Nach zwei Jahren Corona-Einschränkungen ist es nun so weit: Das Open Ohr-Festival in Mainz ist zurück. An Pfingsten wird sich endlich wieder auf der Mainzer Zitadelle zum Diskutieren und Feiern getroffen, das Thema ist indes ein ungewöhnliches: „Gegensteuern“ lautet kurz und bündig das Motto des 48. Open Ohrs. Vier Tage lang will sich das Festival dem Thema „Steuern“ widmen, doch inhaltlich geht es dabei um viel mehr als nur die Steuererklärung – es geht um Gerechtigkeit und Umverteilung, um Staatsverantwortung und Gestaltung der Gesellschaft.

Der Erfolg des Corona-Impfstoffs bedeutet auch eine kräftige Spritze für die Mainzer Stadtkasse: Die Steuern sprudeln. - Foto: MCV/Sascha Kopp
Der Erfolg des Corona-Impfstoffs bedeutet auch eine kräftige Spritze für die Mainzer Stadtkasse: Die Steuern sprudeln. – Foto: MCV/Sascha Kopp

Das Thema ist hochaktuell, hat die Corona-Pandemie der Stadt Mainz doch gerade einen wahren Geldregen beschert: Der Erfolg des Corona-Impfstoff-Herstellers Biontech spülte mehr als eine Milliarde Euro in die Mainzer Stadtkasse. Seither stehen die städtischen Verantwortlichen vor dem Luxusproblem: Wie die Millionen verteilen, so dass sie der Stadt zugute kommen, aber auch gerecht und klug ausgegeben werden?

Die Stadtspitze kündigte umgehend an, die Gewerbesteuer für Mainzer Unternehmen zu senken, Mitte Mai dieses Jahres legten Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) und Finanzdezernent Günter Beck (Grüne) dann erste Ideen für Investitionen vor – darunter Ausgaben für E-Busse, ein 365-Euro-Schülertricket sowie Gelder für Sport, Schwimmbäder, Jugend und Kultur.

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Aber was ist gerecht bei der Verteilung von Staatsgeldern, die ja eigentlich die Gelder der Bürger und Unternehmen sind, die sie generiert und gezahlt haben? Sind die ausgelobten Mehrwert-Steuern wirklich gerecht und bringen mehr Wert für den Staat oder seine Bürger? Wie gut kann der Staat mit Hilfe von Steuern das verhalten seiner Bürger steuern – und sollte er das überhaupt? „Stifte raus, Steuererklärung auf den Tisch – jetzt wird
abgerechnet!“, heißt es am kommenden Wochenende beim Open Ohr: „Wir zerlegen die komplexen Steuern in ihre (un)gerechten Einzelteile und legen den Finger in die blutende Finanzwunde.“

Plakat des 48. Open Ohr-Festivals zum Thema "Gegensteuern". - Grafik: Open Ohr
Plakat des 48. Open Ohr-Festivals zum Thema „Gegensteuern“. – Grafik: Open Ohr

„Die Bundestagswahl hat gezeigt, dass Steuerpolitik für viele, nicht zuletzt auch für jüngere Wähler eine wichtige Rolle spielt“, betonte die Freie Projektgruppe bei der Vorstellung des Themas. Die Relevanz des Themas „Steuern“ zeige sich nicht zuletzt in der Debatte um Maßnahmen für den Klimaschutz und der Tatsache, dass weiterhin Steuergelder in umweltschädliche Subventionen flössen. „Steuern haben eine enorme Wirkung auf die Gesellschaft, in der wir leben“, sagte Maximilian Ebert: „Wir möchten aufzeigen, dass sie ein zentrales Instrument sein können, um unsere Zukunft und die der ganzen Welt zu gestalten.“

Denn natürlich steckt hinter dem Konzept der Steuer die Idee einer solidarischen Gesellschaft, in der alle zum Allgemeinwohl beitragen – und die eingenommenen Gelder „durch das Prinzip der Umverteilung letztlich wieder allen zu Gute kommen.“ Doch das Steuer-System (nicht nur) in Deutschland ist längst in Schieflage, die Steuerlast im Lande beileibe nicht auf alle Schultern gleich verteilt – Wohlhabende etwa sind steuerlich deutlich im Vorteil. Und für Ärger sorgt immer wieder auch, dass internationale Konzerne wie Amazon, Google & Co Weltmeister darin sind, Steuern zu vermeiden.

 

„Gemeinsam mit dem Publikum möchte die Freie Projektgruppe des Open Ohr-Festivals das Steuersystem kritisch betrachten, den Sinn und die Wahrnehmung von Steuern beleuchten und darüber diskutieren, wie ein faires System der Umverteilung für alle erreicht werden kann“, heißt es in der Vorankündigung. Zum Eröffnungspodium am Samstag um 11.00 Uhr geben sich denn auch verschiedene wissenschaftliche Experten sowie Ex-Staatssekretär Salvatore Barbaro die Ehre, Impulsvorträge sollen einen Einstieg ins Thema ebnen.

Eröffnungspodium beim Open Ohr 2017 auf der Bühne am Drususstein. Foto: gik
Eröffnungspodium beim Open Ohr 2017 auf der Bühne am Drususstein. Foto: gik

Um die Diskriminierung von Frauen im Steuerrecht, um steuerlich-geförderte Familienbilder sowie die Altersarmut von Frauen geht es am Samstagmittag beim Podium „Zeit, dass Man(n) gegensteuert“ mit Steuerrechtsexperten und der politischen Ökonomin Christine Rudolf.  Am Nachmittag widmet sich ein weiteres Podium dem Thema „Steueroasen und andere Fata Morganen“, am Sonntag widmet sich ein ganzes Podium dem Thema „Cum Ex – Steuerbetrug und seine Folgen“.

Umweltschutz, Fairteilung, Anders Teilen – Fragen zu Umverteilung

Umweltschutz, Fairteilung und der Frage nach einem einfacheren und gerechteren Steuersystem widmen sich am Sonntag und Montag weitere Podien – und dem spannenden Thema „Anders teilen: anders wirtschaften“ widmet sich eine Lesung samt Diskussion des Kölner Wirtschaftsethnologen und Afrikanisten Professor Thomas Widlok am, Sonntag um 17.30 Uhr. Dazwischen fragt das Planspiel „Welche Steuern würdest Du erheben?“ einfach mal die Festivalbesucher nach ihren Vorstellungen und Ansätzen. Und ganz praktisch gibt es in einem Workshop Steuertipps für Kulturschaffende.

 

Aber natürlich wird an den vier Tagen nicht nur gedacht und gegrübelt – endlich kann auch wieder live und in Präsenz gefeiert werden. Nachdem das Open Ohr erst 2020 ganz ausfallen musste, und dann 2021 nur als Livestream-Event stattfand, gibt es nun das ersehnte Wiedersehen – und das sogar in einer Zeit, in der die Corona-Pandemie scheinbar keine Rolle mehr spielt. Das Festivalthema „Gegensteuern“ wird sich wie immer auch in den Kulturbeiträgen widerspiegeln – etwa in Workshops, Quizz, Filmprogramm oder in den Theateraufführungen wie etwa „Der Fiskus“ von der Landesbühne Nord.

Kabarett, Führungen durch Unterwelt und Römisches Theater

Abtanzen gehört beim Open Ohr ebenfalls dazu - hier Grand East beim Festival 2019. - Foto: gik
Abtanzen gehört beim Open Ohr ebenfalls dazu – hier Grand East beim Festival 2019. – Foto: gik

Und sicher werden sich auch die Kabarettisten das Thema nicht entgehen lassen, angesagt haben sich Micha Marx und Quichotte, Erika Ratcliffe sowie Lara Ermer und Jakob Schwerdtfeger. Und sogar das Musikprogramm dreht sich um das Thema Geld und Steuern: Das Open Ohr gibt in diesem Jahr besonders vielen jungen Bands eine Bühne, die es in der Corona-Pandemie besonders schwer hatten, weil Auftritte und Gelder einfach wegfielen. „Wir freuen und sehr, dass wir mit TYNA, Vielleicht Emma, Guacáyo, UMME BLOCK, Sperling und Von Flocken besonders vielen jungen Bands eine Bühne bieten können“, heißt es im Programmheft.

Wer einmal vom Finanz-Thema abschweifen will, kann zudem in die Unterwelt abtauchen – bei Führungen „Zitadelle von unten“ kann man die unterirdischen Gänge unter der Zitadelle erleben. Eine Exkursion führt auch durch s Biotop Zitadellengraben, und am Samstag gibt es um 13.00 Uhr und um 15.00 Uhr Führungen durch das Römische Bühnentheater, das zu Füßen der Zitadelle im Hang liegt. Archäologe Daniel Geißler gibt dabei Einblicke in die Geschichte, Bedeutung und Architektur des Monuments, das um 310 nach Christus gebaut wurde und einst das größte römische Bühnentheater nördlich der Alpen war.

 

Ragglyf eröffnet mit Afrobeats

Als lokale Band wird RAGGLYF am Freitag das Festival musikalisch eröffnen, die elfköpfige Band wurde 2016 vom ghanaischen Musiker K’Daanso in Mainz gegründet und bietet eine mit Sicherheit mitreißende Synthese aus Reggae, Dancehall und den unverwechselbaren Klängen des Afrobeats. Danach spielt Tyna, gefolgt von „Loisach Marci“, die ziemlich einzigartig einen Sound irgendwo zwischen bayerischem Landler, Hip-Hop, Blues und Elektrobeat kreieren – so jedenfalls die Vorankündigung.

Das Open Ohr at it's best: Party am Drususstein bei Stereo Dynamite - Foto: gik
Das Open Ohr at it’s best: Party am Drususstein bei Stereo Dynamite – Foto: gik

Wer sonst noch auf der Bühne steht und dem Festivalpublikum einheizt, kann man hier beim Open Ohr im Internet genau nachlesen. Die Karten kosten in diesem Jahr 47,20 Euro für eine Dauerkarte im Vorverkauf oder 52,- Euro an der Tageskasse. Tageskarten sind für 30,- Euro zu haben, wobei es hier sein kann, dass man je nach Befüllung des Festivalgeländes leer ausgeht. Es gibt umfangreiche Ermäßigungen, das Eintrittsbändchen gilt zudem als Fahrkarte im Öffentlichen Nahverkehr.

Info& auf Mainz&: Das 48. Open Ohr Festival findet vom 3. bis 6. Juni 2022 auf der Zitadelle in Mainz statt, alle Infos zu Programm, Tickets und sonstigen Fragen findet Ihr hier im Internet. Mehr zum Thema Investitionen in Mainz aus dem Milliarden-Segen könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen:

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