Das lautstarke Singen der Ode an die Freude im Mainzer Staatstheater als Protest gegen eine Demonstration der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) hat keine strafrechtlichen Konsequenzen für Intendant Markus Müller. Nach der Staatsanwaltschaft stellte nun nämlich auch die Stadt Mainz ihr Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen Müller ein. Der einzig in Frage kommende Tatbestand sei nicht erfüllt, das Verfahren werde eingestellt, teilte die Stadt am Montag mit – zehn Monate nach dem Vorfall. Und damit erwies sich auch im zweiten Verfahren gegen Müller die Tatsache: Gestört habe das Staatstheater die Kundgebung zwar – aber Recht verletzt hat es damit nicht.
Die Staatsanwaltschaft hatte im Mai entschieden: Zwar stellte das lautstarke Singen der Ode an die Freude tatsächlich eine grobe Störung dar, verhindert wurde die Kundgebung der AfD auf dem Theatervorplatz dadurch aber nicht. Demzufolge war die Störung auch nicht strafrechtlich relevant – die Anzeige der Mainzer Polizei gegen das Staatstheater wurde damit zurückgewiesen. Das Staatstheater hatte im November 2015 zu Beginn der AfD-Demonstration auf dem Gutenbergplatz eine Probe des Theaterchores im Foyer abgehalten, und bei offenen Fenstern und zum Teil auch auf dem Balkon zum Platz lautstark Beethovens „Ode an die Freude“ geschmettert.
Natürlich war das Singen ausgerechnet der Europa-Hymne volle Absicht und als Protest gegen den Aufzug der Rechtspopulisten gemeint, die damals noch nicht in den Mainzer Landtag eingezogen waren. Intendant Müller hatte zudem stets betont, man habe die AfD-Demo nicht verhindern, aber sehr wohl auf europäische Werte wie Toleranz hinweisen wollen. Die AfD übrigens bedankte sich damals höflich für die akustische Untermalung, die ihre Kundgebung tatsächlich für einige Minuten verzögerte. Gegen 19.15 Uhr aber beendeten die Theaterleute ihren lautstarken Protest gegen rassistische Parolen, die AfD konnte wie geplant ihre Veranstaltung durchführen, alle Reden wurden gut hörbar gehalten.
Die Veranstaltung der AfD habe „trotz der Unterbrechungen durch Musik und Gesang insgesamt planmäßig und mit allen vorgesehenen Programmpunkten auf dem Gutenbergplatz durchgeführt werden können“, bilanzierte die Staatsanwaltschaft im Mai, es bestehe kein hinreichender Tatverdacht für eine Verhinderung einer Versammlung oder gar eine Nötigung. Das Verhalten der Mainzer Polizei, die im Nachgang der Demonstration von Amts wegen Anzeige gegen das Staatstheater erstattet hatte, war damit noch einmal fragwürdiger geworden – Kritiker hatten darin eine Art vorauseilenden Gehorsam gesehen.
Die Staatsanwaltschaft hatte daraufhin – wie üblich – das Verfahren an die Stadt verwiesen zur Prüfung einer Ordnungswidrigkeit, doch eine solche mochte die Stadt nun auch nicht erkennen: Zwar habe aus der Sicht der Behörde eine Störung der AfD-Versammlung durch die Aktion des Staatstheaters vorgelegen, der Versammlungsleiter der AfD-Versammlung oder dessen Ordner hätten die störenden Personen aber „nicht wiederholt zurechtgewiesen und zum Abstellen der Störung aufgefordert.“ Damit aber fehle „diese tatbestandlich geforderte Zurechtweisung durch den Versammlungsleiter oder dessen Ordner.“
Im Klartext: Weil sich also die AfD nicht selbst beschwerte, sondern der Störung gelassen zusah, sieht die Stadt den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit nicht als erfüllt – und diese fehlende Beschwerde könne nicht „durch die von Amts wegen getätigten Durchsagen der Polizei“ ersetzt werden. Das Verfahren sei deshalb einzustellen, teilte die Stadt weiter mit – eine Argumentationskette, die uns Meenzerisch-spitzfindig erscheint…
Mainz&-Kommentar: Das Ende könnte man denn auch mit dem alten Shakespear’schen Satz kommentieren: Viel Lärm um nichts. Oder besser: Viel Lärm um eine Aktion voller Witz, Zivilcourage und Esprit. Die Mainzer Polizei jedenfalls – sonst ja durchaus mit Humor und Augenmaß gesegnet – hat sich hier nicht mit Ruhm bekleckert. Dass die Aktion des Staatstheaters legal war, konnte jeder schon an dem Abend selbst erahnen, was die Polizei zu ihrem massiven Vorgehen motiviert hat, bleibt im Nachhinein doppelt und dreifach unverständlich. Wir jedenfalls wünschen uns mehr solche kreativen, intelligenten und kulturreichen Staatsbürger-Aktionen zur Verteidigung von Demokratie, Toleranz und offenem Menschenbild. Unsere Zeit hat es bitter nötig.
Info& auf Mainz&: Die Vorgänge rund um die Ode gegen Rassismus könnt Ihr in diesem Mainz&-Artikel nachlesen, den ganzen Text zur Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft genau hier auf Mainz&.