„Reine Augenwischerei“ nennt die Mainzer Initiative gegen Fluglärm die neuen Lärmpausen am Frankfurter Flughafen, „Ohrenwischerei“ wäre wohl zutreffender: Seit einer Woche wird am Frankfurter Flughafen das Lärmpausen-Modell des grünen Verkehrsministers in Hessen, Tarek Al-Wazir erprobt. Der spricht von einem großen Fortschritt: 40.000 Bürger würden abends bei Westwind über Frankfurt und Offenbach entlastet. Dumm nur, dass die davon offenbar nichts merken.
Derweil formiert sich der Widerstand: Beim Tag des Lärms gründeten am Mittwoch in Berlin 18 Vertreter von Bürgerinitiativen gegen Fluglärm ein bundesweites Bündnis. „Wir haben uns als bundesweite Allianz für gemeinsames Handeln zusammengeschlossen“, teilten sie am Samstagfrüh per Mitteilung mit. Die Vertreter kamen aus Berlin, Brandenburg, Bayern und natürlich Frankfurt und Mainz, aber auch aus Hamburg und Schleswig-Holstein. Spannende Sache.
Lärmpausen im September 2014 verkündet
Siebenstündige Lärmpausen, dieses Versprechen hatte der neue hessische Verkehrsminister Tarek Al-Wazir von den Grünen Ende 2013 in den Koalitionsverhandlungen mit der CDU aus dem Hut gezaubert. Es sollte die Beruhigungspille für die Grünen-Wähler sein, eine Entschädigung für die Koalition mit der CDU – und der Abkehr der Grünen von ihrer Forderung nach einem achtstündigen Nachtflugverbot.
Weil das mit der CDU nicht zu machen war, einigte man sich auf siebenstündige „Lärmpausen“ zur Entlastung der Anwohner. Es dauerte fast ein Jahr, bis Al-Wazir zur Umsetzung schreiten konnte: Fünf Lärmpausen-Modelle präsentierte Al-Wazir im September 2014, nur eines stieß auf die widerwillige Zustimmung von Flughafen und Deutscher Flugsicherung.
Seit dem 23. April läuft Erprobung
Seit dem 23. April wird nun dieses Modell erprobt: Abends zwischen 22.00 Uhr und 23.00 Uhr, also in der Nachtrandstunde, wird nur auf der Südbahn am Frankfurter Flughafen gelandet, Nordwestbahn und Centerbahn bleiben geschlossen. Morgens hingegen wird zwischen 5.00 Uhr und 6.00 Uhr auf der Nordwestbahn gelandet und dazu auf der Centerbahn, die Südbahn bleibt geschlossen.
Dadurch würden abends „im Saldo etwa 40.000 Menschen entlastet, insbesondere in Frankfurt und Offenbach“, wie Al-Wazir nicht müde wird zu betonen. Morgens hingegen würden insbesondere in Neu-Isenburg über 10.000 Menschen entlastet, weil sie zwischen 5.00 Uhr und 6.00 Uhr „keine direkten Überflüge mehr über dem Kopf“ haben.
Nur bei Westwind, viele Ausnahmen
Doch das Modell hat eine Menge Haken: Es gilt nur bei Westwind und Betriebsrichtung West, was dazu führt, dass es für die Menschen in Mainz und Umgebung überhaupt keine Entlastung gibt – tja, sind ja auch nur Wähler in Rheinland-Pfalz. Doch das Modell kann auch sofort ausgehebelt werden, wenn die Sicherheit gefährdet ist, wenn Unvorhergesehenes passiert, ja sogar wenn der Ablauf des Flughafens gestört wird. Direkt am ersten Morgen stand die Erprobung schon gleich auf der Kippe: Tagelang herrschte Ostwind, erst kurz vor dem Start um 5.00 Uhr drehte der Winde auf Westen – und „schon um 6.50 Uhr drehte der Wind wieder in Richtung Ost“, wie die Frankfurter Neue Presse berichtete.
Neu-Isenburg: „Wir haben keine Ruhe“
Das führte dazu, dass Neu-Isenburg gleich wieder mit startenden Flugzeugen überzogen wurde – von Ruhe keine Spur. „Wir haben keine Stunde Ruhe“, zitierte die Frankfurter Rundschau den Neu-Isenburger Bürgermeister Herbert Hunkel (parteilos). Und auch die FNP merkte an: Selbst wenn es in der Morgenstunde ein bisschen leiser war, ruhig war es nicht. Der Lärm der benachbarten Centerbahn sei im südlichen Stadtteil „deutlich zu hören“ gewesen.
Denn das ist überhaupt die Crux der sogenannten Lärmpause: Weil Center- und Südbahn nur 500 Meter voneinander entfernt parallel verlaufen, kann die Schließung nur einer der beiden Bahnen keinen wirklichen Effekt haben – wenn 500 Meter weiter die Flugzeuge dröhnen, ist die Ruhe so oder so dahin.
„Lärm nur verschoben“, „Schein-Entlastung“
Von einer „Mogelpackung“ sprechen deshalb die Fluglärmgegner schon seit Vorstellung des Models. „Stell‘ Dir vor, es ist Lärmpause, und keiner merkt’s….“, kommentierte der Vorsitzende der Mainzer Initiative gegen Fluglärm, Jochen Schraut, die erste Lärmpause auf seiner Facebook-Seite. „Erstmals Lärm verschoben“, kommentierte die hessische Linke trocken den ersten Test – Bürgerinitiativen und Linke kritisieren vehement, dass die Pause für die einen mehr Lärm für die anderen bedeutet.
„Die Umverteilung des Fluglärms führt örtlich zu noch mehr Lärm“, betonte Linksfraktionschefin Janine Wissler. Am ersten Morgen hätten das die Menschen in Teilen des Main-Kinzig-Kreises zu spüren bekommen, während die Anwohner in Neu-Isenburg „noch lange keine Ruhe hatten.“ Durch einen ständigen Ausbau des Flughafens mehr Flugbewegungen zu generieren „und dann den Lärm öffentlichkeitswirksam umzuverteilen – das ist eine Schein-Entlastung nach dem Sankt-Florian-Prinzip“, wetterte die Linke.
Al-Wazir: Erster Praxistest bestanden
Al-Wazir hingegen freute sich per Mitteilung am Freitag. „Der Auftakt hat weitgehend reibungslos funktioniert. Der erste Praxistest ist bestanden!“ Die Erleichterung des Ministers gründet sich darauf, dass Flugsicherung und Flughafen im Vorfeld massive Probleme befürchtet hatten und von einer schwierigen bis schier unmöglichen Umsetzung sprachen.
Die Umsetzung des Lärmschutzmodells bedeute für die Fluglotsen im Tower „zusätzliche Arbeit“, dankte der Minister denn auch den Bediensteten, er sei aber „felsenfest davon überzeugt: Der Einsatz lohnt sich.“ Gleichzeitig mühte sich der Minister, Kritik entgegen zu wirken: Die siebenstündige Lärmpause sei durchgängig zum Einsatz gekommen, lediglich zwei Ausnahmen habe es in der Abendstunde gegeben.
Abbruch wegen Gewitters und Vogelschlag
So musste am Abend des 29. Aprils der Startvorgang eines Flugzeugs abgebrochen werden, weil ein Vogel in die Turbine geraten war – die hoch gefährliche Situation eines Vogelschlags. Die Startbahn West musste daraufhin kurzzeitig gesperrt werden. Am 30. April habe dann wegen Gewitters „sicherheitsbedingt die Zahl der Anflüge auf den Flughafen limitiert werden“, dadurch seien neun verspätete Starts genehmigt worden. Nanu? Habt Ihr was von einem Gewitter bemerkt?
„Wir sammeln gerade wichtige Erfahrungen. Das ist ja gerade Sinn und Zweck des Probebetriebs“, betonte Al-Wazir, fast schon beschwörend. Zu sehen sei aber auch, dass „schon in den ersten Tagen das Modell mit einer hohen Zuverlässigkeit umgesetzt werden konnte.“
Im Übrigen stimme es nicht, dass es – wie von Bis behauptet – durch die Lärmpausen morgens mehr Anflüge auf der Nordwestlandebahn gebe, sagte Al-Wazir: „Die Behauptung ist schlicht falsch, sie ist haltlos und hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun.“ Mein Gott, da ist aber jemand sehr getroffen…. Das Lärmpausenmodell soll nun ein Jahr erprobt, seine Umsetzung wissenschaftlich und mit Messungen begleitet werden.
Info& auf Mainz&: Mehr zum Lärmpausenmodell findet Ihr auf der Seite des Hessischen Verkehrsministeriums, genau hier. Die Homepage der Initiative gegen Fluglärm in Mainz findet Ihr hier.
Das Ministerium hat der Presse zudem ausführliche Tabellen zur ersten Woche der Lärmpausen-Erprobung zur Verfügung gestellt, das reichen wir gerne an Euch weiter. Bitteschön: