Wie geht es den Winzern an der Ahr zwei Jahre nach der Flutkatastrophe? Immer wieder hat die Internetzeitung Mainz& Weinbaubetriebe in dem nördlichen Weinanbaugebiet besucht, seitdem die gigantische Flutwelle am 14. Juli 2021 das Tal verwüstete und dabei auch Weingüter und Wingerte zerstörte. Zwei Jahre nach der Flut sagt Peter Kriechel, der Vorsitzende von Ahrwein e.V.: „Wir haben im Moment enorme Probleme.“ Flutfolgen, Inflation und ausbleibende Touristen drücken das Tal – und auch düstere Szenarien für die Zukunft: Komme der EU-Renaturierungsdeal wie gerade beschlossen, „dann stirbt der Weinbau im Ahrtal“, sagt Kriechel.

Bis heute steht das Haupthaus der Winzergenossenschaft Mayschoß-Altenahr in Ruinen da. - Foto: gik
Bis heute steht das Haupthaus der Winzergenossenschaft Mayschoß-Altenahr in Ruinen da. – Foto: gik

Als sich vor genau zwei Jahren eine riesige Flutwelle das Ahrtal hinunterwälzte, verwüstete sie rund 9.000 Gebäude und kostete 136 Menschen das Leben. Unter den zerstörten Gebäuden und Anlagen waren auch Weingüter und Weinkeller, Barriquefässer wurden meilenweit mitgerissen, ganze Häuser zerstört und Weinberge verwüstet. Von den insgesamt 65 Winzerbetrieben an der Ahr wurden durch die Flut 60 unmittelbar geschädigt, die Schäden wurden auf bis zu 200 Millionen Euro geschätzt.

Trotz der Verwüstungen und des Schocks gelang es, die Ernte 2021 mit Hilfe vieler Helfer aus anderen Regionen einzubringen – es wurde ein Flutwein-Jahrgang der Hoffnung und der Wunder. Die meisten Weinberge an den steilen Hängen des Tals hatten die Flut unbeschadet überlebt, das galt indes nicht für die Weingüter unten am Boden: Noch heute, zwei Jahre danach, steht manches Weingut wie eine Ruine da.

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„Was über Wiederaufbau hinausgeht, bekommt null Unterstützung“

Doch insgesamt hat sich viel getan, gerade bei den Winzerbetrieben: Praktisch alle Betriebe machten weiter, viele hätten bereits neue Vinotheken und Häuser in Betrieb genommen, berichtet Peter Kriechel, Vorsitzender von Ahrwein e.V., im Gespräch mit Mainz&. „Wichtig ist immer noch Stand heute, dass man einen Plan für sich hat, eine Vision, wie es einmal werden soll“, sagt Kriechel – das sei gerade auch psychologisch ungemein wichtig. Er selbst plane gerade eine moderne neue Vinothek in Marienthal, wo einst das alte Familienweingut stand, einen modernen Bau mit einem österreichischen Architekten – Ende 2024 soll er fertig sein.

Winzer Peter Kriechel mit den schlammbedeckten Flaschen des "Flutweins" - auch sein Keller wurde verwüstet. - Foto: gik
Winzer Peter Kriechel mit den schlammbedeckten Flaschen des „Flutweins“ – auch sein Keller wurde verwüstet. – Foto: gik

„Ich glaube, das wird ein Leuchtturm, wie man Hochwasser-resilient und nachhaltig aufbauen kann“, sagt Kriechel – der Haken: „Alles, was über reinen Wiederaufbau hinaus geht, jede Innovation, da kriege ich null Prozent Unterstützung.“ Zwar decke die Versicherung 20 Prozent des Bauvolumens ab, doch auf die restlichen 80 Prozent „kriege ich keine Unterstützung – weil es etwas Neues ist, und weil es Gastronomie ist“, sagt Kriechel: Eine reine Gastronomie sei in den Programmen nicht vorgesehen.

Jenseits der Wiederaufbau-Probleme seien die meisten Winzer derzeit aber eher gut drauf, betont der Winzer aus Walporzheim, das liege aber vor allem daran, dass man viel Zeit in der Natur verbringe: Die Weinberge stehen blendend da, das Frühjahr brachte genug Regen – die Winzer an der Ahr rechnen mit einem sehr guten Weinjahrgang 2023. Und doch sei da diese Sehnsucht, denn im Ahrtal gibt es nach wie vor noch enorme Unterschiede: „Wir wünschen uns alle Normalität zurück, was Vertrieb angeht, Vermarktung, Tourismus“, sagt Kriechel, das alles zehre an den Kräften.

Dunkle Zukunftswolken über der Ahr: Probleme mit Inflation, Tourismus

Denn so gut die Weinberge da stehen, so dunkel sind die Zukunftswolken über dem Ahrtal: „Wir haben im Moment enorme Probleme“, bekennt Kriechel. Da seien noch immer die Flutfolgen und der Kampf mit dem Wiederaufbau, dazu kämen aktuell große Inflationsprobleme, ausbleibende Touristen – und das neue Gesetz der EU zum Thema Renaturierung. Und auch die Umgebung drückt aufs Gemüt: „Man hat in der Tat alles schneller erwartet, man weiß einfach nicht, wie geht es denn weiter“, sagt Kriechel.

Ahrufer in Walporzheim im Juli 2023. - Foto: gik
Ahrufer in Walporzheim im Juli 2023. – Foto: gik

Als ein Beispiel nennt er ausgerechnet den Fluss selbst: Deren Ufer seien über weite Strecken noch immer in einem grauenhaften Zustand, der Fluss selbst sei so flach, dass man sich Sorgen um die Fische mache, es fehle an Schatten, Struktur und gestalteten Ufern. „Wann fangen die denn mal an, die Ahr zu modellieren?“, fragt sich Kriechel. Dafür müsse es doch einen Zeitplan geben, die Pläne gebe es ja schließlich – aber zu hören sei davon nichts.

Das Thema Gestaltung ist ein zentrales im Ahrtal zwei Jahre nach der Flut, denn während an vielen Orten inzwischen brandneue Häuser stehen, Straßen saniert und Ränder wiederhergestellt sind, herrscht andernorts noch Wildwuchs oder Baustelle. An manchen Stellen gibt es bereits liebevoll gestaltete neue Gärten, doch insgesamt fehlt es noch immer viel an schönen Ecken – das drückt auch auf den Tourismus.

Kein Geld mehr Dank Inflation: 30 Prozent Rückgang im Weinabsatz

„Es sind wenig Touristen im Tal“, sagt Kriechel, und das, obwohl derzeit gerade das wichtige Nachbarland Nordrhein-Westfalen schon Ferien habe, Holländer und Belgier durch Europa schwärmten – die typischen Ahrtal-Touristen von vor der Flut. Am Wochenende funktioniere der Tourismus gut, auch tageweise gehe schon wieder was – und Weinfeste oder Weinevents boomten geradezu. „Aber du hast nicht den Urlauber da, der eine Woche bleibt oder zwei“, sagt Kriechel, für diese Klientel fehlten weiter die Angebote zum Verweilen und Erholen.

Peter Kriechel ist selbst Winzer an der Ahr und Vorsitzender von Ahrwein e.V. - Foto: Weingut Kriechel
Peter Kriechel ist selbst Winzer an der Ahr und Vorsitzender von Ahrwein e.V. – Foto: Weingut Kriechel

Das merken sie auch deutlich auf den Weingütern und beim Verkauf in den Vinotheken: „Der klassische Weinverkauf, den kannst du von Montag bis Donnerstag geschlossen halten“, sagt Kriechel. Ein weiterer Grund für den schleppenden Absatz: die Inflation. „Du merkst, dass die Leute kein Geld mehr haben“, sagt Kriechel. 2022 habe das Ahrtal einen Rückgang im Weinabsatz von um die 22 Prozent gehabt, inzwischen seien es sogar 30 Prozent. „Es gab definitiv bessere Zeiten, um Wein zu vermarkten“, sagt Kriechel.

Und so geht die Zukunftsangst im Ahrtal um, gerade bei den Betrieben, die jetzt vor hohen Investitionen wegen Neubaus stehen. Da ist zum einen das Wiederanpflanzungsverbot für Weinberge in Tallagen, rund zehn Hektar Fläche betrifft das – fast ein Zehntel des gerade 550 Hektar kleinen Weinanbaugebiets. Er selbst habe einen Weinberg mit Spätburgunder verloren, sagte Kriechel, er könne das aber verkraften: „Es gibt zwei kleinere Winzer, für die das existenzbedrohend ist“, berichtet er.

Damoklesschwert EU-Renaturierung: „Tod des Weinbaus im Ahrtal“

Dazu komme eine Flurbereinigung zwischen Mayschoß und Dernau, von Weinbergen, die direkt am Fluss lagen. Die Flurbereinigung sei ausgesprochen sinnvoll, sagt Kriechel – nur: Die Umsetzung lasse auf sich warten. In ersten Gesprächen sei zugesagt worden, die Behörden würden das „so schnell wie noch nie durchzuziehen, so dass Ihr dort 2023 neu pflanzen könnt“, berichtet Kriechel, „das ist natürlich nicht geschafft worden.“

Weinberge im Ahrtal oberhalb von Walporzheim mit Flutkapelle: Praktisch komplett im Schutzgebiet. - Foto: gik
Weinberge im Ahrtal oberhalb von Walporzheim mit Flutkapelle: Praktisch komplett im Schutzgebiet. – Foto: gik

Doch das Damoklesschwert, das über dem Ahrtal wie über allen anderen Weinbauregionen auch schwebt, nennt sich EU-Renaturierungsgesetz, und wurde am Mittwoch vom EU-Parlament verabschiedet. „Niemand hat etwas gegen Pflanzenschutzreduktion, das könnten wir umsetzen und tun es zum Teil heute schon“, versichert Kriechel. Doch das EU-Gesetz sehe auch vor, dass in Naturschutzgebieten, Landschaftsschutzgebieten und Wasserschutzgebieten null Prozent Pestizide eingesetzt werden dürften – das werde den Weinanbaugebieten das Genick brechen, befürchtet er: „Dann wirst du im Ahrtal fast nichts mehr bewirtschaften können – dann stirbt der Weinbau im Ahrtal.“

Winzerverbände warnen bereits seit Monaten, ein Totalverbot in Schutzgebieten würde den Weinbau stark gefährden, und das nicht nur an der Ahr – viele Weinberg liegen gerade in solchen Schutzgebieten. Die EU will den Pflanzenschutzmitteleinsatz europaweit bis 2030 um 50 Prozent reduzieren und dafür eine Null-Quote in „ökologisch empfindlichen Gebieten“ vorgeben – dazu rechnet sie aber jede Art von Schutzgebieten, von Wasser über Landschaft bis hin zu Naturschutz. Auch an der Mosel sei fast das gesamte Tal Landschaftsschutzgebiet, sagt Kriechel, ganz ähnlich sehe es auch an der Ahr aus – konventioneller Weinbau wäre hier dann nicht mehr möglich.

Innenstadt von Ahrweiler: Licht und Schatten beim Wiederaufbau, ausbleibende Touristen. - Foto: gik
Innenstadt von Ahrweiler: Licht und Schatten beim Wiederaufbau, ausbleibende Touristen. – Foto: gik

Von der einzigen Weinbauministerin der Republik, der rheinland-pfälzischen FDP-Ministerin Daniela Schmitt (FDP) kommt zwar Widerspruch gegen die EU-Pläne – ein großer Aufschrei oder gar wirksame Vorstöße zum Verhindern der Pläne blieb bisher aber aus. Wie Rheinlad-Pfalz die Bedrohung für seine Winzer im größten Weinbau-treibenden Bundesland abwehren will: völlig unklar.

Am Dienstag verabschiedete das EU-Parlament das Gesetz mit knapper Mehrheit – nun folgen Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten. Die Debatte verunsichere die Winzer beim Wiederaufbau, sagt Kriechel: „Ich investiere ja nicht in ein Weingut, wenn ich 2030 meinen Betrieb einstellen kann.“

Info& auf Mainz&: Mehr zur ersten Weinlese an der Ahr nach der Flutkatastrophe könnt Ihr noch einmal hier bei Mainz& nachlesen.