Der Januar neigt sich dem Ende zu, noch zwei Wochen bis Rosenmontag – aber wo bleibt die Fastnacht? Wegen Corona-Pandemie und Lockdown sitzen die Narren zuhause fest, keine Umzüge, keine Sitzungen – es ist zum Heulen. Doch halt: Die Fastnacht findet keineswegs nicht statt – auch die Narren arbeiten aus dem Homeoffice heraus! Das Ergebnis: Fastnachtsumzüge im Kinderzimmer, innovative Fastnachts-Wa(a)gen, Orden, die keine Orden sind – und jede Menge Fastnachtsstreams.
Stell Dir vor, es ist Fastnacht, und niemand darf hingehen – was für ein Drama für die Narrenseelen. Doch halt: Eine Person darf sich doch mit einer Person treffen, dachte sich die einzige Ein-Mann-Garde von Mainz, die Meenzer Jägergarde. Und so lud Bernd Frank, seines Zeichens Feldmarschall, Präsident, Rekrutenoffizier und nun eben auch noch Corona-Beauftragter seiner Garde, fleißig zum Ordensempfang: Statt einem einzigen Ordensempfang gab Frank gleich 33 Ordensempfänge, in einem Hinterhof in Mainz, unter freiem Himmel und mit gut sechs Metern Abstand.
Kommen durften nur Einzelpersonen oder in einem Hausstand zusammen lebende Paare, es gab selbstverständlich Desinfektionsmittel und Maskenpflicht – und selbst die Ordensübergabe erfolgte kontaktlos, dank eigens erfundenem Ordensverleihungs-Gestell. „Sich einfach den Orden vom Tisch aufzuheben und sich selbst umzuhängen, das war mir zu wenig“, sagte Bernd Frank im Gespräch mit Mainz&, „es soll auch noch ein Funken Humor rausgequetscht werden.“ Als er sich im September um die Orden kümmerte, habe er noch gedacht, der Ordensempfang könne in der Gruppe stattfinden – der verschärfte Lockdown machte einen Strich durch die Planungen.
Doch aufgeben ist Franks Sache nicht: Der Erfinder der Ein-Mann-Jägergarde veranstaltete schon einen Neujahrs-Spaziergang als Symbol für den ausgefallenen Neujahrsumzug der Garden und argumentiert: Er als Ein-Mann-Garde könne schließlich die Corona-Regeln perfekt einhalten. „Lieber machen als jammern ist meine Kernaussage“, betont Frank, es gehe eben darum, Wege zu finden, die Fastnacht trotz Corona zu feiern – und sei es nur im Kleinen. „Die Zeit ist für viele sehr schwierig“, sagt Frank, es gehe ihm auch darum, mit der Fastnacht Farbtupfer und Stimmungsaufheller zu setzen, „weg vom Grau, dem Wetter, den Einschränkungen, den finanziellen Verlusten, die so mancher hat.“
Tatsächlich ist die Fastnacht an sich ja nicht abgesagt – man könne sie gar nicht absagen, sie stehe schließlich im Kalender wie Ostern und Weihnachten, argumentieren die Mainzer Narren. Und so findet die Fastnacht in diesen Wochen eben hinter Türen und im Freien statt, mit kleinen, fast schon subversiven Aktionen. Da veranstaltete die 1. Mainzer Frauengarde „Die Gardinen“ eben einen Ordensempfang aus dem Kofferraum, in den Häusern werden Weihnachtsbäume mit Orden geschmückt, stehen die Schwellköppe eben als Zugplakettcher auf dem Zimmerboard Spalier – und manch einer erhaschte an den vergangenen Sonntagen in aller Frühe einen Blick auf eine Fastnachtsfahne oder einen Schwellkopp in der Mainzer Altstadt: Der SWR drehte Musikvideos für die Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz“, die eben auch unter Coronabedingungen stattfindet.
Und apropos Orden: Die gibt es in dieser seltsamen Kampagne sehr wohl auch, und das nicht nur mit dem „Fastnachtsplakettchen“ des Mainzer Carneval-Vereins (MCV). Da gibt es selbstgebastelte Orden aus Sektkorken, den Zugenten-Orden – und beim Karneval Club Kastel den „Es gibt keinen Orden dieses Jahr“-Orden. In Drais stellte der Draiser Carneval-Club „Die Lerchen“ seinen Orden am fastnachtlich geschmückten Lerchenbub-Brunnen vor, der Orden selbst ist ein leerer Bilderrahmen in Narrenfarben – Symbol für die ausgefallene Kampagne und zugleich die Einladung, selbst zu rahmen, was man in Szene setzen möchte.
Und so erhellen immer wieder kleine, kreative Fastnachtgeschichten das Wintergrau und die Corona-Depression: Geschunkelt wird eben auf dem heimischen Sofa, das Narrengericht „Weck, Worscht und Woi am Küchentisch serviert, und die Polonaise führt einfach durch Küche und Flur – und das alles wird natürlich in den Sozialen Netzwerken geteilt, wie das Video der Tugenbolde, einer Mainzer Gesangstruppe.
Überhaupt wird das Internet in diesen Tagen zum großen Narren-Trost: In der Facebookgruppe „Mainzer Narren steh’n zusammen“ finden sich inzwischen rund 2.460 Mitglieder zum Austausch über ihre Leidenschaft zusammen. Hier werden Fastnachtssongs und Erinnerungen an Sitzungen geteilt, Fastnachtsdeko gepostet und neue Reime auf die Corona-Fastnacht – die Bütt steht eben im Wohnzimmer.
Und apropos Bütt: Praktisch alle großen Fastnachtsvereine laden inzwischen zur Sitzung in Livestream-Version. „Statt im Saal un uff de Gass heißt es heute eher zeitgemäß beim MCV ‚digital und im World Wide Web'“, der just an diesem Wochenende seine MCV-Mediathek startete: Erreichbar über die MCV-Homepage werden hier in den kommenden Wochen Fastnachts-Shows gestreamt, die erste am 7. Februar um 17.11 Uhr. Teil 2 folgt am 14. Februar, ebenfalls um 17.11 Uhr. Moderiert vom MCV-Sitzungspräsidenten Adi Guckelsberger sollen sich dann „zahlreiche MCV-Aktive ein kurzweiliges vierfarbbuntes Stelldichein“ geben, kündigt der MCV nun an: Mit dabei sind Obermessdiener Andreas Schmitt, Protokoller Patrik Henkel, Bajazz René Pschierer, Gardist Marcus Schwalbach, der Straßenmusikant Pit Rösch, „Hobbes“ Hansi Greb und natürlich die Mainzer Hofsänger.
Am 5. Februar lädt dann die Gonsenheimer Füsiliergarde zum Fastnachtsstream. Unter dem Titel „Gelock(e)t! Gardisten im Ausnahmezustand“ gibt es zwei Stunden lang spannende Gespräche mit Gardisten, Aktiven und Künstlern der Stadt, man wolle interessante Einblicke in eine der größten Mainzer Garden bieten, kündigt die Füsiliergarde an. Dazu werde es klassische Elemente der Sitzungsfastnacht geben, „vorgetragen von den Größen der Zunft“, flankiert von musikalischen Impressionen nach dem Motto „Fastnacht trifft klassische Musik“.
Eine Vielzahl an Überraschungsgästen werde sich die Ehre geben, auch ein emotionales Wiedersehen mit Ballett und Musikzug ist geplant – den Zugang zum Stream gibt es kostenlos auf der Homepage der Garde www.fg-mainz.de sowie auf Facebook und Instagram bei der Füsiliergarde.
Überhaupt gehören die Gonsenheimer zu den Pionieren der Streaming-Fastnacht: Schon im November sendete der Gonsenheimer Carneval Verein (GCV) grandiose närrische Kammerspiele via Livestream in die Narrenwelt – mit fliegenden Zeitreise-Bütts und allerlei anderem Kokolores. Am 6. Februar lädt der GCV nun zur „Streamung“, der Online-Sitzung des GCV – die legendäre „Stehung“ kann natürlich ebenfalls wegen Corona nicht stattfinden. Ab 20.15 Uhr soll es zwei Stunden lang einen Fastnachtsstream geben, der gleichwohl eine sitzungsähnliche Sendung in die heimischen Wohnzimmer bringen will – Tickets und Infos gibts über die GCV-Homepage.
Am Fastnachtswochenende selbst lädt dann der KCK zur Närrischen Online-Weinprobe (13. Februar) und ein Zusammenschluss von GCV, MCC und Mainzer Prinzengarde zur 1. großen Mainzer Stadionsitzung (14. Februar). Am Fastnachtsfreitag trifft sich Mainz zudem vor dem Fernseher zur außergewöhnlichsten aller Fernsehsitzungen – „Mainz bleibt Mainz“ kommt im Corona-Jahr anders daher und will doch „Mainz bleibt Mainz“ bleiben – mehr Infos dazu hier bei Mainz&.
Bei der Fastnacht im Homeoffice dürfen aber natürlich auch die Umzüge nicht fehlen: Da werden selbstfahrende Autos flugs zu Komiteewagen umgebaut, die Motivwagen aus Lego gebastelt – Donald Trump inklusive – und selbst der Besenwagen am Ende des Zuges wird improvisiert. In anderen Wohnzimmern stehen Motiv-Wa(a)gen, dekoriert mit Gardisten, Narrenkapp, Sektflasche und natürlich der geliebten Zugente. Beim Mainzer Narren Club fährt die Narrenkappe über die Plastik-Autobahn – mit Zugente zum Abschluss natürlich! – woanders fährt die Parade durchs Kinderzimmer, Konfettiregen und Kommentatorentribüne inklusive.
Wie das gehen kann, schreibt ein Narr: „Mir machen en Zuuch vom Keller, die Trepp‘ ennuff in die Kich, do gibts ä Wendung um de Disch wie um die Chrisduskerch uff de Kaiserstroß, enoi ins Wohnzimmer, wieder die Trepp ennuff in die Schlofschdubb, weider dorschs „Herrenzimmer“, ab in de zweide Schdock, wo sisch der Zuuch zwische „Frauezimmer“ unn‘ Abbeitszimmer ufflöse duht. Die Zuuchent(d) hot die Katz umhänge, weil die uns immer hinnerher rennt… HELAU! HELAU! HELAUUUU!“
Info& auf Mainz&: Mehr zu den Musikvideos des SWR für die Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz“ lest Ihr in dieser Mainz&-Geschichte mit Thomas Neger. Tickets für die GCV-Streamung gibt es hier auf der Homepage des GCV. Die MCV-Fastnachtsshows könnt Ihr hier im Internet buchen.