UPDATE& — Paukenschlag in Sachen Flutkatastrophe Ahrtal: Am Donnerstag will die Staatsanwaltschaft Koblenz die Ergebnisse ihrer fast drei Jahre währenden Ermittlungen zur Schuldfrage in der Flutkatastrophe vorstellen, einen Tag vorher aber fährt nun der Anwalt der Nebenkläger schwere Geschütze gegen die Koblenzer Behörde auf. Er habe am Montag beim Justizministerium einen Befangenheitsantrag gegen die ermittelnden Staatsanwälte und einen Antrag auf ihre Auswechslung gestellt, sagte Anwalt Christian Hecken am Mittwoch in Koblenz: Mertin müsse das Verfahren sofort stoppen. Platzt nun die Pressekonferenz am Donnerstag?

Anwalt Christian Hecken (2 von links) mit Angehörigen von Flutopfern im Ahrtal. - Foto: gik
Anwalt Christian Hecken (2 von links) mit Angehörigen von Flutopfern im Ahrtal. – Foto: gik

Christian Hecken vertritt als Anwalt insgesamt fünf Kläger, die in der Flutnacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 im Ahrtal Angehörigen verloren. Darunter sind die Eltern der jungen Konditorin Johanna Orth, aber auch Werner-Michael Minwegen, der in der Flutnacht beide Eltern verlor – seine Mutter Helga wollte noch die Fahrräder aus dem Keller holen, der Vater Werner das Auto wegfahren, als es eigentlich längst zu spät war. Weder Johanna Orth noch die Eltern Minwegens waren über das Ausmaß der anrollenden Flutwelle gewarnt worden: Johanna Orth ging zu Bett, nachdem die Feuerwehr um 20.17 Uhr vor ihrem Haus lediglich vor Hochwasser gewarnt hatte – die 22-Jährige ertrank in ihrer Erdgeschosswohnung in Bad Neuenahr.

Johannas Eltern hatten früh Konsequenzen gefordert, die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gingen ihnen nie weit genug – unter anderem, weil die Behörde nie Ermittlungen gegen die Verantwortlichen auf Landesebene aufnahm. Nach der verheerenden Flutkatastrophe an der Ahr, die 136 Menschen das Leben kostete, leitete die Staatsanwaltschaft Koblenz am 6. August 2021 Ermittlungen ein. Bis heute wurde nur gegen den Ahrweiler Landrat Jürgen Pföhler (CDU), sowie gegens eine Kreisbrandschutzinspekteur Michael Zimmermann ermittelt.

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Hecken: Justizminister Mertin muss Verfahren stoppen

Juristisch ermittelte die Staatsanwaltschaft wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Körperverletzung im Amt sowie der fahrlässigen Tötung durch Unterlassung gegen die beiden Verantwortlichen des Kreises Ahrweiler, ob die Ermittlungen im Ergebnis zu einer Anklage führen oder nicht, will die Staatsanwaltschaft am Donnerstag bekannt geben. Einen Tag vorher ließ nun Anwalt Christian Hecken eine Bombe platzen: „Wir haben am Montag eine Eingabe an Justizminister Herbert Mertin (FDP) auf Auswechslung der zuständigen Staatsanwälte gefaxt“, sagte Hecken. Er habe zudem beantragt das Ermittlungsverfahren vorläufig auszusetzen, bis eine Entscheidung des Ministers vorliege.

Gedenken an die Opfer der Flutkatastrophe im Ahrtal mit 136 Kerzen. - Foto: gik
Gedenken an die Opfer der Flutkatastrophe im Ahrtal mit 136 Kerzen. – Foto: gik

Zur Begründung sagte Hecken, die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zur Flutkatastrophe im Ahrtal verliefen „äußerst schleppend und bislang ohne Ergebnis“, es seien im gesamten  Verfahren „erhebliche Mängel“ sichtbar. „Hier passieren Dinge, die rechtlich betrachtet völlig unerklärlich sind – und die in normalen rechtsstaatlichen Verfahren nicht passieren“, unterstrich Hecken: „Insgesamt haben wir das Gefühl, dass Dinge vertuscht werden sollen.“

Der Anwalt zählte insgesamt zehn Gründe für seinen Befangenheitsantrag auf: Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft seien über mehr als zwei Jahre „schleppend und ohne ohne Ergebnis“ verlaufen, dazu habe die Staatanwaltschaft im Juli 2023 ein Gutachten beim Katastrophenschutzexperten Dominic Gißler in Auftrag gegeben – und zwar entgegen gültiger Richtlinien. Der Auftrag habe dem Gutachter das Ergebnis „bereits in den Mund gelegt“, dass die Katastrophe nicht vorhersehbar gewesen sei – das sei ein Unding.

Hecken: „Hier sollen Dinge vertuscht werden“

Hecken betonte, er habe als Vertreter von insgesamt fünf potenziellen Nebenklägern, alles Angehörige von Toten in der Flutnacht, mehrfach Anträge gestellt und Eingaben gemacht, zu keiner davon habe er eine hinreichende Reaktion erhalten. Vor allem aber sei den Angehörigen und ihren Rechtsvertretern bislang jede Akteneinsicht sowie eine Anhörung verweigert worden. „Wir haben Anspruch auf Akteneinsicht und darauf, Stellung zu beziehen“, betonte Hecken. Dass dies nicht geschehen sei, sei ein eklatanter Rechtsbruch.

Hält die Staatsanwaltschaft in Sachen Flutermittlungen für befangen Rechtsanwalt Christian Hecken. - Foto: gik
Hält die Staatsanwaltschaft in Sachen Flutermittlungen für befangen Rechtsanwalt Christian Hecken. – Foto: gik

„Es besteht der dringende Verdacht, dass wichtige Entwicklungen vor den Hinterbliebenen verborgen werden“, sagt Hecken: „Es besteht der belastbare Eindruck, dass hier Dinge vertuscht werden sollen.“ Von der Entscheidung der Staatsanwaltschaft Koblenz, eine Pressekonferenz abzuhalten und eine Entscheidung in Sachen Anklage zu verkünden, hätten er und seine Mandanten aus der Presse erfahren. Ankündigung der STA KO, dass Ergebnisse verkündete werden, ohne dass die Angehörigen Gelegenheit zur Anhörung hatten, habe schließlich den Ausschlag für den Befangenheitsantrag gegeben.

„Es kann nicht sein, dass eine Pressekonferenz anberaumt wird bevor die Geschädigten angehört worden sind“, sagte Hecken weiter: „Hier sollen anscheinend vollendete Tatsachen geschaffen werden.“ Das aber widerspreche jedem rechtsstaatlichen Verfahren. „Wir fordern deshalb Justizminister Herbert Mertin auf, dieses sofort zu unterbinden, und die Pressekonferenz abzusagen – aus Respekt vor den Hinterbliebenen und den Geschädigten“, fordert Hecken. Es wäre „eine unfassbare Respektlosigkeit gegenüber den Hinterbliebenen und Geschädigten, wenn tatsächlich morgen im Rahmen einer PR-Show eine Entscheidung verkündet würde.“ Mertin müsse sofort handeln, forderte Hecken – eine Reaktion aus dem Justizministerium habe er bislang allerdings nicht erhalten.

Justizministerium: „Sehen keine Veranlassung, tätig zu werden“

UPDATE&: Das Justizministerium in Mainz wies am Nachmittag die Ansinnen Heckens zurück. „Wir sehen keine Veranlassung, tätig zu werden“, sagte ein Sprecher auf Mainz&-Anfrage. Das Ministerium habe das Schreiben Heckens erhalten und geprüft, Eingreifen werde der Minister aber nicht. „Wir verstehen das als eine Dienstaufsichtsbeschwerde“, sagte der Sprecher weiter – für die sei aber die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz zuständig, dorthin habe man das Schreiben weiter geleitet.

Lehnt ein Eingreifen ab: Der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin (FDP). - Foto: gik
Lehnt ein Eingreifen ab: Der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin (FDP). – Foto: gik

Zwar gebe es ein Weisungsrecht des Justizministers gegenüber der Staatsanwaltschaft, räumte der Sprecher zudem ein, betonte zugleich aber: „Der Minister macht davon aber keinen Gebrauch.“ Aus Sicht Mertins verbiete sich jede politische Einflussnahme in laufende Ermittlungsverfahren, deshalb werde sich Mertin nicht einmischen. „Befangenheitsanträge gegen Staatsanwälte sieht das Gesetz nicht vor“, fügte der Sprecher hinzu.

Hecken betonte derweil, eine Besorgnis auf Befangenheit könne auch darin begründet sein, „dass uns Rechte auf Anhörung bewusst vorenthalten werden – das ist kein faires und rechtsstaaatliches Verfahren.“ Auch Ralph Orth, Vater der in der Ahrflut umgekommenen Johanna Orth, betonte in der Pressekonferenz: „Es ist undenkbar, dass wir vollkommen ignoriert werden.“ Die eingesetzten Staatsanwälte seien „aus unserer Sicht nicht geeignet, eine Entscheidung über eine Anklage zu treffen.“

Hecken: Einstellung des Verfahrens wäre ein Justizskandal

Hecken sagte, aufgrund der ihm vorliegenden Informationen gehe er davon aus, dass die Staatsanwaltschaft am Donnerstag die Einstellung des Verfahrens verkünden werde. „Das wäre ein Justizskandal“, betonte Hecken: Gerade im Fall von Johanna Orth sei sogar per Video dokumentiert, dass die Feuerwehr um 20.17 Uhr vor ihrer Haustür gestanden habe. „Johanna wäre natürlich gerettet worden, wenn die Feuerwehr richtig informiert worden wäre“, betonte Hecken, „das liegt für jedermann offensichtlich auf der Hand.“

Ralph und Inka Orth mit einem Foto ihrer Tochter Johanna, die am in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 in Bad Neuenahr in ihrer Erdgeschosswohnung ertrank. - Foto: gik
Ralph und Inka Orth mit einem Foto ihrer Tochter Johanna, die am in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 in Bad Neuenahr in ihrer Erdgeschosswohnung ertrank. – Foto: gik

Hecken benutzte auch die juristische Wertung, die Verstorbene hätte „mit an Sicherheit reichender Wahrscheinlichkeit gerettet werden können“, und das gelte „auch für Helga und Werner Minwegen und wahrscheinlich viele andere.“ Auch Ralph Orth betonte: „Es scheint eindeutig der politische Wille zu sein, dass die Verantwortlichen für den Tod unserer Tochter nicht zur Rechenschaft gezogen werden sollen, und eine Aufklärung nicht nach rechtsstaatlichen Grundsätzen erfolgt.“

„Es ist mir sehr, sehr wichtig, stellvertretend  für 135 Familien mit ihren Toten, dass hier eine Aufklärung erfolgt“, betonte auch Werner-Michael Minwegen – es müsse Anklage erhoben werden, betonte er: „Es wäre ein Skandal, wenn es nicht dazu kommen würde.“

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