Nach der verheerenden Flut kommt nun die Versicherungswelle: Der Versicherungswirtschaft steht ein wahrer Alptraum bevor, die Flutkatastrophe von 2021 in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen dürfte zum größten Versicherungsschaden der Nachkriegsgeschichte werden. Der Alptraum trifft aber auch die Hausbesitzer selbst: Bei solchen Naturkatastrophen zahlt nur eine Elementarschadenversicherung – doch die haben gerade einmal 37 Prozent der privaten Gebäude in Rheinland-Pfalz. Viel zu teuer, gar nicht verfügbar, oder aber auch durch Sorglosigkeit versäumt, die Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz fordert seit Jahren eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden – bislang vergeblich. Jetzt könnte Bewegung in die Sache kommen.
„37 Prozent der privaten Gebäude, das ist ein Witz“, sagt Michael Wortberg, Versicherungsexperte der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz in Mainz: „Zehn Häuser liegen nebeneinander, sieben davon sind nicht versichert.“ Wortberg ist Experte für die sogenannten Elementarschadensversicherungen, im Oktober 2020 legte sein Haus bereits den dritten Marktcheck zum Thema Elementarschadensversicherung vor. Die Bilanz: miserabel. 53 Versicherungen schrieb die Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz im Herbst 2020 für ihren Marktcheck an, nur 35 antworteten – die Antworten von zwei Gesellschaften stufte man als „nicht verwendbar“ ein, vor allem weil sie widersprüchlich waren. 51 Prozent derer, die antworteten, boten selbst für Gebäude ohne größeres Risiko für elementare Schäden nicht standardmäßig an.
Das Ergebnis: Lediglich 37 Prozent der Privatgebäude in Rheinland-Pfalz sind derzeit überhaupt gegen Elementarschäden wie Unwetter, Hochwasser oder Flut versichert. Bundesweit seien immerhin 43 Prozent der Wohngebäude gegen Elementarschäden versichert, die geringe Versicherungsdichte in Rheinland-Pfalz könne „existenzgefährdende Folgen haben“, warnte die Verbraucherzentrale im Oktober 2020: Die geringe Versicherungsdichte sei „alarmierend.“
Das Problem: Nur eine Elementarschadensversicherung zahlt in Fällen von Naturkatastrophen Schäden am Haus, Hausversicherungen werden aber zumeist ohne Elementarschäden angeboten, wer diese Versicherungsform will, muss aktiv danach fragen und oft sogar lange suchen. Denn die Versicherungswirtschaft reißt sich nicht gerade darum, die teuren Risiken zu versichern, mache aber gleichzeitig gerne das fehlende Problembewusstsein der Bevölkerung verantwortlich, sagte Wortberg im Gespräch mit Mainz&: Beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) heiße es immer wieder, 99 Prozent der Hauseigentümer könnten auch gegen Elementarschäden „problemlos“ versichert werden.
Tatsächlich betonte gerade der Chef-Klimatologe des Großversicherers Munich Re, Ernst Rauch, gegenüber dem Spiegel, Elementarschadensversicherungen kosteten in aller Regel lediglich ein paar Hundert Euro im Jahr, ihre Verfügbarkeit sei „kein Thema, bei dem man Sorge haben muss“ – einer staatlichen Fürsorge bedürfe es schon gar nicht. In Deutschland sei etwa die Hälfte der Gebäude eben nicht versichert, auch weil Hauseigentümer, deren Gebäude nicht in der Nähe von Flüssen ständen, das Risiko von Sturzfluten oft unterschätzten.
Eine Untersuchung der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz zur Versicherbarkeit von Elementarschäden in Wohngebäudeversicherungen kam schon im Herbst 2017 zu einem anderen Ergebnis: Danach war eine Vielzahl von Gebäuden entweder gar nicht oder nur zu exorbitant hohen Prämien versicherbar. „Versicherbar ist ein Haus auch, wenn sie das mit 30.000 Euro Prämie versichern“, sagt Wortberg, das aber könne sich kaum jemand leisten. Und ausgerechnet Menschen, deren Häuser in Hochwassergebieten ständen, „können sich nach den eigenen Angaben der Versicherer gar nicht versichern“, betont der Experte.
Auch bei der Verbraucherzentrale heißt es, das Risikobewusstsein der Hausbesitzer sei viel zu wenig ausgeprägt, die Bedrohung durch Naturereignisse werde „oft unterschätzt.“ Mit der Klimakrise würden aber vor allem Rekord-Regenereignisse weiter zunehmen. „Starkregen können sie nicht vorhersehen, sie wissen nicht, wo das Zeug runterkommt“, betont Wortberg, „wenn das stark regnet, dann kommt auch mal der Hang runter.“ Dabei seien Elementarschadensversicherungen in Regionen mit geringem Risiko oft schon für 70 Euro im Jahr zu haben, sagt Wortberg, anders sieht das in Regionen aus, die schon einmal von Hochwassern heimgesucht worden waren – wie die Mosel oder jetzt die Ahr. „Die Leute in Gebieten wie Cochem kennen das“, sagt Wortberg. Hausbesitzer an der Ahr hätten wohl in Zukunft keine Chance, eine Elementarschadensversicherung angeboten zu bekommen.
Das Land Rheinland-Pfalz wollte das bereits 2016 ändern, damals schreckten die ersten Starkregenereignisse an der Nahe und in der Eifel das Land auf: Am 4. Juni 2016 traf es die Gemeinde Grafschaft im Kreis Ahrweiler, am 24. Juni 2016 verwüstete der Guldenbach Stromberg im Kreis Bad Kreuznach – erhebliche Niederschläge von mehr als 50 Millimeter pro Stunde hatten die Bäche zu reißenden Fluten schwellen lassen.
Danach forderte Umweltministerin Ulrike Höfken (Grüne) eine bundesweite Versicherungspflicht gegen Elementarschäden für Hausbesitzer, Rheinland-Pfalz startete gleich mehrere Initiativen auf Bundesebene – vergeblich: „Die Versicherungspflicht wurde auf Bundesebene abgelehnt“, sagte die Sprecherin des heutigen Klimaschutzministeriums, Josefine Keller, auf Anfrage unserer Zeitung: „“Ein solcher Baustein scheint aktuell kaum umsetzbar.“ Rheinland-Pfalz werde das Thema aber weiter verfolgen – beim Ortstermin an der Ahr deutete Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gar Bewegung bei dem Thema Versicherung an.
Dabei würde eine Pflichtversicherung gleich mehrere Probleme lösen, sagt Wortberg: „Bei einer Pflichtversicherung hätten sie in Deutschland Millionen von Versicherungsverträgen, die könnte man günstig anbieten, weil es so viele sind“, sagt der Experte: „Damit könnten sie solche Riesenschäden quasi aus der Portokasse bezahlen.“ In Baden-Württemberg gab es eine solche Pflichtversicherung schon einmal, das Ergebnis: 80 Prozent der Wohngebäude sind bis heute damals gegen elementare Schäden versichert. Doch weder in der Justizministerkonferenz, noch in der Umweltministerkonferenz konnten Rheinland-Pfalz und seine Mitstreiter wie Sachsen oder das Saarland eine Pflichtversicherung durchsetzen. Selbst am Tag 7 nach der Flutkatastrophe an Ahr, Mosel und anderen Flüssen betonten Gegner, eine solche Pflicht sei verfassungswidrig und doch sowieso unnötig.
Die Versicherungswirtschaft sträube sich „seit Jahren“ gegen die Pflichtversicherung, kritisiert Wortberg, offenbar leisteten „die Lobbyisten der Versicherungswirtschaft in der Politik ganze Arbeit.“ Doch gleichzeitig habe die Ministerpräsidentenkonferenz 2017 beschlossen, dass nur noch derjenige staatliche Hilfszahlungen bei Unwetterschäden erhalte, wer sich erfolglos um eine Versicherung bemüht habe, oder dem diese nur zu wirtschaftlich unzumutbaren Bedingungen angeboten worden sei, warnt Wortberg, und fordert: Wer so etwas beschließe, müsse auch dafür sorgen, dass sich die Menschen zu bezahlbaren Konditionen versichern könnten.
Im Klimaschutzministerium verweist man derweil auf die bereits 2013 gestartete Elementarschadenskampagne, unter anderem mit kostenfreier Beratung durch die Verbraucherzentrale. Auch biete man den Kommunen an, Hochwasservorsorgekonzepte zu entwickeln, rund 1.100 Kommunen hätten sich dazu „auf den Weg gemacht“, heißt es im Ministerium – abgeschlossen haben diese Konzepte aber nur etwa ein Viertel. Bei der Vorsorgekonzepten werden in den Kommunen detaillierte Karten entwickelt, wo Gefahrenpotenziale liegen: Wo könnte eine Sturzflut sich ihren Weg bahnen, wo gibt es Windschneisen oder erhöhte Sturmgefahren – und was kann man tun, um vorzubeugen?
Wortberg betont derweil, die Verbraucherzentrale unterstütze die Betroffenen an Mosel, Sauer, Ahr und allen anderen Flüssen jetzt auch schnell bei der Abwicklung der Schäden. „Wir fahren eine erweiterte Hotline, wer Fragen hat, kann sich an uns wenden“, sagt Wortberg, denn laut Gesetz müssen die Schäden „unverzüglich“ der Versicherung angezeigt, und eigentlich auch mit Fotos dokumentiert werden. Man gebe den aktuell Betroffenen Ersthilfe und berate sie auch dabei, wie man den Schaden am schlauesten melde – und wie man Druck auf die Versicherung ausüben könne. „Damit die nicht sagen, der Gutachter kommt in vier Wochen“, fügte Wortberg hinzu.
Info& auf Mainz&: Die Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz bietet auf ihrer Internetseite genau hier ein umfangreiches Informationspaket zur Abwicklung von Schäden durch die Flut sowie zu Elementarschadensversicherungen an, die regelmäßig um neue Fragestellungen ergänzt und aktualisiert werden. Ein ausführliches „Frage und Antworten“-Stück zu Informationen für Betroffene findet sich zudem hier – da geht es auch um Fragen wie: Muss ich meinen Telefonvertrag und meinen Stromanbieter eigentlich noch bezahlen, wenn ich werde Strom noch Telefon habe?
Die Hotline der Verbraucherzentrale für Ratsuchende bei Versicherungsschäden steht zudem für Erstberatungen zur Verfügung, um eine erste Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten: Unter der Telefonnummer (06131) 28 48 868 können sich Versicherte montags von 10.00 bis 13.00 Uhr, mittwochs von 14.00 bis 17.00 Uhr und donnerstags von 11.00 bis 13.00 Uhr kostenlos zu allen Versicherungsfragen im Zusammenhang mit den Unwetterschäden beraten lassen. Fragen zu Hilfeangeboten und Vertragsangelegenheiten werden montags, mittwochs und donnerstags von 10.00 bis 16.00 Uhr unter (06131) 28 48 120 beantwortet.