Wenn ein Deutsch-Türke Popstar in Istanbul und Fastnachtssänger in Mainz ist, und dann noch singt: „Wenn wir doch alle menschlich wär’n, wir würden doch gar nichts hier entbehr’n, drum lasst uns alle Mainzer sein“ – dann ist Gänsehaut angesagt. Es war nicht die einzige am Samstagabend beim Gonsenheimer Carneval Verein (GCV) – in einer Sitzung voller rasantem Kokolores, bissiger Politik, einem großen Stück Rockmusik und viel Meenzer Herz. Beim GCV wird Meenzer Fastnacht vom Feinsten gemacht, mit alten Recken, jungem Nachwuchs und einer tollen Balance aus moderner Fastnacht und Tradition.
Es ist, als hätten die Krisen dieser Welt den Blick und die Federn der Narren gerade noch einmal geschärft: Terrorgefahr, Flüchtlingskrise, sexuelle Gewalt in Köln, Populismus, Hetze und braunes Gerede – kaum ein Beitrag am Samstagabend blieb ohne einen Seitenhieb, eine Anmerkung, eine Randnotiz zu diesen großen Themen der Zeit. „Ich bin lieber ein Gutmensch, als ein empathieloser Wutbürger“, bekannte da etwa Sitzungspräsident Sebastian Grom, der in seiner dritten Kampagne an der Sitzungsschelle richtig locker-souverän durch den Abend führt.
Oder Erhard Grom (Vater des Sitzungspräsidenten), der voll Kokolores Hundehalter und das Verhältnis zu ihren Lieblingen glossiert – um bei den Plakaten doch glatt eines der rechten Alternative für Deutschland (AfD) zu entdecken. Was passiert? „Ein strafender Blick, dann wurd‘ gepisst“, berichtet der Hundehalter, der Hund hebt’s Bein – „und hätt‘ nicht nur gepisst, er hätt‘ druff geschisse!“
Nein, für braune Soße und rechtes Gehetze haben sie in Gonsenheim beim GCV nichts übrig, entsprechend scharf gingen die Redner mit Pegida, AfD & Co ins Gericht. „Braune Soße hilft hier nicht“, konstatierte da etwa Protokoller Martin Krawietz gleich zu Beginn, und riet den Nörglern und Hetzern: „“Statt zu motzen, packt doch an!/ Benötigt wer’n jetzt Maus und Mann/ dann erhaltet Ihr aktiv, ohne nationalen Mief/ sowohl mit Herz und auch Verstand/ unser christlich Abendland!“
Doch Krawietz geißelte auch die sexuellen Übergriffe von Köln und reimte unter viel Beifall: „Wem unser Frauenbild nicht passt,/ der wird als Mitbürger zur Last.“ Überhaupt reimte sich Krawietz in diesem Jahr stil- und schwungvoll durch ein Jahr voller Krisen und Pannen, nahm den Fußball und sein Sommermärchen ebenso aufs Korn wie die Mainzer Baustellen-Kultur, Donald Trump oder die Mainzelbahn. Und schloss: „Von Krisen heftig durchgeschüttelt, wer‘ Ihr jetzt närrisch durchgerüttelt.“
Und wie! Es war der Start in eine furiose Sitzung, gestaltet vom neuen Programmduo Christian Schier und Thomas Becker, Letzterer auch Chef der Gonsenheimer Schnorreswackler. Gut, am Anfang brauchte das Narrenschiff ein wenig Anschub – ob „1000-mal berührt“ ausgerechnet beim Ballett, in diesem Fall der Füsiliergarde, so glücklich ist nach Köln… Die Proben waren da wahrscheinlich schon abgeschlossen…
Auch Frank Brunswig und Becker selbst brauchen als Alleinunterhalter-Persiflage „Die Almerindos“ ein bisschen Anlauf, bevor der Saal zum alten „Come together“-Hit „Endlich Fastnacht!“ schmettert. In der Tat: Selten hat befreites Lachen so gut getan wie in dieser Zeit der Krisen, und für befreites Lachen gab’s genug Anlässe. Da geben Michael Emrich und Anne Felicitas Vogd ein herrlich närrisches Weintester-Duo mit Oenologischem Duett und Altstar Rudi Hube persifliert als „Geistflüsterer von Gunsenum“ die Kultur von Hotlines und Home Office echt närrisch-gunsenumerisch.
Hube hilft wirklich allem und jeden – nur bei einer versagt seine Kunst: „Wie? Keiner versteht Sie in der ganzen Stadt?“, fragte er die „Anruferin“, und die entpuppte sich als „Herrscherin aller Radarfallen“ – als Verkehrsdezernentin Katrin Eder (Grüne). Da verpuffte doch auch beim hilfreichen Geistheiler jedes Verständnis, und er rief: „Machen Sie genau so weiter – aber in Wiesbaddde!!!“ Ja, die Baustellen im Sommer haben Spuren in Mainz hinterlassen 😉
Beim GCV wird dem Volk eben aufs Maul geschaut – und das ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Und es wird mit Traditionen gespielt – und sie gebrochen, wie man Lust hat. Da steigt das Komitee nach der Pause zur Hälfte singend auf die Bühne, heizt mit der „Blauen Katz'“ eine Band à la Köln zu Sitzungsbeginn dem Saal ein – und hat das Ballett doch tatsächlich einen Mann bekommen: Christoph Seib gibt einen fabelhaften Cowboy mit klasse Tanzeinlagen im tollen GCV-Ballett!
Überhaupt die Musik: beim GCV wird sie traditionell ja ohnehin groß geschrieben, doch in diesem Jahr fächern die jungen Programmmacher das Spektrum noch ein gutes Stück weiter auf. Nach der Narrenpause für Oliver Mager fehlt dem Verein klar der Stimmungssänger, stattdessen geben nun Andreas und Matthias Bockius die „Blues Brothers“ von Gunsenum – fantastisch! Mit ihrem „Das heißt Meenzer!“ rocken sie den Saal.
„Wir haben noch gar nicht geschunkelt“, beschwerte sich da ein hoher Ehrengast in der Pause: Ex-Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) war zum ersten Mal zu Gast beim GCV und staunte über die hochmoderne Fastnacht. „Da mag man am Freitag vor Fastnacht gar nicht mehr den Fernseher einschalten“, verriet der frühere Chef des Umweltprogramms der Vereinten Nationen – wenn das die Macher von „Mainz bleibt Mainz“ hören…
Die sollten sich indes unbedingt die Schnorreswackler zu Gemüte führen: die bringen in diesem Jahr eine ganze Oper auf die Bühne, das „Opus von der verlorenen Gans“. So herrlich-närrisch war kaum ein Chor-Werk zuvor, die Schnorreswackler deklinieren in bester musikalischer Narretei Gänse-Topoi und Oper gleichermaßen durch – vom Vogelfänger Papageno über den Matrosenchor, den Jäger, der die Gans jagt, bis hin zum rettenden Ritter. Absolut fantastisch!
Und wenn dann noch das Zugentchen über die Bühne paddelt, die Herren in der Pause einander beim Pinkeln die Handys und anderes halten – die großartigste Klonummer überhaupt! – und der Saal am Ende ganz, ganz leise das „Heile Gänsche“ intoniert, dann, ja dann lässt musikalische Fastnacht wirklich gar keine Wünsche mehr offen und kein Auge mehr trocken.
Einer übrigens feierte ein grandioses Comeback: Werner Renkes, der italienische Kantinenwirt aus dem Bundestag, seziert nach einigen Jahren Pause die hohe Politik so scharf und gewürzt wie selten zuvor. Ob er Verkehrsminister Alexander Dobrindt eine „Palliativstation für Ideen“ bescheinigt, oder Angela Merkel, dass sie bei Selfies „eine Armlänge Abstand zu Flüchtlingen“ hält – Renkes rechnet gnadenlos ab.
Merkel sitze ja immer noch fest im Sattel, sage sie, berichtet der Kantinenwirt, „aber ich weiß nicht, ob sie schon gemerkt hat, dass das Pferd weg ist..“ Besonders klare Worte findet Renkes auch für den Rechtsaußen der AfD, Bernd Höcke. Der habe wohl in der Dusche an sich herunter geschaut und gemerkt, „da ist nicht so der lebensbejahende afrikanische Ausbreitungstyp“ – Erklärung für Rassismus uff echt Meenzerisch….
Nur einer kann da noch einen drauf setzen: Hans-Peter Betz alias Guddi Gutenberg. „Guck emol, die Merkel interessiert sich ja doch für Politik“, lästert der gleich zu Beginn – und brennt dann ein Feuerwerk ab von Seitenhieben auf Helmut Schmitt übers Dschungelcamp bis zu Griechenland, VW und der gefährlich gewordenen Wurst. „Auffangbecken für Durchgeknallte“, nennt der Gutenberg nur Pegida, AfD & Co. – und natürlich darf als Gegengift die Mainzer „Ode an die Freude“ des Staatstheaters nicht fehlen. „Lieber Herr Zahn“, sagt der Gutenberg an den Mainzer Polizeichef gerichtet, der bekanntlich Anzeige gegen den Theater-Gesang erstattete, „die AfD hat noch Glück gehabt: das nächste Mal kommen die Hofsänger!“
Doch auch der Guddi versteht bei Gewalt gegen Frauen keinen Spaß: „Narhallamarsch, ab enaus!“ hält er denen entgegen, „die unsere Gastfreundschaft missbrauchen“ – der Saal goutiert’s mit langem Applaus. Und ganz leis‘ schließt der Gutenberg am Ende mit einem Gruß an Paris, der zu Herzen geht – mehr verraten wir hier nicht, das wird sicher ein Fall für die Fernsehsitzung.
Ob die in diesem Jahr wieder Besuch bekommt von Martin Heininger und Christian Schier? Das geniale Duo muss eigentlich fast schon nichts mehr tun, als sich auf die Bühne zu stellen und ein paar dumme Sprüche zu machen – und der Saal hält sich die Bäuche und lacht Tränen. Die beiden nehmen sich in diesem Jahr die Marketingbranche vor und schaffen es allen Ernstes, sich selbst noch zu toppen – unfassbar. Ob „Sassa Comfort“, „I don’t kehr“ oder das völlig geniale „Tell me why I dont’t like Handkäs'“ – der Saal tobt, steht auf den Stühlen, und eine Zugabe reicht bei Weitem nicht aus. Ob das aber am Fernsehschirm überhaupt einer verstehen kann?
Einer aber müsste in diesem Jahr in jedem Fall auf die närrische Bühne von „Mainz bleibt Mainz“ – endlich. Ercan Demirel ist ja schon so lange fester Bestandteil beim GCV, dass Grom ihn süffisant „unseren rheinhessischen Integrationsbeauftragten“ nennt. Doch nicht nur, dass Demirel – in der Türkei ein echter Popstar – mit seinem Integrationssong „Labersack und Labbeduddel“ einen echten Fastnachtshit gelandet hat.
Auf einmal packt der Ercan seine Gitarre aus und singt im Liedermacher-Stil: „Ein Fremder ist nie lange fremd, und wer da meint, das Haus ist voll und keiner darf da rein – der kann im Herzen, kein echter Meenzer sein.“ Unversehens klingt da eine richtige Hymne im Raum, ein leises und doch ganz lautes Bekenntnis zu Menschlichkeit und Mainzer Herz – sensationell!
Beim GCV liegen eben Politik und Kokolores, Herz und Humor ganz nah beieinander – so wird große Fastnacht in echter Meenzer Tradition gemacht! „Mainz ist Mainz, und Deins und Seins“, singt Demirel zum Finale dann noch: „Wohl dem, der eine solche Stadt im Herzen lieb gewonnen hat.“
Info& auf Mainz&: Ausnahmsweise können wir Euch mal sagen: Wer die GCV-Sitzung noch schnell erleben will – es gibt noch Karten! Der GCV hat in diesem Jahr eine Sondersitzung am Donnerstag im Programm, und für den 21. Januar um 19.11 Uhr gibt es noch einige wenige Karten… Bestellen könnt Ihr die unter info@gcv-mainz.de, Infos dazu hier.
Unsere Fotogalerie: Die Sitzung zum Durchklicken!