„Deutschland steckt in einer schweren Bildungskrise“ – das sagt ein Bündnis aus mehr als 180 Bildungsorganisationen, Gewerkschaften sowie Eltern- und Schülervertretungen. Und dieses Bündnis ruft am Samstag bundesweit zu Protesten auf. Mitinitiator ist ein Mainzer: Markus Sänger von der Arbeitsgemeinschaft der Schulelternbeiräte in Mainz. Sänger warnt: „Das System ist am Kippen“, und Rheinland-Pfalz sei dabei „ein besonders krasses Beispiel“. Das Bündnis forderte deshalb eine Bildungswende und ein Sondervermögen des Bundes für mehr Lehrkräfte, Schulsanierungen sowie eine deutliche Verbesserung der frühkindlichen Bildung.

Die GEW und das Bündnis Bildungswende JETZT! rufen für diesen Samstag zum Protesttag auf, in Mainz auf dem markt. - Foto: GEW RLP
Die GEW und das Bündnis Bildungswende JETZT! rufen für diesen Samstag zum Protesttag auf, in Mainz auf dem markt. – Foto: GEW RLP

Chronisch unterfinanziert, ein Riesenrückstau bei der Sanierung von Schulgebäuden, viel zu wenig Lehrer und Erzieherinnen – die Liste der Mängel im Bildungssystem in Deutschland ist lang. Dagegen wehrt sich nun ein bundesweites Bündnis aus mehr als 180 Organisationen, Gewerkschaften sowie Eltern- und Schülervertretungen, die sich im Bündnis „Bildungswende JETZT!“ zusammengeschlossen haben. Bis 2035 werden in Deutschland rund 160.000 Lehrer fehlen, rechnet das Bündnis vor – und rund 50.000 junge Menschen verlassen jedes Jahr die Schule ohne Abschluss.

„Das entspricht der Größe einer Stadt wie Speyer“, sagt Markus Sänger von der Arbeitsgemeinschaft der Schulelternbeiräte in Mainz. Damit verliere in Deutschland jedes Jahr „eine Stadt in der Größe von Speyer ihre Zukunft“, kritisiert Sänger: „Und 2035 könnten wir mit den fehlenden Lehrerstellen Ludwigshafen bevölkern – oder vielmehr, eben nicht bevölkern.“

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„Das Bildungssystem ist auf dem Absturz“

Sänger gehört zu den Mit-Initiatoren des bundesweiten Bündnisses, gemeinsam mit der Initiative „Schule muss anders“ startete er die Protestwelle. „Es ist Zeit, dass das Bildungssystem aus dem 50-Jahre-Schlaf erwacht“, sagt Sänger im Gespräch mit Mainz&: „Die Gesellschaft hat sich gewandelt, da muss sich auch das Bildungssystem anpassen.“ Deutschland nenne sich „Bildungsnation“, aber viele Studien zeigten stattdessen: „Viele Studien zeigen: Das Bildungssystem in Deutschland ist auf dem Absturz“, betont Sänger.

Der Mainzer Markus Sänger ist Mit-Initiator des Bündnisses "Bildungswende JETZT!" und des Protesttages am Samstag. - Foto: Sänger
Der Mainzer Markus Sänger ist Mit-Initiator des Bündnisses „Bildungswende JETZT!“ und des Protesttages am Samstag. – Foto: Sänger

„Es gibt Schulen, die mit nur 89 Prozent des Personals 100 Prozent der Aufgaben und Unterricht abdecken müssen“, klagt auch Christoph Hanschke, Vorsitzender des DGB-Stadtverbandes Mainz. Die Kindertagesstätten hätten aufgrund von Personalmangel und schlechter Ausstattung kaum die Möglichkeit, den Kindern gerecht zu werden – von Bildung ganz zu schweigen. „‚Satt und Sauber‘ anstelle von pädagogischer Arbeit wird zur traurigen Normalität“, kritisierte Hanschke.

Das bleibe nicht ohne Folgen: „Schon jetzt verlässt ein Viertel der Kinder die Grundschule mit Lernrückständen“, betont Hanschke. Laut der letzten IGLU-Studie habe ein Viertel Viertklässler Schwierigkeiten beim Lesen, Schreiben und Rechnen. Wichtige Zukunftsthemen wie Klimabildung, Demokratiebildung, sowie die Entwicklung notwendiger Zukunftskompetenzen blieben dabei ohnehin auf der Strecke.

„Gräfenauschule ist überall“: Sondervermögen Bildung gefordert

Zuletzt hatte das Beispiel der Gräfenau-Grundschule in Ludwigshafen für Schlagzeilen gesorgt, weil hier gleich 40 Grundschulkinder auf einen Schlag die 1. Klasse wiederholen mussten. Die Gräfenauschule sei indes kein Einzelfall, betont Klaus-Peter Hammer, Vorsitzender der Gewerkschaft Bildung und Wissenschaft in Rheinland-Pfalz: „Es gibt viele Schulen in Mainz, Koblenz, Trier und auf dem Land, die dringend Unterstützung brauchen.“ Es brauche jetzt dringend Unterstützungskonzepte für Schulen in schwierigen Situationen, fordert Hammer: „Ein Weiter So kann es einfach nicht mehr geben.“

Leerer Schulflur: Es fehlt an Lehrern und Erzieherinnen. - Foto: gik
Leerer Schulflur: Es fehlt an Lehrern und Erzieherinnen. – Foto: gik

Die GEW ist denn auch ein Mitorganisator eines breiten Protesttages am 23. September: An diesem Samstag wollen Protestierende in 29 Städten mit Demonstrationen und Aktionen am Bildungsprotesttag teilnehmen. Besonders in Berlin und Köln wird ein hoher Zulauf bei den geplanten Großdemonstrationen erwartet, aber auch in Mainz wird protestiert: Um 16.30 Uhr ruft das rheinland-pfälzische Bündnis zur Protestkundgebung auf dem Marktplatz auf. Begleitet von der Schülerband „Luis und Mathis“ wollen Vertreter des Bündnisses dann Kernforderungen an die Politik formulieren.

Eine Kernforderung sei dabei die Schaffung eines „Sondervermögens Bildung“ auf Bundesebene, sagt Hammer, der am Samstag auch eine Rede halten wird. Die Länder bekämen die Aufgaben, die sie zu leisten hätten, nicht alleine gestemmt, sagt Hammer, und betont: „Was im Rüstungsbereich möglich war, muss im Bildungsbereich locker möglich sein.“ Auch den Schulen stehe eine Transformation bevor, trotzdem wolle die Bundesregierung bei den Bildungsausgaben über eine Milliarde Euro kürzen.

Deutschland ist Schlusslicht bei Bildungsausgaben

Deutschland gebe trotz seiner wachsenden Krise „nicht einmal halb so viel für die Grundschulbildung aus wie Schweden, und teilt sich fast die Rote Laterne mit Schlusslicht Rumänien“, heißt es von Seiten des Bündnisses Bildungswende weiter. Das habe gerade der UNICEF-Bericht „Ein Versprechen an die Jugend“ gezeigt. Das Bündnis fordert deshalb von der Bundespolitik ein Sondervermögen für eine ausreichende Finanzierung für Kitas und Schulen, eine Ausbildungsoffensive für Lehrer und Erzieherinnen, eine Umsetzung der Inklusion in den Schulen sowie einen Bildungsgipfel auf Augenhöhe.
Bildung im Schleudergang: Hier ein Protest von Kita-Erzieherinnen in Mainz. - Foto: gik
Bildung im Schleudergang: Hier ein Protest von Kita-Erzieherinnen in Mainz. – Foto: gik

Eine entsprechende Petition auf der Plattform Change.org hat bereits fast 90.000 Unterzeichner gefunden.  „Die Bildungskrise spitzt sich immer weiter zu, und weder Landes- noch Bundespolitik ergreifen Maßnahmen, um der sich verschlimmernden Bildungskrise entgegenzuwirken“, klagte Hanschke: „Ohne mehr Personal, mehr finanzielle Mittel und ein Umdenken der Verantwortlichen in Mainz und Berlin bleibt das alles auf der Strecke. Unser Bildungssystem muss gerecht, zukunftsfähig und inklusiv werden, in Kita und Schule.“

Denn nicht nur der Bund müsse mehr Geld zur Verfügung stellen, auch das Bildungsministerium in Mainz müsse sich bewegen, fordert das Bündnis: „Wir brauchen einen Masterplan Rheinland-Pfalz“, sagte GEW-Chef Hammer. „Wir haben dem Bildungsministerien regelmäßig gesagt, dass es klemmt und wo es klemmt“, betont Sänger: „Jetzt wacht man auf einmal auf und stellt fest: wir haben nicht genug Lehrer – und das gilt auch ohne die Flüchtlingskinder. Das System ist auch ohne diesen Zuzug am Kippen.“

Auch der Verband Bildung und Erziehung (VBE) kündigte Unterstützung an: „Es braucht eine Initialzündung auf den höchsten politischen Ebenen, um alle Verantwortlichen in der Bildung an einen Tisch zu bringen und den Auftakt für zu einem grundlegenden, gesamtgesellschaftlichen Reformprozess markieren, um einen Neustart in der Bildung einzuleiten“, forderte VBE-Landeschef Lars Lamowski: „Ein Nationaler Bildungsgipfel wäre ein starke Signal.“ Der Bundeskanzler und die Regierungschefs der Länder müssten gemeinsam mit den Bildungs-, Wissenschafts- und Jugendministern alle Akteure der Gesellschaft zusammenbringen.  

Info& auf Mainz&: Ausführliche Informationen zum Bündnis „Bildungswende JETZT!“ samt dem Forderungskatalog findet Ihr hier im Internet. Die Petition dazu findet Ihr genau hier.