In der Frage, seit wann das drohende Haushaltsloch der Stadt Mainz bekannt war, gerät Finanzdezernent Günter Beck (Grüne) immer stärker unter Druck. Neue Unterlagen belegen: Das Finanzdezernat hatte bereits im Mai 2022 konkrete Berechnungen und Zahlen, wie stark der Haushalt der Stadt Mainz bereits ab 2023 wieder ins Minus sacken würde – und stellte diese den Spitzen der Ampel-Koalition bei einer Klausurtagung vor. Die Freien Wähler zeigen sich wütend, hatte Beck doch noch im Oktober-Stadtrat das genaue Gegenteil behauptet. „Es reicht, Herr Beck“, kommentierte nun FW-Stadtrat Mario Müller: Der Dezernent müsse jetzt zurücktreten.

Das Mainzer Stadthaus in der Großen Bleiche. - Foto: gik
Das Mainzer Stadthaus in der Großen Bleiche. – Foto: gik

Es war am 15. Mai 2022, als sich nach Mainz&-Informationen die Vertreter der Ampel-Fraktionen in Mainz im Stadthaus an der Großen Bleiche zu einer Klausurtagung trafen. Die Spitzen von Grünen, SPD und FDP kamen vier Stunden lang im Marc Chagall-Sitzungsaal zusammen, um über Brisantes zu reden: Auf der Tagesordnung standen die Finanzen und der künftige Haushalt der Stadt Mainz.

Als Diskussionsgrundlage diente eine Präsentation mit einem Fahrplan für die Aufstellung des Doppelhaushalts 2023/2024 im Laufe des Jahres 2022. Diese Präsentation, die Mainz& vorliegt, enthielt auch zwei Tabellen, überschrieben mit: „Eckdaten der Haushaltsplanung“. Anlass für das Zahlenwerk war offenbar die zu dem Zeitpunkt geplante Neuordnung des Kommunalen Finanzausgleichs durch das Land Rheinland-Pfalz, durch die man bei der Stadt Mainz wohl eine deutliche Verschlechterung der Finanzlage befürchtete.

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Klausur der Ampel im Mai 2022: Finanzminus konkret vorhergesagt

Kernpunkt der Präsentation waren damit konkret gerechnete Haushaltsprognosen für die Jahre 2021 bis 2026 – inklusive Steuereinnahmen, städtische Ausgaben und Jahresergebnis. Und die Zahlen zeigten wenig Gutes: Ein Halbierung bei den Einnahmen aus der Gewerbesteuer bereits 2023, demnach würde die Gewerbesteuer von rund 830,4 Millionen Euro noch in 2022 auf 478,5 Millionen Euro in 2023 sinken. Für die Folgejahre 2024 bis 2026 weist die Tabelle gar weiter sinkende Einnahmen auf 375,4 Millionen Euro in 2024 bis maximal knapp 400 Millionen Euro in 2026 aus.

Das Ende des BionTech-Goldesels war Finanzdezernent Günter Beck (Grüne) offenbar wesentlich früher bekannt, als bisher eingestanden. - Foto: gik
Das Ende des BionTech-Goldesels war Finanzdezernent Günter Beck (Grüne) offenbar wesentlich früher bekannt, als bisher eingestanden. – Foto: gik

Die Einnahmen sind in den Tabellen dann gegengerechnet mit den konkreten Ausgabeerwartungen der Stadt, also Personal, Sozialausgaben und Ähnliches. Auch eine Ergebnisprognose enthalten die Tabellen, und danach wird bereits für 2023 ein Fehlbetrag im Mainzer Haushalt von 273,6 Millionen Euro prognostiziert. Für 2024 erwartete die Finanzverwaltung demnach ein Minus von 302,6 Millionen Euro, für 2025 von 239,2 Millionen Euro und 2026 noch immer von rund 217 Millionen Euro.

Das Brisante an dem Papier: Es handelt sich um konkret gerechnete Zahlen und Finanzprognosen, die aber 2023 keinen Eingang in die Aufstellungen der Haushaltspläne für den Mainzer Stadtrat fanden – und zwar noch bis Juni 2024. Am 6. Juni hatte der Mainzer Stadtrat in einer Eilsitzung einen Nachtragshaushalt für 2024 verabschiedet – drei Tage vor der Kommunalwahl. Und selbst noch in diesem Papier wies das Zahlenwerk der Finanzverwaltung von Günter Beck (Grüne) positive Haushaltsentwicklungen für die kommenden Jahre aus: Für 2025 stand da ein zu erwartendes Plus in Höhe von rund 25 Millionen Euro und für 2026 von 15 Millionen Euro.

FW: „Gab es bereits vor 2023 interne Berechnungen?“ – Beck: „Nein“

Damit stellt sich nun noch einmal verschärft die Frage: Wieso ließ Finanzdezernent Günter Beck (Grüne) die Vorlagen für den Mainzer Stadtrat nicht anpassen – so, wie es die Dienstaufsicht ADD im Übrigen bereits im Dezember 2023 schriftlich von der Stadt verlangt hatte? Im August hatte selbst die ADD in scharfen Worten gerügt, den Stadträten sei „ein völlig unzutreffendes Bild“ von der Finanzsituation der Stadt übermittelt worden, weil die Prognosen für die künftige Entwicklung nicht auf die realen, negativen Werte angepasst worden waren, das sei außerdem „ein gravierender Rechtsverstoß“.

Die Stadtratsfraktion der Freien Wähler im Mainzer Stadtrat mit Finanzexperte Mario Müller (links) und Fraktionschef Erwin Stufler. - Foto: Müller
Die Stadtratsfraktion der Freien Wähler im Mainzer Stadtrat mit Finanzexperte Mario Müller (links) und Fraktionschef Erwin Stufler. – Foto: Müller

Die Freien Wähler (FW) hatten deshalb bereits Ende August Beck Täuschung des Stadtrats und auch der Öffentlichkeit vor der Kommunalwahl am 9. Juni vorgeworfen – nun legt die FW-Stadtratsfraktion noch einmal nach. Denn am 9. Oktober 2024 hatte FW-Stadtrat Mario Müller im Rat eine persönliche Anfrage gestellt: „Gab es bereits vor dem Jahr 2023, also im Zuge der Aufstellung des Doppelhaushaltes 2023/2024 im September 2022, interne Berechnungen, die vor deutlichen Defiziten für die Haushaltsjahre 2023 und 2024 gewarnt haben, und wenn ja, wurde der Stadtvorstand und der Stadtrat davon in Kenntnis gesetzt“, hatte Müller darin gefragt.

Becks klare Antwort: Nein. „Bei Aufstellung des Doppelhaushalts 2023/2024 wurde von einem Überschuss in den Jahren 2023 und 2024 ausgegangen“, antwortet Beck auf die Anfrage schriftlich weiter: „Die Steuerausfälle, die zu dem Defizit 2023 geführt haben und evtl. auch zu einem Defizit in 2024 führen werden, wurden erst Mitte 2023 bekannt.“ Doch schon im Mai 2022 legte Beck mit der Präsentation in der Klausurtagung völlig andere Zahlen vor, der Steuereinbruch war also mindestens vorhersehbar, und wurde auch genau so von den Finanzexperten im Rathaus vorherberechnet.

Beck: „rüde und lautstark jeden angegangen“

Bei den Freien Wählern fühlt man sich nun belogen: „Wir sind entsetzt“, reagierte Finanzexperte Müller: „Aus diesem Dossier geht eindeutig hervor, dass die Ertragseinbrüche in den Planungsjahren 2023 und 2024 offenbar seit Langem den damaligen Spitzen der Ampel bekannt waren.“ Die internen Berechnungen Becks hätten schon zum damaligen Zeitpunkt Defizite in zigfacher Millionenhöhe prognostiziert – trotzdem habe Beck mit „Nein“ geantwortet, und zudem in einem ausgesprochen „rüden und bisweilen abgehoben wirkenden Ton“ in der Stadtratssitzung „Jede und Jeden lautstark angegangen, der auch nur den Anschein machte, das ‚Ende der Nabelschau‘ zu hinterfragen“, kritisierte Müller weiter.

Finanzdezernent Günter Beck (Grüne) im November 2021 bei der großen Pressekonferenz zum BionTech-Geldsegen der Stadt Mainz. - Foto: gik
Finanzdezernent Günter Beck (Grüne) im November 2021 bei der großen Pressekonferenz zum BionTech-Geldsegen der Stadt Mainz. – Foto: gik

Dass die Klausurtagung im Mai 2022 tatsächlich stattgefunden hat, ist belegt, Teilnehmer der damaligen Sitzung haben das gegenüber Mainz& bestätigt. Anwesend bei der Klausurtagung waren aber nicht nur die Spitzen der Ampel-Parteien, sondern auch die Dezernenten aus dem Stadtvorstand von SPD, Grünen und FDP sowie der damalige Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD). Nicht dabei: Die einzige Dezernentin im Stadtvorstand, die nicht einer der Ampel-Parteien angehört – Wirtschaftsdezernentin Manuela Matz (CDU).

Bestätigt ist auch: Thema der Klausurtagung war die künftige Haushalts- und Finanzlage der Stadt. Die letzte Seite der Präsentation enthält nur einen einzigen Satz, es ist die Frage: „Wie gehen wir damit um?“ Offenbar wurden die Zahlen als Grundlage für eine Strategiedebatte innerhalb der Ampel-Koalition präsentiert – was damals beschlossen wurde: unklar.

Schönig: Konkrete Zahlen zu Haushaltsdefizit waren nicht bekannt

Fakt ist aber: Die negativen Entwicklungsprognosen mit einem Millionenschweren Minus Haushalt wurden vor der Kommunalwahl im Juni 2024 zurückgehalten. Gleich mehrere Mitglieder des alten Stadtrats haben inzwischen gegenüber Mainz& angegeben, sie hätten von den konkreten Minuszahlen nichts gewusst. Zwar habe Finanzdezernent Beck mehrfach davor gewarnt. die „federleichten Zeiten“ seien vorbei, Mainz müsse den Gürtel wieder enger schnallen. „Von einem Defizit in dieser Größenordnung war damals aber nie die Rede“, sagte Hannsgeorg Schönig, bis Juni 2022 Chef der CDU-Stadtratsfraktion.

Der langjährige CDU-Fraktionschef Hannsgeorg Schönig Anfang Juli 2024 bei seiner letzten rede im Mainzer Stadtrat. - Foto: gik
Der langjährige CDU-Fraktionschef Hannsgeorg Schönig Anfang Juli 2024 bei seiner letzten rede im Mainzer Stadtrat. – Foto: gik

Als es dann im Herbst 2023 um die Aufstellung des wichtigen Doppelhaushalts 2024-2025 ging, blieben offenbar selbst Stadträte der eigenen Koalition in Unkenntnis über die wahren Prognosezahlen: Gleich mehrere Stadträte aus der alten Ampel-Koalition berichteten in den vergangenen Wochen gegenüber Mainz&, man habe immer wieder konkrete Zahlen im Finanzdezernat angefragt und angemahnt – vorgelegt worden seien sie nie. Stattdessen wiesen die Beschlussvorlagen für den Mainzer Stadtrat sowohl im Doppelhaushalt 2023-2024 ebenso wie für zwei darauffolgende Nachtragshaushalte für die Folgejahre weiterhin die positiven Jahresergebnisse auf.

Dass die Mainzer Ampel-Koalition, „allen voran der grüne Finanzdezernent den Stadtrat noch im Juni 2024 einen Nachtragshaushalt verabschieden ließ, der wissentlich falsch prognostiziert war, grenzt an Betrug“, schimpften die Freien Wähler schon im August. Spätestens im September 2023 hätte Beck die Prognosen für die drei Folgejahre anpassen und Stadtrat und Öffentlichkeit mitteilen müssen.

Mit der neuen Antwort aus dem Oktober-Stadtrat und der nun aufgetauchten Präsentation ist für die Freien Wähler nun eine Grenze überschritten: „Es reicht, Herr Beck“, reagierte nun Müller, das Vertrauen in die Bereitschaft „für Transparenz und einem konstruktiven Miteinander gegeben habe, ist jetzt endgültig zerstört.“ Beck müsse „endlich alle Karten auf den Tisch legen“, die Verantwortung übernehmen und weiteren Schaden von der Finanzverwaltung abnehmen, forderte Müller: „Übernehmen sie politische Verantwortung und treten Sie zurück!“

Info& auf Mainz&: Einen ausführlichen Bericht über die Aufstellung des Haushalts und die Rügen der ADD lest Ihr hier bei Mainz&.