Eklat im Landtag in Mainz: Die AfD-Fraktion hat am Mittwoch überraschend ihren Vorsitzenden Michael Frisch abgewählt. Der trat daraufhin, gemeinsam mit einem weiteren Kollegen, aus der Fraktion aus – und erhebt nun schwere Vorwürfe gegen seine Partei. Der gehe es um pures Machtstreben und Vertrauensbruch, schimpfte Frisch im Gespräch mit Mainz&: „Hier machen sich eine Handvoll Leute die Partei zur Beute.“ Der neue Vorsitzende Jan Bollinger widerspricht. Doch der Knall hat auch Auswirkungen auf den Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal – und auf den Abschlussbericht der AfD-Fraktion.
Erdbeben in der AfD-Fraktion im Mainzer Landtag: Der bisherige Fraktionsvorsitzende Michael Frisch wurde am Mittwoch völlig überraschend in seinem Amt abgelöst Das zog schwerwiegende Konsequenzen nach sich: Frisch und sein Fraktionskollege Martin Louis Schmidt traten danach aus der AfD-Fraktion aus, die nun von einstmals neun Mitgliedern auf sechs schrumpft. Damit werden künftig nun drei fraktionslose Abgeordnete, die als gewählte Vertreter der AfD einzogen, im Landtag sitzen.
„Ich trete aber nicht aus der Partei aus“, betonte Frisch, und erhob im Gespräch mit der Internetzeitung Mainz& schwere Vorwürfe vor allem gegen den neuen Fraktionschef Jan Bollinger: „Man hat einen eklatanten Wortbruch begangen, das hier war der Schlusspunkt eines monatelangen Ringens“, schimpfte Frisch. Tatsächlich tobte in der rheinland-pfälzischen AfD schon seit einigen Jahren ein Machtkampf, vor allem zwischen Frisch und AfD-Landeschef Jan Boillinger.
Frisch: Erst als Landeschef verdrängt, nun als Fraktionschef
Der Oberstudienrat Frisch war ursprünglich Lehrer für Mathematik und katholische Religion, der heute 66 Jahre alte Trierer zog im März 2016 bei der Landtagswahl in den Landtag von Rheinland-Pfalz ein, als die AfD erstmals den Sprung in das Landesparlament in Mainz schaffte. Im November 2019 beerbte Frisch den später im Streit aus seiner Partei geschiedenen Landesvorsitzenden Uwe Junge und blieb bis Mai 2022 an der Spitze der Partei. Bei der Landtagswahl 2021 war Frisch Spitzenkandidat der AfD und wurde nach deren Wiedereinzug ins Parlament auch zum Fraktionsvorsitzenden gewählt.
In der Folge spitze sich aber immer weiter ein Machtkampf über die künftige Ausrichtung der AfD zu: Frisch gilt als eher gemäßigter AfDler, der eigentlich von einer konservativen Ausrichtung kommt und in die AfD noch zu Zeiten des Gründers Bernd Lucke eintrat. Frisch hatte zuletzt immer stärker die Entwicklung der AfD zu einer rechtspopulistischen Partei kritisiert, in der zunehmend Rechtsextreme wie der Thüringer Björn Höcke den Ton angeben. Auch den Russlandfreundlichen Kurs von AfD-Parteichef Tino Chrupalla kritisierte Frisch deutlich in seiner Partei galt er deshalb als „unbequem“.
Bollinger hingegen, bisher Parlamentarischer Geschäftsführer der Landtagsfraktion, gilt als ehrgeiziger und machtbewusster Vertreter des rechtspopulistischen Flügels, der mit deutlichen Abgrenzungen zu rechtsradikalen Bestrebungen bislang nicht aufgefallen ist. Dass zwischen Frisch und Bollinger ein Machtkampf tobte war schon länger klar: Im Frühjahr 2022 drängte Bollinger Frisch bereits aus dem Amt des Landeschefs, Frisch blieb aber Chef der Landtagsfraktion.
Frisch: „eklatanter Wortbruch“, „egoistische Machtambitionen“
„Es gab eine klarer Vereinbarung, unter der ich mich darauf eingelassen habe“, sagte Frisch nun auf Anfrage von Mainz&: „Mir wurde versichert: Du führst die Fraktion, bis ein neuer Spitzenkandidat gewählt worden ist – und an den übergibst du dann.“ Der Wechsel sei für ein Jahr vor der nächsten Landtagswahl vereinbart gewesen, also im Frühjahr oder Sommer 2025, betonte Frisch. In diesem Frühjahr habe Bollinger bereits Bestrebungen erkennen lassen, früher nach dem Fraktionsvorsitz zu greifen, daraufhin habe Frisch mit einem „Pacta sunt servanda“ gekontert: „Haltet Euch bitte an die Vereinbarung.“
Nun spricht Frisch von einem „eklatanten Wortbruch“, und betont: „Es ist überhaupt keine Frage von ‚rechts‘ oder ‚links‘, sondern es geht um Macht.“ In der AfD spielten Kompetenz und Leistung „schon lange“ keine Rolle mehr, „es geht nur noch um Loyalität und Zugehörigkeit zu Seilschaften“, kritisiert Frisch. Das aber sei nicht mehr die AfD, für die er sich engagiert habe: „Wir haben an den etablierten Parteien immer die Vetternwirtschaft kritisiert“, schimpfte Frisch, „jetzt mussten wir feststellen, dass solche Zeiten auch bei der AfD angebrochen sind.“
Das „Wir“ bezog sich dabei auf Frisch sowie seinen Fraktionskollegen Martin Louis Schmidt, der gemeinsam mit Frisch aus der Fraktion austrat – ihre Mandate wollen sie aber behalten. „Die Alternative für Deutschland ist für ein Politikverständnis angetreten, das jenseits egoistischer Machtambitionen grundsätzliche Werthaltungen und Überzeugungen sowie persönliche Befähigung und Integrität in den Mittelpunkt rückt“, teilten die beiden Landtagsabgeordneten schriftlich mit.
Frisch und Schmidt treten aus Fraktion aus – nicht aber aus AfD
„Die AfD wollte die erklärte Alternative zum real existierenden ‚politischen Geschäft‘ sein, in dem vielfach engstirniges Partei- und Machtdenken, Opportunismus und Dogmatismus, korrumpierende Netzwerke und Diskursunfähigkeit samt skrupelloser Bekämpfung politischer Gegner den Ton angeben“, heißt es in der Erklärung weiter: „Zu diesem alternativen Selbstverständnis stehen wir nach wie vor.“ Auch fühlten sie sich „den programmatischen Inhalten der AfD unverändert verpflichtet“, aus der Partei austreten wolle man deshalb nicht.
„Wir werden weiterhin mit aller Kraft dafür kämpfen, diese Inhalte mit dem Dreiklang ‚konservativ, freiheitlich, patriotisch‘ innerhalb wie außerhalb unserer Partei realpolitisch umzusetzen“, betonen Frisch und Schmidt. Dass sich die AfD-Landtagsfraktion „in letzter Zeit zunehmend von den Gründungsidealen der AfD entfernt hat, bedauern wir sehr“, schreiben Frisch und Schmidt weiter. Im Gespräch mit Mainz& wurde Frisch deutlicher: „Ich wusste, dass Politik ein schmutziger Geschäft ist, aber dass es auch bei uns so schnell so schmutzig wird – da mache ich nicht mit“, schimpfte er: „Es ist bei uns inzwischen so schlimm, wie bei den Altparteien. Hier machen sich eine Handvoll Leute die Partei zur Beute.“
Die AfD-Fraktion teilte dagegen in dürren Worten mit, die Wahl des Fraktionsvorsitzenden sei nach der Halbzeit der Legislatur „turnusgemäß“ erfolgt. „Ich freue mich, dass mir die Fraktion das Vertrauen geschenkt hat“, betonte der neue Vorsitzende Jan Bollinger. Er wolle „die erfolgreiche Arbeit der AfD-Fraktion fortsetzen, und die starke Position als einzig wahre Oppositionsfraktion weiter ausbauen.“ Zugleich kritisierte Bollinger, es sei „bedauerlich, dass Mandatsträger demokratisch gefällte Entscheidungen und vereinbarte Wahlen nicht akzeptieren können.“ Dem Austritt der beiden Fraktionsmitglieder begegne er „mit Unverständnis.“
Bollinger: Abweichler müssen Mandat zurückgeben
Bollinger betonte zudem, er erwarte, dass die ausgetretenen Abgeordneten ihr Mandat zurückgäben, doch die denken nicht daran: Die drei fraktionslosen Ex-AfD-Abgeordneten wollten nun eine informelle parlamentarische Gruppe gründen, sagte Frisch: „Wir werden uns schon zu Wort melden und zu allen relevanten Plenarthemen sprechen“, kündigte Frisch an: „Ich bin konservativ, ich bin pflichtbewusst, ich werde meinen Job weiter machen – und für die Inhalte und Ziele der AfD sprechen.“
Die Fraktion habe ihm am Herzen gelegen, deren Arbeit sei „außergewöhnlich erfolgreich“ und auch über Parteigrenzen hinaus respektiert worden, sagte Frisch. „Ich habe in der Landespartei noch viele Unterstützer, die mir den Rücken stärken, und die zählen auf mich“, sagte er weiter. In der Fraktion gebe es keine Mehrheit mehr für ihn, „das akzeptiere ich“, betonte er: „Aber ich bin nicht bereit, mit meiner Arbeit und meinem Namen so eine Entwicklung zu unterstützen.“ Er wolle jetzt in der Landespartei seine Perspektive kommunizieren.
Die rheinland-pfälzische SPD sprach hingegen von einem „kalten Putsch“. Damit hätten jetzt schon drei Abgeordnete die Fraktion verlassen, „der ‚blaubraune Haufen‘ setzt seinen Implosionsprozess weiter fort“, reagierte SPD-Generalsekretär Marc Ruland. Mit Bollinger an der Spitze sei „klar, wohin der Weg der sogenannten Alternative für Deutschland führt“, sagte Ruland: „Mir sind die Bilder noch gut in Erinnerung, in denen Bollinger stolz grinsend neben seinem Thüringer Parteifreund Björn Höcke – der juristisch bestätigt als Faschist bezeichnet werden darf – für die Kameras posiert.“ Der neue AfD-Fraktionsvorsitzende sei „ein geistiges Höcke-Anhängsel“, sagte Ruland weiter.
SPD: „kalter Putsch“, „geistiger Höcke-Anhänger“
„Mit der Entmachtung Frischs und dem Einsetzen Bollingers an der Fraktionsspitze haben sich die Wölfe nun ihres Schafspelzes entledigt“, sagte auch SPD-Fraktionschefin Bätzing-Lichtenthäler: Damit habe die AfD-Fraktion „sehr offensichtlich einen Schritt zu mehr Extremismus und Hetze gemacht.“ Bollinger sei 2021 in einem Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz im Kontext ‚Muslimfeindliche Aussagen und Positionen‘ geführt worden und falle im Plenum „immer wieder durch dumpfsten rechten Populismus auf“, kritisierte Bätzing-Lichtenthäler.
Auch Ruland verwies darauf, dass die AfD-Landesverbände in Thüringen und Sachsen-Anhalt bereits als rechtsextreme Verdachtsfälle vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Und der jetzt zum Parlamentarischen Geschäftsführer gewählte Damian Lohr habe sein Wahlkreisbüro im sogenannten „Zentrum Rheinhessen“ in Mainz-Hechtsheim. Das sei „ein Ort, an dem es laut Medien Verbindungen und Überschneidungen zwischen AfD, Burschenschaftsszene, rechtsextremen Aktivisten, Mitgliedern der Identitären Bewegung und Neonazis geben soll“, kritisierte Bätzing-Lichtenthäler.
Folgen auch auf U-Ausschuss Flutkatastrophe Ahrtal
Der Knall in der AfD-Fraktion hat nun aber auch Auswirkungen auf den Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal: Am Montag tritt der Ausschuss zu einer neuen Sitzung zusammen – der gewählte AfD-Vertreter in diesem Ausschuss bisher: Michael Frisch. Er hatte sich durch hartnäckige Aufklärungsarbeit im U-Ausschuss Respekt über seine Fraktion hinaus erworben – es war Frisch, der durch seine Nachfragen im Herbst 2022 die Videos aus einem Polizeihubschrauber in der Flutnacht im Ahrtal aufdeckte, über die letztlich Innenminister Roger Lewentz (SPD) stürzte.
Frisch wird die Fraktion nun nicht mehr im Ausschuss vertreten können, sein Stellvertreter war bisher Jan Bollinger, der nun vermutlich übernehmen muss. Doch Frisch nimmt mit seinem Abgang auch sein geballtes Wissen um die Aufklärungsarbeit sowie weitere Vorhaben für Zeugenbefragungen in den kommenden Wochen mit, völlig unklar ist damit nun auch, wie es mit dem Abschlussbericht der AfD-Fraktion zum Ausschuss weitergeht: Den Bericht hatte bislang vor allem einer geschrieben – Michael Frisch.
Info& auf Mainz&: Mehr zur neuen Sitzung des Untersuchungsausschusses zur Flutkatastrophe im Ahrtal am kommenden Montag lest Ihr hier bei Mainz&.