Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sieht den Höhepunkt der Omikron-Welle noch nicht erreicht und übt deutliche Kritik an der derzeitigen Lockerungs-Debatte. „Ich wundere mich über die Diskussionen“, sagte Lauterbach am Dienstag in Berlin. Die Welle sei noch nicht überstanden, „die Lage ist noch nicht wirklich unter Kontrolle“ – mit schnellen Lockerungen „riskieren wir einen Rückfall“, warnte Lauterbach. Der Minister sowie der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI) stellten aber Lockerungen „deutlich vor Ostern“ in Aussicht. PCR-Tests soll es zudem weiter bei jedem Verdachtsfall geben.
Die Omikron-Welle hatte Deutschland erst im Januar mit voller Wucht getroffen, und damit später als viele andere europäische Länder. Im Gegensatz zu Nachbarn wie Frankreich, Dänemark oder Großbritannien gab es in Deutschland bislang keine Rekordstände von mehr als 400.000 Infektionen pro Tag, oder bundesweite Inzidenzen von 4000 oder 5000. „Uns gelingt es, die Welle einigermaßen zu kontrollieren“, sagte Lauterbach am Dienstag vor der Bundespressekonferenz, „die Maßnahmen, die wir ergriffen haben, funktionieren.“
Gleichzeitig warnte Lauterbach aber auch, die Omikron-Welle sei noch nicht überstanden. „Die Lage ist noch nicht wirklich unter Kontrolle“, betonte er. Die Fallzahlen stiegen nach wie vor an, mit der Hospitalisierungsrate könne man „noch nicht wirklich zufrieden sein.“ Deutschland habe noch immer „jeden Tag zwischen 100 und 150 Tote zu beklagen, viel zu viel“, betonte Lauterbach. RKI-Chef Lothar Wieler betonte zudem, die Einweisungen in den Krankenhäusern nähmen noch immer weiter zu, auf den Intensivstationen müssten aktuell rund 2.400 Menschen wegen Covid-19 betreut werden.
Deutschland habe „eine sehr schwierige Aufgabe“ bei der Bewältigung der aktuellen Welle, betonte Lauterbach weiter, denn Deutschland habe im Schnitt die zweitälteste Bevölkerung Europas – und noch immer seien viele zu viele ältere Menschen über 60 ungeimpft. „Wir haben eine sehr hohe Impflücke bei den Älteren“, betonte Lauterbach, und der Höhepunkt der aktuellen Welle sei noch nicht erreicht. Er rechne weiter damit, dass der Scheitelpunkt der Omikron-Welle Mitte Februar erreicht werde, das könne sich aber durch eine neue Virus-Variante BA2 noch nach hinten verschieben.
„Ich wundere mich über die Diskussionen, die zum Teil in der Politik zu beobachten sind“, sagte Lauterbach klar: „Wir sind noch immer gefährdet, und können breite Lockerungen, wie sie derzeit diskutiert werden, nicht vertreten.“ Seit Wochen wird die Debatte in Deutschland über Lockerungen immer lauter, in den Bundesländern wurden Lockerungen bereits umgesetzt – gerade erst kippte Hessen nach mehreren anderen Bundesländern die 2G-Regel im Einzelhandel, nachdem Gerichte die Einschränkung gekippt hatten. Rheinland-Pfalz folgt vermutlich am Mittwoch ebenfalls – getrieben von den Lockerungen in den Nachbarländern. Rheinland-Pfalz wiederum hatte trotz massiv steigender Infektionen in Schulen und Kitas vergangene Woche Quarantäneregeln gelockert und die Kontaktnachverfolgung gestrichen.
„Die Diskussion um Öffnungen ist fehl am Platz“, kritisierte Lauterbach derweil: Eine schnelle Rücknahme wesentlicher Maßnahmen würde die Omikron-Welle deutlich verlängern. „Wir würden nicht nur einen Rückfall riskieren, wir würden dann ein schnelles Abflachen der Welle, wie wir es anstreben, nicht erreichen können“, warnte der Minister, der selbst Professor für Epidemiologie ist: „Wenn wir jetzt schnell öffnen, schaden wir uns selbst“, mahnte Lauterbach, „wir haben derzeit eine funktionierende und erfolgreiche Strategie, diese zu gefährden, kann nicht unser Ziel sein.“
„Ich bin optimistisch, dass wir die Omikron-Welle bald überwunden haben“, sagte hingegen RKI-Chef Wieler, warnte aber ebenfalls: Noch sei der Höhepunkt von Omikron nicht erreicht, die Zahlen in den Krankenhäusern und auf den Intensivstationen steige gerade wieder an. „Wir sind bislang vergleichsweise gut durch den Sturm gesteuert, und wir lernen dabei immer mehr über Omikron“, sagte Wieler weiter. Der Anteil der Menschen, die schwer an Omikron erkrankten, sei geringer als die bei Delta, derzeit erkrankten vor allem mehr Jüngere, und die treffe es in der Regel nicht so schwer.
Die derzeit geringeren Todeszahlen belegten aber auch: „Die Auffrischungsimpfung schützt deutlich vor Krankenhausaufenthalt“, betonte Wieler, und das gelte für alle Altersgruppen. Gleichzeitig aber seien in den vergangenen sieben Tagen rund 1,2 Millionen Corona-Fälle in Deutschland ans RKI übermittelt worden – das seien zehn Prozent aller Covid-Fälle der gesamten Pandemie. Dazu steige die Zahl der Infektionen bei den Älteren gerade erst an, auch gebe es noch immer Unsicherheiten, wen Covid-19 schwer treffe, gerade auch bei Kindern, sowie bei Long Covid. Experten wie die Forscher der Gutenberg Long Covid-Studie schätzen, dass 30 bis 40 Prozent aller Corona-Infizierten hinterher noch Monate lang unter Spätfolgen leiden.
Die Zahlen in Deutschland zeigten aber auch, dass Abstand, Maske tragen und Hygienemaßnahmen auch bei Omikron gut wirkten, betonte Wieler zudem, und dankte explizit der Bevölkerung, die sich an diese Maßnahmen hielten: „Wenn sich nicht so viele daran halten würden, wären die Fallzahlen in kurzer Zeit noch viel rasanter gestiegen“, betonte Wieler. Die Kliniken seien deshalb zurzeit zwar „stark belastet“, aber eben nicht überlastet. „In wenigen Wochen haben wir die Omikron-Welle überstanden“, fügte er hinzu: „Bleiben wir achtsam, dann können wir entspannt auf Ostern schauen.“
Lauterbach kündigte zudem eine neue Testverordnung noch für diese Woche an. Dabei soll es allerdings nicht, wie ursprünglich angekündigt, zu einer strengen Rationierung der PCR-Tests kommen. „Wir haben die Zahl der PCR-Tests noch mal erhöhen können“, sagte Lauterbach nun, Deutschland könne jetzt etwa drei Millionen PCR-Tests pro Woche durchführen. Es werde in Zukunft nun zwar eine Priorisierung von PCR-Tests für Menschen in der Pflege und im medizinischen Bereich geben, sowie für besonders gefährdete Menschen mit Immuneinschränkungen.
Die allgemeinen PCR-Tests zur Bestätigung einer Infektion werde es aber weiter für alle geben, betonte Lauterbach: „Wir werden einen PCR-Test für jeden positiven Antigentest anbieten können.“ Damit werde künftig bei einem Verdachtsfall erst ein Antigentest gemacht, sei der positiv ist, komme ein PCR-Test zum Einsatz. „Damit wird das System sehr effizient eingesetzt“, betonte Lauterbach, gleichzeitig gehe man sehr sicher vor. „Wir können damit tauch die Bedürfnisse und Wünsche der Bevölkerung erfassen“, sagte Lauterbach, es habe Ängste gegeben, dass Infektionen nicht mehr sicher festgestellt werden könnten. Ausreichend seien die Antigentests indes bei der Freitestung, dort sei der Antigentest „dem PCR Test sogar überlegen.“
Der Bioinformatiker Rolf Apweiler, Direktor des European Bioinformatics Institute des Europäischen Laboratoriums für Molekularbiologie (EMBL) in Cambridge, warnte derweil eindringlich vor der Entstehung neuer Virus-Mutationen. Weltweit seien inzwischen mehr als 1000 Corona-Varianten entdeckt worden, von denen etwa ein Dutzend als „besorgniserregend“ eingestuft worden seien. „Wir müssen auch künftig auf Überraschungen gefasst sein“, mahnte Apweiler.
Die Omikron-Variante etwa müsse sich „irgendwo in Abgeschiedenheit entwickelt haben“, um sich dann sehr schnell mehrere Varianten hervorzubringen, sagte Apweiler weiter. Die Entstehung könne entweder durch Übertragung durch Tiere geschehen sein – gerade erst habe es in Hongkong 50 Infektionen über Hamster gegeben, berichtete Apweiler. Die veränderten Omikron-Viren könnten aber auch durch Mutationen in immungeschwächten Menschen entstanden seien, die bis zu 300 Tage mit dem Coronavirus infiziert waren, erklärte der Molekularbiologe über Studien aus Südafrika.
„Wir brauchen eine rasche Impfung der Weltbevölkerung“, forderte Apweiler deshalb: „Wir müssen global denken, nur dann können wir die Entstehung weiterer neuer Mutanten verhindern.“ Es gelte weiter der Satz: „Keiner ist auf diesem Planeten sicher, wenn nicht alle auf diesem Planeten sicher sind“, fügte er hinzu.
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