Bähm! Grünen-Chef Omid Nouripour hat am Sonntagabend die Ampel de facto für gescheitert erklärt: “Diese Koalition ist eine Übergangskoalition nach der Ära Merkel”, sagte Nouripour im ARD-Sommerinterview. Das ist ein höchst bemerkenswerter Satz, denn die vor vier Jahren noch als Aufbruchs-Koalition stilisierte Ampel wird so zu einem Hilfskonstrukt erklärt, einem Verlegenheits-Bündnis – und einem Auslaufmodell. Warum die Schockwellen dieser Entwicklung bis nach Mainz reichen (können), erklären wir in einem neuen Format: Der Mainz&-Politikkolumne.

"Mainz& politisch" - die neue Politik-Kolumne auf Mainz&. - Grafik: Mainz&
“Mainz& politisch” – die neue Politik-Kolumne auf Mainz&. – Grafik: Mainz&

Mainz& startet ein neues Format: Die Mainz&-Politikkolumne. Warum? Weil es immer mal wieder Themen gibt, die über Mainz hinausreichen, die in der weiten Welt spielen, oder aber im fernen Berlin. Die aber dennoch große Auswirkungen auf die Politik und das Weltgeschehen haben. Die wir wichtig für das politische Verständnis finden. Die auch Auswirkungen auf Mainz haben. Wie etwa der US-Wahlkampf und das Drama um Joe Biden, Kamala Harris oder Donald Trump. Oder eben Entwicklungen in Berlin oder anderswo.

Dabei analysieren wir, ordnen ein, kommentieren auch ein wenig – eben eine Kolumne, die aber gleichwohl auf intensiver Recherche beruht – wie immer bei Mainz&. Bisher haben wir solche Texte  auf unserem Facebook-Account geteilt, aber eigentlich ist das schade: Nicht jeder nutzt Facebook, viele unserer Leser kommen direkt auf Mainz& – auch denen wollen wir ja unserer Artikel nicht vorenthalten. Und wir haben gemerkt: Auch diese politischen Kolumnen stoßen auf großes Interesse, also: hier ist sie – die Kolumne “Mainz& politisch”.

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Nouripour erklärt Ampel für gescheitert: “Übergangskoalition”

In der ersten Ausgabe widmen wir uns gleich mal einem Paukenschlag, den niemand anderes als der Bundeschef der Grünen am Sonntagabend im Sommerinterview mit der ARD losgelassen hat: Die Ampel, erklärte Nouripour da, sei “eine Übergangskoalition nach der Ära Merkel”: Das Bündnis sei halte vor drei Jahren “notwendig” gewesen, aber “das Vertrauen an Grenzen gekommen” – de facto erklärte Nouripour mal eben das Bündnis aus SPD, Grünen und FDP für gescheitert.

Grünen-Bundeschef Omid Nouripour am Sonntagabend im ARD-Sommerinterview in der Sendung "Bericht aus Berlin". - Screenshot: gik
Grünen-Bundeschef Omid Nouripour am Sonntagabend im ARD-Sommerinterview in der Sendung “Bericht aus Berlin”. – Screenshot: gik

Ein Bündnis des Übergangs. Ein Notbehelf. Nichts, was man fortsetzen will. Das Verhältnis muss wahrlich zerrüttet sei, damit ein Spitzenpolitiker so etwas öffentlich sagt. Warum ist das so bemerkenswert, auch für Mainz?

Nun, weil die Mainzer Ampel nichts weniger als die Blaupause war für die Berliner Koalition aus SPD, Grünen und FDP. Malu Dreyer war damals die Architektin der Ampel, ihr heimlicher Ko-Architekt aber hieß Volker Wissing – und es war von vorneherein der Traum des FDP-Mannes aus Rheinland-Pfalz, damit seiner Partei genau diese Machtoption für Berlin zu eröffnen. Das ist übrigens verbrieft – unter anderem im Gespräch mit dieser Journalistin.

Mainzer Ampel als Blaupause für Berlin: Wissings Werk

Und tatsächlich: Nach der Bundestagwahl 2021 schaffte Wissing es, erst seinen Parteichef Christian Lindner, und dann seine Partei davon zu überzeugen, dass eine Ampel ein gangbarer Weg für Liberale ist. Daraus sprach auch der Frust mit Angela Merkel, die 2009 bis 2013 in einer schwarz-gelben Koalition die FDP tot-regiert hatte – die flog nämlich danach mit Pauken und Trompeten aus dem Bundestag.

Das legendäre Selfie von FDP- und Grünen-Spitze im Herbst 2021 sollte eine neue Coolness transportieren: Seht her, wir passen zusammen! - Foto: Wissing via Twitter
Das legendäre Selfie von FDP- und Grünen-Spitze im Herbst 2021 sollte eine neue Coolness transportieren: Seht her, wir passen zusammen! – Foto: Wissing via Twitter

Die Berliner Ampel startete euphorisch, unvergessen das Selfie mit FDP und Grünen, nachdem sie sich gemeinsam auf eine Regierung geeinigt hatten – an der SPD vorbei. Eine “Fortschrittskoalition” wollte man sein, Deutschland neu aufsetzen, Stillstand beenden, Baustellen auflösen.

Drei Jahre später ist diese Koalition ein Desaster. Der Streit beherrscht das Alltagsgeschäft, gerade Grüne und FDP können sich offenbar auf nichts mehr einigen – und der SPD-Kanzler Olaf Scholz tut nichts, um zu schlichten oder die Koalition zusammenzuhalten. Die Ampel ist Geschichte, bevor sie abgewählt werden wird.

Feuert das Berliner Ampel-Drama auf Mainz zurück?

Und die Frage stellt sich: Feuert das auf Rheinland-Pfalz zurück? Denn “Dank” der Berliner Ampel wendet sich die Bevölkerung zunehmend genervt bis angewidert von dieser Art Politikkonstellation ab. Die Ampel auf Ebene des Mainzer Stadtrats ist bereits Geschichte – auch die Ampel auf Landesebene Rheinland-Pfalz könnte folgen. Denn in Mainz regiert man zwar “geräuschlos”, wie es immer so schön heißt, doch eigentlich ist das nur ein anderes Wort für: Stillstand.

Die Schnorreswackler im Februar 2022 als "Ampel": Nur ein Fastnachtscherz? - Foto: gik
Die Schnorreswackler im Februar 2022 als “Ampel”: Nur ein Fastnachtscherz? – Foto: gik

Denn auch die Ampel in Mainz bekommt seit geraumer Zeit nichts Konstruktives oder gar Zukunftsgewandtes mehr auf die Reihe. Die Schulpolitik ist ein einziges Aussitzen und Schönfärben von Problemen – man denke nur an die Grundschule in Ludwigshafen, deren Probleme mit sitzenbleibenden Kindern mitnichten gelöst sind -, in Sachen Konsequenzen für den Katastrophenschutz geht kaum etwas voran, beim Thema Migration und Integration schon gar nichts, und die Kommunen ächzen weiter unter hohen Schuldenlasten und unausgeglichenen Haushalten. Und die Wirtschaftspolitik – ähm, welche Wirtschaftspolitik?! Genau.

Die Ampel in Mainz bezahlt Ruhe mit Stillstand, wie das in einer lebendigen und mit Journalisten gepflasterten Hauptstadt ausgeht, kann man in Berlin besichtigen. Dort jedenfalls regiert zusammen, was nicht zusammengehört. Das wird noch ein wildes Jahr bis zur Bundestagswahl – sofern die FDP nicht doch noch vorzeitig die Regierung platzen lässt im vermeintlichen Glauben, das werde an der Wahlurne helfen.

Ampel-Koalition: Weder Erfolgsmodell noch Exportschlager

In Mainz muss der neue Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD) nun beweisen, dass Ampel auch anders geht – oder im Sog des Bundes mit sinken. Bislang hält Schweitzer eisern an dem Bündnis fest, praktisch sein erster Satz als neuer Ministerpräsident war ein eiserner Schwur zur Ampel. Nun kann Schweitzer ja nicht einfach das Bündnis in Frage stellen, dann wäre seine Regierung schon geplatzt, bevor sie begonnen hat – aber Schweitzer kündigte auch gleich an, er wolle die Ampel auch nach der nächsten Wahl fortsetzen.

Mainzer Ampel: Viel Stillstand, wenig Bewegung - und kaum gelbe Einflüsse. - Foto: gik
Mainzer Ampel: Viel Stillstand, wenig Bewegung – und kaum gelbe Einflüsse. – Foto: gik

Dabei ist eines längst klar: Ein Erfolgsmodell oder gar Exportschlager ist die Ampel nicht, zu groß sind vor allem die Gegensätze zwischen FDP und Grünen. Schon in seiner Mainzer Zeit rieb sich ein gewisser Volker Wissing als Verkehrsminister an den Grünen mit ihrer Ideologie-geprägten Verkehrspolitik, eine Auswirkung davon: dringend notwendige Straßenbauprojekte und Sanierungen kamen nicht voran – schon gar nicht der Ausbau der A643 im Anschluss an die Schiersteiner Brücke. Den Planfeststellungsbeschluss gibt es bis heute nicht, die A643 droht auf Jahre hinaus ein Engpass zu bleiben.

In Mainz bauten Grüne und SPD in schöner Eintracht Betonwüsten statt grünen Lungen in der Innenstadt, die Verkehrspolitik ist eine einzige Katastrophe, einen Plan gibt es weder fürs Bauen, noch für den Verkehr noch für mehr Grün in der Stadt. Und die FDP wurde in der Koalition zuletzt überhaupt nicht mehr wahrgenommen – Rot-Grün dominierte die vergangenen 15 Jahre. Ein Fortschrittsbündnis wurde die Ampel weder in Mainz, noch in Rheinland-Pfalz und auch nicht in Berlin – gestern wurde endgültig ihr Ende eingeläutet.

Im Bund heißt der große Gewinner vermutlich CDU. Und in Mainz? Man wird sehen. Hier standen die Zeichen zuletzt auch eine ganz große Stadtratskoalition aus Grünen und SPD mit der CDU. Jetzt, nach der Sommerpause, wird sich vermutlich bald entscheiden, wie das ausgeht: Kommt Kenia in Mainz?

Info& auf Mainz&: Mehr zum ARD-Sommerinterview mit Omid Nouripour findet Ihr hier im Internet.