Störung ja, strafbare Verhinderung nein – mit dieser Linie der Mainzer Staatsanwaltschaft ist jetzt das Nachspiel zur Mainzer „Ode an die Freude“ ausgegangen. Das Mainzer Staatstheater hatte ja im November 2015 eine Demo der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) durch das Singen der Europa-Hymne gestört. Nun entschied die Staatsanwaltschaft: strafrechtlich relevant war das nicht. Zwar stellte das lautstarke Singen tatsächlich eine grobe Störung dar, verhindert wurde die Demo dadurch aber nicht. Es ist ein Sieg für die Meinungsfreiheit – und für eine höchst kreative und beeindruckende Art des Statements von Seiten der Kulturschaffenden in Mainz.

Bunt statt braun Staatstheater
Mit der Ode an die Freude gegen dumpfe AfD-Parolen: Das Staatstheater störte im November einen AfD-Aufmarsch – Foto: gik

Die Mainzer Juristen werden ja allmählich zu den Hütern und Verteidigern der freien Meinungsäußerung in unserem Lande – den Fall Böhmermann haben sie ja auch noch an der Backe. Gerade erst wies eine Richterin am Mainzer Landgericht eine AfD-Klage gegen den Grünen-Politiker Daniel Köbler ab und urteilte, man dürfe der AfD sehr wohl Judenhetze vorwerfen. Nun stärkt die Mainzer Staatsanwaltschaft erneut der freien Meinung den Rücken: Der Intendant des Mainzer Staatstheaters, Markus Müller, habe mit dem Absingen der Ode keineswegs die Demonstration der AfD verhindern wollen, betonten die Strafverfolger.

Staatsanwaltschaft: Störung allein reicht für Straftat nicht aus

Müller habe vielmehr glaubhaft dargelegt, dass er die AfD-Demo nicht verhindern, sondern lediglich ein Zeichen dagegen habe setzen wollen, betont die Staatsanwaltschaft. Und besonders ausführlich hebt die Behörde in ihrer Einstellungsbegründung darauf ab, dass Müller ein sichtbares Zeichen der Toleranz beabsichtigt habe – ablesbar am Transparent am Staatstheater, das einen Spruch aus Nathan der Weise zierte. Müller habe die AfD-Versammlung zwar gestört, verhindern wollen habe er sie aber nicht – das zeige sich eben auch daran, dass die Ode an die Freude viermal für wenige Minuten intoniert wurde. Und nicht mehr.

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Die Ermittler werteten sowohl eine Email Müllers an seine Mitarbeiter im Vorfeld aus, in der die Aktion angekündigt und ausführlich in ihrere Absicht beschrieben wurde, als auch Medienberichte und Interviews mit Müller danach. Und darin hatte der Intendant wiederholt versichert, jeder habe das Recht, seine Meinung frei zu äußern, das habe er auch nicht unterbinden wollen. Die Staatsanwaltschaft zog daraus den Schluss, ein strafbares Verhalten sei Müller nicht nachzuweisen – denn Sprengen habe er die Demo nicht wollen. „Die Absicht, bloß stören zu wollen“ aber reiche für einen Straftatbestand nicht aus, betonten die Ermittler.

AfD-Demo konnte „mit allen Programmpunkten stattfinden“

AfD Kundgebung Gutenbergplatz
Die AfD-Kundgebung auf dem Gutenberg fand anschließend in voller Länge statt – Foto: gik

Das aber ist auch ein Seitenhieb gegen die Mainzer Polizei: Die hatte ja auf der Kundgebung wiederholt die Staatstheater-Mitarbeiter aufgefordert, das Singen und Stören zu unterlassen. Doch im Nachgang erstattete die Polizei Anzeige von Amts wegen wegen Verhinderung einer Kundgebung – eine Anzeige, die auf massive Kritik stieß. Man habe so handeln müssen, verteidigte sich die Polizei, Kritiker sahen darin jedoch eine Art vorauseilenden Gehorsam und argwöhnten, hier solle ein Exempel stationiert werden.

Nun bedeutet das lapidare Fazit der Staatsanwaltschaft: „Das Verfahren war einzustellen, da kein Straftatbestand erfüllt war.“ Denn die Veranstaltung der AfD habe „trotz der Unterbrechungen durch Musik und Gesang insgesamt planmäßig und mit allen vorgesehen Programmpunkten auf dem Gutenbergplatz durchgeführt werden können“, bilanzierte die Staatsanwaltschaft – was Mainz& ja schon die ganze Zeit geschrieben hatte…

Staatsanwaltschaft nimmt Polizei in Schutz: Schwelle für Anfangsverdacht niedrig

Damit aber bestehe, so die Ermittler, „kein hinreichender Tatverdacht für einen Verstoß gegen Paragraph 21 Versammlungsgesetz und auch nicht für eine Nötigung nach Paragraph 240 Strafgesetzbuch.“ Denn für eine strafrechtlich verfolgbare Handlung hätte die Störung so stark sein müssen, dass die „Unterbrechung, Aufhebung oder Auflösung“ der Versammlung droht und deren Durchführung nicht nur erschwert, „sondern insgesamt ungewiss wird.“ Das aber war nicht der Fall, und so wies die Staatsanwaltschaft damit auch gleich verschiedene wegen der Störung eingegangene Klagen ab – unter anderem von der AfD.

Gegendemonstranten blockieren Zugang zum Gutenbergplatz
Die Polizei gingn an jenem Abend im November sehr rigide gegen die Kundgebung im Staatstheater vor – Foto: gik

Die Einstellung ist aber auch ein Seitenhieb gegen die Mainzer Ordnungshüter – gleichwohl nahm die Staatsanwaltschaft die Kollegen in Schutz: Die Einleitung des Verfahrens sei „sachlich zutreffend und geboten gewesen“, betont die Staatsanwaltschaft – das liege aber vor allem an der niedrig angesetzten Schwelle im Strafrecht im Bereich der Störung: „Die niedrige Schwelle des so genannten Anfangsverdachts war durch das lautstarke Musizieren überschritten“, heißt es.

Das Verfahren wurde „zur Verfolgung in Betracht kommender Ordnungswidrigkeiten an die zuständige Bußgeldbehörde abgegeben“, hieß es weiter – im Klartext: Jetzt obliegt es der Stadt Mainz zu entscheiden, ob sie ein Bußgeld verhängen will.

Müller: Werden weiter als Teil der kritischen Öffentlichkeit Stellung beziehen

Staatstheater-Intendant Müller äußerte sich indes zufrieden: „Über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens bin ich froh“, sagte er auf Mainz&-Anfrage, er sei von einer Einstellung aber immer auch ausgegangen, „da wir immer überzeugt waren, dass wir keine Straftat begangen haben.“ In den Tagen und Wochen nach der Aktion hätten das Theater „unglaublich viele Mails, Zuschriften und Anrufe erreicht“ – darunter „viele aggressiven Inhalts, zahlreiche Beschimpfungen, manche offen rassistische Ausbrüche.“ Darum sei es ausgesprochen wohltuend gewesen, „dass uns auf der anderen Seite so viel mehr Menschen ihre Unterstützung zugesichert haben, uns Mut gemacht und erklärt haben, dass sie gern selbst mit gesungen hätten.“

Spruch Nathan der Weise am Staatstheater
Mit dem Zitate aus Nathan der Weise setzte das Staatstheater ein klares Zeichen für Toleranz – Foto: gik

Diese Solidarität mache Mut, „dass eine eindeutige Mehrheit sich auch angesichts immenser gesellschaftlicher Herausforderungen eben nicht von den Angstmachern verführen lässt, sondern mit Souveränität für ein freiheitliches und vielfältiges Deutschland eintritt“, betonte Müller. Am Wichtigsten sei ihm allerdings gewesen, dass die 120 Kollegen, „die hier ein gemeinsames Zeichen für Vielfalt und Toleranz gesetzt haben, zusammengehalten haben und uns nicht haben einschüchtern lassen.“

Angesichts der aktuellen Entwicklungen werde es „in nächster Zeit weiter gute Gründe geben, dass wir als Theater und damit als Teil der kritischen Öffentlichkeit Stellung beziehen“, betonte Müller weiter. Man werde das aber in erster Linie dort tun, „wo wir es mit unseren Mitteln am besten können – auf der Bühne.“

Grüne: Freude schöner Götterfunken!

Die Grünen begrüßten die Einstellung des Verfahrens jubelnd und „ausdrücklich“. Die Mitarbeiter des Staatstheaters hätten „mit ihrer auch künstlerisch anspruchsvollen Gesangseinlage Zivilcourage bewiesen und in eindrucksvoller Weise mutigen und notwendigen Protest gegen Menschenfeindlichkeit artikuliert“, sagte Noch-Fraktionschef Daniel Köbler. Dieses zivilgesellschaftliche Engagement sei „beispielgebend für unser demokratisches und vielfältiges Gemeinwesen“, betonte er – und fügte hinzu: „Freude, schöner Götterfunken!“

Info& auf Mainz&: Wir finden die ausführliche Begründung der Mainzer Staatsanwaltschaft ausgesprochen bemerkenswert und empfehlen Euch deshalb die Lektüre – hier könnt Ihr sie nachlesen. Wenn Ihr die Geschehnisse um die Mainzer Ode an die Freude, die weltweit (!) Schlagzeilen machte, noch mal nachlesen wollt – bitteschön: Hier geht’s zum Demobericht „Ode an die Freude gegen Rassismus“, und hier steht alles zur „Anzeige gegen Staatstheater“ und ihren Folgen.

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