmen sie ebenso hin wie den Schaden für die Einzelhändler in der Innenstadt.
Mainz, eine weltoffene, attraktive Stadt? Das war einmal. Heute werden Touristenbusse vergrault und Touristen wie Stiefkinder behandelt. Wer in diesen Julitagen durch Mainz fährt, sieht hauptsächlich Baustellen, verengte Straßen, Staus an den Ampeln – aber kaum attraktive Grünanlagen, wo es sich zu Flanieren oder zu Verweilen lohnt. Keine einzige Stadt in Frankreich – um ein Beispiel zu nennen -, die etwas auf Touristen gibt, würde sich ausgerechnet in der Urlaubszeit derart unattraktiv machen, wie es Mainz gerade tut.
Und das Schlimmste dabei: Die Grünen haben es in zehn Jahren auch nicht geschafft, ein klimagerechtes Mainz oder auch nur ein attraktives Radwegenetz zu schaffen. Wo sind die begrünten Dächer und die Solaranlagen? Wo die Trinkbrunnen und die Wasserspiele, die Grünen Oase und Hitze-freien Abkühlinseln? Stattdessen zuckt man mit den Schultern, wenn Kaltluftschneisen zugebaut werden und erklärt Trinkbrunnen für „nicht realisierbar“. Und im Verkehrsdezernat verweigert man sich jeder Erkenntnis, dass Radfahrer eben NICHT zwischen Autos, sondern auf sicheren eigenen Wegen fahren wollen – in Mainz schickt man Radfahrer weiter zwischen Autos und Bussen auf die Straße. Sollen sie doch den Privatverkehr ausbremsen.
Und ausgerechnet dieser Fraktion tritt der Vertreter von Volt nun bei – das wird Folgen haben: Zuletzt war ohnehin von der neuen Partei nicht mehr viel zu sehen, jetzt wird Volt ohne jegliche eigene Energie völlig in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Wer das Gegenteil tut von dem, was er versprochen hat – wer soll so jemanden noch wählen? Wofür will Volt in Zukunft noch stehen? Schade, schade, liebe Volt-ler – eine pragmatische, unideologische Politik hätte Deutschland, hätte Mainz gerade jetzt so dringend gebraucht. Die OB-Wahl im Frühjahr hat es ja überdeutlich gezeigt: Genau dahin geht der Trend der Wähler.
Info& auf Mainz&: Mehr zur anstehenden Kommunalwahl samt einer Mainz&-Analyse lest Ihr hier bei Mainz&.