(Achtung: Artikel vom 02. Juni 2024) Am 9. Juni 2024 ist Kommunalwahl in Rheinland-Pfalz, in der Landeshauptstadt Mainz wird dann ein neuer Stadtrat gewählt – höchste Zeit für einen Überblick: Welche Parteien treten zur Stadtratswahl an? Was hat sich in den vergangenen fünf Jahren verändert, wie stehen die Chancen der einzelnen Parteien heute? Mainz& hat für Euch Zahlen & Fakten zusammengetragen und analysiert Ausgangslage und Chancen. Spannend zudem: eine Umfrage des SWR-Politmagazins zur Sache RP zeigt aktuelle Wählertrends auf. Und noch ist bei Weitem nichts entschieden: Der Anteil der Briefwähler liegt erst bei rund 30 Prozent.

Der Mainzer Stadtrat wird am 9. Juni neu zusammengesetzt. Hier der alte Ratssaal im Arne Jacobsen-Bau. - Foto: gik
Der Mainzer Stadtrat wird am 9. Juni neu zusammengesetzt. Hier der alte Ratssaal im Arne Jacobsen-Bau. – Foto: gik

In elf Tagen ist es so weit: Mainz wählt einen neuen Stadtrat. Es ist eine der wichtigsten Wahlen in Mainz in den vergangenen Jahrzehnten, denn am 9. Juni werden die Weichen für die zukünftige Entwicklung der Stadt gestellt. Und seit der Oberbürgermeisterwahl 2023 ist auch klar: die kommunalpolitischen Karten werden dieses Mal womöglich komplett neu gemischt.

Seit 2009 regierte in Mainz eine „Ampel“-Koalition aus SPD, Grünen und FDP, doch die letzte große Stadtratssitzung am 15. Mai machte überdeutlich: die Koalition ist komplett am Ende. Auf offener Bühne stritten sich die Koalitionspartner Grüne, SPD und FDP in geradezu atemberaubender Weise, es war der öffentlich sichtbare Bruch eines Bündnisses, in dem schon länger Unzufriedenheit herrscht: FDP und Grüne sind sich inhaltlich oft eben nicht „grün“, die SPD mit der dominanten Rolle der Grünen unzufrieden – und spätestens seit Ende 2022 sind die Sozialdemokraten selbst massiv unter Druck.

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Welche Auswirkung hat die OB-Wahl von 2023?

Mit dem Abgang des langjährigen Mainzer Oberbürgermeisters Michael Ebling (SPD) in Richtung Innenministerium im Oktober 2022, stürzte die altehrwürdige SPD Mainz in eine tiefe Krise: 78 Jahre lang hatte die SPD den OB-Sessel in der Landeshauptstadt Mainz fest im Griff gehabt, jetzt aber fehlten geeignete Nachfolger und profilierte Bewerber für den OB-Job – mit der weithin unbekannten Mareike von Jungenfels stürzte die SPD bei der OB-Wahl auf ganze 13,3 Prozent in der Wählergunst ab.

Ergebnis der OB-Wahl 2023, der rechte graue Balken sind die Zustimmungswerte für den parteilosen Nino Haase. - Grafik: Stadt Mainz
Ergebnis der OB-Wahl 2023, der rechte graue Balken sind die Zustimmungswerte für den parteilosen Nino Haase. – Grafik: Stadt Mainz

Damit lag die Sozialdemokratin nur noch auf dem vierten Platz der Bewerberliste – ein echter Tiefschlag für die über so viele Jahrzehnte erfolgsverwöhnte Partei. Interessant aber: Trotz offizieller Unterstützung der SPD landete der OB-Kandidat der Grünen, Christian Viering, in der Stichwahl abgeschlagen nur auf dem zweiten Platz – 36,4 Prozent im zweiten Wahlgang nach 21,5 Prozent im ersten, das war eine klare Distanzierung. Und dabei galt Mainz lange eigentlich als Hochburg der Grünen, doch stattdessen stimmten die Mainzer mit 63,3 Prozent für Nino Haase, einen parteilosen Quereinsteiger, der mit seinen Meinungen eher dem bürgerlichen Lager zuzurechnen ist.

Mainz wählte so gesehen bei der OB-Wahl mit Zwei-Drittel-Mehrheit den Wechsel und kehrte den bisher etablierten Parteien den Rücken, denn auch die CDU-Opposition kam mit ihrer Kandidatin lediglich auf 13,5 Prozent, das war Platz drei. Die Mainzer votierten für Pragmatismus statt Ideologie, für Veränderung statt „Weiter So“ und für neue Ansätze in der Stadtpolitik – eineinviertel Jahr später stellt sich nun die Frage: Was hat das für Auswirkungen auf die Stadtratswahl am 9. Juni 2024?

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2019 wurden die Grünen stärkste Kraft, gefolgt von der CDU

Zuletzt hatten die Mainzer am 26. Mai 2019 einen neuen Stadtrat gewählt, damals wurden die Grünen mit sensationellen 27,9 Prozent stärkste Kraft im Stadtparlament (17 Sitze). Auf Platz zwei kam die CDU mit 23,4 Prozent (14 Sitze), die SPD kam nur noch auf 20,5 Prozent und wurde mit 12 Sitzen drittstärkste Kraft im Rat. FDP und Linke kamen jeweils auf 5,9 Prozent (jeweils 4 Sitze), dicht gefolgt von der AfD, die in Mainz lediglich 5,3 Prozent erzielte (3 Sitze). Die ÖDP erreichte 4,2 Prozent (2 Sitze), dazu kamen vier kleine Parteien, die jeweils einen Sitz holten: die Satirepartei „Die Partei“ mit 2,2 Prozent, die Freien Wähler mit 1,9 Prozent, die Piraten mit 1,4 Prozent sowie Volt mit 1,2 Prozent.

Ergebnis der Stadtratswahl 2019. - Grafik: Stadt Mainz
Ergebnis der Stadtratswahl 2019. – Grafik: Stadt Mainz

60 Sitze sind im Mainzer Stadtrat zu vergeben, eine Fünf-Prozent-Hürde gibt es nicht, deshalb können auch kleine Parteien mit wenigen Prozentpunkten in den Rat einziehen. Der neue Rat wird sein Gesicht mit großer Wahrscheinlichkeit stark verändern: Von den bisher 12 Parteien im Rat, treten zur Kommunalwahl am 9. Juni noch elf an: Nicht mehr zur Wahl angetreten sind die Piraten, weiter dabei hingegen die Satirepartei „Die Partei“ mit Spitzenkandidatin Daniela Zaun.

Ansonsten stellen sich den Mainzern die bisher bekannten Parteien zur Wahl: Die SPD tritt auf Platz eins mit ihrer Spitzenkandidatin Jana Schmöller an, sie ist Ko-Kreischefin und Fraktionschefin der Mainzer SPD im Stadtrat. Auf Platz 2 folgt mit Daniel Baldy der aktuelle SPD-Bundestagsabgeordnete für Mainz, Baldy saß bisher nicht im Mainzer Stadtrat, da er vorher nicht in Mainz wohnte. Auf Platz 3 folgt die langjährige Lerchenberger Ortsvorsteherin Sissi Westrich, auf Platz 5 die frühere AZ-Redakteurin Maike Hessedenz, auf Platz 7 die gescheiterte OB-Kandidatin Mareike von Jungenfeld. Nicht auf der Liste: der Mainzer Ko-Chef Ata Delbasteh – er hat seinen Wohnsitz rechts des Rheins in Hessen.

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Landesminister auf Stadtratsliste bei SPD und Grünen

Überhaupt fällt bei der SPD auf: Die Sozialdemokraten versuchen, mit vielen bekannten Namen der Stadtgesellschaft zu punkten, auch wenn diese wie etwa Hessedenz nicht unbedingt Parteimitglieder sind. So findet sich auf Platz 47 die Vorsitzende des Deutsch-Ukrainischen Vereins, Viktoriya Jost, oder auf Platz 25 die Kulturei-Managerin Yvonne Wuttke (SPD-Mitglied), die auch als Ortsvorsteher-Kandidatin in der Neustadt antritt.

Der frühere Mainzer Oberbürgermeister und heutige Innenminister Michael Ebling (rechts) kandidiert ebenso für den Mainzer Stadtrat wie Umweltministerin Katrin Eder (Grüne) - hier beide 2018 im Mainzer Stadtrat. - Foto: gik
Der frühere Mainzer Oberbürgermeister und heutige Innenminister Michael Ebling (rechts) kandidiert ebenso für den Mainzer Stadtrat wie Umweltministerin Katrin Eder (Grüne) – hier beide 2018 im Mainzer Stadtrat. – Foto: gik

Für Ärger und Kritik im Vorfeld sorgte zudem, dass gleich mehrere Landesminister auf der Stadtratsliste kandidieren, so die Finanzministerin Doris Ahnen (Platz 27) und vor allem Innenminister Michael Ebling. Dass der Ex-OB und Innenminister nun für den Stadtrat antritt, ist auch rechtlich stark umstritten, ist der Innenminister doch qua Amt der oberste Chef der Kommunalaufsicht. Bei der SPD betont man bis heute, man sehe keine rechtlichen Probleme, Staatsrechtsexperten sehen das indes anders.

Tatsache ist: Der Eindruck eines Neuanfangs der Mainzer SPD steht mit der Kandidatur Eblings auf Platz 30 der Liste auf wackeligen Füßen – zumal der Minister betont hat, das Mandat auch annehmen zu wollen. Ein Ex-OB als „Aufpasser“ im Stadtrat für seinen Nachfolger, das sei höchst fragwürdig, schimpften etwa die Freien Wähler: „Über allem schwebt dann die Mächtigkeit des Ministers.“

Auch bei den Grünen stehen zwei Landesministerinnen auf der Stadtratsliste: Integrationsministerin Katharina Binz und Katrin Eder, ehemalige Mainzer Verkehrsdezernentin und seit 2021 rheinland-pfälzische Umweltministerin kandidiert auf Platz 47. Warum Landesminister überhaupt neben ihrem Regierungsamt für einen Stadtrat antreten, stieß auf breite Verwunderung – und Kritik: Entweder, die Parteien wollten mit den bekannten Namen Stimmen einheimsen, die Kandidaten würden ihr Mandat gar nicht annehmen – dann sei das Wählertäuschung, kritisierten die Freien Wähler. Oder die Minister seien mit ihrem Staatsamt nicht ausgelastet – beides mache keinen guten Eindruck.

Generationswechsel bei Grünen?

Wie die SPD und fast alle anderen Parteien auch, bieten auch die Grünen Kandidaten für 60 Plätze auf – man will sicher sein, dass im Fall eines großen Erfolgs auch alle Sitze im Rat besetzt werden können. 2019 waren die Grünen vom eigenen Erfolg so überrascht worden, dass man kaum genug geeignete Kandidaten für den Stadtrat fand, die Folge: Eine große Fraktion mit vielen neuen und unerfahrenen Gesichtern, von denen viele auch nach fünf Jahren keinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben.

Halber Generationswechsel bei den Grünen: Kreischef Jonas König, Spitzenkandidatin Christin Sauer sowie die bisherige Fraktionschefin Sylvia Köbler-Gross und der langjährige Landtagsabgeordnete Daniel Köbler. - Foto: Grüne Mainz
Halber Generationswechsel bei den Grünen: Kreischef Jonas König, Spitzenkandidatin Christin Sauer sowie die bisherige Fraktionschefin Sylvia Köbler-Gross und der langjährige Landtagsabgeordnete Daniel Köbler. – Foto: Grüne Mainz

Bei den Grünen deutet sich ein kleiner Generationenwechsel an: Die bisherige Fraktionschefin Sylvia Köbler-Gross hatte eigentlich angekündigt, nach der Wahl ihren Posten abgeben zu wollen, gleichwohl kandidiert sie erneut auf Platz 3 der Stadtratsliste. Neue Spitzenkandidatin ist Christin Sauer, Kreischefin der Mainzer Grünen und Ortsvorsteherin im Stadtteil Hartenberg-Münchfeld. Auf Platz 2 folgt Oberstadt-Ortsvorsteher Daniel Köbler, zugleich Landtagsabgeordneter, auf Platz 8 Ko-Parteichef Jonas König – und auf Platz 22 Fridays for Future-Aktivist Maurice Conrad, der im letzten Stadtrat noch für die Piraten aktiv war.

Auch die Grünen können mit einem bekannten Mainzer werben: Thomas Münzel, früherer Leiter der Herzchirurgie der Mainzer Unimedizin. Auf Platz 49 kandidiert zudem die Grünen-Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner. Dass die Grünen ihr Sensations-Ergebnis von 2019 mit 27,9 Prozent und 17 Sitzen halten können, gilt indes als höchst unwahrscheinlich: den Grünen wehte zuletzt scharfer Kritikwind im Bunde, vor allem aber auch in der Stadt entgegen. Besonders die Verkehrspolitik erst unter Eder und seit Juli 2021 unter Umwelt- und Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger ist stark umstritten, viele Mainzer lehnen Tempo 30 auf Hauptverkehrszonen ebenso ab, wie ein weiteres Herausdrängen von Autos aus der Innenstadt.

Verkehr als drängendstes Thema für die Rheinland-Pfälzer

Den Verkehr nannten denn auch im Mai 2024 bei einer Umfrage im Auftrag des SWR-Politmagazins „zur Sache RP“ fast jeder Dritte Rheinland-Pfälzer (32 Prozent) als das wichtigste Thema für die anstehende Wahl, 16 Prozent sahen die Aufnahme und Integration von Geflüchteten und Migranten als zentrale Herausforderung. Auf Platz 3 folgte die Lage auf dem lokalen Wohnungsmarkt (14 Prozent), wobei in Großstädten wie Mainz das Thema sogar mit 24 Prozent stark bewegt. Auch die wirtschaftliche Situation vor Ort wird zunehmend als Problem gesehen (13 Prozent), weitere drängende Probleme sind die Situation an Schulen (8 Prozent) und die Versorgung mit Kitas (7 Prozent).

Baustellenchaos, Tempo 30, plötzliche Busspuren - die Mainzer sind von der Verkehrspolitik in ihrer Stadt hochgradig genervt. - Foto: gik
Baustellenchaos, Tempo 30, plötzliche Busspuren – die Mainzer sind von der Verkehrspolitik in ihrer Stadt hochgradig genervt. – Foto: gik

Die Zufriedenheit mit den Lebensbedingungen in rheinland-pfälzischen Kommunen ist dabei binnen der vergangenen fünf Jahre deutlich von 85 Prozent auf 78 Prozent gesunken, unzufrieden zeigen sich jetzt 21 Prozent. Der SWR-PoliTrend ist die einzige repräsentative Umfrage zur Kommunalwahl im Land, der SWR hatte keine klassische „Sonntagsfrage“ gestellt, sondern danach, welcher Partei die Menschen am ehesten zutrauen, die Probleme vor Ort zu lösen.

Und da liegt die CDU weiter mit 22 Prozent und deutlichem Abstand vorn, auf Platz 2 in der landesweiten Beurteilung kommt die SPD mit gerade einmal 16 Prozent. Auf Platz 3 folgen nicht etwa die Grünen, die in der landesweiten Umfrage lediglich auf 6 Prozent kommen – für Mainz ist das allerdings nicht repräsentativ. Auf Platz 3 nennen die Rheinland-Pfälzer aber inzwischen die Freien Wähler mit 10 Prozent, noch vor der AfD mit 8 Prozent. Der FDP trauen lediglich 2 Prozent der Rheinland-Pfälzer Problemlösungskompetenz vor Ort zu, der Linken 1 Prozent, und auch das neue „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) kommt lediglich auf 2 Prozent.

Bündnis BSW tritt in Mainz nicht an, wo landen Linke und FDP?

Das Bündnis der Ex-Linken Wagenknecht hatte sich erst Anfang 2024 formiert, eigentlich wollte das BSW auch bei der Kommunalwahl in Rheinland-Pfalz in wichtigen Kommunen antreten – zumindest in Mainz wurde daraus nichts: Das BSW ist auf dem Wahlzettel in der Landeshauptstadt nicht vertreten. Tatsächlich hat in Mainz die Linke traditionell einen vergleichsweise guten Stand von um die 5 bis 6 Prozent, dazu sorgte OB-Kandidat und Stadtrat Martin Malcherek im OB-Wahlkampf mit klugen Auftritten und pfiffigen Ideen für Furore – Malcherek tritt erneut bei den Linken auf Platz 3 der Liste an.

Frischer Wind bei der Mainzer FDP - was bringt das am 9. Juni bei den Wählern? - Plakat: FDP Mainz
Frischer Wind bei der Mainzer FDP – was bringt das am 9. Juni bei den Wählern? – Plakat: FDP Mainz

Spitzenkandidat der Linken ist erneut Fraktionschef Tupac Orellana, gefolgt von Stadträtin Carmen Mauerer auf Platz 2. Barka Braum, der in der letzten Stadtratssitzung noch kurzfristig als Ersatz in den Stadtrat einzog, kandidiert nun auf Platz 17 der Stadtratsliste. Bei der FDP wiederum steht ein Generationswechsel an: Neue Spitzenkandidatin ist die neue Kreischefin Susanne Glahn, auf Platz 2 steht der bisherige Fraktionschef David Dietz, auf Platz 4 der ehrenamtliche Beteiligungsdezernent Volker Hans.

Doch ansonsten finden sich auf der FDP-Liste mit  Kerstin Bub, Tabea Gandelheidt und Michael Ziegler auf den vorderen Plätzen viele neue Namen – Gandelheidt etwa ist bei den Jungen Liberalen in Mainz und auf Bundesebene aktiv. Auf Platz 8 steht mit Marc Engelmann der OB-Kandidat der FDP 2023, der zwar nur auf 3,8 Prozent der Stimmen kam, aber bei vielen Mainzer einen höchst positiven Eindruck hinterließ. Erst auf Platz 9 der FDP-Liste folgt Verkehrsexperte Thomas A. Klann, auf Platz 10 Juwelier Jan Sebastian, und auf Platz 7 tritt noch einmal der langjährige Stadtrat Wolfgang Klee an. Spannend dürfte sein, wie hoch die Zustimmung der Mainzer inzwischen zur FDP ausfällt, schwächelt die Partei seit ihrem Eintritt in die Bundesregierung doch stark in den Umfragen.

UPDATE&: Wo landet am Ende die CDU?

Das alles könnte neuen Aufwind für die CDU bedeuten – oder? Die bürgerliche Partei war bis zur Kommunalwahl 2019 stärkste Kraft im Stadtparlament, 2019 musste sie den an die Grünen abgeben – doch tatsächlich sind die Christdemokraten in Mainz immer noch eine starke Kraft. Bei der OB-Wahl 2023 schwächelte die Partei allerdings stark, ihre OB-Kandidatin Manuela Matz kam auf ganze 13,4 Prozent, ein Absturz für die Partei, die früher lange Jahre mit Norbert Schüler den Bürgermeister in Mainz stellte.

Das Spitzenteam der CDU Mainz für die Kommunalwahl 2024: Rund um Fraktionschef Ludwig Holle (Mitte) sammelt sich eine Mischung aus neuer Generation und gestandenen Akteuren. - Foto: CDU Mainz
Das Spitzenteam der CDU Mainz für die Kommunalwahl 2024: Rund um Fraktionschef Ludwig Holle (Mitte) sammelt sich eine Mischung aus neuer Generation und gestandenen Akteuren. – Foto: CDU Mainz

Seit dem Ende des „Mainzer Modells“, das der Lieblings-OB der Mainzer, Jockel Fuchs (SPD) „erfunden“ hatte, und bei dem alle Parteien im Stadtvorstand vertreten waren, tut sich die CDU in Mainz schwer: Die gemütliche Stadt am Rhein wurde immer mehr zur Großstadt, das junge Akademikerpublikum wählt mehrheitlich links-grün. Mit dem Wahl-Coup, der Matz Ende 2018 als Wirtschaftsdezernentin in den Stadtvorstand beförderte, ist die CDU nun wieder an den Schalthebeln vertreten, doch der einzigen Nicht-Ampel-Dezernentin werden regelmäßig Blockaden in den Weg gelegt – Zusammenarbeit? Da tut sich die Ampel schwer.

Nun tritt die CDU bei der Stadtratswahl mit einer erneuerten Liste und frischen, neuen Leuten an – wie etwa der neuen Hechtsheimer Ortsvorsteherin Ulrike Cohnen oder den beiden jungen Altstadt-Kandidatinnen Isabelle Rahms und Anna-Sophie Papst – mit Rahms tritt gar ein völlig neues Gesicht als Altstadt-Ortsvorsteherin an, lange die Domäne altgedienter DCDU-Granden. Spitzenkandidat der CDU ist zudem Ludwig Holle, der 1,98-Meter-Mann ist seit Juni 2022 Fraktionschef der CDU im Mainzer Stadtrat, und hat die CDU mit pragmatischen Ansätzen und klarer Inhaltssetzung deutlich konsensfähiger gemacht. Dazu ergänzen altgediente CDU-ler wie Kreischef Thomas Gerster oder die beliebte Gonsenheimer Ortsvorsteherin Sabine Felegl sowie JU-Chef Torsten Rohe auf den vorderen Plätzen das Tableau.

Bleibt die Frage: Kann die CDU von der allgemeinen Ampel-Müdigkeit profitieren, und die sehr guten Umfragewerte im Bund auch ein Stück weit nach Mainz holen? Im Bund liegen die Christdemokraten derzeit mit weitem Abstand vor allen anderen Parteien, in Rheinland-Pfalz liegt die Partei derzeit stabil bei 31 Prozent, auch hier weit vor allen anderen Mitbewerbern. Schafft die CDU es, wieder die Position 1 im Stadtrat zurückzuerobern, könnte das die kommunalpolitische Landschaft völlig aufmischen – es winken neue Koalitionen, vielleicht Schwarz-Rot mit Gelb, vielleicht auch mit ganz neuen Partnern.

Können die Freien Wähler auch in Mainz punkten?

Denn ein besonderes Augenmerk liegt auf den Freien Wählern: Seit dem Einzug der Landespartei in den Landtag 2021, steigt die Partei in den Umfragen stetig und stark an – zuletzt lagen die Freien Wähler im Land bei 7 Prozent, und damit auf Platz fünf hinter den Grünen (10 Prozent) und deutlich vor der FDP (4 Prozent). Die engagierte Arbeit der FW-Fraktion im Landtag hat landesweit einen enormen Aktivitätsschub für die Freien Wähler ausgelöst, die Partei hat großen Zulauf, neue Kreisverbände und Köpfe sprießen nur so aus dem Boden.

Freie Wähler Mainz: Neue Köpfe, komplett neuer Kreisverband - Christian Weiskopf ist der neue Kreischef. - Foto: Freie Wähler Mainz
Freie Wähler Mainz: Neue Köpfe, komplett neuer Kreisverband – Christian Weiskopf ist der neue Kreischef. – Foto: Freie Wähler Mainz

Auch in Mainz treten die Freien Wähler mit einem im November 2022 komplett neu gegründeten Kreisverband und mit einer Vielzahl neuer Gesichter an: Hinter Spitzenkandidat und Stadtrat Erwin Stufler auf Platz 1 folgen mit Mario Müller (Platz 2), Christian Weiskopf (Platz 3) und Victoria Wruuck (Platz 4) die gesamte Riege der neuen Kreisspitze. Sollten die Freien Wähler in Mainz tatsächlich auf 7 Prozent kommen wie im Landesschnitt, würden sie aus dem Stand heraus die viertstärkste Kraft im Stadtrat und könnten wohl mit mehr als vier Sitzen rechnen.

Damit bekäme das bürgerliche Lager in Mainz weiter Zulauf, mit Verlusten hingegen muss die Partei Volt rechnen: Die Europartei kam zuletzt auf 1,2 Prozent, ihr einziger Stadtrat schloss sich aber im Juli 2023 nach der Auflösung der Fraktion aus Piraten und Volt der Fraktion der Grünen im Stadtrat an – dabei war Volt 2019 explizit mit dem Versprechen angetreten, gerade im Gegensatz zu den Grünen Mobilität ideologiefrei zu denken. Zuletzt hatte Volt im Stadtrat keine Rolle mehr gespielt, von einstigen kreativen und pragmatischen Anträgen war am Ende nichts mehr zu sehen und zu hören.

Schaden Affären um Potsdam und Spionage der AfD?

Mit Spannung dürfte auch das Abschneiden der AfD verfolgt werden: Bundesweit hatte die rechtsextreme Partei zuletzt starken Zulauf erhalten – bevor sich ihre Spitzenkandidaten zur Europawahl mit Affären und Spionage, Russland-Zahlungen und SS-Verharmlosung selbst diskreditierten. Gerade wurde die deutsche AfD aus der gemeinsamen Fraktion der Ultrarechten im Europaparlament ausgeschlossen, Rassemblement National-Chefin Marie Le Pen in Frankreich distanzierte sich ausdrücklich von der deutschen Schwesterpartei und in Brüssel werden selbst den Rechtsaußen die Kollegen von der AfD zu extremistisch.

Auch die Berichterstattung um ein „Geheimtreffen“ in Potsdam sorgte für erheblichen Wirbel, in Mainz gingen danach mehr als 7.000 Menschen in einem Protestmarsch gegen neuen Faschismus und die AfD auf die Straße – wie sich diese Welle am 9. Juni auswirkt, dürfte spannend sein. 2019 war die AfD auf 5,3 Prozent Zustimmung gekommen und hielt damit drei Sitze im Stadtrat – Ausgang: offen.

ÖDP punktete mit Parteiwechslern von SPD und FDP

Bleibt noch als weitere Alternative die ÖDP, die kleine Ökopartei setzt seit Jahren auf pragmatische Umweltpolitik und bürgerliche Themen, in Mainz hat sie sich eine Hochburg rund um den Marienborner Ortsvorsteher Claudius Moseler erarbeitet, der auch Generalsekretär der Bundespartei ist. 2019 kam die ÖDP auf 4,2 Prozent der Stimmen, doch auch sie könnte dieses Mal von der Suche der Wähler nach Alternativen jenseits der Ampel-Parteien profitieren.

Die SPD-Kommunalpolitikerin Gitta Weber (Mitte, mit Blumenstrauß) wechselte im September 2023 zur ÖDP.-. - Foto: ÖDP Mainz
Die SPD-Kommunalpolitikerin Gitta Weber (Mitte, mit Blumenstrauß) wechselte im September 2023 zur ÖDP.-. – Foto: ÖDP Mainz

Zuletzt machte die ÖDP zudem gleich zwei Mal mit Wechseln prominenter Kommunalpolitikern anderer Parteien zu ihren Reihen Schlagzeilen: Im November 2023 wechselte das Marienborner Ortsbeiratsmitglied Lars Weber nach seinem Austritt bei den Liberalen zur ÖDP. Und bereits im September 2023 war die Sozialdemokratin Gitta Weber aus Weisenau enttäuscht von ihrer Partei zur ÖDP gewechselt – Weber hatte sich mit ihrer Arbeit für die Bürgerinitative gegen die Mülldeponie im Weisenauer Steinbruch einen Namen gemacht.

Stadtratswahl: Stimmenpuzzle mit Kumulieren und Panaschieren

Spannend ist das auch, weil die Wähler bei einer Kommunalwahl besonders viel Macht mit ihren Stimmen haben: Gleich 60 Kreuze kann jeder Wähler einzeln vergeben, wenn er denn möchte. „Kumulieren und Panaschieren“ heißt das Prinzip, danach kann man jedem Kandidaten bis zu drei Stimmen geben, dazu die Stimmen breit unter allen Parteien verteilen – im Gegensatz zu anderen Wahlen sind die Wähler hier nicht an eine Liste gebunden. So kann man einzelne Personen der Linken, der CDU oder der SPD gleichzeitig wählen – oder missliebige Kandidaten sogar durchstreichen.

Sitzung des Mainzer Stadtrats im Kurfürstlichen Schloss. - Foto: gik
Sitzung des Mainzer Stadtrats im Kurfürstlichen Schloss. – Foto: gik

Eine Wirkung hat eine Streichung allerdings nur innerhalb der Liste, die man mit seinem Kreuz als Ganzes markiert hat – „in nicht gekennzeichneten Wahlvorschlägen wirken sich Streichungen nicht auf die Zuteilung der Stimmen aus“, heißt es bei der Stadt Mainz. Mit dem Ankreuzen einer Liste geht man auf Nummer sicher, dann werden nämlich alle Stimmen, die man noch nicht verteilt hat, in der Reihenfolge der Liste von oben nach unten vergeben, so geht man sicher, dass keine Stimme verloren geht.

Die Wahl kann also sowohl zum Puzzle, als auch zum Rechenexempel werden, kein Wunder, dass Briefwahl bei der Stadtratswahl besonders beliebt ist. 162.481 Menschen sind bei der Stadtratswahl in Mainz wahlberechtigt, bis zum 24. Mai hatten rund 30 Prozent Briefwahl beantragt – das waren eigentlich überraschend wenige. Bei der Stadtratswahl 2019 lag der Anteil der Briefwähler am Ende bei 39,1 Prozent, seither hatte aber die Corona-Pandemie eigentlich den Trend zur bequemen Wahl von Zuhause aus deutlich verstärkt.

Womöglich also sind viele Mainzer noch unentschlossen, wen sie am 9. Juni wählen wollen, die Entscheidung könnte also tatsächlich wieder einmal auf den letzten Metern fallen. 2019 lag die Wahlbeteiligung in Mainz übrigens bei 62,1 Prozent, ein Hindernis ist auch, dass bis wenige Tage vor der Wahl noch Pfingstferien sind.

Wer noch eine Entscheidungshilfe braucht, oder schlicht neugierig ist, dem sei das Mainz&-Kommunalwahlforum 2024 empfohlen: Am Dienstag, den 4. Juni 2024 stellen sich ab 18.30 Uhr im „The Pier“ an der Großen Bleiche die Spitzen der Mainzer Parteien Mainz&-Chefredakteurin Gisela Kirschstein zur Podiumsdiskussion. Alle Details dazu findet Ihr hier.

Korrektur&: Leider hatten wir in der ersten Fassung des Textes doch glatt eine ausführliche Analyse zur Mainzer CDU vergessen – wir entschuldigen uns ausdrücklich dafür! Das war mitnichten Absicht, sondern schlicht der späten Stunde geschuldet… Wir haben die Passage samt Foto ergänzt!

Info& auf Mainz&: Alle praktischen Infos der Stadt Mainz zur Kommunalwahl am 9. Juni findet Ihr hier im Internet. Den ganzen SWR-PoliTrend zur Kommunal- und Europawahl findet Ihr hier im Internet. Das komplette Mainz&-Dossier zur Kommunalwahl 2024 findet Ihr übrigens hier auf Mainz&. Eine Analyse zur Bilanz der Ampel 3.0 lest Ihr hier auf Mainz&.