Nach einer ganzen Serie verlorener Wahlen sucht die Mainzer CDU nun nach einer Neuaufstellung – und wartete am Freitagabend mit einer Überraschung auf: Der Mainzer Stadtrat Thomas Gerster führt künftig die Mainzer CDU. Gerster war im Vorfeld nicht als Kandidat gehandelt worden, trat aber überraschend am Abend zur Wahl an – nachdem die Mainzer Wirtschaftsdezernentin Manuela Matz ebenso überraschend ihre Kandidatur zurückgezogen hatte. Gerster wurde mit dem denkbar knappsten Ergebnis gewählt – die Mainzer CDU ringt weiter um Geschlossenheit und die Frage einer Neuaufstellung.

Die scheidende CDU-Kreischefin Sabine Flegel (rechts) fehlte am Freitag krankheitsbedingt, hier mit CDU-Kollege Gerd Schreiner auf dem Flugplatz Mainz-Finthen. - Foto: gik
Die scheidende CDU-Kreischefin Sabine Flegel (rechts) fehlte am Freitag krankheitsbedingt, hier mit CDU-Kollege Gerd Schreiner auf dem Flugplatz Mainz-Finthen. – Foto: gik

81 zu 80 Stimmen – so lautete am Ende das Ergebnis einer turbulenten Vorstandswahl bei der Mainzer CDU. Nach fünf Jahren hatte CDU-Kreischefin Sabine Flegel im Vorfeld des Parteitags angekündigt, sie werde sich nicht mehr zur Wiederwahl als Kreischefin stellen. Flegel hatte im September 2016 den Vorsitz des Kreisverbandes von dem früheren Mainzer Umweltdezernenten Wolfgang Reichel übernommen, mit ihrer Wahl waren hohe Erwartungen verbunden – Flegel wurde mit 96 Prozent ins Amt gewählt.

Doch auch die Gonsenheimerin schaffte es nicht, die tief gespaltene Partei wirklich zu einen, Gräben zu überbrücken und eine schlagkräftige Truppe zu formen. Flegels größter Erfolg war die Aufstellung des unabhängigen OB-Kandidaten Nino Haase, der 2019 bei der Oberbürgermeisterwahl in Mainz für die CDU antrat – nicht jedem schmeckte das damals in der CDU. Doch Haase schaffte es in die Stichwahl gegen Amtsinhaber Michael Ebling (SPD) und agierte fast auf Augenhöhe mit dem Amtsinhaber. „Die anderen haben das Zittern gekriegt“, bilanzierte der Mainzer Landtagsabgeordnete Gerd Schreiner – zu Verdanken sei der Erfolg der klugen, weitsichtigen Analyse Flegels gewesen.

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Flegel hingegen war am Freitagabend gar nicht da, die scheidende Chefin fehlte krankheitsbedingt – ein unglücklicher Umstand und ein nahezu symptomatischer: Unter Flegels Führung erlebte die Mainzer CDU letztlich Wahlverluste in Serie. 23,4 Prozent bei der Kommunalwahl 2019, 21,5 Prozent bei der Landtagswahl 2021 und nur noch 21,2 Prozent bei der Bundestagswahl im September – die CDU verlor Wahl um Wahl immer mehr an Boden in der Mainzer Wählerschaft. Schreiner analysierte denn auch, die Mainzer CDU habe an Verankerung in den Stadtteilen verloren, die Partei dürfe sich nicht nur auf ihre vermeintlichen „Hochburgen“ konzentrieren.

Gerd Schreiner auf dem CDU-Parteitag im Juni 2020. - Foto: gik
Gerd Schreiner auf dem CDU-Parteitag im Juni 2020. – Foto: gik

„Unsere Hochburg muss ganz Mainz sein“, betonte Schreiner, die CDU brauche nicht nur wieder mehr Wähler, sondern auch mehr engagierte Mitglieder. „Machen wir uns nichts vor: Mitglieder bindet man durch Mitglieder – und Wähler durch Mitglieder“, sagte Schreiner. 1.261 Mitglieder hat die Mainzer CDU aktuell noch, 115 Mitglieder verlor sie zuletzt – das Ziel waren einmal 3000 Mitglieder. Wenn die CDU eine Volkspartei sein wolle, „müssen wir daran arbeiten, dass wir aus jedem Stadtteil einen Vertreter im Stadtrat haben.“ Die CDU müsse ihre Inhalte zudem überzeugend darbieten, und das ruhig auch mit Reibung: „Politik bedeutet: Suche Dir ein wichtiges Thema, und darüber fängst du Streit an“, zitierte Schreiner eine alte CDU-Regel: Streitige Themen erzeugten Reibungswärme, und dann habe man auch die Chance, Menschen zu motivieren und zu überzeugen.

Welche Stimmung indes in der Mainzer CDU herrscht, wurde schon bei Schreiners Vortrag: Gleich reihenweise gab es Zwischenrufe, „alles Quatsch“, nörgelte etwa ein Mitglied von der Seite rein, „das versteht man doch alles nicht.“ So ging es auch im Verlaufe des nächsten Stunden weiter: Redner wurden permanent durch Zwischenrufe unterbrochen, hin und wieder waren die sogar mit persönlichen Angriffen von der Seitenlinie gespickt, im Saal wurde gemurmelt und brach immer wieder Unruhe aus – es gärte unter den 170 anwesenden Mitgliedern. Das Bedürfnis nach Debatte wäre offenbar groß gewesen – zustande kam sie indes nicht.

Aufgeheizte Stimmung auf dem Parteitag der Mainzer CDU am Freitagabend im Mainzer Schloss. - Foto: gik
Aufgeheizte Stimmung auf dem Parteitag der Mainzer CDU am Freitagabend im Mainzer Schloss. – Foto: gik

Stattdessen wartete Wirtschaftsdezernentin Matz mit einem Paukenschlag auf: „Einige werden sich wundern: ich wollte mich bewerben, weil ich tief davon überzeugt bin, dass Mainz einen neuen Impuls braucht“, sagte Matz. Die CDU hätte mit einer echten Neuaufstellung „ein wirklich starkes Signal in die Stadt senden können“, betonte die Dezernentin weiter. Während des „innerparteilichen Werbens“ um die Position habe sich aber „leider herausgestellt, dass es weniger um Neuaufstellung geht, sondern darum: wer zu welchem Lager gehört“, kritisierte Matz. Das sei nicht gut, und es habe „Anzeichen gegeben, dass sich das möglicherweise festigen würde, daher habe ich mich entschlossen, nicht anzutreten“, fügte sie hinzu.

Matz hatte im Vorfeld des Parteitages ihren Hut in den Ring geworfen, und dabei auch mit ihrer Position als Wirtschaftsdezernentin geworben. Die CDU-Politikerin war Ende 2018 völlig überraschend zur Nachfolgerin des abgetretenen FDP-Wirtschaftsdezernenten Christopher Sitte gewählt worden, Matz steht seither im SPD-Grün-dominierten Stadtvorstand weitgehend isoliert da. Sie brauche als Mitglied des Stadtvorstands Rückendeckung aus Partei und Fraktion für eine starke Position, hatte Matz argumentiert, auf dem Parteitag verwies sie darauf, dass nach der Kommunalwahl 2024 praktisch die ganze Stadtspitze neu gewählt werden muss. „Ich glaube auch, ich hätte gute Chancen gehabt gewählt zu werden“, betonte Matz. Genügend Rückendeckung sah sie dafür in der Partei offenbar nicht gegeben, ihr Rückzug wurde mit Entsetzen quittiert, der Parteitag bedachte sie mit lang anhaltendem Applaus.

Zog kurzfristig ihre Kandidatur als Kreischefin zurück: Wirtschaftsdezernentin Manuela Matz. - Foto: gik
Zog kurzfristig ihre Kandidatur als Kreischefin zurück: Wirtschaftsdezernentin Manuela Matz. – Foto: gik

Matz richtete derweil noch einen eindringlichen Appell an die Partei: „Bleiben Sie geschlossen“, mahnte Matz: „Nur gemeinsam sind wir stark – wir sind stark im Team.“ Ganz ähnlich hatte zuvor auch der Mainzer Landtagsabgeordnete Gerd Schreiner plädiert: Die Union sei immer dann stark gewesen, wenn sie geschlossen aufgetreten sei, unterstrich er: „Wir sind dann stark, wenn wir im Team stark sind“, mahnte er: „Wir sind eine bunte, fröhliche, Zukunfts-zugewandte Truppe – so kann man die Menschen überzeugen, CDU zu wählen.“

Es nützte nicht besonders viel. „Ich glaube, es tut bei der Partei nicht gut, wenn sie sich in verschiedenen Lager spaltet“, sagte ein Redner in der folgenden Aussprach – nur um aus dem Publikum per Zwischenruf beschieden zu werden: „Es ist doch so!“ Nur ein Parteimitglied versuchte, so etwas ähnliches wie eine Bilanz der verkorksten Wahlkämpfe zu ziehen, rügte Plakate ohne jede Aussage und viel zu wenig Unterstützung für die Parteigliederungen in den Stadtteilen. Ein anderes Parteimitglied rechnete hingegen erbost mit denen ab, die Matz Rückzug zu verantworten hatten: „Die Handkäs Mafia“ sei wieder einmal das Entscheidende gewesen“, schimpfte er, die Partei müsse doch „das Sagen behalten, und nicht die Apparatschiks“ – er hoffe sehr, „dass die Partei wirklich eine Wende findet“, und die Basis die Entscheidungen treffe.

Warb eindringlich für Erneuerung und Aufbruch: CDU-Stadtrat Karsten Lange. - Foto: gik
Warb eindringlich für Erneuerung und Aufbruch: CDU-Stadtrat Karsten Lange. – Foto: gik

CDU-Stadtrat Karsten Lange warb denn auch mit Neuaufstellung und Teamgeist für seine Kandidatur. Ihm sei „eine Kultur der Anerkennung und der Danksagung“ wichtig, die inhaltliche Arbeit müsse wiederbelebt werden, betonte Lange, und bot Raum für Debatten an: „Ich weiß, dass vielen wichtig ist zu diskutieren, das müssen wir bieten“, sagte er. Die CDU müsse wieder stärker als Team auftreten und neue, Mitglieder und Schwung gewinnen: „Fast die Hälfte der Stadtbezirke ist eigentlich nicht mehr kampagnenfähig“, konstatierte Lange, die CDU brauche junge, neue Gesichter, denen aber auch die Chance gegeben werden müsse, früher als jetzt zu zeigen, was in ihnen stecke.

Der 45 Jahre alte Volkswirtschaftler hatte schon im Vorfeld seine Kandidatur angekündigt, Lange war der einzige, der ein Team von Stellvertretern und Mitstreitern präsentierte, mit denen er seine Erneuerung auch voranbringen wollte – darunter der Mainzer Chef der Jungen Union, Torsten Rohe, aber ebenso die altgediente Bretzenheimer Ortsvorsteherin Claudia Siebner. „Wenn Sie mich wählen sollten, gehört das Anciennitätsprinzip in dieser Partei der Vergangenheit an“, versprach Lange – für manchen altgedienten Amtsinhaber klang das offenbar wie eine Drohung.

Lange ließ sich nicht beirren: „Dass derjenige automatisch gesetzt ist, der immer schon dabei war, das trägt unsere Partei nicht voran – wir brauchen ein Leistungsprinzip“, forderte er. Es könne nicht sein, dass CDU-Nachwuchs erst mit Mitte 40 die Chance bekomme, in den Stadtrat einzuziehen. Das war auch eine Breitseite gegen CDU:-Fraktionschef Hannsgeorg Schönig: Der hatte sich wenige Tage vor dem Parteitag eilig in der Fraktion als Fraktionschef bestätigen lassen – mit dem denkbar knappen Ergebnis von einer Stimme Mehrheit.

Trat überraschend als neuer Kreischef an und setzte sich hauchdünn durch: CDU-Stadtrat Thomas Gerster. - Foto: gik
Trat überraschend als neuer Kreischef an und setzte sich hauchdünn durch: CDU-Stadtrat Thomas Gerster. – Foto: gik

Offenbar gab es jedoch eine starke Strömung, Lange unter allen Umständen zu verhindern – am Parteitagsabend wurde nun überraschend CDU-Stadtrat Thomas Gerster als Gegenkandidat vorgeschlagen. Gerster warb zunächst vor allem mit inhaltlichen Gesichtspunkten wie einer moderaten Verkehrswende mit Ausbau des ÖPNV und mehr Radpendlerrouten, forderte mehr bezahl05bares Wohnen statt Zollhafen-Gentrifizierung sowie bessere Ausstattung der Schulen, und betonte dann: „Ich will, dass wir alle wieder mit Spaß für diese Partei arbeiten, auch zusammen feiern.“ Er wolle, dass die CDU wieder für Sachthemen brenne und für sie auf die Straße gehe, damit die Wähler der CDU wieder zutrauten, die Probleme des Landes zu lösen. „Ich will“, sagte Gerster, „dass wir rausgehen und sagen: Es ist toll, in der CDU zu sein.“

Der Wahlgang danach machte es indes ausgesprochen spannend: Von 170 abgegebenen Stimmen, waren vier ungültig und fünf Enthaltungen – von den verbleibenden 161 Stimmen brauchte der Sieger 81 für die absolute Mehrheit. Für Karsten Lange votierten am Ende 80 Mitglieder – für Thomas Gerster genau 81.

UPDATE&: Am späteren Abend wählte der Parteitag noch Manuela Matz, Claudia Siebner und Marc-Philipp Janson von der Jungen Union zu stellvertretenden Kreischefs. Matz wurde damit mit sehr großer Mehrheit von 129 Ja zu 12 Nein-Stimmen gewählt. Siebner kam bei einem Gegenkandidaten auf 86 Ja- und 65 Nein-Stimmen. Janson schaffte es ebenfalls bei einem Gegenkandidaten mit 77 zu 71 Stimmen ins Amt. Karsten Lange wählte der Parteitag zum neuen Schatzmeister, er erzielte 129 Ja- und 12 Nein-Stimmen. Neue Mitgliederbeauftragte ist Melissa Enders, die mit 104 Ja- und 11 Nein-Stimmen gewählt wurde.

Info& auf Mainz&: Wer genau der neue Mainzer CDU-Chef ist, könnt Ihr hier bei Mainz& in einem Porträt  nachlesen – in unserem Artikel über die Bewerbung Gersters als Mainzer Verkehrsdezernent im Juni 2021. Da lest Ihr Details über Gersters Biographie und politische Ideen. Über die Wahl von Sabine Flegel als Mainzer Kreischefin haben wir 2016 hier berichtet.

 

 

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