Die Landeshauptstadt Mainz hat nun ebenfalls den Klimanotstand ausgerufen. Der Mainzer Stadtrat beschloss am Mittwoch mit drei Gegenstimmen und einer Enthaltung die Ausrufung. Der Rat stelle fest, „dass die Klimakrise auch vor der Landeshauptstadt keinen Halt macht“, die Veränderungen stellten eine Bedrohung für Wohlstand, sozialen Frieden und die Zukunftschancen der kommenden Generationen dar, heißt es im Beschlusstext. Deshalb stelle man alle künftigen Entscheidungen, Projekte und Prozesse unter einen Klimaschutzvorbehalt. Die Ausrufung ist mit einem Katalog von rund einem Dutzend konkreten Maßnahmen verbunden. Der Stadtrat setzte allerdings gleich darauf zwei Anträge mit Klimabezug von der Tagesordnung ab: Die von der CDU beantragte Einführung eines 365-Euro-Tickets sowie ein Verbot von Schotter- und Kiesgärten (ÖDP). Auch die Ausschreibungen für die Wettbewerbe an der Ludwigsstraße wurden verabschiedet, ein Antrag auf die Prüfung der mikroklimatischen Auswirkungen der Entwürfe aber abgelehnt.
Der Entscheidung ging eine intensive Expertenanhörung voraus, in der vor allem Wissenschaftler eindringlich appellierten: Die bisherigen Maßnahmen reichten nicht aus. „Wir haben bisher noch gar keinen Klimaschutz betrieben, denn die Emissionen sinken nicht“, sagte etwa ZDF-Meteorologe Özden Terli. Die Veränderungen im Klima seien schon jetzt „dramatisch wie nie“, der für das europäische Klima so wichtige Jetstream im atlantischen Ozean ändere sich schon jetzt stark und komme manchmal sogar schon zum Erliegen. Damit drohten erhebliche Wetterextreme. „Wir müssen viel, viel mehr machen, und wir müssen ehrlich sein“, forderte Terli: „Wir dürfen uns nicht in die Tasche lügen, und sagen: das haben wir erreicht – wir haben bisher nichts erreicht.“
Auch Vertreter von Scientists for Future, vom Deutschen Institut für Urbanistik, vom Wuppertal Institut sowie Wissenschaftler von der Mainzer Universität forderten vehement, sofortiges und energisches Handeln der Politik. „Sie haben heute hier die Möglichkeit, ein Zeichen zu setzen, mutig voran zu gehen“, appellierte Sorena Herrmann von Fridays for Future an den Stadtrat: „Sie haben die Chance, etwas zu verändern für die kommenden Generationen, für den Erhalt unserer Erde.“
Der Stadtrat beschloss danach mit überwältigender Mehrheit die Ausrufung des Klimanotstands, der Beschluss enthält zudem rund ein Dutzend konkrete Aufgaben an die Verwaltung für Maßnahmen zum besseren Umsetzen von Klimaschutzzielen in Baurecht und Mobilität. In der anschließenden Stadtratssitzung setzte allerdings die alte Ampel-Koalition aus Grünen, SPD und FDP mit ihrer Mehrheit alle fünf Anträge des Tages von der Tagesordnung ab. Darunter waren ein Antrag der CDU zur Schaffung von Wohnraum über Discountern, der Antrag der Freien Wähler für einen Bürgerentscheid in Sachen Rathaussanierung – und zwei klimarelevante Anträge: Die CDU hatte einen Antrag zur Einführung eines 365-Euro-Tickets gestellt, die ÖDP wollte Schotter- und Kiesgärten verbieten lassen. Mit der Absetzung werden diese Themen vor der Oberbürgermeisterwahl am 27. Oktober nicht mehr behandelt werden können, der nächste Stadtrat tritt Ende November zusammen.
SPD-Fraktionschefin Alexandra Gill-Gers argumentierte, durch die Klimaanhörung dauere der Stadtrat schon lange genug, CDU-Fraktionschef Hannsgeorg Schönig hielt dagegen: Da werde doch wohl auch noch Zeit für die Behandlung von fünf Anträgen sein. Die Stadtratssitzung war vor 20.00 Uhr beendet. Zuvor hatten die Stadträte noch den Beschluss für das Baukonzept an der Ludwigsstraße beschlossen, einschließlich von Ausschreibungstexten für die städtebaulichen Wettbewerbe. Die Piraten wollten dabei gleich die erste Konsequenz aus der Anhörung zum Klimanotstand ziehen: In der Anhörung hatten Geographen der Universität Mainz von einem Modell berichtet, mit dessen Hilfe die klimatischen Auswirkungen von Bauvorhaben auch im Mikroklimabereich berechnet werden können.
Maurice Conrad, Mitglied der Piraten, beantragte daraufhin in der Stadtratssitzung einen Zusatz zum Ausschreibungstext der Wettbewerbe: Danach sollte eine mikroklimatische Simulation Pflicht bei jedem Wettbewerbsentwurf sein, um die Auswirkungen des jeweiligen Entwurfs auf die Erhitzung der Innenstadt absehen zu können. Baudezernentin Marianne Grosse (SPD) sagte dazu, man habe mit dem Projektträger Molitor-Gemünden vereinbart, den Siegerentwurf einer mikroklimatischen Betrachtung zu unterziehen, dieser habe das auch zugesagt. Was sei denn aber, wenn man dann feststelle, dass der Siegerentwurf bei der mikroklimatischen Betrachtung durchfalle, wollte daraufhin ein Stadtratsmitglied wissen. Grosse sagte dazu, es gebe „noch Spielraum nachzubessern.“
Der Stadtrat lehnte den Zusatz der Piraten mit 30-Nein-Stimmen ab, 20 Stadträte votierten für die mikroklimatische Beurteilung. „Und dass, nachdem wir gerade den Klimanotstand ausgerufen haben“, kritisierte ein Stadtratsmitglied kopfschüttelnd nach der Sitzung. Auch die Vorlagen zur Ludwigsstraße wurden beschlossen, obwohl es aus dem Rund der Stadträte erhebliche Kritik am Zeitdruck gegeben hatte – mehr dazu lest Ihr hier bei Mainz&. Am Ende stimmten von 60 Stadträten zehn gegen die Vorlagen.
Der Vorsitzende der Freien Wähler, Gerhard Wenderoth, kritisierte am Abend auf Facebook die Absetzung des Antrags zum Bürgerentscheid Rathaussanierung scharf: Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) „schickt das Stadtparlament in eine sechswöchige Zwangspause, da der Antrag der Freien Wähler über einen Bürgerentscheid für das Rathaus zu entscheiden, seinen aktuellen Wahlkampf negativ beeinträchtigt“, kritisierte Wenderoth: „Man hätte klare Position beziehen müssen ob die Bürger in Mainz mitentscheiden dürfen oder weiterhin Bürgerbeteiligung nur dann erwünscht ist wenn es Ebling und den Genossen passt.“ Das sei „ein unglaublicher Vorgang“ in Mainz, der rein machtpolitisch getrieben sei, schimpfte Wenderoth.
Info& auf Mainz&: Einen ausführlichen Bericht zur Anhörung zum Klimanotstand liefern wir Euch morgen auf Mainz& nach. Wieso die ÖDP Schottergärten verbieten wollte, und warum das unangenehm, für die Ampel-Koalition war, könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen.