Der Start in die deutsche Impfkampagne bleibt vermurkst: Im ersten Quartal 2021 wird es nicht mehr Impfstoff geben, die Deutschen werden weiter auf die rettenden Impfungen warten müssen. „Zu einer weiteren Erhöhung wird es in diesem Quartal nicht mehr kommen“, sagte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) am Montag nach dem Bund-Länder-Gipfel in Mainz. Erst im zweiten und dritten Quartal werden erheblich größere Mengen erwartet – Grund ist die verpatzte Bestellpolitik der Europäischen Union. In Deutschland soll nun ein nationaler Impfplan für mehr Transparenz und Planbarkeit bei den Impfungen sorgen, zudem sollen Lieferketten bei Zubehör und Abfüllprodukten geschlossen werden, um Engpässe zu vermeiden.
Damit steht fest: Deutschland hat den Start in die Corona-Impfungen gründlich verpatzt, die im Dezember geweckten hohen Erwartungen der Politik von einem schnellen Ende der Corona-Beschränkungen durch die Impfungen werden nicht eingehalten werden können. Ein Hauptgrund dafür: Die Europäische Union hatte im Jahr 2020 zu spät und zu zögerlich bestellt und dabei weniger Geld investiert als andere Länder, die nun ganz weit vorne sind in Sachen Impfen – wie die USA oder Israel. Erst im November hatte die Europäische Union die vollständigen Verträge mit Firmen wie BionTech unterzeichnet, nun müssen sich die Europäer hinten anstellen und zusehen, wie andere schneller beliefert werden.
EU verhandelte zu langsam, bestellte zu spät zu wenig
„Die EU hat zum Teil sehr lange verhandelt, man hat lange um Haftungsfragen gerungen“, räumte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montagabend nach dem ersten Impfgipfel zwischen Bund und Ländern ein: „Deshalb ist der Weg an einigen Stellen langsamer gewesen.“ Merkel verteidigte die Linie der EU, musste aber auch einräumen: Die EU hat zudem ein Problem mit Produktionsstätten. Weil andere Länder wie die USA für Produktionsmengen im eigenen Land Ausfuhrstopps erlassen hätten, ist Europa auf sich gestellt. „Die Standorte sind da, da können wir uns freuen“, sagte Merkel, „aber Europa hat nicht unendlich viele Standorte, unsere Kapazitäten sind begrenzt.“
Erst im Laufe dieses Jahres wird es für die produzierenden Impfstofffirmen neue Produktionsstätten und erweiterte Kapazitäten geben, wie etwa ein BionTech-Werk in Marburg, das sich derzeit im Aufbau befindet. „Es wird im ersten Quartal knapp bleiben, wir werden das, was die Menschen erwarten, nicht erfüllen können“, räumte der regierende Berliner Bürgermeister Michael Müller (SPD) ein.
„Zu einer weiteren Erhöhung der Impfstoffmengen wird es in diesem Quartal nicht mehr kommen“, sagte in Mainz auch Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), damit sei erst im zweiten und dritten Quartal zu rechnen. Zwar habe die Mainzer Firma Biontech angekündigt, in diesem Quartal statt 8,9 Millionen Impfdosen nun sogar 10,9 Millionen zu liefern – die anderen Produzenten sagten aber nichts dergleichen zu. Damit hinkt Deutschland im Impffortschritt weiter hinterher.
„Impfen trifft den Nerv der Bevölkerung, denn es ist die einzig echte Strategie“, sagte der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU), genau deshalb gebe es so hohe Erwartungen und so viel Enttäuschung in der Bevölkerung bei dem Thema. Es gelte deshalb auch, sich das Thema „nicht schlecht, aber auch nicht schön zu reden“, betonte Söder. Es sei nun „wichtig, so viel Planbarkeit wie möglich, und mehr Ordnung und Struktur da hineinzubekommen.“
Nationaler Impfplan für Impfstoffmengen
Das soll nun ein nationaler Impfplan richten: „Es gibt eine nationale Impfstrategie, entwickelt von Bund und Ländern, die wird jetzt auch einen nationalen Impfplan enthalten“, kündigte Kanzlerin Merkel an. In dem Plan sollten „nach bestem Wissen“ die voraussichtlichen Liefertermine vorhergesagt werden, wo eine exakte Voraussage nicht möglich sei, „werden wir modellieren“, sagte Merkel weiter. Die Modellierungen sollen verschiedene Szenarien aufzeigen, das soll mehr Sicherheit für das Management der Impfeinladungen in den Ländern geben und verhindern, dass Impftermine erst ausgemacht, und dann wieder abgesagt werden müssen, wie im Januar in Rheinland-Pfalz.
„Ein Impfplan kann nicht sagen, wie viel Impfstoff morgen exakt vorhanden ist“, betonte Ministerpräsidentin Dreyer, er könne aber aufzeigen, wieviel Mengen zu welchem Zeitpunkt ungefähr da sein würden. Eine Modellierung werde die Planung „erheblich erleichtern“, so dass klar sei, wie viele Impftermine ein Land vergeben könne, betonte Dreyer. Allerdings war das auch bisher auch schon der Stand, die Länder wurden vom Bundesgesundheitsminister fortlaufend informiert, wie viele Impfdosen in welcher Woche zu erwarten waren – bis dann die Lieferschwierigkeiten bei den verschiedenen Herstellern auftauchten. Und die halten offenbar weiter an: „Kein Hersteller kann klar sagen, wie viel Impfdosen pro Woche kommen“, räumte Dreyer ein, das sei weiter „mit einem Risiko behaftet.“
Lieferengpässe drohen auch bei Fläschchen und Zubehör
Probleme gibt es offenbar nicht nur bei der Produktion des Impfstoffs selbst, sondern auch beim Zubehör: Ampullen und Stopfenherstellung, die Produktion von Fläschchen für die Impfdosen, Spritzen sowie sensible Substanzen für die Herstellung des Impfstoffs – überall dort drohen nun ebenfalls Lieferengpässe. „Wir wurden aufgefordert zu unterstützen“, sagte Merkel. Es gebe „Zwischenstoffe, die sind von so entscheidender Bedeutung“, dass man bei mehr Zwischenstoff auch mehr Impfdosen herstellen könne.
Auch Dreyer sagte, es gebe Probleme bei den Rohstoffen sowie bei der Verpackung: So saß beim Impfgipfel neben Herstellern wie Biontech auch der Mainzer Spezialglas-Hersteller Schott mit am Tisch, der maßgeblich die Fläschchen für den BionTech-Impfstoff herstellt. „Auch da ist absehbar, dass man in Zukunft in Engpässe kommen könnte“, berichtete Dreyer. Die Runde habe deshalb entschieden, dass Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) prüfen solle, wie Lieferketten geschlossen und Lieferungen für den Verpackungsbereich sichergestellt werden könnten. Der Bund will zudem gemeinsam mit einem Wirtschaftsverband nun auch für das Impf-Zubehör eine zentrale Plattform einrichten, ähnlich wie beim Management für Desinfektionsmittel vergangenes Jahr.
Der Fehler der zu späten Bestellungen und damit der zu geringen Anfangslieferungen aber ist nicht wieder aufzuholen: „Es ist leider so, es wird so viel produziert, wie bestellt wurde“, das könne man nicht mehr ändern, räumte Dreyer ein. Ab dem zweiten Quartal würden die Impfstoffmengen aber deutlich zunehmen, allein BionTech will dann 75 Millionen Impfeinheiten liefern. Das bekräftigte auch Kanzlerin Merkel: Da es für Kinder derzeit noch keinen Impfstoff gibt, brauche Deutschland Impfdosen für 73 Millionen Menschen, rechnete die Kanzlerin vor, und betonte: Selbst wenn es nur bei den derzeit zugelassenen drei Impfstoffen bleibe, würden die bis jetzt bestellten Impfstoffmengen ausreichen. „Unsere Aussage, dass wir bis Ende des dritten Quartals jedem Bürger ein Impfangebot machen können, können wir aufrecht erhalten“, fügte Merkel hinzu.
Info& auf Mainz&: Mehr zum schleppenden Impfstart und seinen Gründen lest Ihr hier bei Mainz&, mehr zum Chaos mit verschobenen Impfterminen und ausbleibenden Impfstofflieferngen könnt Ihr noch einmal hier bei Mainz& nachlesen.