Der Mainzer Finanzdezernent Günter Beck (Grüne) hat Vorwürfe wegen möglicher Täuschung von Stadtrat und Öffentlichkeit bei der Aufstellung des Nachtragshaushalts vor der Kommunalwahl 2024 zurückgewiesen. Die bei einer Haushaltsklausur im Mai 2022 vorgelegten Zahlen seien „Wasserstandsmeldungen, aber keine validierte Planungsgröße“ gewesen, sagte Beck – erklärte aber nicht, wieso er Vorgaben der Dienstaufsicht ADD nicht umsetzte. Auch Widersprüche in seinen Angaben gegenüber den Freien Wählern im Stadtrat erklärte Beck nicht. Derweil wiegeln die Fraktionen im Stadtrat ab: Rücktrittsforderungen seien „nicht hilfreich“, die Aufstellung des Haushalts 2025 dringlicher.
Die Freien Wähler im Mainzer Stadtrat werfen Finanzdezernent Günter Beck (Grüne) Täuschung und Falschaussagen vor, seit im August 2024 bekannt wurde, dass der Nachtragshaushalt, den der Mainzer Stadtrat noch kurz vor der Kommunalwahl verabschiedet hatte, geschönte Prognosezahlen für die Haushaltsentwicklung der kommenden Jahre enthalten hat. Denn statt einem zu erwartenden Minus von rund 251 Millionen Euro für 2025 und von rund 159 Millionen Euro für 2026, wies das Zahlenwerk der Finanzverwaltung einen positiven Saldo von rund 25 beziehungsweise 15 Millionen Euro für die kommenden Jahre aus.
Das Brisante dabei: Der Trierer Dienstaufsicht ADD hatte Finanzdezernent Beck aber schon im April 2024 die realen Zahlen vorgelegt – die Stadträte und die Öffentlichkeit erfuhren aber vor der Kommunalwahl am 9. Juni nicht, wie es um die städtische Finanzzukunft bestellt sein würde. Dabei hatte die ADD bereits Ende 2023 mit deutlichen Worten die Finanzverwaltung der Stadt Mainz aufgefordert, ihren Nachtragshaushalt für 2024 anzupassen, und zwar explizit auch die Prognosen für die künftigen Jahre.
ADD Ende 2023: Planungsdaten für Folgejahre sind anzupassen
Die Nicht-Anpassung der Planungsdaten für die Folgejahre sei ein Verstoß gegen die Gemeindehaushaltsverordnung und das Gebot der Haushaltsgenauigkeit, kritisierte die ADD schon im Dezember 2023, und forderte die Stadt explizit auf, „auch die Mittelansätze für die folgenden Haushaltsjahre anzupassen und fortzuschreiben.“ Doch im Finanzdezernat ignorierte man die Aufforderung der ADD – der 3. Nachtragshaushalt für 2024, verabschiedet im Mainzer Stadtrat nur drei Tage vor der Kommunalwahl, enthielt immer noch keine angepassten Zahlen – und zeichnete damit ein hoffnungsfrohes Zukunftsbild.
Die ADD fand das indes gar nicht komisch: In einem Schreiben im August 2024 warf sie der Stadt Mainz vor, „ein völlig unzutreffendes und geradezu gegensätzliches Bild von der voraussichtlichen künftigen Haushaltsentwicklung der Landeshauptstadt Mainz“ gezeichnet zu haben – die Anpassung der Zukunftsprognosen sei keine „Kann“-Regelung gewesen, sondern ein klarer Rechtsverstoß, kritisierte die ADD.
Seit dieser Woche nun werfen die Freien Wähler Beck zudem noch vor, ihnen in einer Antwort auf eine Anfrage im Stadtrat wissentlich die Unwahrheit gesagt zu haben: Beck nämlich hatte auf die Frage, ob es bereits vor dem Jahr 2023 interne Berechnungen gegeben habe, die vor deutlichen Defiziten für die Haushaltsjahre 2023 und 2024 gewarnt hätten – mit „Nein“ geantwortet. Doch parallel dazu war eine Präsentation aus dem Mai 2022 aufgetaucht, in der die Finanzverwaltung genau dies getan hatte: Die Präsentation enthielt Tabellen mit konkret gerechneten „Eckdaten der Haushaltsplanung“ für die Jahre 2021 bis 2026 – und diese Tabellen prognostizierten klar erhebliche Haushaltsdefizite ab für die Jahre 2023 bis 2026.
Beck: Zahlen 2022 „Wasserstandsmeldungen“, keine validen Größen
Finanzdezernent Beck räumte nun ein: Ja, es habe im Mai 2022 die genannte Haushaltsklausur gegeben, zu der sich die Vertreter der Ampelkoalition aus dem Stadtvorstand, die Fraktionsspitzen von Grünen, SPD und FDP sowie die finanzpolitischen Sprecher der Koalitionsfraktionen getroffen hätten. Und ja, bei dieser Klausurtagung habe es einen „von mir erstellten Folienvortrag zur Vorbereitung von Haushaltsbeschlüssen“ gegeben, sagte Beck in einer schriftlichen Stellungnahme, die über die Homepage der Stadt Mainz verbreitet, der Presse aber nur auf Aufforderung zugeschickt wurde.
Der Folienvortrag habe aber lediglich „erste vage Annahmen im Sinne einer Worst-Case-Betrachtung“ enthalten für den Fall, dass „sich die Haushaltslage der Stadt Mainz auch wieder negativ entwickeln“ würde, betonte Beck zugleich. Die vorgelegten Zahlen seien aber lediglich „vage Prognosen, ja ‚Wasserstandsmeldungen‘, keine validierte Planungsgröße für unsere Haushaltsaufstellung“ gewesen, verteidigte sich Beck weiter. Konkrete Planungsgrundlagen für die kommende Haushaltsaufstellung seien „erst im Laufe des Sommers 2022 nach und nach bekannt“ geworden, dadurch hätten sich „mehrmals erhebliche Änderungen der internen Prognosen ergeben.“
Dieser Vorgang an sich ist nicht ungewöhnlich: Für die Haushaltsberechnungen werden für gewöhnlich bei Kommunen, Ländern und im Bund Steuerschätzungen der Expertengremien herangezogen. Der „Arbeitskreis Steuerschätzung“ des Bundes – ein Expertengremium aus Bundesbank, Bundesregierung und Wirtschaftsforschungsinstituten – tagt zwei Mal im Jahr und gibt jeweils Mitte Mai und Ende Oktober oder Anfang November Schätzungen über die zu erwartenden Steuereinnahmen für Bund, Länder und Kommunen ab. Die Klausurtagung in Mainz im Mai 2022 konnte sich also auf aktuelle Zahlen stützen – und die verhießen nichts Gutes.
Beck: „seriöse, belastbare Berechnung erst im September 2022“
Denn gerade erst hatte sich die Stadt Mainz Ende 2021 über einen warmen Geldregen aus Steuereinnahmen durch das Mainzer Pharmaunternehmen BionTech freuen dürfen, dessen Erfolg mit dem Corona-Impfstoff der Stadt Ende 2021 rund 1,4 Milliarden Euro in die Kasse spülte. Auch für 2022 durfte die Stadt mit satten Einnahmen von mehr als einer Milliarde Euro rechen – doch das Zahlenwerk zeigte bereits im Mai 2022, dass all dies nicht von langer Dauer sein würde: Bereits ab 2023 prognostizierten die Zahlen einen Einbruch der Steuermillionen um die Hälfte und ein erneutes Haushaltsdefizit als Folge.
Beck wehrt indes ab: „Wichtige und aufgrund ihres Volumens wesentliche Planungsgrundlagen lagen zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor“ oder seien noch nicht geklärt gewesen, etwa die Auswirkungen des vom Land geplanten neuen kommunalen Finanzausgleichs zum Januar 2023, mögliche Rückzahlungen und auch die Entwicklung der Personalkosten. Bis zur Aufstellung des Haushalts für das Jahr 2023 im September 2022 hätten sich denn auch erhebliche Verbesserungen ergeben, unter anderem durfte die Stadt Mainz mit Genehmigung der ADD einen Sonderposten für künftige Belastungen aus dem Finanzausgleich bilden, was half, die Haushalte der Jahre 2023 und 2024 im Plus zu halten.
„Deshalb bleibe ich dabei, dass erst im September 2022 eine seriöse, belastbare Berechnung vorlag, die dann auch in die Haushaltsberatungen einfloss“, betont Beck in seiner Stellungnahme. Auch der Finanzdezernent „lag und wird auch in Zukunft nicht immer mit seinen Prognosen richtig liegen“, unterstreicht Beck zudem: „Dies macht er aber nicht mit Absicht, sondern handelt, gemeinsam mit seinen Mitarbeitenden, nach bestem Wissen und Gewissen.“ Dies werde aber in der politischen Auseinandersetzung „skandalisiert“, klagte er zudem.
Warum passte Beck die Prognosen im Jahr 2024 nicht an?
Mit keinem Wort allerdings nimmt der Finanzdezernent Stellung zu der Frage, warum er im Herbst 2023 der Aufforderung der ADD eben nicht nachkam, die Prognosezahlen für die folgenden Haushaltsjahre im Nachtragshaushalt 2024 anzupassen, oder warum dem Stadtrat im Juni 2024 nicht die korrekten Zahlen für die Jahre 2025 und 2026 vorgelegt wurden, die doch sogar auch schon an die ADD gegangen waren. Ebenfalls offen lässt Beck die Frage, warum er in der Antwort an die Freien Wähler die Frage nach internen Berechnungen, die vor deutlichen Defiziten ab 2023 warnten mit „Nein“ beantwortet hat – obwohl es genau solche Berechnungen ja bereits ab Mai 2022 nachweislich gab.
Bei den Fraktionen im Mainzer Stadtrat wiegelt man derweil ab: „Das war eine Art mittelfristige Finanzplanung, ich würde das als Rohmaterial bezeichnen und weniger als Prognose“, sagte der damalige FDP-Fraktionschef David Dietz auf Mainz&-Anfrage. Er erinnere sich an eine Klausurtagung zum Thema Finanzen der damaligen Ampel-Koalition, allerdings im Mainzer Inndependence-Hotel, und schon damals sei klar gewesen, dass die Gewerbesteuereinnahmen nicht so weiter sprudeln würden.
„Gab es Zahlenmaterial vor 2023? Ja“, sagte Dietz weiter, „aber war es belastbar, was einen Haushaltsabschluss angeht? Nein!“ Die FDP finde deshalb die Vorgänge „nicht so wahnsinnig gravierend“, viel gravierender finde man die aktuellen Haushaltsverfügungen der ADD für die Aufstellung des Haushalts 2025 – mit diesem Haushalt droht Mainz ein dreistelliges Millionen-Minus. Mainz droht deshalb nun eine bittere Streichliste, die derzeit vor allem zwischen Grünen, SPD und CDU verhandelt wird – diese drei Parteien wollen eine neue Koalition im Stadtrat bilden.
FDP fordert Zahlentransparenz, ÖDP: „Schweinerei“
„Für uns ist tatsächlich der spannendste Punkt: Wir hatten Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) und den Finanzdezernenten aufgefordert, die konkreten Kalkulationen der Stadt für einzelnen Bereiche vorzulegen“, sagte Dietz. Doch auf ihr Schreiben habe die FDP-Stadtratsfraktion bis heute nicht einmal eine Eingangsbestätigung bekommen, kritisierte Dietz. Man wolle „Antworten“, betonte Dietz, die Versäumnisse der Vergangenheit müssten aufgeklärt werden, das sei wichtiger, „als ewige Rücktrittsforderungen in die Welt zu setzen“, fügte er mit Blick auf die Freien Wähler hinzu.
Ähnlich argumentiert auch ÖDP-Fraktionschef Claudius Moseler: Die Aufstellung des neuen Haushalts sei vordringlicher, sagte Moseler, übte im Gespräch mit Mainz& aber auch deutliche Kritik am Finanzdezernenten. „Wir kritisieren massiv die Intransparenz“, sagte Moseler, dass die Spitzen der Ampel über die künftige Entwicklung im Detail informiert worden seien, nicht aber die Opposition, sei „eine Schweinerei.“ Offensichtlich hätten viele Stadträte von der drohenden negativen Entwicklung gewusst, „wir müssen den Ampel-Fraktionen vorwerfen, dass nicht alle Informationen auf dem Tisch lagen“, kritisierte Moseler.
Grüne: Volle Rückendeckung für Beck
Die Mainzer Grünen stellen sich hingegen voll hinter ihren Finanzdezernenten: „In einer Zeit, die von globalen Krisen und stark schwankenden Gewerbesteuereinnahmen geprägt ist“, habe Beck „die Finanzen der Stadt Mainz stets zukunftsorientiert gestaltet“ und die Verwaltung handlungsfähig gehalten, loben sie in einer Stellungnahme. Beck habe „die finanzielle Stabilität der Stadt gestärkt, einen historischen Schuldenabbau erreicht und gleichzeitig wichtige Investitionen ermöglicht“, betonte Grünen-Kreischef Jonas König.
Den Freien Wählern warf König vor, Beck „aufgrund von aus dem Zusammenhang gerissenen, zwei Jahre alten Dokumenten diskreditieren“ zu wollen. „Diese Vorgehensweise ist unseriös und dient nur dazu, von den eigentlichen Herausforderungen abzulenken“, schimpfte König: „Wer so handelt, hat das Wohl der Stadt nicht im Blick.“ Warum Beck aber dem Stadtrat noch 2024 die aktuellen und korrekten Zahlen vorenthielt und Aufforderungen der ADD nicht umsetzte, dazu sagte König nichts.
Stattdessen verwies er auf die jüngste Gewerbesteuernachzahlung von rund 75 Millionen Euro, mit der Mainz wohl seinen Haushalt für 2024 noch einmal ausgleichen kann, anstatt ins Minus zu rutschen. Das unterstreiche „die Dynamik und Unvorhersehbarkeit kommunaler Finanzen und die Sondersituation, in der sich Mainz befindet“, betonte König, und forderte: „Statt in der Vergangenheit zu graben, sollten wir uns auf die Zukunft konzentrieren und gemeinsam im Stadtrat nach Lösungen suchen.“
SPD fordert mehr Transparenz: „Zahlen müssen stimmen“
Skeptische Töne kommen indes ab auch vom alten und potenziell Wieder-Koalitionspartner SPD. „Ja, die Klausur gab es, es war auch nicht die einzige“, bestätigte auch die heutige SPD-Fraktionschefin Jana Schmöller im Gespräch mit Mainz&. Die damals vorgelegten Zahlen seien „ein Fingerzeig gewesen, der war damals nicht schön“, räumt sie ein. Die Zahlen im Mai seien aber „immer nur eine Schätzung, genau deshalb werden die Haushalte ja erst im Herbst aufgestellt, weil es dann belastbare Zahlen gibt“, betonte Schmöller weiter.
Aufgestellt wurde im Herbst 2022 dann ein Doppelhaushalt für die Jahre 2023 und 2024, und das habe zur Folge gehabt, dass es 2023 dann auch keine weiteren Haushaltsklausuren gegeben habe, sagte Schmöller weiter. 2023 war zudem das Jahr der vorgezogenen Oberbürgermeisterwahl, bei der die SPD nach fast 80 Jahren den Chefsessel im Rathaus an den parteilosen Nino Haase verlor. Für das Jahr 2023 „wurden uns solche Zahlen und Prognosen nicht mehr vorgelegt“, sagte Schmöller nun, „wir hatten dann keine anderen Zahlen mehr“ – und auch die Berechnungen für die Defizite ab 2025 habe sie „nie gesehen.“
Rücktrittsforderung halte sie „nicht für zielführend“, sagte die SPD-Chefin weiter: „In jeder Sekunde verpassen wir Zeit, in der wir ganz dringend über Inhalte im Finanzbereich sprechen müssen.“ Das wichtigste Ziel sei doch jetzt eine solide Aufstellung des Haushalts 2025 – doch Schmöller forderte auch: „Es steht für uns außer Frage, dass Prognosen angepasst werden müssen, das brauchen wir natürlich – und die Zahlen, die uns vorgelegt werden, müssen stimmen.“ Transparenz sei „die Basis für eine gute Zusammenarbeit“, fügte Schmöller hinzu, das gelte „auch für eine künftige Koalition.“
Info& auf Mainz&: Den ausführlichen Bericht zum Thema Haushaltsklausur 2022 und der Frage der frühzeitigen Prognosen lest Ihr hier bei Mainz&, unseren Bericht über die Rügen und Forderungen der ADD findet Ihr hier auf Mainz&.