Wie stark sind die Erschütterungen durch die neue Mainzelbahnstrecke in den Häusern der Anwohner in Bretzenheim? Drei Tage lang hat das nun ein Ingenieurbüro gemessen: Von Dienstag bis Donnerstag führte ein Gutachter im Auftrag der Mainzer Verkehrsgesellschaft (MVG) die Messungen durch. „Wir sind dazu rechtlich nicht verpflichtet, aber wir wollen es jetzt selbst wissen“, sagte MVG-Geschäftsführer Jochen Erlhof. Gleichzeitig räumte der Experte der MVG ein: Die Dämmfugen an den Gleisen wurden tatsächlich nicht durch den Asphalt hinaufgezogen, die Anwohner sehen hier eine Ursache für die starken Erschütterungen.

MVG-Geschäftsführer Jochen Erlhof unter Erklärungsdruck. – Foto: gik

Mitte Januar hatten mehr als 40 Anwohner Alarm geschlagen: Die Erschütterungen durch die neue Bahnlinie in ihren Häusern seien so groß, dass Betten wackelten, Gläser permanent klirrten und sogar Risse in Wänden aufgetaucht seien. Von „permanentem Donnergrollen“ wie bei einem Gewitter berichteten die Anwohner, und von schlaflosen Nächten. Ein normales Leben sei nicht mehr möglich, klagten viele vor allem entlang der Strecke Ostergraben – Essenheimer Straße. Die MVG reagierte schnell und kündigte an, die Sache per Gutachter untersuchen zu lassen.

Nun war es so weit: Neun Messreihen in verschiedenen Häusern entlang der Beschwerdestrecke wurden durchgeführt. „Uns ist wichtig, objektive Messungen und Sichtweisen zu bekommen“, betonte Erlhof. Die MVG habe eine moderne Gleistrasse mit Deckplatten gebaut, „nach allgemeinem Ermessen sollte das okay sein.“ Die Messungen sehe die MVG deshalb auch als Qualitätskontrolle. „Wenn die Werte zu hoch sind, muss man fragen, was ist falsch gelaufen“, versprach er: „Unser Interesse ist auch eine gute Vor-Ort-Akzeptanz.“

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Doch dass beim Bau alles glatt gelaufen ist, das bezweifeln die Anwohner der Strecke seit Monaten. „Um eine Körperschallübertragung zu verhindern, müsse zwischen Betondecke und Rinnstein eine Dämmung eingebaut werden“, erklärt Anwohner Thomas Lindner. Doch entlang der Marienborner Straße vor seiner Haustür sei ein solches Dämmband nicht eingebaut worden. Stattdessen hätten Gleise und Betondecken direkten Kontakt miteinander, so sei eine Übertragung des Erschütterungsschalles von den Gleisen zum Gehweg und zu den Häusern möglich, sagte Lindner: Es entstehe eine Körper–Schallbrücke. Lindner besitzt Fotos, die beweisen sollen, dass besagtes Dämmband fehlt, die MVG weist das zurück. Aber auch andere Anwohner der Gleistrasse betonen, ein Dämmband sei nicht verlegt worden, eine Reihe von Fotos würden das beweisen.

Zeigen diese Fotos, dass beim Bau der Mainzelbahn-Trasse keine Dämmbänder und Dämmfugen eingebaut wurden? Anwohner glauben: ja. – Foto: privat

 

Doch der Gutachter der MVG Peter Fritz, der auch im Planfeststellungsverfahren schon beteiligt war, sagte gegenüber Mainz&, eine seitliche Dämmfuge sei in der Tat nicht eingebaut worden: „Es wurden elastische Gleisbettmatten eingebaut“, sagte Fritz, „die Frage, inwieweit die seitliche Fuge nach oben hätte geführt werden müssen, da gibt es keine einheitliche Regelung.“ Die Dämmfugen seien „nicht durch den Asphalt geführt“ worden, sagte Fritz auf Nachfrage weiter.

Durch jede Fuge könne Feuchtigkeit eindringen, sagte Fritz zur Erläuterung, deshalb sei jede Fuge „ein zu wartendes Bauteil, und Wartung erzeugt Kosten und ständigen Sanierungsbedarf.“ Warum baut man dann offenbar trotzdem Fugen ein, wollten wir daraufhin von Fritz wissen? „Weil man glaubt, dass es dann besser ist“, sagte Fritz darauf, „nachgewiesen ist das aber nicht.“ Der Körperschall verbreite sich von den Gleisen nach unten durch den Boden, nicht seitlich, fügte er hinzu. Experten sind skeptisch: Körperschall-Verbreitung unterbreche man nur, wenn man auch die Verbindung trenne, sagte der Architekt Andreas Horn. Möglicherweise sei die Trennung ja sogar geplant gewesen, bei den Bauarbeiten dann aber „in der Ausführung nicht klar vollzogen worden.“

Horns Haus ist dasjenige in Bretzenheim, das am nächsten an der neuen Straßenbahntrasse steht, hier wurde deshalb am Mittwochabend ebenfalls eine Messreihe vorgenommen: In drei Zimmern des Hauses wurden dabei Sensoren angebracht, manche in Raummitte, andere an der Raumwand. Auch am Fundament des Hauses wurde ein Messgerät angebracht, die Sensoren nahmen beim Vorbeifahren einer Straßenbahn die Schwingungen auf. Dabei geht es Millimeter pro Sekunde, zwei Stunden lang wurden rund 30 Vorbeifahrten aufgenommen.

Der Techniker zeichnete von jeder vorbeifahrenden Bahn die gefahrene Geschwindigkeit auf und notierte sich die Nummer des Zuges, der Computer registrierte derweil die Ausschläge der Sensoren. Im Labor werde aus den Werten dann eine Gesamtbelastung hochgerechnet, sagte MVG-Gutachter Fritz. Echte Grenzwerte gibt es allerdings für Körperschall-Emissionen nicht, herangezogen wird vielmehr eine DIN-Norm, die einst von Bauexperten definiert wurde. Nach diesem Schwellenwert beurteilen Experten – salopp gesagt -, ob ein Haus zu sehr wackelt oder nicht – also ob die Schwingungen ein erträgliches und für den Bau verträgliches Maß überschreiten.

Auf den Tag gerechnet werden die Werte dann allerdings gemittelt – damit könnte hier eine ähnliche Problematik drohen wie beim Fluglärm: Auch bei dem argumentieren Flughafen-Betreiber gerne mit dem Mittelwert, während für die Anwohner die Lärmspitzen unerträglich sind. „Ich zweifele sehr daran, was hinterher mit den Messwerten passiert“, sagte denn auch Architekt Horn. Die Erschütterungen seien seit dem 11. Dezember unverändert spürbar, eine Besserung sei in keinem Fall eingetreten. „Am Feiertag bis 9.00 Uhr im Bett liegen, ist unmöglich“, sagt Horn, „es rumpelt wie wenn man bei einem Rockkonzert die Bässe aufdreht.“ Wie also, fragte Horn, werde die MVG hinterher die Messwerte interpretieren, „und steht sie dann zu ihrem Wort, uns zu helfen?“

Messungen an der Mainzelbahn: Geschwindigkeit und Erschütterungen werden aufgezeichnet. – Foto: gik

Das Misstrauen sitzt bei den Anwohnern tief, Horn hatte eigens einen eigenen Schallschutzgutachter zu den Messungen hinzugebeten. Anfangs seien bei den Messungen „nicht die richtigen Aufnehmer verwendet worden“, sagte Frank Golisch Mainz&: Üblicherweise würden als Messgeräte 3-Achser verwendet, der Gutachter der MVG wollte aber erst nur Einachser einsetzen. Nach einem Hinweis von ihm seien die Geräte dann ausgetauscht worden. Auch Golisch erläuterte gegenüber Mainz&, eine Gleiswanne müsse komplett von der Umgebung entkoppelt werden. Er kenne das System in Mainz nicht, betonte der Gutachter, es gelte aber immer die Regel: „Eine Entkopplung muss immer vollständig sein, wenn die irgendwo einen Durchbruch hat, habe ich eine Schallbrücke.“

Die Ergebnisse der Messreihen sollen nun in vier bis sechs Wochen vorliegen. Dann werde man als erstes mit den Anwohnern Kontakt aufnehmen, bevor man die Öffentlichkeit informiere, betonte Erlhof. Gleichzeitig versprach er, die MVG werde in jedem Fall einzelne Verbesserungen vornehmen: So werde man die Straßenbahnen intensiver warten und dabei etwa Flachstellen in Rädern gründlicher reprofilieren. Die Flachstellen entstünden bei starken Bremsvorgängen und könnten klackernde Geräusche hervorrufen, bei den Wartungen sollen sie schneller ausgemerzt werden.

Info& auf Mainz&: Mehr zu Mängeln an der Mainzelbahn lest Ihr in diesem Mainz&-Artikel – im Februar räumte die MVG ein, dass entlang der neuen Trasse 400 Schweißnähte defekt sind. Mehr zu den Bedenken der Anwohner gegen das Gutachter-Büro Fritz gibt es hier, mehr zu den Auswirkungen der Probleme mit der Mainzelbahn hier: „Die fahren jetzt wieder Auto“. Mehr zur Haltung der Ampel-Koalition, der MVG zu Nachbesserungen und überhaupt zum Komplex Mainzelbahn lest Ihr in diesem Mainz&-Artikel.

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