Der Klimawandel ist da, die aktuellen Hitzewellen vor allem in Kanada und in der Arktis zeigen: Die Welt muss dringend umsteuern. Windräder gehören zu den wichtigsten Bausteinen der Energiewende, doch immer wieder klagen Anwohner auch über Probleme mit den großen Windmaschinen: Lösen ihre tiefen brummtonartigen Schallwellen gesundheitliche Beschwerden aus – und bei welcher Frequenz? Bislang galten 100 Dezibel als ein Richtwert für die Infraschallemissionen von Windrädern, im April stellte sich jedoch heraus: Der Wert beruhte auf einem Rechenfehler, der tatsächlich emittierte Infraschall ist viel niedriger. Sind Windräder nun also unbedenklich? Nein, sagt der Mainzer Herzchirurg und Infraschall-Forscher Christian Vahl: Damit könne die Infraschallbelastung durch Windkraftanlagen heutiger Bauart sogar noch gefährlicher sein.

Wie nah dürfen Windräder an der Wohnbebauung stehen? Um diese Frage wird heftig gestritten - hier Windräder bei Mainz-Hechtsheim. - Foto: gik
Wie nah dürfen Windräder an der Wohnbebauung stehen? Um diese Frage wird heftig gestritten – hier Windräder bei Mainz-Hechtsheim. – Foto: gik

Die Debatte um mögliche schädliche Einflüsse von Windkraftanlagen wird gerade jetzt wieder heftig geführt, im Kern der Debatte: der Abstand zwischen Windkraftanlagen und Wohnbebauung. 1000 Meter Abstand galten bisher in Rheinland-Pfalz, Windkraftbefürworter klagen, das sei viel zu viel: Mit diesem Mindestabstand werde Deutschland nicht genügend Windräder bauen können, wie für die Energiewende nötig sei – die Gesundheitsgefahr werde übertrieben. Ende Mai änderte das Mainzer Innenministerium den Mindestabstand: Fortan werde die Entfernung nicht mehr ab der Rotorspitze der Anlagen gemessen, sondern ab dem Mastfuß – damit dürfen die Anlagen 60 bis 80 Meter näher an die Wohnbebauung rücken.

Im Mai 2020 hatte jedoch der Mainzer Herzchirurg Christian Vahl, damals Direktor der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie der Mainzer Universitätsmedizin, eine Studie veröffentlicht, nach der Infraschallsignale die Herzleistung des Menschen deutlich schädigen können: Bereits nach einer Stunde Einwirkungsdauer führte der „stille Lärm“ unter experimentellen Bedingungen zu einer Einschränkung der Herzleistung von bis zu 20 Prozent, so die Studie von Vahls Mainzer Forschungsgruppe Infraschall an der Mainzer Unimedizin.

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Der mainzer Herzchirurg Christian Vahl mit einer Mitarbeiterin seiner Arbeitsgruppe Infraschall. - Foto: Vahl
Der mainzer Herzchirurg Christian Vahl mit einer Mitarbeiterin seiner Arbeitsgruppe Infraschall. – Foto: Vahl

Vahl war dabei Beschwerden von Patienten nachgegangen, die im Umkreis von Windkraftanlagen wohnten und über gesundheitliche Probleme klagten: Bluthochdruck, Schlaflosigkeit, Leistungsschwäche, Konzentrationsstörungen – Vahl wollte wissen: Konnte Infraschall dafür die Ursache sein? Infraschall sind jene tiefen Tongeräusche von unter 20 Herz, die von Maschinen oder auch Klimaanlagen verursacht werden, in der Natur werden sie durch Erdbeben, Gewitter oder auch durch Meeresrauschen erzeugt.

Infraschall sei nicht grundsätzlich gefährlich, betont Vahl, man könne ihn etwa im Sturm erleben und dabei sogar genießen. Die tiefen Brummtöne werden von etwa zwei Drittel der Menschen bewusst gar nicht wahrgenommen, doch die tiefen Schallwellen seien „eine messbare physikalische Kraft“, die eine eindeutig messbare Wirkung auf menschliche Muskeln habe, erklärt Vahl im Gespräch mit Mainz&: „Nach der heutigen Erkenntnislage, können insbesondere die tieffrequenten IS-Anteile, die sich als technisch erzeugter Infraschall deutlich von natürlichen Infraschallquellen unterscheiden, zu Symptomen führen.“ 1,5 Jahre lang entwickelte seine Arbeitsgruppe einen Versuchsaufbau zur Wirkung von Infraschall auf menschliche Herzmuskeln, gemessen wurde dabei mit einem Schalldruckpegel von 100 Dezibel und mehr – das Ergebnis: Die Forscher fanden eine eindeutige Verminderung der Kraftentwicklung an den isolierten Herzmuskeln der Patienten.

Windräder im Mainzer Energiepark bei Mainz-Hechtsheim. - Foto: gik
Windräder im Mainzer Energiepark bei Mainz-Hechtsheim. – Foto: gik

Die 100 Dezibel hatte die Forschungsgruppe rund um Vahl aufgrund einer als maßgeblich geltenden Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) zugrunde gelegt: Die BGR hatte die 100 Dezibel in einer Studie im Jahr 2004 nach Infraschall-Messungen und anschließenden Berechnungen an einem Windrad in der Lüneburger Heide ermittelt – herausfinden wollte man eigentlich, ob Windräder die Infraschallmessungen der BGR zur Entdeckung von Kernwaffentests beeinträchtigen können. Im April 2021 musste die BGR aber einräumen: Man habe einen systemischen Rechenfehler entdeckt, die damals ermittelten Werte seien um 36 Dezibel zu hoch angesetzt – der tatsächlich emittierte Wert liege bei 64 statt 100, ein Unterschied, der Welten ausmacht.

Ende April entschuldigte sich sogar Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) für den Rechenfehler und kündigte Aufklärung an. Windkraft-Verfechter fühlen sich nun bestätigt: Die Korrektur zeige, dass von Windrädern eben doch keine Gefahr ausgehe. Doch Vahl widerspricht: „An dem Sachverhalt der gesundheitlichen Probleme der Menschen ändert das ja nichts“, sagte der Wissenschaftler gegenüber Mainz&: „Die Korrektur der BGR ändert nichts an den Stress-Wirkungen von Infraschall auf verschiedene Ebenen des Organismus.“

Das Problem bei Windrädern sei ja nicht das gleichmäßige Brummen des Rotors wie es auch in einem Auto bei geöffnetem Fenster oder eben durch Meeresrauschen erzeugt werde, erklärte Vahl: „Das kann man sogar angenehm finden.“ Das Problem sei der kurze, aber heftige Infraschallimpuls, der immer dann entstehe, wenn der Flügel am Pfeiler des Windrades vorbei laufe. Das sei „wie ein heftiger Schlag auf den Oberarm“, erklärte Vahl, die Existenz dieser Impulse werde auch „von niemandem ernsthaft bestritten.“

Windräder im Vogelsbergkreis, rechts eine Windradschwinge. - Foto: gik
Windräder im Vogelsbergkreis, rechts eine Windradschwinge. – Foto: gik

Es seien diese Einzel-Infraschall-Ereignisse, die zu Problemen im menschlichen Körper führen könnten, sagte Vahl – und das auch unterhalb von 100 Dezibel: Weitere Experimente seiner Forschungsgruppe hätten gezeigt, dass es auch bei Schallpegeln von 90 Dezibel oder im Bereich von 60 bis 70 Dezibel „einen qualitativen Effekt“ auf menschliches Gewebe gebe – so etwa Schädigungen von Membranstrukturen oder Störungen des Gleichgewichtssystems. Seit 2017 leitet Vahl die „Forschungsgruppe Infraschall“ an der Mainzer Universitätsmedizin, sechs Wissenschaftler arbeiten hier an der Aorten- und Infraschallforschung – Mitte 2020 wurde die Dauer der Forschung erneut um zwei Jahre verlängert.

Inzwischen betreue seine Forschungsgruppe 20 Patienten wegen Hinweisen auf Auswirkungen von Infraschallereignissen, die Symptome müssten ernst genommen werden und hätten nichts mit der Psyche zu tun, betont der Herzchirurg: Psychologische Erklärungsmodelle – wie etwa psychosomatische Modelle der Umweltmedizin – „haben im Zusammenhang mit Infraschall ihre Bedeutung weitestgehend verloren und müssen anhand der Menge aktueller Beweise als veraltet und unvollständig angesehen werden.“ Tieffrequente Schallanteile hätten eben erheblichen Einfluss auf den Schlaf, auch bei Menschen, die keine Symptome angäben. Und für Menschen mit Herzschwäche könne der dauerhafte, nahe Aufenthalt im Umfeld eines Windparks sogar zu einer Gefahr für ihre Gesundheit werden, hatte Vahl schon 2020 gewarnt, und gefordert: Die Forschungsergebnisse müssten bei der Diskussion von Abstandsregelungen zu Windkraftanlagen beachtet werden. Stattdessen gibt es immer wieder Probleme, mit Unternehmen, die sich an die deutsche Regulierung nicht halten.

Windräder mit vertikalen Rotoren auf dem Bürogebäude von Werner und Mertz in Mainz. - Foto: gik
Windräder mit vertikalen Rotoren auf dem Bürogebäude von Werner und Mertz in Mainz. – Foto: gik

Ein Windkraftgegner sei er übrigens keineswegs, betont Vahl im Übrigen, er habe zu jenen gehört, die Anfang der 1980er Jahre gegen die Nutzung der Atomkraft protestierten. Windkraftanlagen dürften aber auch nicht ihrerseits Schäden verursachen, sagt Vahl, und folgert: Wenn die Symptome nun statt bei 100 Dezibel schon bei 70 Dezibel aufträten, „dann wäre Windkraft gefährlicher als ich es angenommen hatte.“ Im Übrigen gebe es durchaus auch Abhilfe für das Problem: „Es gibt Windräder, die gar keinen Infraschall mehr produzieren“, betont Vahl – etwa Windräder mit Rotoren, die sich nicht mehr horizontal wie Windmühlenflügel bewegen, sondern sich vertikal um die eigene Achse drehen.

Info& auf Mainz&: Die Studie „Negative Effect of High-Level Infrasound on Human Myocardial Contractility“ ist im Juni 2021 im renommierten Noise & Health Journal, Ihr findet Sie hier im englischen Original. Unseren ersten Bericht über die Studie und die Infraschall-Forschung von Christian Vahl findet Ihr hier bei Mainz&.

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