Es war unser Bild der Woche: Ein Landtag nur mit Frauen. 100 Prozent. Die Männer, Gäste am Rande, dienende Geister am Buffet. Kein Meer schwarzer Anzüge, sondern bunte Vielfalt. Und leider weit von der Realität: Am 30. November vor genau 100 Jahren wurde das Frauenwahlrecht in Deutschland eingeführt. 100 Jahre danach liegt der Frauenanteil im rheinland-pfälzischen Landtag bei 30 Prozent. In kommunalen Parlamenten sind es ganze 18,7 Prozent. Das Bild vom Freitag erschien deshalb wie eine flüchtige Vision, wahr wurde sie beim FrauenLandTag der Landfrauen Rheinland-Pfalz. Es war ein Tag der nachdenklich machte: Was, wenn Frauen endlich gleichberechtigt wäre? Und wie schafft man es, den Frauenanteil in der Politik und den Parlamenten zu erhöhen?

Was für ein Bild: Ein Landtag nur voller Frauen. 100 Prozent. Und die Männer sind nur Gäste. So geschehen am 30.11.2018 beim FrauenLandTag in Mainz. 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts. – Foto: gik

Vor 100 Jahren wurde der Traum vieler ungemein kämpferischer Frauen endlich wahr: Das Wahlrecht für Frauen. Jahrelang, Jahrzehntelang hatten Frauenrechtlerinnen, sogenannte Suffragetten, für die Einführung von etwas gestritten, was uns heute selbstverständlich erscheint: das Recht, wählen zu gehen und selbst gewählt zu werden. „Ein Spaziergang war das nicht“, erinnerte nun die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) an den Kampf der Damen im Kaiserreich: „Alles, was sie getan haben, war illegal und sozial nicht erwünscht – und sozial schädigend.“ Frauen durften sich nicht in Vereinen organisieren, sie durften nicht öffentlich auftreten, sie durften im Prinzip gar nichts. Die Heldinnen von damals, „mutig ist gar nichts“, betonte Dreyer: „Sie haben ihr Leben aufs Spiel gesetzt.“

Die Heldinnen von damals: Marie Juchacz, Clara Zetkin, Hedwig Dohm, Anita Augsburg und viele andere. Ihre Namen heute: Vergessen. „Warum schmücken ihre Denkmäler nicht unsere Innenstädte?“, sagte am Donnerstagabend die Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) in Mainz, Gabriele Schneidewind: „Warum werden sie nicht – wie viele männliche Vorbilder – immer und immer wieder zitiert?“ Weil Geschichtsschreibung lange Zeit männlich war. So wie Wirtschaft, und Wissenschaft. Und Politik.

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„Wir müssen mutiger werden“, forderte denn auch Dreyer, denn es gebe sehr viele starke Frauen in diesem Land: Unternehmerinnen, Winzerinnen, Existenzgründerinnen, Wissenschaftlerinnen. Aber Frauen müssten auch die Unterstützung bekommen, die sie bräuchten, mahnte Dreyer. Es brauche Quoten, es brauche mehr Bürgermeisterinnen – und das Engagement der Frauen selbst: Vor 100 Jahren, im Januar 1919, gingen bei der ersten Wahl zur Weimarer Nationalversammlung mit Frauenwahlrecht über 80 Prozent der wahlberechtigten Frauen wählen. „Würden heute 80 Prozent der Frauen wählen gehen, wir hätten eine andere Repräsentanz in den Parlamenten“, sagte Dreyer: „Die Mindestpflicht einer jeden Frau ist tatsächlich, zur Wahl zu gehen.“

Erste unter Männern und Frauen: Malu Dreyer (SPD) direkt nach ihrer Wahl zur Ministerpräsidentin der ersten Ampel-Koalition in einem bundesdeutschen Flächenland im Landtag von Rheinland-Pfalz. – Foto: gik

„Wir müssen jetzt mal große Schritte machen“, forderte auch Rita Lanius-Heck, Präsidentin des LandFrauenVerbandes Rheinland-Nassau. 50.000 Landfrauen gibt es in Rheinland-Pfalz, organisiert in mehreren Verbänden – sie sind damit der größte Zusammenschluss von Frauen im Land. Was früher altbacken und bieder daherkam, ist heute ein modernes Frauennetzwerk, das seinen Mitgliedern Fortbildungen anbietet, für gleichen Lohn streitet oder Rhetorikkurse anbietet. Die Organisationen könnten „eine Kaderschmiede sein“, sagte Lanius-Heck: „Ohne Frauen ist kein Staat zu machen, dieses alte Sprichwort müssen wir mehr in den Köpfen verankern.“

Und doch ist es oft schwer, Frauen zur Kandidatur für Parlamente zu bewegen: „Frauen haben eine andere Vorstellung von politischem Engagement“, sagte auch Dreyer. Das liege auch daran, dass Frauen oft schon in der eigenen Familie seltener an Politik herangeführt würden. Politische Frauen seien ganz oft in politischen Haushalten groß geworden, sagte Dreyer, auch bei ihr sei das so gewesen. In Mainz ging nun die SPD mit gutem Beispiel voran. Bei der Aufstellung der Stadtratsliste setzten die SPD-Frauen eine Liste durch, in der sich Frauen und Männer konsequent abwechseln.

Doch in vielen Gemeinden bleibt es ein Problem, genügend Kandidatinnen zu finden. „Ich glaube, dass Gremienarbeit insgesamt frauenfeindlich ist“, sagte Schneidewind. Die langen Tagungszeiten, die Kungelrunden am Abend, wenn eigentlich Kinder ins Bett müssen. Die häufige Selbstdarstellung der Männer. „Wir lassen gerne mal andere reden“, sagte Schneidewind mit einem feinen Lächeln, oft gehe es auch um Standing, um Druck.

Was Frauen oft auch abschrecke, sei der Fraktionszwang, sagte die Präsidentin des Pfälzer Landfrauenverbandes, Ilse Wambsgamß Mainz&: „Ich möchte entscheiden, mitgestalten, und zwar Dinge, die ich gut finde.“ Ein guter Vorschlag von einer anderen Fraktion – warum könne man dem nicht zustimmen? Warum nicht für gute Ideen an einem Strang ziehen, wenn sie gut für eine Stadt seien? „Der Fraktionszwang“, findet Wambsgamß, „wo ist da noch gelebte Demokratie?“ Frauen schlössen aus solchen Dingen dann leider auch nicht: „Wir müssen da jetzt alle rein und es besser machen“, sagte Dreyer, „sondern sie überlassen es weiter den Jungs.“

Dabei gehe es nicht nur um Gerechtigkeit – es mache auch einen qualitativen Unterschied, ob Frauen in Parlamenten vertreten seien oder nicht: „Die Sichtweisen von Frauen sind einfach andere“, betonte Dreyer, die als Ministerpräsidentin das weiblichste Kabinett der Republik leitet: Fünf von neun Ministern in Rheinland-Pfalz sind Frauen. Es gehe dabei nicht um schlecht oder gut, sondern schlicht um anders, betonte die Regierungschefin – und darum, die verschiedenen Sichtweisen repräsentiert zu haben.

Fünf Frauen, vier Männer, eine Ministerpräsidentin: das weiblichste Kabinett der Republik ist seit 2016 die rheinland-pfälzische Ampel-Regierung. – Foto: gik

Unterstützung bekam Dreyer – ausgerechnet von einem Mann. „Man kann nicht von Demokratie reden, wenn die Hälfte der Menschheit ausgeschlossen ist“, sagte Landtagpräsident Hendrik Hering im FrauenLandTag. „Wir brauchen einen angemessenen Anteil von Frauen in den Parlamenten, wir brauchen die anderen Sichtweisen und Herangehensweisen von Frauen in der Politik“, betonte er. Und wenn es nicht anders gehe, „brauchen wir diesen Zwischenschritt, Dinge per Gesetz zu verändern.“

Tatsächlich forderte der FrauenLandTag genau das: Eine gesetzliche Verankerung der paritätischen Vertretung von Frauen in den Parlamenten. In Frankreich gebe es das, die gleichgeschlechtliche Besetzung der Parlamente, sagte Dreyer, „das ist immer schon ein Traum für mich.“ Eine solche Parität vorzuschreiben, in Deutschland gilt das als verfassungsrechtlich schwierig – frau höre und staune.

Die Gegner argumentieren, eine vorgeschriebene Parität verstoße gegen den Grundsatz der Wahlfreiheit und der Parteienfreiheit, die schließlich die Listen aufstellen. Die Befürworter verweisen hingegen darauf, dass es in Artikel 3 des Grundgesetzes heißt: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“

In Frankreich wurde bereits 2001 ein Paritätsgesetz („Loi sur la parité“) verabschiedet, das Frauen und Männern den gleichen Zugang zu Wahlämtern und Mandaten gewährleistet. Dem war nicht nur eine intensive gesellschaftliche Debatte, sondern auch die Ergänzung der französischen Verfassung vorausgegangen, schreibt die Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF) Berlin in einem sehr spannenden Leitfaden zu dem Thema, den Ihr hier herunterladen könnt. In Frankreich stehe dabei im Unterschied zur deutschen Diskussion nicht der Begriff der Quote im Mittelpunkt, sondern der Begriff der Egalité, also der Gleichheit der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger.

Deutschland also wehrt sich – oder sollten wir sagen: das männliche deutsche Parteiensystem wehrt sich? Doch aufgeben wäre nun wirklich nicht Frauensache: „Wir brauchen eine neue Frauenwahlrechtsbewegung“, forderte Wamsgambß. Die „deutliche Unterrepräsentanz und Schieflage“ müssten sich ändern, es brauche Parität in den Parlamenten, forderte Lanius-Knab: „Wir müssen jetzt mal große Schritte machen.“

Konkretes Ziel der aktuellen Begierde: Eine Wahlrechtsreform der Bundesrepublik, angestoßen von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU). Dabei geht es vordergründig vor allem um die ausufernde Anzahl der Sitze im Bundestag, denn durch Überhangmandate bei den letzten Bundestagswahlen war die von eigentlich 598 auf 709 explodiert. Schäuble will diese Entwicklung mit einer Wahlrechtsreform eindämmen – die Frauen wollen das für mehr Gleichstellung in den Parlamenten nutzen. Die Reform sei „der richtige Zeitpunkt, einen Akzent zu setzen“, sagte Dreyer, und warnte: Gelinge es nicht, diese Reform zu nutzen, „dann brauchen wir noch einmal 100 Jahre.“

Info& auf Mainz&: Ein spannendes Papier zur Parität in den Parlamenten findet Ihr hier bei der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF) Berlin zum Download genau hier. Die EAF hat übrigens auch eine eigene Internetseite zu 100 Jahre Frauenwahlrecht ins Leben gerufen, die Initiative mit vielen spannenden Informationen zu dem Thema findet Ihr hier.

 

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