Die Boppstraße steht kurz vor der Umgestaltung, und die ist auch bitter nötig: Die Lebensader der Mainzer Neustadt ist schwer in die Jahre gekommen. Das soll sich nun gründlich ändern: Ab Oktober 2018 will die Stadt mit den Bauarbeiten beginnen, zwei Jahre lang soll der Umbau dauern. Wichtigste Änderungen: die Boppstraße soll zweispurig bleiben, aber Tempo 30-Zone werden. Mehr noch: Zwischen Aspeltstraße und Bonifaziusplatz soll nur noch Tempo 20 gelten, dazu die Ampel an der Josefsstraße wegfallen. Bei einer Bürgerversammlung am Montagabend sorgte das für reichlich Unmut: Der Wegfall der Ampel werde gefährlich, es sei doch „naiv“ zu glauben, dass der Durchfahrtverkehr sich an Tempo 20 halten werde. Und noch etwas sorgte für gehörigen Unmut: „Wir sind als Gewerbetreibende überhaupt nicht gefragt und nicht informiert worden“, beschwerte sich nicht nur ein Bäckermeister: „Sie nennen Ihre Kommunikation toll und wunderbar? Vergessen Sie es!“
Rund 16 Millionen Euro an Fördermitteln aus dem Programm „Soziale Stadt“ will die Stadt Mainz in der Boppstraße verbauen, das Tor zur Neustadt soll deutlich attraktiver, der Verkehr neu geordnet werden. Zwei Jahre lang sollen die Umbauarbeiten dauern, der Autoverkehr in dieser Zeit nur auf einer Seite und zwar stadtauswärts rollen – stadteinwärts sollen die Autofahrer über den Kaiser-Wilhelm-Ring zum Bahnhof und von dort zurück zur Boppstraße geführt werden. Für die Boppstraße soll es sich lohnen: Schöner, breiter und mit mehr Grün soll die Straße quasi zur Flaniermeile werden, allerdings mit zweispuriger Fahrbahn in der Mitte. Den Autos soll künftig eine sechs Meter breite Fahrbahn zur Verfügung stehen, breiter als derzeit, erreicht wird das durch den Wegfall der parkenden Autos auf beiden Seiten. Die waren ein echter Unfallschwerpunkt: Weil die heutigen Autos viel breiter sind als die früher angelegten Parkplätze, ragen die Fahrzeuge regelmäßig in die Fahrbahn, das unfallfreie Passieren zweier Autos wurde stellenweise zum Millimeter-Wettbewerb. Und wer weiß, wie viele Seitenspiegel der Boppstraße zum Opfer fielen.
Anwohner fürchten Lärmbelastung durch Aufpflasterungen an Tempo 20-Zone
Künftig sollen zwischen den Bäumen Parkbuchten entstehen, der Bürgersteig allein den Fußgängern vorbehalten bleiben und so deutlich breiter werden. Die Radfahrer fahren künftig auf der Straße, ein seitlicher Schutzstreifen mit gestrichelter Linie soll reichen. Dafür wird die gesamte Boppstraße Tempo 30, mehr noch: zwischen Bonifaziusplatz und Aspeltstraße soll die Boppstraße gar Tempo 20-Zone werden. Der Fußbodenbelag soll diese Zone deutlich sichtbar hervorheben, an den Eingängen zur Tempo 20-Zone sollen kleine Aufpflasterungen den Autofahrern deutlich machen: Achtung, dies ist ein verkehrsberuhigter Bereich.
Die Skepsis der Anwohner war indes groß: Die Anhebungen würden eine „enorme Lärmbelastung“ fürchtete eine Anwohner: „Die Lkw, die Zulieferer, die werden da einfach drüber fahren.“ Die Folge werde erhebliches Scheppern sein. Denn trotz Verkehrsberuhigung und Tempo 20-Zone: Lkws werden auch weiterhin durch die Boppstraße fahren. Die Haupt-Einkaufsmeile der Neustadt ist eine wichtige Verkehrsverbindung zwischen der Mainzer Innenstadt und den nördlichen Stadtteilen wie etwa Mombach, nach dem Willen der städtischen Planer soll der Verkehr aber langsam und mit viel Rücksicht auf Fahrradfahrer und Fußgänger rollen.
Mehr als 40 Parkplätze weg – Anwohner: Tempo 20 „ist doch naiv“
Für viele Neustadtbewohner passte das nicht zusammen: „Ich finde es so naiv zu glauben, dass die Leute Tempo 20 einhalten, das glauben Sie doch selber nicht“, sagte ein Pfarrgemeindesratsmitglied der Bonifaziuskirche. „Wenn man eine Straße aufwerten will, nimmt man den Verkehr ganz oder teilweise raus“, sagte auch Ortsbeiratsmitglied Sigi Aubel (Linke): „Hier macht man die Fahrbahn breiter – und damit die Autos noch schneller.“ Dazu hätten die Verkehrsplaner überhaupt nicht den steigenden Verkehr durch Neubaugebiete berücksichtigt, sagte Aubel: Die Neubauten auf der Feuerwache und am Beethovenplatz, dazu der gesamte Zollhafen, „nichts davon ist berücksichtigt“, schimpfte er.
Rund 30.000 Fahrzeuge mehr erwarte die Stadt selbst durch den fertigen Zollhafen, sagte CDU-Ortsbeiratsmitglied Karsten Lange – und auch die wollten durch die Neustadt in die Innenstadt fahren. Dazu gebe es vor allem in den Abendstunden regelmäßig Raser auf der Boppstraße: „Wir haben in der Neustadt das Problem, dass gewisse Leute einer gewissen Altersgruppe gerne mal zeigen, wie viele PS sie haben“, sagte Lange trocken – wie wolle die Stadt denn das in den Griff bekommen? Der Leiter der Straßenverkehrsbehörde, Udo Beck, versicherte, die Stadt werde mit Kontrollen in jedem Fall dafür sorgen: „Wenn wir da Tempo 20 machen, sorgen wir auch dafür, dass das eingehalten wird.“
Durch die Neuordnung der Straße werden allerdings auch mehr als 40 Parkplätze in der Boppstraße wegfallen – in der ohnehin stark Parkraum-geplagten Mainzer Neustadt kommt das fast schon einer Katastrophe gleich. Die Stadtplaner versicherten, es würden dafür Parkplätze im Umfeld geschaffen, allerdings sieht der Plan ganze fünf Stellplätze im nahen Umfeld der Straße vor. 12 Parkplätze sollen hingegen an der Rampe zur Unterführung am Bahnhof geschaffen werden. Das werde den Gewerbetreibenden und Anwohnern der Boppstraße wenig bis gar nichts nützen, kritisierte Lange, die Ausweichparkplätze seien einfach zu weit weg. „Viele Pendler nutzen die Geschäfte der Boppstraße heute, um schnell auf dem Weg von der Arbeit eine Besorgung zu erledigen“, sagte Lange im Mainz&-Gespräch, ohne Stellplätze vor den Geschäften würden sich viele das überlegen. Die Stadt wiederum verwies darauf, dass im Zuge des Umbaus auch die Bonifaziusstraße Richtung Bahnhof neu gestaltet werden soll, und hier würden durch Neuordnung der Parkplätze zusätzliche Stellplätze entstehen.
Wegfall der Ampel Josefsstraße stößt auf viel Kritik – Stadt: Pläne „ausreichend diskutiert“
Auf besonders viel Kritik stieß aber der geplante Wegfall der Ampel an der Josefsstraße: Die Stadt will die Ampel hier ersatzlos streichen und verweist darauf, dass man sie in einer Tempo 30-Zone nicht mehr brauche. Drei Zebrastreifen an der Bonifaziuskirche, in Höhe der Kurfürstenstraße und an der Josefsstraße sollen die Querungen für Fußgänger sicher stellen. „Ich sehe das ganz, ganz kritisch“, sagte das Pfarrgemeinderatsmitglied dazu, „nur mit Zebrastreifen werden Sie die Sicherheit nicht hinkriegen.“ Das Ergebnis werde sein, dass alte Menschen „zitternd am Zebrastreifen stehen und hoffen, dass einer anhält“, schimpfte sie.
„Der Fußgänger kann die Straße jederzeit queren“, lautete die Antwort der Stadtplaner, die Attraktivität der Straße für den Durchgangsverkehr werde „rapide abnehmen“ durch die Beruhigung. „Der Verkehr wird immer schneller, wer durchfährt, wird Gas geben“, glaubte hingegen ein Anwohner. Auch habe die Stadt offenbar überhaupt nicht mit Sehbehindertenverbänden gesprochen, für die eine Ampel enorm wichtig sei. „Gucken Sie, dass da eine Ampel hinkommt“, riet der Anwohner.
Die Frage der Ampel „haben wir ausreichend diskutiert“, hieß es daraufhin vom Stadtplanungsamt, der Stadtrat habe den Plan so entschieden. „Die grundlegenden Dinge der Planung sind eigentlich abgearbeitet“, sagte der stellvertretende Leiter des Stadtplanungsamtes, Axel Strobach. „Ja – von Ihnen“, konterte prompt eine Teilnehmerin, und legte nach: Genau solche Themen seien auch schon bei der Bürgerbeteiligung im August angesprochen worden, doch da seien die Anwohner abgewimmelt worden. „Beim letzten Mal habe Sie gesagt, das machen wir beim nächsten Mal“, betonte die Inhaberin der Stern Apotheke – doch das nächste Mal sei jetzt, und jetzt werde man gar nicht mehr gehört.
Hauseigentümer: Bei mir nie Infos angekommen – Stadtplaner: Amtsblatt reicht rechtlich aus, „können Sie abonnieren“
Die Apothekerin war nicht die einzige, die das so empfand: Die Sachen, die beim letzten Mal nicht beantwortet worden seien, hätten auch dieses Mal keinen Raum, kritisierte ein weiterer Anwohner. „Uns geht es genauso“, sagte eine Anwohnerin: „Keiner bei der Stadt gibt Auskunft, keiner sagt etwas, keiner ist zuständig.“ Bei der Stadt wies man das entrüstet zurück, doch nun meldeten sich immer mehr Teilnehmer zu Wort: „Wann werden eigentlich die Hauseigentümer über die Planungsmaßnahme informiert?“, wollte ein Teilnehmer wissen: „Bei mir ist bis heute nichts angekommen, ich habe heute morgen von der Sache erfahren, früher nicht.“ Einen Flyer in einen Briefkasten zu werfen, „und dann zu glauben, die Anwohner seien informiert, das sei stark optimistisch“, schimpfte der Mann, dazu gebe es viele Hausbesitzer, die selbst gar nicht in der Boppstraße wohnten.
„Wir streben das Maximale an Informationen an“, entgegnete ihm daraufhin Strobach, wer im Eigentum konkret betroffen sei, habe Informationen bekommen. Im Übrigen sei die Stadt rechtlich nur verpflichtet, „das amtsüblich bekannt zu machen“, das heiße: „Im Amtsblatt der Stadt Mainz, das kann man abonnieren“, sagte Strobach: „Es ist bis in die höchsten Gerichte bestätigt, dass eine Veröffentlichung im Amtsblatt ausreicht, juristisch sind wir auf der sauberen Seite.“ – „Ich bin als Privatmann nicht verpflichtet, das Amtsblatt zu abonnieren“, entgegnete daraufhin wiederum der Hausbesitzer: „Sie beziehen sich auf das Recht, gehen keine weitere Diskussion an und würgen alles andere ab“, beschwerte er sich.
Bäckerei: Sind als Gewerbetreibende nie befragt worden, was wir brauchen
„Wir sind als Gewerbetreibende gar nicht gefragt worden“, betonte danach auch der Inhaber der Bäckerei Olemutz. Vor vier Wochen habe er konkret erfahren, dass in der Boppstraße Arbeiten anstünden. „Wir sind nie gefragt worden, was unsere Bedürfnisse sind, was wir brauchen“, kritisierte er: „Sie sprechen hier davon Ihre Kommunikation wäre toll und wunderbar? Vergessen Sie es!“ Andere Gewerbetreibende bestätigten dies noch in der Versammlung.
Die Stadtplaner versicherten, man werde die Entwicklung in der Boppstraße genau beobachten, Nachbesserungen seien dann noch möglich. „Gucken Sie, dass Sie da jetzt noch mal eine Korrektur möglich machen“, empfahl ihnen hingegen ein Anwohner, der dafür viel Beifall bekam: „Die Realität sieht einfach anders aus.“
Info& auf Mainz&: Die gesamten Pläne zum Umbau der Mainzer Boppstraße könnt Ihr Euch hier auf der Internetseite der Stadt Mainz ansehen.
Kommentar& auf Mainz&: Eine Stadt braucht Schlagadern für den Verkehr, sonst droht der Infarkt
Kommentar& auf Mainz&: Da passt etwas nicht zusammen. Die Boppstraße ist die Schlagader der Mainzer Neustadt, aber sie ist eben mehr als das: Sie ist auch eine der wichtigen Durchfahrtstangenten der Mainzer Innenstadt. Wer vom Bleichenviertel, ja von der Innenstadt in Richtung Zollhafen oder Mombach will – der fährt durch die Mainzer Neustadt. Wie auch sonst? Es gibt ja kaum noch Möglichkeiten, die Neustadt überhaupt noch zu durchqueren. Die Hindenburgstraße: dicht gemacht für den Durchfahrtsverkehr. Die Parallelstraßen: verkehrsberuhigt und durch Einbahnstraßen-Labyrinth unmöglich zum Durchfahren gemacht.
Wir sagen: Gut so! Die Verkehrsberuhigung der Mainzer Neustadt hat aus dem Viertel erst gemacht, was es heute ist – ein hippes Großstadtviertel mit Plätzen und viel Aufenthaltsqualität. Nur, es gab dafür einen Deal, einen Preis, und der lautete: Die Boppstraße bleibt eine Durchfahrtsstraße für den Verkehr, eine Schlagader eben. Nun will man eben dieser Schlagader ein Tempo 20-Korsett anlegen – und riskiert damit den Schlaganfall im Innenstadtverkehr.
Die Stadt muss sich schon entscheiden: will sie die Boppstraße auch noch so extrem verkehrsberuhigen und – so lautete am Montagabend die explizite Ansage – für den Durchfahrtsverkehr unattraktiv machen, dann viel Spaß künftig auf der Rheinallee und den übrigen Innenstadt-Straßen. Große Langgasse, Boppstraße – der Verkehr wird zunehmend verdrängt und konzentriert auf den vier Spuren von Rheinstraße und Rheinallee, wie soll das gehen? Im Zollhafen sollen Tausende neue Menschen wohnen, Geschäfte entstehen, Büros – wo sollen die alle langfahren? Und nein, die Bewohner werden nicht alle Mainzelbahn und Carsharing fahren, sie werden ihre schicken Sportwagen aus den schicken neuen Tiefgaragen nehmen und über die Rheinallee zum Einkaufen fahren. Oder zum Job. Oder auf ein Fest.
Die Neustadt-Bewohner haben das am Montagabend genau gespürt: Da passt etwas Grundlegendes nicht zusammen. Eine Stadt braucht Schlagadern, Durchfahrtsrouten, sonst kollabiert sie. Die Folge werden unendliche Staus sein, weil nun einmal gewisse Dinge auch mit dem Auto erledigt werden. Wenn es jetzt offenbar schon Überlegungen in der Stadtverwaltung gibt, die Barriere in der Wallaustraße abzubauen, dann heißt das doch nichts anderes als: Die Rheinallee braucht dringend einen Bypass. Wird die Boppstraße lahm gelegt, wird sich der Verkehr andere Wege suchen. Und damit droht genau das, was die genialen Planer der verkehrsberuhigten Neustadt einst genau zu verhindern suchten: Der Verkehr wird sich einen Weg zurück in die Gassen der Neustadt bahnen. Das ist wie mit Wasser, das gestaut wird – nur erheblich lauter und stinkender.
Was die Reaktionen auf die Bürger angeht – das war ein Rückschritt in finstere Zeiten von Behördenallmacht. Wir dachten eigentlich, die Stadtverwaltung hätte durch das Fiasko mit dem Bibelturm gelernt, dass man Bürger ernst nehmen muss und genau auf ihre Anregungen hören sollte, am Montagabend war davon nichts zu spüren. Wenn gleich zehn Leute in einer Versammlung berichten, sie seien nicht gehört oder gar nicht erst informiert worden, dann hat das mit der Bürgerinformation schlicht nicht funktioniert. Da nützt auch kein Verweis auf Paragraphen und Rechtslage, auch ein „Wir haben doch schon so viel gemacht“ ist dann leider eben nur eines: nicht hilfreich. Kein Bürger fühlt sich dadurch ernst genommen oder in seinen Interessen berücksichtigt. Es bleibt noch viel zu tun im Staate Mainz….