Monatelang wurde spekuliert, nun ist es Fakt: Die bisherige Vorzeigefrau der Linken, Sahra Wagenknecht, gründet eine eigene Partei. Das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) soll zunächst als Verein starten, schon 2024 will man aber bei der Europawahl Anfang Juni als Partei antreten. Der neuen Formation wird hoher Zuspruch vorhergesagt – was heißt das für die Linke in Mainz und die kommende Kommunalwahl? Mainz& hat mit Linken-Fraktionschef und Spitzenkandidat für die Kommunalwahl, Tupac Orellana, gesprochen.

Verkündete am Montag die lange erwartete Gründung ihrer eigenen Partei: Ex-Linke Sahra Wagenknecht. - Screenshot via ZDF: gik
Verkündete am Montag die lange erwartete Gründung ihrer eigenen Partei: Ex-Linke Sahra Wagenknecht. – Screenshot via ZDF: gik

Am Montag verkündete Sahra Wagenknecht die lange erwartete Botschaft: Wagenknecht trat aus der Partei „Die Linke“ aus und kündigte die Gründung einer eigenen Partei an. „Die Politik muss sich ändern“, betont die bisherige Linke-Vorzeigefrau dazu auf ihrer Homepage: „Wir sehen nicht länger zu, wie an den Wünschen der Mehrheit vorbei regiert wird. Wie Reichtum von den Fleißigen zu den oberen Zehntausend umverteilt wird. Wie wir in Kriege verwickelt werden und unsere Industrie und unser Mittelstand aufs Spiel gesetzt wird.“

Deutschland brauche „eine starke innovative Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit, Frieden und fairen Handel, Respekt vor der individuellen Freiheit seiner Bürger und eine offene Diskussionskultur“, heißt es weiter – deshalb: „Lassen Sie uns gemeinsam eine neue Partei gründen.“ Zur Vorbereitung habe man nun den Verein „Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit“ auf den Weg gebracht. „Die Menschen in diesem Land haben eine bessere Politik verdient“, betonte Wagenknecht weiter – und bat auch gleich um Spenden. „Helfen Sie uns dabei, die Politik zu verändern – für einen Erfolg brauchen wir Ihre Unterstützung.“

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„Egoshow“, „Abschied von echten linken Grundsätzen“

Die Parteigründung war lange erwartet worden, Wagenknecht hatte sich über Monate um die Antwort dazu herumgedrückt. Die Linke warf Wagenknecht deshalb auch wiederholt vor, die Partei zu spalten und ihr massiv zu schaden – der Ärger um die Parteineugründung sei mit ein Faktor für das schlechte Abschneiden etwa in Hessen gewesen, kritisierte die Bundesvorsitzende Janine Wissler, die selbst aus Hessen stammt. Dort war die Linke bei der Landtagswahl Anfang Oktober mit nur noch 3,3 Prozent aus dem Landtag geflogen.

Trat ebenfalls aus der Linken aus und dem neuen Verein bei: der rheinland-pfälzische Bundestagsabgeordnete Alexander Ulrich. - Screenshot via SWR: gik
Trat ebenfalls aus der Linken aus und dem neuen Verein bei: der rheinland-pfälzische Bundestagsabgeordnete Alexander Ulrich. – Screenshot via SWR: gik

Tatsächlich hatte sich in den vergangenen Monaten ein Unterstützerkreis rund um Wagenknecht in der Linken gebildet. Mit der Parteigründerin traten deshalb am Montag neun weitere Bundestagsabgeordnete aus der Linken aus, und dem neuen Verein bei. Dazu gehören etwa die Ko-Vorsitzende Amiri Mohammed Ali, aber auch der frühere Linken-Parteichef Klaus Ernst sowie der rheinland-pfälzische Bundestagsabgeordnete Alexander Ulrich. Für die Bundestagsfraktion der Linken hat das ernste Konsequenzen: Sie verliert nun ihren Fraktionsstatus, mehr als 100 Beschäftigte verlieren dadurch wohl ihren Job.

Die Linke reagierte denn auch alles andere als erfreut, Linken-Parteivize Lorenz Gösta Beutin schimpfte gegenüber dem SPIEGEL, Wagenknechts Auftritt sei eine „totale Egoshow“. Besonders störte ihn Wagenknechts Bitte um finanzielle Unterstützung für ihre neue Partei: „Die Millionärin Wagenknecht gründet eine Partei für Wagenknecht, um Unternehmensspenden für eine Wagenknecht-Partei zu sammeln“, kritisierte Beutin. Andere Linke begrüßten, dass die jahrelange „Hängepartei“ rund um Wagenknechts Austritt nun endlich ein Ende habe, und warfen der Politikerin vor, sich schon lange von echten linken Grundsätzen verabschiedet zu haben.

Umfragewerte für Wagenknecht-Partei zwischen 12 und 15 Prozent

Tatsächlich lagen Wagenknecht und die Parteispitze sowie viele Vertreter in den Ländern schon lange weit über Kreuz bei Ansichten und Politikinhalten. Kritiker werfen Wagenknecht vor, hauptsächlich populistische Thesen zu vertreten, aber keinerlei eigenes Programm zur Lösung anzubieten. Für welches Programm die neue Partei stehen soll, ist bislang weitgehend unklar, ZDF-Hauptstadtkorrespondent Theo Koll sprach am Abend in den Heute-Nachrichten von „einer Art politischen Hufeisens“, da Wagenknecht und ihre Mitstreiter eine Politik zwischen „linke Sozialpolitik mit ultrareaktionärer Migrationspolitik – das sei eine Art „link-konservativer Populismus.“

Wohin steuert nun die Linke in Mainz? - Foto: Linke Mainz-Bingen
Wohin steuert nun die Linke in Mainz? – Foto: Linke Mainz-Bingen

Wagenknecht sei in Berlin „weder für Organisationstalent noch für parlamentarischen Fleiß bekannt“, sagte Koll weiter – der neue Anlauf könne sich deshalb auch „sehr schnell wieder in Luft auflösen“. Koll verwies dabei auf Wagenknechts ersten Ablauf einer eigenen Gründung im Jahr 2018, als sie mit ihrem „Aufbruch“ erst Schlagzueilen machte – und kurz danach scheiterte. Dieses Mal soll nun ein Umfeld von Mitstreitern dafür sorgen, dass dies nicht geschieht.

Die neue Partei – so sie sich denn gründet – könnte tatsächlich für viele Unzufriedene mit der politischen Parteienlandschaft interessant sein: Beobachter sehen ein Wählerpotenzial aus dem Stand von zwischen 12 und 15, vielleicht sogar von bis zu 20 Prozent. Erwartet wird, dass das neue Bündnis Wähler von der AfD abziehen könnte, die bisher die rechtsextreme Partei hauptsächlich aus Gründen des Protests gewählt haben. Der Partei „Die Linke“ dürfte der Abgang ihrer bisherigen Galionsfigur schaden, schon jetzt sanken die Zustimmungswerte auf ganze vier Prozent im Bund. In Rheinland-Pfalz liegt die Linke in Umfragen gerade einmal zwischen 2 und 3 Prozent und war im Landtag noch nie vertreten.

Mainzer Linke: „Ein Stück weit eine Befreiung“

In der Stadt Mainz hingegen kam die Linke 2019 bei der Kommunalwahl zuletzt auf 5,9 Prozent und hält vier Sitze im Stadtrat. Befürchtet die Mainzer Linke nun eine Spaltung vor der nächsten Kommunalwahl am 9. Juni 2024? „Nein, sagt Linken-Fraktionschef und Spitzenkandidat für die kommende Wahl, Tupac Orellana, im Gespräch mit Mainz&: „Es ist ein Stück weit eine Befreiung, weil wir endlich nach vorne gucken können“, sagte Orellana am Montagabend: „Wir haben jetzt eine Chance nach vorne zu gehen, und ich kenne viele Genossen, die sich darauf freuen.“

Spitzenkandidat bei der Kommunalwahl 2024 und aktuell Linksfraktionschef im Mainzer Stadtrat: Tupac Orellana. - Foto: Linke Mainz
Spitzenkandidat bei der Kommunalwahl 2024 und aktuell Linksfraktionschef im Mainzer Stadtrat: Tupac Orellana. – Foto: Linke Mainz

Von Austritten aus der Linken in Mainz habe er noch nichts gehört, „und ich glaube auch nicht, dass es in Mainz viele Austritte geben wird“, sagte Orellana weiter. Die Bewegung rund um Wagenknecht habe sich „seit Monaten, wenn nicht Jahren“ angekündigt, ihre Anhänger hätten sich „doch innerlich längst verabschiedet“, kritisierte Orellana weiter – das habe der Linken Ressourcen entzogen. Auch dass die jetzt Ausge5tretenen ihre Mandate im Bundestag behalten wollen, kritisierte er scharf:

„Es ist ein egozentrischer Diebstahl, diese Mandate mitzunehmen“, schimpfte Orellana. Gerade Wagenknecht und andere Mitstreiter seien doch überhaupt erst über Listen der Linken in den Bundestag eingezogen – und hätte nicht die besten Ergebnisse geholt. Die drei Abgeordneten hingegen, die eigene Direktmandate geholt hätte – wie Gregor Gysi und Gesine Lötzsch – seien eben gerade bei Wagenknechts Partei nicht dabei. „Da ist es frech zu sagen, diese Mandate sind an unsere Personen geknüpft“, schimpfte Orellana.

Orellana: „Linke muss dringend das eigene Profil stärken“

Die Linke wiederum müsse jetzt dringend das eigene Profil stärken und sich inhaltlich stark aufstellen, mahnte Orellana weiter. „Es muss wieder klar werden, wofür die Linke eigentlich steht, und welches Feld in der Parteienlandschaft sie abgedeckt“, betonte er. Die Partei müsse wieder stärker ihren Anspruch erfüllen, für die lohnabhängig Beschäftigten da zu sein, die trotz Arbeit am Ende des Monats nicht über die Runden kämen. „Das muss stärker in den Fokus rücken“, forderte Orellana – es ist genau einer der Kritikpunkte, wegen der sich Wagenknecht und ihre Mitstreiter nun von der Linken abwenden.

Punktete zuletzt im OB-Wahlkampf mit eigenständigen Ideen und frischem Wind: Der Linke Martin Malcherek, Stadtrat in Mainz. - Foto gik
Punktete zuletzt im OB-Wahlkampf mit eigenständigen Ideen und frischem Wind: Der Linke Martin Malcherek, Stadtrat in Mainz. – Foto gik

„Es braucht eine andere Stimme im Chorus der Parteien“, forderte Orellana. Dass „die Kommunen in Rheinland-Pfalz finanziell „verhungern“, ist ja nicht die Schuld der Flüchtlinge, sondern der jahrelangen Vernachlässigung durch die regierenden Parteien“, schimpfte er. Über Fluchtursachen müsse geredet werden, aber „diesen Rutsch in der deutschen Politik, dass das Abschieben die Lösung aller Probleme sein soll, da machen wir als Linke nicht mit“, betonte er.

Die neue Partei will das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) Anfang 2024 gründen, ob eine solche Partei auch bei der Kommunalwahl am 9. Juni 2024 in Mainz antreten würde, ist bislang völlig unklar – bislang haben sich keine namhaften politischen Akteure in Mainz als Wagenknecht-Fans geoutet. „Das ist mir vollkommen egal, weil ich für eine starke Linke kämpfe“, reagierte Orellana. Die Ampel regiere schlecht, sie habe „gezeigt, dass sie die Krisen unserer Zeit nicht lösen kann oder will“, kritisierte Orellana: „Ich glaube, wir haben endlich den Kopf und den Freiraum für eine Neuaufstellung der Linken – und das werden wir machen, dafür werden wir kämpfen.“

Info& auf Mainz&: Mit wem die Linke in die Stadtratswahl 2024 zieht, und wofür ihre Kandidaten stehen, lest Ihr hier bei Mainz&.