Er war einer der Helfer der ersten Stunde, und er wurde zum Dokumentator, dann zum Organisator und schließlich zum „Schwarzen Brett des Ahrtals“: Markus Wipperfürth, Landwirt aus der Nähe von Köln, ist an diesem Freitag als Zeuge im Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags zur Flutkatastrophe im Ahrtal geladen. Seine Aussagen werden mit Spannung erwartet, denn Wipperfürth berichtete live und ungeschönt mit zahllosen Videos aus dem Ahrtal. Und die dokumentieren: Der Staat als Organisator und Koordinator war in den ersten Tagen nach der Flut schlicht nicht präsent. Mainz& berichtet über die Erlebnisse des Landwirts, verarbeitet in seinem Buch: „Wegen Dir bin ich hier.“

Foto eines völlig zerstörten Hauses im Ahrtal am Tag nach der Flutkatastrophe. - Foto: Wipperfürth
Foto eines völlig zerstörten Hauses im Ahrtal am Tag nach der Flutkatastrophe. – Foto: Wipperfürth

Es ist die „Phase drei“ im Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal, nach „Phase eins“ – den Tagen vor der Flut – und „Phase zwei“, der Flutkatastrophe selbst. Im Dezember 2022 begann der Ausschuss bereits, sich der Frage zu widmen: Wie lief die Hilfe danach an? Waren staatliche Stellen in der Lage, die Katastrophe zu managen, zu bewältigen und die Hilfe zu steuern?

Fragt man Markus Wipperfürth, lautet die klare Antwort: nein. Tagelang wunderte sich der Landwirt öffentlich und in diversen Videos, dass er im Ahrtal keinen Ansprechpartner findet, keinen „Offiziellen“, der informiert, Hilfe einteilt, koordiniert. „Offizielle Hilfskräfte, mit denen wir felsenfest gerechnet hatten, Unterstützung, eine Ablösung oder wenigstens eine Versorgung mit Frischwasser, Dixis oder Duschen sollte uns in Walporzheim in den ersten paar Tagen nicht erreichen – zumindest nicht von staatlicher Seite“, schreibt Wipperfürth in seinen im Oktober 2022 veröffentlichten Memoiren.

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„Ein bisschen Schlamm schippen, Zufahrtswege räumen“

Es ist der 15. Juli 2021, als Wipperfürth, Landwirt und Lohnunternehmer aus Pulheim bei Köln, im Ahrtal aufschlägt. Wipperfürth hat in den Tagen vor der Flut Wetterberichte und Wetterwarnungen verfolgt. Er leitet einen Hof bei Pulheim, leistet Ernteeinsätze und baut Reitanlagen, seine eigenen Anlagen muss er am 14. Juli ebenfalls gegen Starkregen und Überschwemmungen sichern. Als Wipperfürth mitbekommt, dass sich im Ahrtal eine Katastrophe ereignet hat, schnappt er sich am Morgen des 15. Juli einen Traktor samt Erdmuldencontainer-Anhänger und fährt ins Ahrtal.

Markus Wipperfürth mit Traktor und Ladeanhänger im Ahrtal - Foto Wipperfürth
Markus Wipperfürth mit Traktor und Ladeanhänger im Ahrtal. – Foto Wipperfürth

„Meine Vorstellung: Ein bisschen Schlamm schippen, helfen, Zufahrtswege räumen, damit die Rettungskräfte zu Menschen und Häusern kommen. Schon am Abend will ich wieder zu Hause sein.“ So schreibt Wipperfürth es in seinen Memoiren, die im Oktober 2022 unter dem Titel „Wegen Dir bin ich hier“ erscheinen. Da ist aus dem Landwirt längst ein Social Media-Phänomen geworden, ein Influencer der besonderen Sorte – verehrt wie ein Held von den einen, gehasst und angefeindet von anderen.

Wipperfürth und sein Freund Wilhelm Hartmann aus Fulda gehören zu den ersten, die im Ahrtal eintreffen. Fassungslos stehen die Männer vor unglaublichen Verwüstungen, vor Bergen von Schutt aus Tanks, Autos und Unmengen von Holz. Ganze Straßen sind mit den Schuttbergen angefüllt. Weinfässer thronen auf Wänden aus Holz, Kühlschränken, Autos, Hausrat. Aus Motorhauben wachsen Bäume, Autos stapeln sich in Vorgärten, Straßen sind wegen meterhohem Schlamm unpassierbar. Und über allem liegt ein süßlicher Verwesungsgestank.

„Wegen Dir bin ich hier“ wurde ein multimediales Tagebuch

Minutiös beschreibt Wipperfürth die Szenerie der ersten Stunden in seinem Buch, unbegreifliche Szenen: „Meine Augen nehmen absurde Szenarien auf, nichts macht mehr Sinn, alles dreht sich.“ Die gesamte Infrastruktur im Ahrtal, sie ist komplett zerstört. Straße, Schienen, Brücken, alles weggerissen durch die Flut. In den Orten – in Wipperfürths Fall in Walporzheim – gibt es keinen Strom und kein fließendes Wasser mehr. Totenstille liegt über dem Ort, die Menschen trauen sich nur langsam aus ihren Häusern – zutiefst traumatisiert von einer Horrornacht.

Tagebuch eines historischen Einsatzes: "Wegen Dir bin ich hier" heißt das Buch von Markus Wipperfürth. - Foto: Wipperfürth
Tagebuch eines historischen Einsatzes: „Wegen Dir bin ich hier“ heißt das Buch von Markus Wipperfürth. – Foto: Wipperfürth

Die Apokalypse nach der Ahrflut – in Wipperfürths Buch wird sie wieder lebendig. Das liegt nicht nur am sehr persönlich gehaltenen Text der Erinnerungen, sondern an den Videos: Gemeinsam mit der Journalistin Sandra Fischer hat Wipperfürth ein multimediales Tagebuch kreiert, denn in den Text sind QR-Codes eingefügt – und die führen unmittelbar zu den Videos, die Wipperfürth damals aus dem Ahrtal streamte.

Der Agrar-Ingenieur aus der Eifel ist Landwirt mit Leib und Seele, schon vor der Ahrflut hatte er begonnen, auf seinem Facebook-Account Videos zu posten. Sein Ziel: Zeigen, wie Landwirte arbeiten, die aus seiner Sicht zu Unrecht als „Sündenbock“ angeprangerte Landwirtschaft rehabilitieren. Wipperfürth ist auch Teil von „Land schafft Verbindung“, jener Bewegung, die ab 2019 große Demos in Gang setzt. Sich selbst beschreibt er indes als unpolitisch und keiner Partei zugehörig.

„Wippi TV“ live aus dem Ahrtal

Im Ahrtal beginnt Wipperfürth schnell, ebenfalls Videos zu machen. Seine Followerschaft auf Facebook ist da bereits sechsstellig, nun nutzt Wipperfürth seine Reichweite, um Hilfeersuchen zu streamen. „Bitte, bitte, bitte, kommt einfach zum Helfen“, appelliert er an seine Community – und tritt eine Welle ungeahnten Ausmaßes los. Hunderte, nein Tausende kommen in den nächsten Tagen und Wochen als freiwillige Helfer ins Ahrtal, viele davon wegen Wipperfürths Videos – „Wippi TV“ wird zum Markenzeichen.

Verwüstungen in Walporzheim am Tag 1 nach der Flutkatastrophe. - Foto: Wipperfürth
Verwüstungen in Walporzheim am Tag 1 nach der Flutkatastrophe. – Foto: Wipperfürth

Denn der Landwirt zieht mit seinem Handy durch die Straßen im Ahrtal, und filmt, was ihm vor die Linse kommt. Ungeschminkt und ungefiltert transportiert er die volle Wucht der Katastrophe in die Welt, spricht mit Anwohnern und Überlebenden, beschreibt Probleme – und die ganze Dramatik der Lage. Und immer wieder wirft Wipperfürth dabei die Frage auf: Wo ist eigentlich „der Staat“, wo sind „die Offiziellen“ – wo ist das Krisenmanagement? Erst fünf Tage nach der Katastrophe sei er dem ersten „Offiziellen“, wie er sie nennt, begegnet, sagt Wipperfürth.

Der Landwirt ist beileibe nicht der einzige, dem das so geht: Auch die Autorin dieser Zeilen erlebte am 20. Juli, dem Tag sechs nach der Katastrophe ein Ahrtal, in dem der Staat vor Abwesenheit glänzte. In Dernau, Bad Neuenahr und anderswo, überall waren schwere Maschinen und Traktoren unterwegs, sie kamen von Landwirten und Bauunternehmern, und sie räumten, was das Zeug hielt. Nicht zu sehen indes waren staatliche Stellen, THW, Feuerwehr, Rettungsdienste – sie fielen auf, weil ihre Wagen an Straßenkreuzungen parkten. Nachlesen kann man die Erfahrungen in der Mainz&-Kolumne „Die Apokalypse im Ahrtal und das Ende des Staatswesens„, sie stammt vom 21. Juli 2021.

 

Der Staat? Abwesend, heillos überfordert

Der Staat erwies sich in den ersten Tagen nach der Katastrophe als heillos überfordert. Inzwischen ist klar: Die eigentlich zuständige Dienstaufsicht ADD samt ihrem Präsidenten Thomas Linnertz hatte in den ersten Tagen keinerlei Überblick über die Lage im Ahrtal. Die Bürgermeister und Rettungskräfte in den Orten mussten sich zumeist selbst helfen, eine Koordination der Hilfe suchte man in den ersten Tagen vergeblich. Bei Wipperfürth macht sich das vor allem am Mangel an Toiletten fest: Noch nach drei Tagen richtet er flehentliche Appelle an die Politik, doch wenigstens mal ein Dixie-Klo vorbei zu schicken.

Hunderte Helfer von THW und DRK Helfer warteten am 20.07,2021 am Nürburgring auf ihren Einsatz im Ahrtal. - Foto: Badisches Rotes Kreuz Tobias Pieper
Hunderte Helfer von THW und DRK Helfer warteten am 20.07,2021 am Nürburgring auf ihren Einsatz im Ahrtal. – Foto: Badisches Rotes Kreuz Tobias Pieper

„Noch immer denkt ein Teil von mir, dass jede Sekunde die ‚echten‘ Entscheidungsträger um die Ecke biegen und das Kommando übernehmen, ich mich als Traktorist in die Arbeiterriege einfügen kann. Doch der andere Teil hat begriffen: Niemand kommt, wir sind auf uns allein gestellt, vergessen worden, obwohl doch bekannt ist, wohin wir als rein unterstützende Arbeitskräfte geschickt wurden“, so beschreibt Wipperfürth es in seinem Buch.

Währenddessen warten am Nürburgring Hunderte von Einsatzkräften verzweifelt darauf, helfen zu dürfen, werden Einsatzkräfte sogar wieder nachhause geschickt oder ihre Hilfsangebote sogar abgelehnt – es gibt Dutzende Augenzeugenberichte von Helfern von THW, und Feuerwehren aus dem ganzen Bundesgebiet dazu. „Später sollten Geschichten von voll einsatzfähigen Einheiten, die mangels Einsatzbefehl tagelang zur Tatenlosigkeit verdammt waren, und Einsatzkräften, die nach solch frustrierenden Erlebnissen abends in Zivilkleidung tatkräftig mit anpackten, die Runde machen“, schreibt Wipperfürth.

 

Wipperfürth liefert Live-Einblicke in die Katastrophe im Ahrtal

Doch einer ist präsent, und wie: Wipperfürth streamt und postet ein Video nach dem anderen. Er liefert quasi Live-Berichte aus dem Ahrtal, etwas, was keines der professionellen Medien schafft. In seinem Buch behauptet Wipperfürth, „die Medien“ hätten gar nicht berichtet, hätten „verschwiegen, dass die Bauern hier die Hauptarbeit machen“, hätten kein Interesse an ungeschönter Berichterstattung, spricht von „Mainstream-Medien“ – einem Narrativ, das vor allem von Rechten geprägt wird. „Irgendwann muss doch mal jemand auf dieses Thema aufspringen, sich ausführlich damit beschäftigen“, klagt er mit Blick auf die Medien.

Bagger und Traktoren von Landwirten in Dernau am 20. Juli 2021. - Foto: gik
Bagger und Traktoren von Landwirten in Dernau am 20. Juli 2021. – Foto: gik

Wipperfürth liegt falsch: Alle Medien bundesweit (und sogar international) berichten von der Flutkatastrophe, von dem gigantischen Ausmaß der Schäden, und das von Tag eins an – oft ungeschminkt und ausführlich. Es gibt Sondersendungen auf allen Kanälen, die „Rhein-Zeitung“ räumt jeden Tag vier bis sechs Seiten frei, um nur über die Katastrophe zu berichten, ausführlich, in voller Dimension. Am 26. Juli 2021 berichtete die Autorin dieser Zeilen persönlich in der Rhein-Zeitung, wie Landwirte und Lohnunternehmer vom Tag eins an im Ahrtal anpackten, aufräumten, halfen – trotz Ernte, unentgeltlich, selbstverständlich. Als Schaltstelle der Hilfe nennt der Artikel mit der Überschrift „Sie kamen mit ihren Traktoren und Hängern“ niemand anderen als Markus Wipperfürth.

Im Tal selbst kriegt man davon offenbar nichts mit. Strom und Internet sind zusammengebrochen, die Helfer ackern 20 Stunden und mehr pro Tag. Es ist eine eigene Welt, dieses Ahrtal, ein Paralleluniversum in diesen Tagen, vor dem alles andere versinkt, geradezu irreal wird – und das einen auch dann nicht loslässt, wenn man schon gar nicht mehr im Tal selbst unterwegs ist. Zu groß ist die Wucht der unfassbaren Eindrücke, zu gigantisch die Apokalypse, die sich dort abspielt. Wer dort stand, wer das gesehen hat – den lässt es nie mehr los. Man muss einfach helfen, man kann gar nicht anders.

 

Dokumentator, Organisator, Social Media Dominator

Wipperfürth hat das Ahrtal fest in seinen Händen. Auf einmal hagelt es Anrufe, bis zu 400 Anrufe pro Tag, er sieht sich unversehens in die Rolle des Koordinators gedrängt: Wo fehlen noch welche Maschinen? Wer braucht wo Unterstützung? Wipperfürth berichtet: In kurzen Videos liefert er Updates über die Hilfeersuchen, die ihn erreichen. Er dirigiert Maschinen zu Einsatzorten, klärt, wo die Landwirte Benzin herbekommen, startet schließlich Aufrufe für Arbeitsschuhe, Handschuhe, Wassertanks.

Markus Wipperfürth in einem seiner Videos auf seinem Traktor im Ahrtal. - Screenshot: gik
Markus Wipperfürth in einem seiner Videos auf seinem Traktor im Ahrtal. – Screenshot: gik

Und seine Community liefert: Nur Stunden nach einem Aufruf stehen Helfer mit den gewünschten Sachen im Tal – als Spenden versteht sich. Wenn Wipperfürth berichtet, dass die Traktoren sich ständig Nägel eingefahren, und es Reifendienste braucht, setzen sich Experten für Radreparatur aus allen Teilen Deutschlands in Bewegung, und stehen am nächsten Tag im Ahrtal. „Eine ganze Bewegung haben wir in Gang gesetzt“, resümiert Wipperfürth ein Jahr später: „Das Digitale wird plötzlich 3D, aus Social Media wird Social Machen.“

Seine Reichweite wächst ins schier Unendliche: Manche Posts erreichen knapp 16 Millionen Aufrufe, seine Videos würden „von knapp 67 Millionen Menschen angeschaut“, bilanziert Wipperfürth ins einem Buch: „Meine ungeschönten, ungeschnittenen Berichte kommen gut an, die Leute sehnen sich nach Authentizität, wollen wissen, wie die Lage im größten deutschen Katastrophengebiet wirklich ist.“ Doch die ungefilterten Berichte bergen auch Probleme: So verbreitet Wipperfürth eben immer wieder auch Gerüchte von vor Ort, die sich im Nachhinein als völlig falsch erweisen – manche dieser Erzählungen halten sich hartnäckig bis heute.

Die Einsamkeit der Helfer: „Hier ist ja keiner außer uns…“

Die Politik reagiert überfordert, vor allem auch von den gigantischen Helferströmen: Die Tausenden freiwilligen Helfer, die ins Ahrtal kommen – sie sind in der Katastrophenbewältigung überhaupt nicht vorgesehen. Es gibt keine Konzepte, solche Ersthelfer einzubinden, bestätigen Experten gegenüber Journalisten, erst Recht nicht in diesen Mengen. Ein riesiger Fehler, denn es sind die Freiwilligen, die mit Eimern und Schaufeln in den kommenden Wochen das Ahrtal vom allgegenwärtigen Schlamm befreien, Häuser räumen, Putz abschlagen, Existenzen retten.

Bagger in Dernau an der Ahr am 20. Juli 2021. - Foto: gik
Bagger in Dernau an der Ahr am 20. Juli 2021. – Foto: gik

Die Landwirte aber stellen fest: Sie sind gekommen, um zu bleiben. „Hier ist ja keiner außer uns“, so heißt es wieder und wieder: „Wenn wir hier nicht anpacken – dann tut es ja keiner.“ Mit „uns“ sind derweil alle gemeint, die mithelfen, die vor Ort anpacken, das führt zu Irritationen: Wipperfürth wird vorgeworfen, er inszeniere nur sich selbst, spiele sich in den Vordergrund, wolle sich gar „bereichern“. Der Landwirt hat das stets und unmissverständlich zurückgewiesen.

„Keine einzige Arbeitsstunde berechne ich für meine eigene monatelange Arbeit im Ahrtal, lediglich einen Teil der reinen Selbstkosten für vier meiner Maschinen“, schreibt Wipperfürth nun in seinem Buch. Er habe sogar noch zwei zusätzliche Mitarbeiter eingestellt, die sich vor Ort vor allem um die unversicherten Flutopfer gekümmert hätten. Er habe Werbung auf Facebook geschaltet und damit Spenden für die Betroffenen im Ahrtal gesammelt, Maschinen angeschafft, die T-Shirt-Aktion „Zusammenheld“ zugunsten des Ahrtals ins Leben gerufen, sagt Wipperfürth: „Statt mit vollen Taschen von dannen zu ziehen, habe ich summa summarum noch draufbezahlt und rund 800.000 Euro durch zahlreiche Aktionen ins Ahrtal gebracht.“

„Ich kann an der Aktion hier Pleite gehen“

Doch die Landwirte und Unternehmer, die vor Ort sind, können rechnen – und sie müssen es auch. Jeder von ihnen hat im Kopf, was seine Maschinen kosten, was die Arbeitsstunden, und was der Verschleiß. Während sie hier im Ahrtal helfen, bleibt zuhause die Arbeit liegen – und das kostet Zehntausende an Euro Umsatzeinbußen. Wozu das führt, beschreibt Wipperfürth am Beispiel des Saarländer Bauunternehmers Marcus Zintel, auch er ist am Freitag im Untersuchungsausschuss als Zeuge geladen.

Bauunternehmer Marcus Zintel reiste eigens mit großen Spezialmaschinen aus dem Saarland an. - Video: Wipperfürth, Screenshot: gik
Bauunternehmer Marcus Zintel reiste eigens mit großen Spezialmaschinen aus dem Saarland an. – Video: Wipperfürth, Screenshot: gik

„Ich bin eine kleine Firma, wir können das hier nicht ewig vorfinanzieren“, sagt Zintel, der tagelang mit seinem Team durcharbeitete, weil sie die völlig zerstörte Bundesstraße entlang der Ahr zu reparieren versuchen. Die gigantische Welle der Flutnacht hat hier einen gähnenden Krater hinterlassen, die nächsten Orte Marienthal und Dernau sind entlang des Ahrtals nicht mehr zu erreichen. Zintel weiß, wie man Straßen baut, er holt sich eine formlose Zusage eines Bürgermeisters und legt los. Die 12.000 Euro, die ihn Maschinen und Personal pro Tag kosten, finanziert er aus eigener Tasche.

„Drei Tage kann er das leisten, keinen Tag länger“, schreibt Wipperfürth, und berichtet, wie Zintel Alarm schlägt: „Sorry, ich kann an der Aktion hier pleitegehen.“ Es ist nicht das letzte mal, dass deutsche Behördenbürokratie auf Unternehmertum im Ahrtal frontal zusammentrifft – immer wieder geht die Konfrontation schief. „Ich bin geladen. Kann nicht verstehen, mit welch bodenloser Ignoranz und Unfähigkeit unser funktionierendes System unterlaufen, ja geradezu torpediert wird“, schimpft Wipperfürth – man wolle doch nur seine Unkosten ersetzt haben: „Während wir im Tal der Tränen die Drecksarbeit machen, warten wir sehnlichst auf ein Zeichen von oben, eine Richtung, einen Wegweiser, einen Offiziellen, der jetzt endlich mal die Verantwortung übernimmt – oder zumindest unsere Unkosten.“

 

„Den Hügel der Ahnungslosen, so nennen wir den Sitz der ADD“

Auch Zintel pocht auf eine Kostenzusage, die Behörden mauern – die Landwirte und Unternehmer fühlen sich brüskiert, ihr Einsatz nicht gewürdigt, unerwünscht. Erst, als seine Maschinen schon verladen sind, kommt die erlösende Zusage. Wipperfürth beschreibt das so: „In einer spektakulär-filmreifen Wendung werden Zintels Maschinen kurz vor der Verladung gestoppt. Mehrere private Anrufer hatten Kostenübernahmen zugesagt, auch das  Ministerium ist jetzt – in der elften Stunde – wohl endlich eingeschaltet.“ Der Ausschuss dürfte dazu am Freitag einige Fragen haben.

ADD-Präsident Thomas Linnertz vor dem Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Landtag. - Foto: gik
ADD-Präsident Thomas Linnertz vor dem Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Landtag. – Foto: gik

Der Ton wird in den Wochen danach schärfer, immer wieder regt sich Wipperfürth über „Kompetenzgerangel und -wirrwar“ auf, nennt sie „die Wurzel des Komplettversagens“. Er tut es stellvertretend für viele, die sich ebenso aufregen, doch mit seiner Social Media Reichweite wird er zur Zielscheibe, auch für Kritik. Die Dienstaufsicht ADD sperrt ihn von ihren Pressekonferenzen aus, kein Wunder: „Den Hügel der Ahnungslosen, so nennen wir  den Sitz der ADD hoch oben über dem Tal angesichts des offensichtlich fehlenden Wissens, was sich wirklich in den betroffenen Orten abspielt“, schreibt Wipperfürth.

Denn Wipperfürth berichtet, was er erlebt – auch, dass „jene Bürokratie, beziehungsweise die nicht vorhandene Kommunikation“ auch dafür verantwortlich gewesen sei, dass Helfer mit Hundestaffeln, Feldjäger oder gar Angebote von „Dutzenden von kostenfreien Brücken durch die Lappen“ gegangen seien, so behauptet er in seinem Buch. Dass die Helfer praktisch ohne jede professionelle Unterstützung werkeln müssen, dass sie völlig unvorbereitet Tote bergen oder Leichenteile auf Baggerschaufeln finden – noch ein Jahr danach macht Wipperfürth so etwas fassungslos.

Mehr als 140 Tage Hilfe im Ahrtal dokumentiert Wipperfürth mit seinen Videos am Ende. Er stellt Helfer aus allen Teilen des Landes, ja der Welt vor, präsentiert Firmen mit ihren Sachspenden, gibt Einblicke in verwüstete Häuser, aber auch in die zahllosen Hilfsmaßnahmen. Er dokumentiert auch, was später gut läuft, die gigantische Hilfswelle, das Entstehen der „SolidAHRität“, einer wohl einmaligen Hilfskation fürs Ahrtal, die immer noch anhält. Es ist ein Dokument, gesehen durch die Augen eines Einzelnen, und dokumentiert in unzähligen Videos – und nun auf 222 Seiten.

Was Wipperfürth davon am Freitag überhaupt auf den Tisch bringen kann, bleibt abzuwarten – der Untersuchungsausschuss darf nur den Zeitraum bis zum 6. August 2021 beleuchten, etwas anderes gibt der Einsetzungsbeschluss nicht her.

Info& auf Mainz&: Unseren Bericht von „der Apokalypse im Ahrtal“ könnt Ihr hier auf Mainz& nachlesen, den Sachbericht dazu gibt es hier auf Mainz&: „Wer warnte die Menschen an der Ahr?“  Das Buch von Markus Wipperfürth, „Wegen Dir bin ich hier“, gibt es für 34,95 Euro im üblichen Buchhandel oder direkt hier bei Wipperfürth im Internet.