Kommenden Samstag wollte wieder einmal eine Gruppe der selbst ernannten „Querdenker“ zu einer Kundgebung in Mainz aufrufen, rund 1.000 Personen wollten unter anderem vor dem Impfstoff-Hersteller Biontech protestieren – darunter sollten auch bekannte Redner der Szene wie etwa Teilnehmer der Reichstagspöbelei sein. Der Mainzer Innenminister Roger Lewentz (SPD) warnte nun eindringlich: Querdenker-Szene und Corona-Leugner-Proteste würden zunehmend von Rechtsextremisten und Reichsbürgern unterwandert – und die Proteste radikalisierten sich rasant und mit hoher Gewaltbereitschaft. Der Verfassungsschutz nimmt deshalb jetzt die „Querdenker“ unter die Lupe – und Lewentz forderte eine offizielle Beobachtung der gesamten AfD durch den Verfassungsschutz.

Corona-Leugner-Demo im Mai in Mainz. - Foto: gik
Corona-Leugner-Demo im Mai in Mainz. – Foto: gik

Bereits im Mai hatte Lewentz eindringlich vor den Umtrieben der sogenannten Corona-Leugner gewarnt: „Extremisten missbrauchen die Corona-Krise für ihre verfassungsfeindlichen Zwecke“, sagte Lewentz, Extremisten und fremde Nachrichtendienste wollten die Corona-Krise ausnutzen, um die Gesellschaft zu polarisieren und zu destabilisieren. Seit Mai machen Corona-Leugner und –Kritiker unter der Führung der sogenannten „Querdenker“-Bewegung auf Demonstrationen Stimmung gegen die Corona-Maßnahmen, aber zunehmend auch gegen die demokratischen Institutionen selbst.

So riefen rechtsextreme Teilnehmer der Berliner Querdenker-Demonstration Ende August zum „Sturm auf den Reichstag“ auf und schwenkten auf den Treppen des Parlamentsgebäudes die Reichskriegsflagge, ein Symbol der Reichsbürger, die den deutschen Staat ablehnen. Am 18. November hatten AfD-Abgeordnete zur Verabschiedung des Infektionsschutzgesetzes im Deutschen Bundestag Vertreter der Querdenker-Bewegung als Gäste in den Reichstag gelassen, die danach mehrere Bundestagsabgeordnete sowie Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) in den Fluren bedrängten und beschimpften.

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Warnt eindringlich vor der Radikalisierung der Querdenker-Szene: Innenminister Roger Lewentz (SPD) im Mai in Mainz. - Foto: gik
Warnt eindringlich vor der Radikalisierung der Querdenker-Szene: Innenminister Roger Lewentz (SPD) im Mai in Mainz. – Foto: gik

„Ich sehe in diesem Verhalten einen gezielten Angriff auf die parlamentarische Demokratie“, betonte Lewentz am Mittwoch in Mainz, „mit diesem Tun hat sich die Partei ein gutes Stück entlarvt.“ Lewentz kritisierte die Vorfälle scharf als „Reichstagsexzesse“, das „infame Gebaren der AfD im Bundestag“ sei ohne Beispiel in der bisherigen bundesdeutschen Geschichte. „Das sind längst keine Einzelfälle mehr, antidemokratisches Gedankengut prägt die AfD mittlerweile als Ganzes“, unterstrich der Innenminister, und forderte ausdrücklich: „Eine Ausdehnung der Beobachtung auf die Gesamtpartei muss vor dem Hintergrund der aktuellen Geschehnisse mit Priorität und Nachdruck geprüft werden“, sagte Lewentz.

Bislang stehen bundesweit die Jugendorganisation Junge Alternative sowie der rechtsextreme „Flügel“ unter Beobachtung, nicht jedoch die gesamte AfD. Lewentz betonte, nun müsse eine Beobachtung der Gesamtpartei geprüft werden, das werde er in die nächste Innenministerkonferenz Anfang Dezember tragen. „Was sich am 18. November für alle sichtbar offenbarte“, kritisierte Lewentz, „das ist derselbe Ungeist, und erinnert an die Bilder, die schon einmal den Weg in den Abgrund mit geebnet haben.“ Mit ihrem Verhalten, Einschüchterungen frei gewählter Abgeordneter den Weg zu ebnen sowie nationalsozialistische Begriffe wie „Ermächtigungsgesetz“ zu verwenden, versuche die AfD nicht nur, eine Demokratie mit der nationalsozialistischen Diktatur gleich zu setzen. „Es ist vor allem eine Verhöhnung der Menschen, die Opfer dieses damaligen Staates wurden“, fügte Lewentz mit Blick auf den millionenfachen Völkermord der Nationalsozialisten hinzu.

AfD-Vertreter sind regelmäßig auch auf „Querdenker“-Demonstrationen zu sehen. Die Bewegung sei ursprünglich eine sehr heterogene Mischung aus Protestierenden gewesen, von Familien mit Kindern über Ältere bis hin zu Gastronomen mit Existenzängsten, sagte der Chef des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes, Elmar May. Inzwischen sehe das anders aus: „Die Coronaprotestler bilden ein Sammelbecken für Rechtsextreme und Reichsbürger“, betonte May. Noch nähmen Rechtsextreme bei den Kundgebungen keine prägende Rolle ein, „aber eine Abgrenzung zur rechtsextremistischen Szene gibt es auch nicht.“

Rechtsextreme und Querdenker schwenken die Reichskriegsflagge auf den Stufen des Reichstags in Berlin. - Screenshot: gik
Rechtsextreme und Querdenker schwenken die Reichskriegsflagge auf den Stufen des Reichstags in Berlin. – Screenshot: gik

Der Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz habe derzeit etwa 50 Internetpräsenzen im Blick, bei denen es immer wieder Bezüge zum Rechtsextremismus gebe. „Wenn die Mehrheit der Bewegung explizit Themen vertritt, die gegen die freiheitliche Grundordnung gerichtet sind, dann ist das ein Weg in den Extremismus“, warnte May. Auch Innenminister Lewentz warnte ausdrücklich: „Verläuft die Entwicklung so weiter, kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich ein Extremismus neuer Art etablieren könnte.“

Auch in Rheinland-Pfalz gibt es mehrere Ableger der Querdenker-Bewegung, so unter anderem in Koblenz, Trier, Mainz und Bad Kreuznach. 113 Demonstrationen gegen Corona-Auflagen gab es in Rheinland-Pfalz seit Mai, davon wurden 33 Kundgebungen durch „Querdenker“ angemeldet. Auch in Mainz versuchten „Querdenker“ mehrfach, zu Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen zu mobilisieren, zuletzt fand eine solche am 24. Oktober am Mainzer Rheinufer statt. Am 26. September rief ein Redner der Demonstration „Corona 2020 – Ende der Gewalt – Für Einigkeit & Recht & Freiheit“ vor rund 250 Personen zur Gewalt gegen das Kanzleramt in Berlin auf – es handelte sich um einen AfD-Politiker aus Baden-Württemberg.

Kaum Abstand, keine Masken: Corona-Leugner Demo im Mai in Mainz. - Foto: gik
Kaum Abstand, keine Masken: Corona-Leugner Demo im Mai in Mainz. – Foto: gik

Die Querdenker seien „keine Organisation, die wir derzeit als komplett extremistisch einschätzen“, sagte May. Dennoch gebe es einen Trend zu mehr staats- und demokratiefeindlichen Aktionen, die Entwicklung der Szene sei sehr dynamisch. „Es macht uns ganz große Sorgen, dass da Menschen in der Radikalisierungsspirale drin sind“, sagte auch Lewentz, und nannte als Beispiel die „Querdenker“-Rednerin, die jüngst behauptete, sie sei „seit Wochen im Widerstand“. „So etwas kann dazu führen, dass die Radikalisierung sehr schnell bis zur extremsten Situation führt“, warnte Lewentz. Dann seien auch Anschläge durch Einzeltäter wie aus der Islamistenszene nicht auszuschließen.

Der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz werde deshalb die Beobachtung der Querdenker-Protestbewegung intensivieren, kündigte Lewentz an. Das Hauptaugenmerk gelte dabei der Infiltration durch Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene und des Reichsbürgerspektrums. Gleichzeitig werde die Polizei „natürlich auch weiter die Versammlungsfreiheit aller Menschen schützen“, betonte der Innenminister, Straftaten sollten aber konsequent verfolgt werden.

Post des SPD-Politikers Karl Lauterbach am 18. November zur Querdenker-Demo in Berlin. - Screenshot: gik
Post des SPD-Politikers Karl Lauterbach am 18. November zur Querdenker-Demo in Berlin. – Screenshot: gik

Allerdings hatte es genau daran jüngst scharfe Kritik gegeben, weil in Leipzig und Berlin Tausende stundenlang ohne Einhalten von Auflagen und Corona-Regeln unbehelligt durch die Straßen ziehen durften. Youtuber Rezo warf gerade in einem ausführlichen Video Staat und Polizei vor, die Corona-Leugner mit Samthandschuhen anzufassen und Verstöße viel zu wenig zu sanktionieren – während gleichzeitig gegen „linke“ Gegendemonstranten mit scharfem Wasserwerfer-Einsatz vorgegangen werde. Das ganze – sehenswerte- Rezo-Video seht Ihr hier.

Für die Polizei seien diese Versammlungen eine Herausforderung, räumte Schmitt ein: Die Polizei müsse ein Höchstmaß an Grundrechten ermöglichen und zwischen der Demonstrationsfreiheit abwägen, die Verfassungsrang besitze, und den Corona-Maßnahmen, die als gesetzliche Regeln nicht den gleichen schützenswerten Stellenwert hätten. Man übernehme deshalb in der Regel eher „eine deeskalierende, begleitende Rolle.“

Gleichzeitig aber nähmen Provokationen zu: So habe eine Demonstrantin einem Polizeibeamten ein Grablicht direkt vors Gesicht gehalten, während die Szene von mehreren anderen gefilmt wurde. „Die Bewegung versucht die Polizei einerseits in eine Gewaltfalle zu locken, andererseits werden Anweisungen gezielt ignoriert“, sagte Schmitt. Bei der gemischten Teilnehmerschaft mit Familien samt kleinen Kindern, sei „ein konsequentes Einschreiten der Polizei nur eingeschränkt durchführbar.

Für das kommende Wochenende sind landesweit allein acht Corona-Protest-Kundgebungen angemeldet, die größere Versammlung in Mainz wird aber wohl nicht stattfinden: Bei einem Gespräch bei der Stadt Mainz als Versammlungsbehörde gefielen den Organisatoren offenbar die Auflagen der Stadt so wenig, dass die Anmeldung zurückgezogen wurde. Man müsse aber befürchten, dass trotzdem Protestler kämen, sagte Schmitt: Zu der Kundgebung hätten vier aus der Querdenker-Szene bekannte Redner aufgerufen, darunter auch Attila Hildmann sowie einer der Störer vom Reichstag.

Info& auf Mainz&: Unseren ausführlichen Artikel zu Extremismus auf Corona-Demos könnt Ihr hier noch einmal nachlesen. Einen Bericht über die erste Corona-Demo in Mainz im Mai findet Ihr hier auf Mainz&.

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