Die Mainzer sagen Nein zum Bibelturm: Die Bürger der Stadt haben am Sonntag mit großer Mehrheit den Bibelturm am Gutenberg-Museum abgelehnt. Beim ersten Bürgerentscheid in der Geschichte der Stadt Mainz stimmten am Sonntag 77,3 Prozent gegen den modernen Turm in unmittelbarer Nähe des Doms. 22,7 Prozent sagten Ja zu dem Projekt. Insgesamt waren rund 161.200 Mainzer aufgerufen, über das umstrittene Bauprojekt abzustimmen. 49.663 Mainzer sagten Nein, nur 14.555 Ja. Die Wahlbeteiligung gilt mit rund 40 Prozent als hoch für ein Bürgerbegehren, das notwendige Quorum von 15 Prozent für eine Richtung wurde erreicht.
Damit fällt das Nein zum Bibelturm ungewöhnlich deutlich aus. Das Thema bewegte die Gemüter über Wochen hinweg und spaltete stellenweise die Stadt tief, rund 161.200 Wahlberechtigte waren zur Abstimmung aufgerufen, bereits im Vorfeld hatten mehr als 26.000 Mainzer Briefwahlunterlagen angefordert. Für die Gültigkeit des Bürgerbegehrens war es nötig, dass sich 15 Prozent der Abstimmungsberechtigten für Ja oder für Nein entschieden, das waren rund 24.000 Stimmen. Das Ergebnis von 77,3 Prozent gegen den Turm wurde am Abend prompt als Ohrfeige für die Stadtspitze gewertet, die Bürgerinitiative “Mainz pro Gutenberg”, die für den Turm geworben hatte, sprach gar von einem “Versagen” und “Scheitern” von Ebling persönlich.
Der Sprecher der BI “Mainz für Gutenberg”, Henning von Vieregge, warf der Stadtverwaltung “bodenlosen Leichtsinn” und Oberbürgermeister Ebling gar persönliches “Versagen” vor. “Ich habe nicht gemerkt, dass der OB um den Turm kämpft”, sagte Vieregge und konfrontierte Ebling in der Pressekonferenz mit den Worten: “Sie sind gescheitert, dies ist ein Tiefpunkt in ihrer sonst sehr erfolgreichen Karriere.”
An diesen Bibelturm sei “alles gehängt worden, was die Mainzer an Kritik an der Stadtpolitik haben”, sagte Vieregge “und ich sage Ihnen, jeder Mainzer hatte drei Punkte. “Die Stadt habe hingegen, als sie gemerkt habe, dass es Gegenwehr gegen den Turm gibt, eben “kein Konzept entwickelt” und sei nicht auf die Bürger zugegangen, kritisierte Vieregge: “Hat man miteinander geredet, hat die Stadt Pläne entwickelt, bevor sie beschlossen hat, das Marktfrühstück und den Bibelturm dorthin zu legen? Ist das geschehen? Nein!” Einen Bürgerentscheid zu machen, “und nicht jedem Bürger eine Informationsbroschüre ins Haus zu schicken, ist ein Unding”, fügte Vieregge hinzu. Mainz& hatte am Samstag berichtet, dass die Informationsbroschüre offenbar nicht jeden Haushalt der Stadt erreicht hatte.
Auch der zweite Sprecher der BI, Johannes Strugalla, äußerte sich tief enttäuscht: Die Ablehnung verhindere die Entwicklung des Gutenberg-Museums “auf lange Zeit”, der Bürgerentscheid sei “zu spät gekommen”. Auch wegen des “verspäteten Informationsflusses der Stadt” sei es für die Befürworter nicht zu schaffen gewesen, “mit Vernunft und guten Argumenten” für den Turm zu überzeugen, sagte Strugalla: “Die Diskussion hätte früher stattfinden müssen”, der Bürgerentscheid sei zu spät gekommen.
Die Bürgerinitiative Gutenberg-Museum, die mit ihren 13.500 Unterschriften gegen den Turm das Bürgerbegehren ausgelöst hatte, begrüßte das Ergebnis: “Viele Bürger waren mit dieser Planung, egal aus welchem Grund, nicht einverstanden”, sagte BI-Sprecher Nino Haase. Das Ergebnis zeige, “dass man die Bürger bei solchen Projekten früher ins Boot holen muss.”
“Wir sind stolz auf das, was wir erreicht haben”, sagte der Gründer der BI, Thomas Mann, dieser Zeitung. “Wir haben vor zwei Jahren gefordert, die Mainzer zu beteiligen, jetzt wurden sie gefragt”, sagte Mann weiter, das sei ein Erfolg auch für die Stadt. “Wir haben das Gutenberg-Museum extrem in den Mittelpunkt gerückt”, betonte Haase, “wenn wir dieses Momentum weiter nutzen, kann das dem Museum nur etwas bringen.”
Mit den nun erreichten 77,3 Prozent Nein-Stimmen fiel die Entscheidung eindeutiger aus als erwartet: Die Mainzer wollen den modernen, 20,50 Meter hohen Turm direkt neben dem Römischen Kaiser nicht. Der “Bibelturm” genannte Solitär war in einem Architektenwettbewerb Anfang 2017 von einer Expertenjury als Sieger ermittelt worden. Die Stadt wollte damit dem Gutenberg-Museum mit den weltberühmten Gutenberg-Bibeln zu mehr Aufmerksamkeit und mehr Sichtbarkeit verhelfen und eine “Schatzkammer” schaffen. Baudezernentin Marianne Grosse (SPD) schwärmte von einem neuen “Ausrufezeichen” und “Wahrzeichen” für Mainz, die Gutenberg-Bibeln könnten endlich in einer angemessen Umgebung gewürdigt werden und wie in einer “Schatzkammer” gezeigt werden.
Die Kritiker sahen hingegen in dem Turm eine moderne “Monstrosität”, die das historische Ensemble am Liebfrauenplatz zerstören und mit seiner gerade zwölf mal zwölf Meter kleinen Grundfläche gar nicht genug Ausstellungsfläche für das Museum schaffen würde. Mehr Raum für das Gutenberg-Museum sei aber dringend nötig: Das in den 1960er Jahren erbaute Haupthaus ist marode und dringend sanierungsbedürftig, genau dafür stellte die Stadt in ihrem Haushalt rund sechs Millionen Euro bereit. Übrig sind davon rund fünf Millionen Euro, die aber sollen nach Aussage Grosses für alle Kosten reichen – inklusive Mehrwertsteuer und Architektenhonorar. Die Architekten hätten “unterschrieben, dass das Geld reicht”, betonte Grosse wieder und wieder, eine Finanzplanung veröffentlichte die Stadt aber erst wenige Tage vor dem Bürgerentscheid.
Vor allem die Finanzierung des Vorhabens sorgte bei den Mainzer für viel Kritik und am Ende wohl auch für die massive Ablehnung: Von den fünf Millionen Euro blieben gerade einmal 3,9 Millionen Euro für die echten Baukosten übrig, rechnete die Bürgerinitiative Gutenberg-Museum vor, das reiche nie im Leben für umfangreiche Ausschachtungen, eine notwendige “Bauwanne” im Boden gegen das Rheingrundwasser sowie den Turm selbst mitsamt der versprochenen bronzenen Fassade.
Ebling plädierte am Abend für Gelassenheit: Die Abstimmung sei “keine Richtungsentscheidung” über Strategie und Visionen der Stadt, “sondern eine Sachentscheidung”, betonte er. Das Bürgerbegehren sei ein Stück direkte Demokratie, das sei “nichts falsches.” Positiv sei doch: “Wir haben den Stillstand rund um das Museum aufgebrochen und erreicht, dass an jedem Mainzer Küchentisch über Gutenberg geredet worden ist.” Das Museum werde in Zukunft “die Unterstützung von Bund und Land brauchen”, sagte Ebling und fügte hinzu: “An Rücktritt hat heute Abend garantiert niemand gedacht.” Baudezernentin Grosse sagte lediglich, das Ergebnis sei eindeutig ausgefallen und werde natürlich akzeptiert.
Wie es nun weitergeht, ist unklar, klar ist lediglich, dass der Turm nicht gebaut wird. Baudezernentin Grosse hatte schon vor dem Ausgang des Votums gesagt, sollten die Mainzer mehrheitlich mit Nein stimmen, “dann werden wir anfangen, die Sanierungsmaßnahmen im Schellbau für die verbleibenden Millionen anzugehen.” Oberbürgermeister Ebling hatte schon vor Wochen gesagt: Dann werde sich der Stadtrat neu mit dem Thema befassen müssen.
“Im Falle eines Nein zum Bibelturm würde man sich zusammensetzen und weiter an Konzepten arbeiten”, sagte Nino Haase von der BI Gutenberg-Museum, “da haben wir schon Signale aus der Ampel-Fraktion.” Unterkellerung, Öffnung zur Rote Kopf-Gasse – es gebe zahlreiche Möglichkeiten für ein weiter entwickeltes Konzept. Fest steht: Im Zuge der Debatte ist eine enorme Dynamik entstanden – zugunsten des Gutenberg-Museums und seiner Aufwertung. Dass die Debatte zum Bibelturm vorbei ist, ist deshalb nicht zu erwarten. Auch Strugalla mahnte, das Ergebnis dürfe “jetzt nicht Stillstand bedeuten”: “Stadt und Rat sind aufgerufen, einen Weg aus dem Scherbenhaufen zu bahnen”, sagte Strugalla, “wir sind bereit daran mitzuarbeiten.”
Der frühere Mainzer Bundestagsabgeordnete Johannes Gerster (CDU) hat vorgeschlagen, ein großes Konzept für das Museum neu zu entwickeln und zur Finanzierung Bund und Land ins Boot zu holen. Daran werde er auch gerne mitarbeiten, sagte Gerster – der frühere CDU-Landeschef hatte schon mitgeholfen, das Mainzer Römerschiffmuseum zu realisieren, mit Hilfe von Millionen vom Bund.
Info& auf Mainz&: War das Ergebnis des Bürgerentscheids überraschend oder war es vorhersehbar? Wir empfehlen Euch dazu einfach mal unseren Artikel vom 6. April 2016, also von vor zwei Jahren: Fragt die Mainzer. Damals haben wir dies kommentiert:
“Und so stellt sich die Frage: Für wen plant Architektur? Für wen wird hier eigentlich gebaut? Muss sich Architektur nicht auch mit den Menschen auseinandersetzen, die ihre Bauten täglich sehen und benutzen sollen? Die Mainzer stellen diese Fragen jedenfalls zunehmend – wer sie nicht beantwortet, wird für weiteren Politikerfrust, Entfremdung und Ablehnung sorgen.
Deshalb lautet unser Plädoyer bei Mainz& – wie schon so oft: Fragt die Mainzer! Redet mit Euren Bürgern! Erkundet ihren Willen! Verschanzt Euch nicht hinter angeblichen Star-Architekten, deren Entwürfen schon seit Langem das Menschliche, Warme, kurz: das Leben fehlt! Man kann übrigens Wettbewerbe auch neu starten, wenn die Ergebnisse nicht vernünftig zum Umfeld passen…
Und schiebt nicht die Entscheidung ab auf ehrenamtlich arbeitende Stadträte als „Volksvertreter“, die schließlich auch Fraktionszwängen und Parteidisziplin unterliegen. Verdammt Eure Bürger nicht dazu, fünf Jahre untätig zuzusehen, was mit ihrer Stadt passiert! Das ist einer modernen, lebendigen Demokratie unwürdig – die Quittung dafür gibt es unter Garantie bei den nächsten Wahlen.”