Showdown im Mainzer Stadtrat: Die Debatte um die Finanzierung der Kulturbäckerei wurde am Mittwoch zur großen Auseinandersetzung – aber nicht etwa zwischen Regierungsfraktionen und Opposition: Es waren die Ampel-Koalitionäre von Grünen, SPD und FDP selbst, die auf offener Bühne gegeneinander austeilten. Die Grünen hatten zuvor einen Rückzieher gemacht und stimmten nun doch einer Finanzierungszusage über 350.000 Euro zu. Die wurde dann auch mit breiter Mehrheit beschlossen – und ist doch nicht das letzte Wort: „Die Zukunft wird zeigen, wie viel das Versprechen heute Wert ist“, sagte FDP-Fraktionschef David Dietz.
Am Dienstagabend hatten die Grünen noch in einem Antrag für den Mainzer Stadtrat eine reduzierte finanzielle Unterstützung für die Kulturbäckerei in Höhe von 200.000 Euro gefordert, das war prompt auf scharfe Kritik gestoßen: Das sei „ein Feigenblatt“, die Grünen „wollen eine Rakete starten mit einem halben Tank“, kritisierte Björn Rodday, 1. Vorsitzender des Verbands Bildender Künstler (BBK), im Gespräch mit Mainz&: Die Konstruktion mit dem Betrag von 350.000 Euro sei „der niedrigste Orbit, den man fliegen kann, das Mindeste, was man an Sprit braucht, um die Flughöhe zu erreichen“, schimpfte Rodday – mit der Hälfte „erreichst Du aber nicht einmal die Stratosphäre.“
Am Mittwochnachmittag war dann schon wieder alles anders: Die Grünen zogen ihren alten Antrag zurück, und beteiligten sich nun an einem gemeinsamen Änderungsantrag von SPD, Linken, CDU und FDP. Und in dem hieß es nun: „Der Stadtrat unterstützt und fördert die geplante Schaffung eines soziokulturellen Zentrums für die Kulturszene auf dem Areal der früheren Kommissbrotbäckerei.“ Die Fördersumme solle 2025 bei 150.000 Euro bleiben, und ab dem Jahr 2026 für fünf Jahre auf 350.000 Euro angehoben werden.
Kehrtwende der Grünen, scharfe Breitseite von der SPD
Damit kehrten die Grünen auf die Linie von SPD und Linken zurück, die von vorneherein die volle Fördersumme von 350.000 Euro beantragt hatten. Neu an dem Antrag war nun aber der Zusatz: „Wobei der Haushaltsvorbehalt und mögliche Auflagen der Aufsichtsbehörde greifen.“ Hintergrund war eine plötzliche Weigerung der Grünen vor rund zwei Wochen, die seit fünf Jahren von den Ampel-Koalitionären versprochene institutionelle Förderung in Höhe von 350.000 Euro für das sozio-kulturelle Zentrum in der Neustadt mitzutragen. Als Grund machten die Grünen eingebrochene Steuereinnahmen und eine plötzlich wieder angespannte Haushaltssituation geltend.
Das Nein der Grünen, dem Verein Kulturbäckerei die versprochene Zusage zu machen, führte indes zu heftigen Verwerfungen innerhalb der Ampel-Koalition – und am Mittwoch im Stadtrat zu Zoff auf offener Bühne. Da verwies zunächst der frühere Neustadt-Ortsvorsteher Johannes Klomann (SPD) auf die lange Vorgeschichte der Kulturbäckerei mit Anfängen beim früheren Ortsvorsteher Gerhard Walter-Bornmann (SPD), und wie der Verein Kulturbäckereie.V. ab 2017 in ehrenamtlicher Arbeit und mühevoller Abstimmung mit der Politik ein ausführliches und tragfähiges Konzept entwickelt hatte.
„Der Verein hat die Politik dazu gebracht, einen Weg für den Anlauf zu finden – und sie zu überzeugen, dass die Kulturbäckerei eine Lücke im Kulturprozess der Stadt füllt“, unterstrich Klomann. Der Verein führe „seit Jahren Gespräche mit allen Parteien, und immer wurde plausibel dargelegt, dass das Konzept nur mit einer Förderung von 350.000 Euro tragbar ist“, sagte Klomann weiter – und darüber seien sich gerade die Ampel-Parteien auch so einig gewesen, dass sie es 2019 sogar in ihren Koalitionsvertrag schrieben.
„Deshalb hat uns auch die Debatte der letzten Tage und Wochen doch etwas verstört“, sagte Klomann weiter, um dann eine Breitseite gegen die Grünen abzufeuern: „Fraktionen sollten nicht die Ansammlung von Pressesprechern eines einzelnen Dezernats sein“, kritisierte Klomann – das richtete sich gegen Finanzdezernent Günter Beck (Grüne) und die Grünen-Fraktion. Es sei vielmehr die Aufgabe von Stadträten, „möglichst alle Politikbereiche im Blick zu haben“, sagte Klomann: „Würden wir ausschließlich Finanzpolitik machen, bräuchten wir diesen Stadtrat nicht.“ Das Konzept der Kulturbäckerei sei „eingebettet in die Kulturszene der Stadt“, das Bereitstellen bezahlbarer Räume für alle sei genau das, was unter „Förderung der freien Szene“ verstanden werde.
Grünen-Chefin Sauer keilt gegen SPD-Kulturdezernentin Grosse
Die Retourkutsche der Grünen ließ nicht lange auf sich warten: „Ja, wir sind nicht alle Haushalts- oder Finanzpolitiker, aber am Ende des Tages tragen wir hier alle die Verantwortung, dass die Stadt handlungsfähig ist, und dass gerade solche Freie Leistungen im Haushalt möglich sind“, konterte die Grünen-Kreisvorsitzende Christin Sauer. Aktuell aber sei „die Kasse wieder leer“, die Situation der Stadt wieder eine andere – und da gehöre es eben auch dazu „zu hinterfragen, ob die Zusagen überhaupt belastbar sind.“
Das Hin und Her der Grünen in Sachen Finanzierung hingegen, erklärte Sauer mit keinem Wort, stattdessen fuhr sie eine Vollattacke in Richtung der SPD-Kulturdezernentin Marianne Grosse: „Wo bleibt denn eigentlich das Kulturdezernat mit seiner ominösen Beschlussvorlage, die uns nicht nur erklärt, wie die Entwicklung der Kulturbäckerei gestemmt werden kann, sondern wie sie sich in das Entwicklungskonzept der freie Szene insgesamt einfügt“, fragte Sauer, und griff Grosse persönlich an: „Dass ich Ihnen einmal erklären muss, was eine professionelle Beschlussvorlage ist, und wie damit zu verfahren ist, macht mich etwas fassungslos.“
Eine ordentliche Beschlussvorlage für den Stadtrat sei eben nicht „ein Stück Papier aus der Schublade der Kulturverwaltung, das nie dem Stadtvorstand vorgelegt worden ist, das keine Fraktion je zu Gesicht bekommen hat, das aber ganz offenbar den Weg zur Presse gefunden hat“, wetterte Sauer weiter: Wo sei denn die inhaltliche Vorbereitung für den großen politischen Konsens, den es ja offensichtlich gebe?
CDU: Geben hier „nur ein Versprechen“, Umsetzung muss folgen
Grosse antwortete kühl, Sauer wisse doch genau, „wie viele Gespräche wir geführt haben, wie detailliert wir alle Rahmenbedingungen bei Ihnen vorgestellt haben – das ist Fakt.“ Die Kulturbäckerei sei „von ganz entscheidender Bedeutung“ für die Zukunft der gesamten Kulturszene in Mainz, unterstrich Grosse, und ergänzte in Richtung Sauer: „Und wenn Sie fassungslos fragen, wo die Beschlussvorlage denn wohl sei – die finden Sie eins zu eins in ihrem Antrag, das ist wörtlich kopiert aus der Beschlussvorlage. Legen Sie sie nebeneinander – aber das haben Sie ja schon.“
Es war ausgerechnet die CDU-Opposition, die wieder etwas mehr Ruhe und Sachlichkeit in die Debatte brachte: „Wichtig ist, dass wir heute ein Zeichen setzen: wir stehen für die Kultur“, sagte CDU-Fraktionschef Ludwig Holle. Allerdings müssten sich alle Parteien auch im Klaren sein, dass sich „nach der Wahl die Frage stellt: was können wir uns eigentlich noch leisten?“ Das Commitment zur Kulturbäckerei müsse sich dann „noch beweisen gegen all die anderen Ansprüche und gegen die gesetzlichen Regelungen, denen wir uns stellen müssen“, mahnte Holle.
Die Stadt habe viele gesetzliche Verpflichtungen im Haushalt, die vom Land Rheinland-Pfalz aber nicht ausreichend gegenfinanziert würden, kritisierte Holle – daran sollten „die Parteien, die heute hier alle vom Projekt überzeugt sind, und auch eine Landesregierung stellen“ mal arbeiten. „Wir müssen uns darum kümmern, dass das Versprechen, das wir heute abgeben – und mehr ist es nicht – auch umgesetzt werden kann“, mahnte Holle.
FDP: „Ungedeckter Scheck“ – Debatte nach Wahl neu eröffnet?
Tatsächlich hatte auch Sauer in ihrer Rede eine große Hintertür geöffnet: Ja, die Kulturbäckerei solle kommen, ja sie solle auch gefördert werden, aber „mit der vollen nötigen Summe“, sagte Sauer, und forderte: „Dass die verschiedenen Vorschläge zur Realisierung in den Räumen der Kulturbäckerei endlich im dafür notwendigen Rahmen diskutiert werden kann.“ Das war nichts anderes als die Ankündigung, den Bedarf an Räumen und Budget für die Kulturbäckerei nach der Wahl wieder aufzumachen – und erneut die volle Summe in Frage zu stellen.
„In der Tat: Wir geben heute erst einmal einen Scheck, ob der gedeckt ist oder nicht, werden wir sehen“, räumte denn auch FDP-Fraktionschef David Dietz freimütig ein, und stichelte seinerseits in Richtung des grünen Koalitionspartners: Wenn es wirklich darum gehe, dass 350.000 Euro in Relation zum Haushaltsvolumen „die finanzpolitische Stabilität in dieser Stadt ausmachen“, dann müssten sich Stadt und Kämmerer fragen lassen, „ob diese Stadt wirklich alles richtig gemacht hat“, sagte Dietz.
Schließlich könne eine Stadt „auch die Einnahmen mehren“, etwa in dem man weitere Gewebegebiete ausweise, „da sind wir aber nicht richtig vorangekommen“, kritisierte Dietz, „auch da gibt es Bremser, die haben eine Farbe.“ Die dürfte vermutlich Grün sein, hatten sich die Grünen in den vergangenen fünf Jahren doch wiederholt gegen weitere Gewerbegebiete und damit neuer Versiegelung von Flächen gestemmt. Klar sei doch jetzt, „die freie Kulturszene kann sich auf die Sozialdemokratie verlassen“, stichelte dann Neustadt-Stadtrat Erik Donner (SPD) noch, und empfahl in Richtung Grüne: Und wo die Verwaltungsvorlage sei, „fragen Sie mal Herrn Beck…“
Stadtrat beschließt Zuschuss in Höhe von 350.00 Euro
Nach dem Streit auf offener Bühne wundere er sich ja, wie der gemeinsame Antrag noch zustande gekommen sei, merkte danach ÖDP-Chef Claudius Moseler an, so, wie Ihr eben noch ausgeteilt habt untereinander.“ Die Grünen hätten gerade noch „die Notbremse gezogen“, doch was in den vergangenen Wochen passiert sei, sei absolut schädlich für das Vertrauen in Politik, kritisierte Moseler: „Ihr habt das Vertrauen in die Kommunalpolitik nicht befördert.“ Da ging es beinahe unter, dass auch Linke, ÖDP und Freie Wähler dem Zentrum Kulturbäckerei zustimmten, der Stadtrat die Förderung in Höhe von 350.000 Euro mit Ausnahme der AfD beschloss.
„Wir sind hier, um das jetzt in den Haushalt hinein zu bringen“, machte der Linken-Ortsvorsteher-Kandidat für die Neustadt, Martin Malcherek klar: „Kultur ist nicht ’nice to have‘, das Zentrum notwendig und sinnvoll.“ Es sei ein guter Schritt, „dass wir das jetzt hinbekommen, auch mit großer Mehrheit“, betonte Malcherek, „das schlechte Signal ist, dass hier eine gewisse Wankelmütigkeit zu Tage getreten ist.“ Und auch die SPD solle noch einmal nachdenken, empfahl er mit Blick auf die Konstruktion eines Generalpächters, der wiederum untervermietet: „Die ganze Konstruktion ist Murks.“ Das letzte Wort ion Sachen Kulturbäckerei ist offenbar noch nicht gesprochen.
Info& auf Mainz&: Mehr zu dem Streit um die Finanzierung der Kulturbäckerei lest Ihr hier bei Mainz&, mehr zum Konzept des Zentrums könnt Ihr hier nachlesen.