Vier Monate vor der Kommunalwahl stellt die Mainzer AfD nun das jugendpolitische Kulturfestival Open Ohr in Frage. Das Open Ohr sei eine „von der Stadt finanziell unterstützte Massenveranstaltung“, deshalb dürfe das Festival „nicht nur linksradikale politische Gruppierungen zu Wort kommen lassen“, sagte AfD-Stadtratskandidat Cornelius Persdorf. Zugleich schlug er vor, das Festival „zur Schonung der Anwohner“ auf das Hechtsheimer Messegelände zu verlegen – wo ja auch das Oktoberfest stattfinde. Die Forderungen sorgten umgehend für Kopfschütteln: „Die Haltung der AfD zum Open Ohr entlarvt sie als eine Partei, die gegen Alles steht, wofür unsere Stadt seit 2000 Jahren steht: Weltoffenheit, kulturelle Vielfalt und Toleranz“, sagte die SPD-Spitzenkandidatin für die Kommunalwahl, Alexandra Gill-Gers. Der Open Ohr-Verein selbst reagierte sarkastisch: „Das können wir ja fast schon als Ehrensache werten“, hieß es auf der Facebook-Seite.

Bunt, vielfältig, kritisch – das Open Ohr nennt sich politisches Jugendkulturfestival, ist aber längst ein Festival für alle Generationen. – Foto: gik

Das Open Ohr findet in diesem Jahr zum 45. Mal statt, das politische Jugendkulturfestival ist bundesweit das letzte seiner Art. Vier Tage lang wird auf der Zitadelle in Mainz nicht nur gefeiert und Musik gehört, in rund einem Dutzend Foren und Workshops wird auch über ein aktuelles politisches Thema diskutiert. Die Themen, die eine Freie Projektgruppe komplett unabhängig von Stadt oder Parteien beschließt und erarbeitet, legen oft den Finger in gesellschaftspolitische Wunden: Machtfragen, Aufstände oder die Teilung der Welt in Arm und Reich, die Sinnsuche der Jugend, die Rolle von Arbeit oder Sex in unserer Gesellschaft – die Themen sind meist hochaktuell und fast immer brisant.

Das führte in der langen Geschichte des Festivals immer mal wieder zu Unmut bei den Herrschenden: 2001 ging die CDU auf die Barrikaden, weil das Open Ohr angesichts wachsender Fremdenfeindlichkeit das Thema „Die Rechts schaffende Mitte“ wählte – und damit explizit auch die CDU und ihre Politik meinte. Die Zeiten sind vorbei: Seit einigen Jahren gibt es einen parteiübergreifenden Konsens in Mainz, das Open Ohr als besonders wichtiges Element freiheitlicher Diskussionskultur zu bewahren. Und selbst CDU-Landeschefin Julia Klöckner ließ sich gerne zum Eröffnungspodium einladen, als es 2016 um das Thema „Heimat“ ging.

- Werbung -
Werben auf Mainz&
Das wohl umstrittenste Open Ohr: Gegen das Thema „Die rechts schaffende Mitte“ ging 2001 die CDU auf die Barrikaden. – Foto: gik

Nun wärmt die AfD ein eigentlich erledigtes Thema wieder auf: Das Open Ohr müsse „einen stärkeren Fokus auf politische Neutralität und  Ausgewogenheit legen“, sagte Persdorf, schließlich biete die Stadt dem Open Ohr „Ausfallgarantien im Verlustfall, dazu weitere Privilegien wie Nutzung des Parks als Camping-Fläche und Ausnahmen vom Grillverbot.“ Da sei es „nur fair, wenn nicht nur linksradikale politische Gruppierungen beim Open Ohr zu Wort kommen.“ Worum es Persdorf geht, zeigt sich aber auch am nächsten Satz: Man werde sich ja auch gern „jeder sachlichen Diskussion“ stellen – wenn man doch nur eingeladen werde.

Außerdem spricht sich Persdorf für eine Verlegung des Festivals aus, und bezieht sich dafür auf die Anwohner: zu deren Schonung solle man doch ein anderes Veranstaltungsgelände wählen: „Das Mainzer Oktoberfest ist ein hervorragendes Beispiel für gute Stimmung und kräftig feiern bei minimaler Lärmbelästigung. Warum also das Open Ohr nicht auf das Hechtsheimer Messegelände verlegen?“, sagte Persdorf.

„Wer das Festival in Frage stellt, stellt etwas von dem in Frage, was unsere demokratische Gesellschaft ausmacht“, erklärte umgehend SPD-Fraktionschefin Alexandra Gill-Gers. Man könne doch nicht einfach das Open Ohr abschaffen wollen, „nur, weil einem die dort geäußerten Meinungen nicht passen“ – das zeige „ein sehr fragwürdiges Demokratieverständnis.“ „Das Open Ohr gebe seit vielen Jahrzehnten der Jugendkultur eine Stimme, und es wirke weit über Mainz hinaus. Das Festival biete eine kulturelle „Heimat“ im besten Sinne, „viele, die in den 1970-er und 1980-er Jahren mit ihren Eltern zum Open Ohr gegangen sind, gehen heute mit ihren Kindern dort hin“, sagte Gill-Gers.

Diskussionen bei Podien sind ein elementarer Bestandteil des Open Ohr – und sie sind gefragt. – Foto: gik

Wenn die AfD nun das Open Ohr im beginnenden Kommunalwahlkampf in Frage stelle, „dann zeigt diese Partei beispielhaft, welchen Kulturbegriff sie nicht hat: Sie steht nicht für Freiheit und Offenheit, für Experimentierfreude und Dialog, nicht für Toleranz und für ein breites Spektrum an Möglichkeiten“, kritisierte Gill-Gers: „Die Haltung der AfD zum Open Ohr entlarvt sie als eine Partei, die gegen Alles steht, wofür unsere Stadt seit 2000 Jahren steht: Weltoffenheit, kulturelle Vielfalt und Toleranz.“

Verschickt wurde die Mitteilung der Mainzer AfD übrigens von dem rheinland-pfälzischen AfD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Münzenmaier, der Vorsitzender der Tourismusausschusses im Deutschen Bundestag ist. Münzenmaier gehört zu jenen AfD-Mitgliedern, die noch im November 2011 der „Jungen Alternativen“ demonmstrativ den Rücken stärkte: „Die „Junge Alternative Rheinland-Pfalz“ ist und bleibt unsere Parteijugend, und ich bin froh und stolz so viele junge, motivierte und fleißige Menschen mit Idealen und Werten in unseren Reihen zu haben“, teilte Münzenmaier am 27. November 2018 mit.

Inzwischen stufte der Verfassungsschutz die „Junge Alternative“ als Verdachtsfall ein: Dem Bundesamt für Verfassungsschutz lägen „hinreichend gewichtige Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich um eine extremistische Bestrebung handelt“, teilte das BfV am 15. Januar mit. Es lägen „klare Anhaltspunkte für eine migrations- und insbesondere muslimfeindliche Haltung der JA vor“, die Arbeit der Jungen Alternative richte sich „auch gegen das Demokratieprinzip“. Der Bundesvorsitzende der Jungen Alternativen, Damian Lohr, sitzt für die AfD im Landtag Rheinland-Pfalz.

Der Open Ohr-Verein reagierte auf seiner Facebookseite kurz und mit Humor: „Mainzer AfD hat ein Problem mit dem Open Ohr. Das können wir ja fast schon als Ehrensache werten“, schrieb die Projektgruppe: „Die würden das Festival wohl gerne zum Mond schießen.“ Unterstützung kam umgehend von zahlreichen Mainzern:  „Ich war noch nie auf dem Open Ohr, weil es mich nie angezogen hat. Jetzt, wo die AfD sich dagegen positioniert, werde ich glühender Open-Ohr-Verfechter und gehe notfalls sogar dafür auf die Straße“, schrieb ein Facebook-Leser. Und die Regisseurin Carola Unser kommentierte: „Das OPEN OHR produziert vor allem Diskurse, Begegnungsräume, Impulse für sinnstiftende Welt gestaltende Gespräche, Brücken und glückliche Zeiten, und das ziemlich barrierefrei, generationsübergreifend und inklusiv, interkulturell. Demokratiefördernd und -bildend hoch zehn. Beste Bürger*innenschulung mit Spass. Was kann eine Stadt besseres unterstützen? „

Info& auf Mainz&: Mehr zur Geschichte des Open Ohr lest Ihr hier bei Mainz&. Zum 40. Geburtstag des Open Ohr veröffentlichte der Open Ohr Förderverein übrigens „10 Thesen, warum es das Open Ohr noch braucht“, den lesenswerten Debattenbeitrag lest Ihr hier bei Mainz&. In diesem Jahr diskutiert das Open Ohr übrigens über den Sinn und das Versagen politischer Parteien als Vertreter des sogenannten „Volkswillens“ – das lest Ihr hier bei Mainz&.

 

HINTERLASSEN SIE EINEN KOMMENTAR

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein