Die Treppenwitz-Aussage des Wiesbadener Verkehrsdezernenten Andreas Kowol (Grüne) im Interview mit der Internetzeitung Mainz& sorgt weiter für Streit in Mainz: Nun fordert die Mainzer SPD die Grünen auf, ihre Position zu dem Ausbauvorhaben des Bundes „zu klären“. Zuvor hatte die Mainzer Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner (Grüne) die Forderung nach einer 4+2-Lösung statt einem sechsspurigen Ausbau bekräftigt. Die Grünen müssten mal untereinander „ein klärendes Gespräch führen“, forderte nun die Mainzer SPD.

Der Wiesbadener Verkehrsdezernent Andreas Kowol (Grüne) bei einem Termin an der Salzbachtalbrücke 2021. - Foto: gik
Der Wiesbadener Verkehrsdezernent Andreas Kowol (Grüne) bei einem Termin an der Salzbachtalbrücke 2021. – Foto: gik

Kowol hatte Mitte Juni gegenüber der Internetzeitung Mainz& einen Ausbau der A643 mit weniger als sechs Spuren als „einen Treppenwitz“ bezeichnet. Kowol hatte sich am Rande eines Termins der Autobahn GmbH West des Bundes zum Neubau der Salzbachtalbrücke geäußert und dabei betont, wie sehr die hessische Landeshauptstadt Wiesbaden unter dem derzeitigen Verkehrskollaps leide. Seit der Havarie der Salzbachtalbrücke vor genau einem Jahr quälten sich die Pendlerströme jeden Tag durch Wiesbaden, der Schleichverkehr betreffe auch die Wohngebiete, berichtete Kowol – und betonte, er beneide Mainz um seinen Autobahnring.

„Man sollte wünschen, dass Menschen auch für kurze Wege die Autobahn nutzen, anstatt durch die Stadt zu fahren“, betonte Kowol im Gespräch mit Mainz&. Ein großer Anteil des Stauverkehrs seien zudem Pendler aus Rheinland-Pfalz und dem Rheinhessischen – und diese Pendlerströme seien nun einmal Realität. Kowol sprach sich im Mainz&-Gespräch deshalb für einen Ausbau der A643 mit sechs Spuren plus Standspur aus, wie sie der Bund bereits verfügt und geplant hat. Die Schiersteiner Brücke werde im kommenden Jahr mit sechs Spuren fertig, dann müsse auch der sechsspurige Ausbau der A643 kommen, betonte Kowol: „Sonst wäre es ein Treppenwitz.“

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Die Aussage sorgte für heftige Turbulenzen in Mainz, sind hier doch die Grünen strikt gegen den sechsspurigen Ausbau, da die A643 durch das Naturschutzgebiet „Großer Mainzer Sand“ führt. Naturschützer sehen eine erhebliche Gefahr für das europaweit einmalige Naturschutzgebiet – und das, obwohl die neue Autobahn lediglich sieben Meter breiter werden soll als heute und zudem über weite Strecken auf Stelzen steht. CDU und sogar die in Mainz mitregierende FDP sprechen sich deshalb für den Ausbau aus und verweisen zudem darauf, dass mit dem Ausbau erheblicher Lärmschutz für die Anwohner sowie eine große Grünbrücke für die Natur einhergeht.

So viel breiter soll die A643 nach ihrem Ausbau auf sechs Spuren plus Standstreifen werden. - Foto: gik
So viel breiter soll die A643 nach ihrem Ausbau auf sechs Spuren plus Standstreifen werden. – Foto: gik via Bündnis „Nix in den Mainzer Sand setzen“

Am Wochenende nun wiederholte auch die grüne Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner die Forderung nach dem vor Jahren in Mainz ausgehandelten, aber vom Bund nie akzeptierten Kompromiss einer 4+2-Lösung. Dabei behielte die A643 lediglich vier Spuren plus zwei Standspuren, ungeachtet der Tatsache, dass die beiden neuen Schiersteiner Rheinbrücken auf sechs Spuren plus zwei Standspuren ausgebaut worden sind – auch die zweite Schiersteiner Brücke soll im kommenden Jahr fertig werden.

4+2 sei „ein konstruktiver Kompromiss, der so viel Ausbau wie nötig und so viel Naturschutz wie möglich bietet“, betonte Rößner nun nach einem Besuch im Naturschutzgebiet „Mainzer Sand“. Mit einer solchen Lösung hätten „gute Erfahrungen“ etwa auf der A63 Richtung Nieder-Olm gemacht werden können. „Deshalb muss der Kompromiss auf dem Tisch bleiben“, fordert Rößner.

 

Die Mainzer Bundestagsabgeordnete griff dabei ihren Kollegen Kowol scharf an: „Es ist ein Treppenwitz, wenn Politiker aus Wiesbaden meinen, sich einmischen zu müssen, wie die Autobahn durch den Mainzer Sand auszubauen ist“, sagte Rößner. Die Eingriffe durch den Autobahnausbau in das sensible Naturschutzgebiet „haben große Auswirkungen auf das gesamte FFH-Gebiet, das bis Ingelheim reicht“, behauptete sie. So versorge der Mainzer Sand andere ökologisch wertvolle Flächen wie die Uhlerborner Dünen durch Windflug mit Samen und Kleintieren, die für den Erhalt der Biodiversität wichtig seien.

Visualisierung des Ausbaus der A643 mit großer Grünbrücke, die dann neu entstehen würde. - Grafik: Autobahn West GmbH
Visualisierung des Ausbaus der A643 mit großer Grünbrücke, die dann neu entstehen würde. – Grafik: Autobahn West GmbH

„Angesichts der Klimakrise und der Wichtigkeit biologischer Vielfalt für den Klimaschutz wundert es mich doch sehr, wie manche am nicht mehr zeitgemäßen 6-spurigen Ausbau mit zusätzlichen Standstreifen festhalten“, sagte Rößner weiter: „Der Verlust an Fläche entlang der Autobahn wäre enorm und die dann notwendigen Lärmschutzwände würden den Windflug deutlich mindern.“ Dazu konterkariere ein solcher Ausbau auch „jede Bemühung um die dringend notwendige Verkehrswende“, denn „wer Straßen sät, wird Verkehr ernten“, fügte Rößner hinzu.

Kowol hatte im Gespräch mit Mainz& darauf verwiesen, dass bereits jetzt pro Tag rund 90.000 Fahrzeuge über die Schiersteiner Brücke fahren, die Pendlerströme aus Rheinhessen seien dabei eine Realität, die man berücksichtigen müsse. „Wir sind ein sehr stark wachsender Ballungsraum, das wird nun einmal weiter ein starkes Autoaufkommen zur Folge haben“, hatte Kowol unterstrichen, und hinzugefügt: Egal, wie sehr man sich wünsche, dass die Leute auf die Bahn umstiegen, „man muss mit dem Umland rechen, das ist einfach die Realität.“

 

Blick auf die Schiersteiner Brücke vom Mainzer Sand aus. - Foto: gik
Blick auf die Schiersteiner Brücke vom Mainzer Sand aus. – Foto: gik

Die Mainzer SPD, die sich strikt gegen den sechsspurigen Ausbau ausspricht, begrüßte umgehend die Stellungnahme Rößners – und griff nun aber ihrerseits den grünen Koalitionspartner an: Es wäre „an der Zeit, dass die Bundestagsabgeordnete mit dem Wiesbadener Verkehrsdezernenten, ihrem Parteifreund Andreas Kowol ein klärendes Gespräch führt“, sagten die beiden Mainzer SPD-Chefs erklärten die beiden SPD-Vorsitzenden Mareike von Jungenfeld und Christian Kanka:

„Es ist verblüffend, dass ein namhafter Politiker der Grünen die Ausbaupläne einer Autobahn durch ein Naturschutzgebiet von europäischem Rang befürwortet“, kritisierten von Jungenfeld und Kanka, und forderten: „Wir sehen hier die Mainzer Bundestagsabgeordnete in der Pflicht auch auf hessischer Seite für Klarheit zu sorgen.“

Info& auf Mainz&: Das ganze, exklusive (!) Mainz&-Interview mit Kowol könnt Ihr hier noch einmal nachlesen. Ausführliche Reaktionen aus den „Treppenwitz“-Aussprich haben wir hier aufgeschrieben.

In eigener Sache&: Aus gegebenem (wiederholtem!) Anlass weisen wir noch einmal darauf hin: Es ist eigentlich ein Mindeststandard im Journalismus, Quellen ordentlich zu zitieren und Aussprüche aus Exklusiv-Interviews nicht einfach abzuschreiben oder zu plagiieren – das gilt auch für den Bereich von Politik und Pressemitteilungen. Leider sind diese Grundstandards in Mainz völlig abhanden gekommen – seit Wochen wird aus unserem Interview fröhlich reihum zitiert, ohne dass die Quelle genannt wird.

Das ist erbärmlich und zudem schäbig: Es verletzt jegliche Standards des professionellen Agierens – weshalb wir das jetzt hier öffentlich machen. Um es klar zu sagen. Der Aussprich des „Treppenwitzes“ fiel exklusiv in einem Gespräch zwischen Mainz&-Chefredakteurin Gisela Kirschstein und Verkehrsdezernent Kowol. Wer diesen Ausspruch zitiert, ohne die Quelle zu nennen, plagiiert oder schreibt ab – mithin: Er/Sie schmückt sich mit fremden Federn. Wir fanden: Ihr solltet das wissen. Es geht übrigens auch anders: Die FAZ hat sehr ordentlich Mainz& zitiert – so gehört sich das.