Jetzt ist es traurige und bittere Gewissheit: Bei den an der Ahrmündung bei Sinzig gefundenen Knochen handelt es sich tatsächlich um die menschlichen Überreste eines seit der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 vermissten jungen Mannes. Wie die Polizei in Koblenz am Dienstag bestätigte, brachte die DNA-Untersuchung in der Rechtsmedizin Mainz Gewissheit. Nach Mainz&-Informationen handelt es sich dabei tatsächlich um den seit 2021 vermissten Frank N. aus Heppingen. Nun stellt sich erst Recht die Frage: Warum wurde die Suche nach dem Vermissten im Herbst 2021 nicht bis zum Ende durchgeführt – trotz präziser Hinweise? Mainz&-Recherchen belegen nun: Die Räumung der Aue wurde 2021 wohl tatsächlich aus Umweltschutzgründen blockiert.

In diesem Gebiet der Ahrmündung bei Sinzig hatt4en Helfer am 15. Oktober 2023 menschliche Knochenreste gefunden - zwei Jahre nach der Flutkatastrophe. - Foto: Wipperfürth
In diesem Gebiet der Ahrmündung bei Sinzig hatt4en Helfer am 15. Oktober 2023 menschliche Knochenreste gefunden – zwei Jahre nach der Flutkatastrophe. – Foto: Wipperfürth

Am 15. Oktober hatten Helfer bei einer Müllsammelaktion in der Kripper Aue der Ahr, am Mündungsgebiet bei Sinzig, einen gruseligen Fund gemacht: Unter einem Berg verkeilter Holzüberreste wurden Knochen gefunden, die sich als die Überreste eines menschlichen Skeletts herausstellten. In dem Mündungsgebiet der Ahr finden sich bis heute Anschwemmungen mit Resten aus der Flutnacht vom 14. auf den 15. Juli 2021: Die Helfer bargen noch immer Getränkekisten und Reste von Fenstern, dazu Getränkeflaschen und weiteren Hausmüll.

Die Polizei in Koblenz räumte zunächst nur zögernd ein, dass es sich bei den Knochenfunden um menschliche Überreste handelte, doch da auch Teile eines Unterkiefers sowie ein Schädel gefunden worden waren, blieben wenig Zweifel. Zwei Wochen lang wurden die Funde danach in der Rechtsmedizin der Universität Mainz untersucht, nun liegt das Ergebnis vor: „Der durchgeführte DNA-Abgleich brachte nun die Gewissheit, dass es sich bei dem Toten um eine der nach der Flutkatastrophe 2021 noch vermissten Personen handelt“, teilte die Polizei Koblenz am Dienstag in einer dürren Mitteilung mit. Die Angehörigen seien informiert.

- Werbung -
Werben auf Mainz&

Toter von der Ahrmündung war Frank N. aus Heppingen

Nach Mainz&-Informationen hat sich damit ein schrecklicher Verdacht bestätigt: Bei dem Toten handelt es sich um den seit der Flutnacht 2021 vermissten Frank N. aus Heppingen an der Ahr. Der 22-Jährige war in der Flutnacht ebenso wie seine Eltern von der gigantischen Flutwelle mitgerissen, seine Leiche aber nie gefunden worden. Nun herrsche „endlich Gewissheit“, schrieb der Organisator der Müllsammelaktion vom Oktober, Lars Boies, am Dienstag auf Facebook: „Nun kann er endlich den letzten Teil seiner Reise antreten, würdevoll und im Kreise seiner Familie. Ruhe in Frieden!“

Organisator Lars Boes bei der Müllsammelaktion in der Kripper Aue am 15. Oktober 2023 in einem Live-Video von Tibor Schady. - Screenshot: gik
Organisator Lars Boes bei der Müllsammelaktion in der Kripper Aue am 15. Oktober 2023 in einem Live-Video von Tibor Schady. – Screenshot: gik

„Der Familie wünsche ich viel Kraft“, schrieb Boes weiter: „Es erleichtert mich zugleich, dass endlich Gewissheit besteht und man endgültig abschließen kann.“ Ganz ähnlich reagierten auch weitere Helfer der Müllsammelaktion, mit denen Mainz& sprach, auch bei ihnen ist die Erleichterung groß: „Wir sind froh, dass jetzt Gewissheit herrscht“, sagte einer gegenüber Mainz&. Frankys Bruder hatte bereits vor zwei Jahren die Helfer im Ahrtal eindringlich gebeten, bei der Suche nach seinem Bruder tätig zu werden, auch in Medien sagten die Familie, ihre dringlichste Bitte sei, dass Franks Leiche gefunden werde.

Damit aber rücken nun wieder die Fragen in den Vordergrund, die Helfer gleich nach dem Fund am 15. Oktober gestellt hatten: Wie kann es sein, dass Franks Leiche zwei Jahre lang unentdeckt in der Auraue lag – und das, obwohl schon im Herbst 2021 Helfer die Behörden und die Polizei wiederholt darauf hingewiesen hatten, dass es genau in diesem Gebiet noch mögliche Hotspots gab?

Ahrtal-Helfer: Fundstelle war schon vor zwei Jahren markiert

Die Überreste hätten schon vor zwei Jahren geborgen werden können, sagte Markus Wipperfürth bereits Mitte Oktober gegenüber Mainz&. Der Landwirt aus Pulheim bei Köln hatte im Herbst 2021 maßgeblich Aufräumaktionen entlang der Ahr mit organisiert und mit seinen schweren Geräten wie Baggern begleitet. Doch ihre Aufräumarbeiten seien genau in der Ahrmündung damals von den Naturschutzbehörden gestoppt worden, berichtete Wipperfürth – als Begründung seien unter anderem seltene Libellen sowie befürchtete Schäden für den Boden durch die schweren Geräte angegeben worden.

Müll aus der Flutnacht, gefunden bei einer Müllsammelaktion am 15. Oktober 2023 in der Kripper Aue der Ahr. - Foto: Lars Boes
Müll aus der Flutnacht, gefunden bei einer Müllsammelaktion am 15. Oktober 2023 in der Kripper Aue der Ahr. – Foto: Lars Boes

Wipperfürth kann das bis heute nicht verstehen: Das sei doch eine Zeit unmittelbar nach der verheerenden Flutwelle gewesen, als die Ahr voller Müll gewesen sei und sich die Natur noch gar nicht von der Katastrophe habe erholen können. „Mir wurde erklärt, dass mit den PET-Flaschen und den Resten, das wäre alles nicht so schlimm“, berichtete Wipperfürth, „es wäre schlimmer, wenn wir da mit schwerem Gerät reinfahren wollten.“ Dabei habe schon damals der Spürfuchs „Shadow“ vier Hotspots in genau dem Gebiet der Kripper Auen markiert, wo möglicherweise noch Leichen hätten liegen können.

Bei der Polizei in Koblenz weist man indes Vorwürfe zurück, es sei damals Hinweisen auf Hotspots von Vermissten nicht nachgegangen worden. Unmittelbar nach der Flutnacht seien umfangreiche Suchmaßnahmen nach Vermissten erfolgt, zunächst im Rahmen des Katastrophenschutzes und dann federführend durch die Polizei, teilte das Polizeipräsidium Koblenz auf Mainz&-Anfrage mit.

Polizei Koblenz: Kein Fund trotz intensiver Suche, auch im Auengebiet

„Die Suchmaßnahmen erfolgten in zuvor festgelegten Sektoren. In der Spitze waren beispielsweise am 18. Juli 2021 annähernd 700 Polizeikräfte im Flutgebiet im Einsatz, unterstützt von technischem Gerät wie etwa Drohnen, Sonderfahrzeugen sowie von Leichenspürhunden“, teilte das Präsidium weiter mit. Eine erste Absuche des Bereichs der Kripper Aue, in dem es am 15. Oktober zum Fund der Knochen kam, sei ebenfalls an diesem 18. Juli 2021 erfolgt, also vier Tage nach der Flut. „Sie verlief ergebnislos“, betonte die Polizei.

Ahrufer in Dernau am 20. Juli 2021, sechs Tage nach der Flut. - Foto: gik
Ahrufer in Dernau am 20. Juli 2021, sechs Tage nach der Flut. – Foto: gik

Nachdem in den Tagen und Wochen nach der Flut weitere Leichen aufgefunden und geborgen worden seien, habe es am 17. und 18. August 2021 sowie am 02. September 2021 „weitere Absuchen im Bereich der Ahrmündung gegeben, an der auch Leichenspürhunde und eine Drohne beteiligt waren.“ Die Suchmaßnahmen seien alle ergebnislos verlaufen. Die Polizei sei zudem auch den Hinweisen auf die von „Shadow“ markierten Hotspots eingegangen, und habe erneut am, 21. und am 24. September ein Absuchen mit Leichenspürhunden gestartete – wieder ohne Ergebnis.

„In der Gesamtschau müssen wir konstatieren, dass aus unserer Sicht allen der Polizei bekannt gewordenen Hinweisen auf Vermisste der Flutkatastrophe nachgegangen worden ist, leider erfolglos“, betont man in Koblenz ausdrücklich.

Anfrage im Landtag: Wurde Räumung der Ahr-Auen untersagt?

Der Vorgang hat indes auch zu zwei parlamentarischen Anfragen im Mainzer Landtags geführt: „Trifft es zu, dass, wie in dem Bericht von Mainz& geschildert, die Räumung in den Kripper Ahrauen untersagt wurde“, will der Parlamentarische Geschäftsführer der Freien Wähler, Stephan Wefelscheid nun von der Landesregierung wissen. Wefelscheid fragt ferner, aus welchen Gründen denn die Räumung der Ahraue untersagt wurde und wer dafür verantwortlich war – eine Antwort der Landesregierung steht noch aus und wird für kommende Woche erwartet.

Die Ahr bei Altenahr Ende Juli 2021, vierzehn Tage nach der Flutkatastrophe. - Foto: gik
Die Ahr bei Altenahr Ende Juli 2021, vierzehn Tage nach der Flutkatastrophe. – Foto: gik

Bei der Kreisverwaltung in Ahrweiler räumt man unterdessen auf Mainz&-Anfrage ein: Ja, eine vollständige Räumung der Ahraue „wäre aus ökologischer und naturschutzfachlicher Sicht sogar kontraproduktiv gewesen.“ Das Thema Räumung der Ahraue vom Müll der Flutkatastrophe habe sich „ausschließlich an ökologischen und naturschutzfachlichen Aspekten im Zuständigkeitsbereich der Unteren Naturschutzbehörde orientiert“, teilte die Kreisverwaltung Ahrweiler auf Anfrage mit. Diese Entscheidungen hätten „in keinster Weise in Zusammenhang mit der Suche nach möglichen Opfern“, gestanden. Auch sei seitens der Polizei im Herbst 2021 signalisiert worden, dass trotz intensiver Suche auch im Gebiet der Ahrmündung keine Vermissten habe finden können.

Durch die Flutkatastrophe im Juli 2021 seien im Naturschutzgebiet „Ahrmündung“ bei Sinzig große Mengen an Holz, Müll und anderem Schwemmgut abgelagert worden, berichtet die Kreisverwaltung weiter. Ehrenamtliche Helfer hätten damals „mit enormem Engagement naturschonend von Hand bereits große Mengen an Müll aus dem Gebiet entfernt.“ Auch der Betrieb Landesforsten Rheinland-Pfalz habe „Holz zur Seite geräumt, um an gefährliche Abfälle und Treibgut heranzukommen.“

Kreisverwaltung Ahrweiler: „auetypische Strukturen“ bewahren

Ein Teil der Abfälle habe aber nun zwischen den Altarmen gelegen und sei „wegen steiler Böschungskanten mit Fahrzeugen nur schwer erreichbar“ gewesen, so dass schweres Gerät notwendig gewesen wäre, bestätigte die Kreisverwaltung die Darstellung von Wipperfürth. Der Einsatz von schwerem Gerät aber „hätte viele natürliche Strukturen wie Kiesbänke oder Totholzablagerungen zerstört und den Boden verdichtet“, so die Kreisverwaltung weiter. „Selbstverständlich“ seien gefährliche Abfälle, wie beispielsweise Chemikalien, aus dem Gebiet entfernt worden. Doch durch eine weitere Räumungen mit schwerem Gerät „wären wichtige Lebensraumstrukturen inklusive der Übergangsstadien verschiedener Insektenarten vernichtet, auetypische Strukturen zerstört und der Boden vor Ort zusätzlich verdichtet worden.“

Wieviel "auetypische Strukturen" gab es an der Ahr nach der Flutkatastrophe noch? Hier die Ahr bei Sinzig im Jahr 2023. - Foto: gik
Wieviel „auetypische Strukturen“ gab es an der Ahr nach der Flutkatastrophe noch? Hier die Ahr bei Sinzig im Jahr 2023. – Foto: gik

Damit bestätigt die Behörde, was Helfer schon lange berichten: Die Umweltbehörde blockierte im Herbst die vollständige Räumung des Mündungsgebietes der Ahr, trotz wiederholter Hinweise von Helfern auf gefährliche Mengen von schädlichem Flutmüll, und trotz wiederholter Hinweise auf mögliche Fundorte von Vermissten. Mainz& liegen Dokumente hervor, aus denen eindeutig hervorgeht: Exakt die gleiche Begründung für eine Ablehnung der Räumung der Ahraue wurde Ende November 2021 den Helfern mitgeteilt – und zwar mit genau der gleichen Wortwahl wie heute.

Dabei stützte sich die Kreisverwaltung offenbar einschlägig auf die Einschätzung des Naturschutzbundes NABU, in der es heißt: In der Ahrmündung befänden sich die letzten verbliebenen Totholzanschwemmungen, die für die Biodiversität der Ahr „von besonderer Bedeutung seien“. In ihnen kämen Käfer, Libellenlarven, Wildbienen, Wespenarten sowie „seltene Urwaldreliktarten“ vor, die bei „einer Zerkleinerung der Biodiversitätsinseln vollkommen zerstört“ würden. So heißt es in einem Schriftwechsel zwischen dem NABU und Helfern an der Ahr im November 2021.

Blockierte der NABU 2021 die Auen-Räumung?

Der NABU betonte damals schon, man „blockiere mit diesem Vorgehen weder die Beseitigung von Schadstoffen, noch die Entfernung eines überwiegenden Teils des Mülls“, und „auch nicht die Suche nach vermissten Personen.“ Helfer sahen das damals gründlich anders: Ob man denn wisse, dass in den Ahrauen noch immer große Mengen „kontaminierten Holzes, Paletten mit Nägeln, Ölreste, Lackdosen, Kunststoff, vielleicht Leichenteile“ lägen, beschwerten sich Helfer wiederholt – die Beschwerden liegen Mainz& ebenfalls schriftlich vor.

Müllansammlung in der Ahraue bei Sinzig im Herbst 2021. - Foto: Wipperfürth
Müllansammlung in der Ahraue bei Sinzig im Herbst 2021. – Foto: Wipperfürth

„Dies muss doch weg, damit die natürliche Struktur darunter wieder leben und sich entwickeln kann“, betonten die Helfer weiter: „Das ist doch kein Lebensraum, sondern eine Sondermülldeponie.“ Biodiversitätsinseln sähen nun wirklich anders aus. Und „selbstverständlich blockieren Sie durch diese Vorgehensweise die Suche nach Vermissten, weil sie gar nicht stattfinden kann“, heißt es explizit weiter: „Die Polizei kann nicht unter den Anschwemmungen nachschauen, wenn sie nicht geräumt werden.“

Gehör fanden die Helfer damals nicht. Der Ort, an dem nun die menschlichen Überreste von Frank N. gefunden wurden, befand sich nun Wipperfürth zufolge gerade einmal sechs Meter neben einem der damals von dem Silberfuchs markierten Hotspots – unter einer massiven Holzanschwemmung. „Hätte man uns vor zwei Jahren gelassen“, ist Wipperfürth überzeugt, „wir hätten ihn damals schon gefunden.“

Info& auf Mainz&: Unseren ausführlichen Bericht zu dem Knochenfund and er Ahrmündung lest Ihr noch einmal hier bei Mainz&.