Nach dem Aus für das Modellprojekt „Corona im Abwasser“ in der Mainzer Kläranlage fragt nun die Mainzer ÖDP im Stadtrat nach – und verweist dazu auf einen Bericht von Mainz&: Wenn die Virenlast im Abwasser gut habe nachverfolgt werden können, dann „könnten mit diesen Messungen auch nach dem Ende der Corona-Pandemie wichtige Rückschlüsse über Krankheiten in der Bevölkerung ermittelt werden“, sagte ÖDP-Chef Claudius Moseler, und will im Stadtrat am Mittwoch wissen: Wieso führe die Stadt das Projekt nicht einfach selbst fort? Die Antwort liegt Mainz& bereits vor, Moseler kritisierte: „Die Verwaltung macht sich einen schlanken Fuß.“

Abwasserproben für Messungen des Coronavirus im Juni 2021 in der Mainzer Kläranlage. - Foto: gik
Abwasserproben für Messungen des Coronavirus im Juni 2021 in der Mainzer Kläranlage. – Foto: gik

Im Mai 2021 hatte das Leipziger Helmholtz-Institut für Mikrobiologie der Umwelt gemeinsam mit der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) und der TU Dresden ein Langzeitprojekt an etwa 20 Kläranlagen bundesweit gestartet. Über einen Zeitraum von sieben Monaten wurden Konzentrationen von Coronaviren im Abwasser großer Städte ermittelt und ausgewertet werden, darunter auch in Mainz. „Abwasser ist ein wichtiges Vorhersageinstrument für die Gesundheit der Bevölkerung“, sagte die Chefin des Mainzer Wirtschaftsbetriebes, Jeanette Wetterling, bei der Vorstellung der Messungen, man sehe darin ein „zukunftsweisendes Projekt.“

Das Fazit des Projektes verlief ausgesprochen positiv: „Die vorliegenden Ergebnisse spiegeln den Verlauf der Pandemie offensichtlich gut wieder“, bilanzierte Umwelt-Staatssekretär Erwin Manz im Dezember 2021 im Gesundheitsausschuss des Mainzer Landtags. Die Corona-Wellen im Herbst 2021 waren demnach in den Virenkonzentrationen im Abwasser deutlich ablesbar, genutzt wurde das nicht.

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Der Leipziger Virologe Réné Kallies erläuterte im Juni 2021 in einer Videoschalte das Abwasser-Messprojekt.- - Foto: gik
Der Leipziger Virologe Réné Kallies erläuterte im Juni 2021 in einer Videoschalte das Abwasser-Messprojekt.- – Foto: gik

Viren wie das Coronavirus können im Abwasser von Kläranlagen verlässlich nachgewiesen werden, auch steigende Konzentrationen können hier frühzeitig entdeckt werden – ganz ohne Testung der Bevölkerung. Andere Länder nutzen solche Messungen längst zur Vorhersage von Corona-Wellen, in Österreich existiert etwa seit Juli 2020 ein landesweites Messsystem, das permanent in einer „Heatmap“ im Internet Viruskonzentrationen in Städten und Regionen ausweist. Auch in Deutschland machte man sich bereits 2020 auf, solche Systeme zu entwickeln, geforscht wurde unter anderem an der TU Darmstadt, die Stadt Wiesbaden erprobte das Darmstädter Messsystem im Abwasser.

In Leipzig entwickelten die Forscher des Helmholtz-Instituts ebenfalls im Frühsommer 2020 ein Nachweissystem für Coronaviren im Abwasser, damit seien auch Vorhersagen denkbar, etwa mittels eines simplen Ampelsystems, berichtete der Leipziger Virologe René Kallies vergangenen Juni in Mainz. Feststellbar sei auch, ob von der Politik festgelegte Grenzwerte wie etwa eine Inzidenz von 35 oder 50 überschritten würden, betonte der Experte – ein Frühwarnsystem für Deutschland sei in der Vorbereitung.

Ex-Klimaschutzministerin Anne Spiegel (Grüne), heute Bundesfamilienministerin, gemeinsam mit Jeanette Wetterling, beim Besuch der Kläranlage Mainz. - Foto: gik
Ex-Klimaschutzministerin Anne Spiegel (Grüne), heute Bundesfamilienministerin, gemeinsam mit Jeanette Wetterling, beim Besuch der Kläranlage Mainz. – Foto: gik

Nur: Gekommen ist es bisher nicht, dabei betonte auch die damalige rheinland-pfälzische Klimaschutzministerin Anne Spiegel (Grüne) und heutige Bundesfamilienministerin damals bei dem Termine in der Kläranlage Mainz: „Im Abwasser kann die Virenlast mit dem Sars-CoV2-Virus festgestellt werden, damit können wir einen Beitrag leisten zur Bekämpfung der Corona-Pandemie“. Man erhoffe sich, “ein Frühwarnsystem zu etablieren”, betonte Spiegel, das könne auch nach dem Ende der Corona-Pandemie wichtige Rückschlüsse über Krankheiten in der Bevölkerung geben. Stattdessen hieß es nun aber Ende 2021 aus dem Mainzer Klimaschutzministerium: zur Fortsetzung des Projektes gebe es „keine Planungen.“

Das ärgerte die Mainzer ÖDP, die nach dem Bericht auf Mainz& eine Anfrage im Mainzer Stadtrat für diesen Mittwoch stellte: „Man hat das Projekt pompös angekündigt, und dann kommt hinten wieder nichts bei raus“, kritisierte der Mainzer ÖDP-Chef Claudius Moseler nun gegenüber Mainz&. Die Antwort der Stadt Mainz – die bereits am Vorabend der Stadtratssitzung vorliegt – stelle ihn nicht zufrieden. Denn die Mainzer Umweltdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne) verweist darin praktisch ausschließlich auf die Angaben des Klimaschutzministeriums der rheinland-pfälzischen Ampel-Koalition.

Die Kläranlage Mainz. - Foto: gik
Die Kläranlage Mainz. – Foto: gik

Es gebe „zu einer Fortführung der Messungen keine Planungen, da die Weiterentwicklung des Warnsystems durch das UFZ-Leipzig noch anstehe“, heißt es in der Antwort. Die
Entscheidung zu einem Ausbau von Messungen „wäre von Seiten der Gesundheitsverwaltung zu treffen“, die Entscheidung, wie mit dem Thema weiter umgegangen werde, liege auf Bundesebene. „Die Verwaltung macht sich einen schlanken Fuß“, kritisierte Moseler: „Mich ärgert, dass nicht einmal im Ansatz darinsteht, dass man noch einmal über so ein Projekt nachdenken will.“

Die Messungen seien ohnehin in Mainz erfolgt, hier könnten doch auch die Auswertungen mit Hilfe eines Computerp5rogramms wie in Österreich erfolgen, sagte Moseler: „In Österreich wird es professionell betrieben, ich verstehe nicht, warum das in Deutschland nicht geht.“ Gerade als Vorhersagesystem für den kommenden Herbst könnte ein solches Überwachungssystem wertvoll sein, argumentierte er weiter: „Es wird ja spekuliert, was im nächsten Herbst passiert – hier hätte man ein Frühwarnsystem, auch für andere mögliche Krankheiten.“ Sehe man, dass die Gesamtvirenlast im Abwasser wieder steige, könnte die Stadt frühzeitig Gegenmaßnahmen ergreifen, wie etwa eine Maskenpflicht, sagte Moseler.

Wünscht sich ein Corona-Frühwarnsystem für Mainz: ÖDP-Chef Claudius Moseler. - Foto: ÖDP
Wünscht sich ein Corona-Frühwarnsystem für Mainz: ÖDP-Chef Claudius Moseler. – Foto: ÖDP

Bei der Stadt heißt es hingegen: „Die Messung von viralen Partikeln im Abwasser alleine führt noch nicht zu einer Reaktion der Gesundheitsbehörden.“ Hierzu wären „weitaus kleinteiligere Untersuchungen, zum Beispiel ortsteil- und straßenbezogen, mit genauen Berechnungen der Einwohnerzahl pro untersuchter Region, erforderlich“, teilte Steinkrüger weiter mit. Zukünftig könnte sich „gegebenenfalls ein gewisser Nutzen zur Früherkennung von Infektionen in der postpandemischen Phase ergeben“, dazu sei aber eine „genauere wissenschaftliche Einordnung der Relevanz und Evidenz solcher Untersuchungen Voraussetzung.“

Moseler hält das für Ausflüchte: „Die Stadt rückt keine Zahlen für die Coronainfektionen in den einzelnen Stadtteilen raus, und jetzt auf einmal soll ein solches System für die einzelnen Stadtteile gelten“, kritisiert er. Auch in der allgemeinen Form lasse die Virenlast im Abwasser „nicht ganz unwichtige“ Rückschlüsse auf die Ausbreitung des Virus in der Bevölkerung zu, gerade auch mit Blick auf die Dunkelziffer. „Auch nach dem Ende der Corona-Pandemie könnten mit diesen Messungen wichtige Rückschlüsse über Krankheiten in der Bevölkerung ermittelt werden“, betonte Moseler: „Ich hätte mir für Mainz ein Frühwarnsystem gewünscht.“

Info& auf Mainz&: Den ausführlichen Bericht zum Messprojekt „Corona im Abwasser“ findet Ihr hier bei Mainz&, unseren Bericht über das Fazit des Projektes könnt Ihr hier bei Mainz& lesen. Weiterführende Infos findet Ihr hier beim Leipziger Helmholtz-Zentrum, wie ein Abwasser-Dashboard aussehen kann, könnt Ihr Euch hier am Beispiel von Österreich ansehen. Die Antwort der Stadt Mainz zum Thema findet Ihr im Ratssystem der Stadt Mainz.