Zwölf Wochen nach der Flutkatastrophe haben die Winzer an der Ahr ein echtes Wunder vollbracht: die Weinlese ist so gut wie eingebracht, aus den Trauben an den Steinhängen wird ein neuer Weinjahrgang reifen – es ist einer, den die Winzer nie mehr vergessen werden. „Der 2021er ist der wichtigste Jahrgang, den wir in unserer Generation haben“, sagt Peter Kriechel: „Dieser Jahrgang ist das Kapital für unsere Zukunft.“ Die Flutwelle des 14. Juli richtete verheerende Zerstörungen an, gerade auch in Weinbaubetrieben: Von 68 Weingütern sind 65 von Schäden betroffen, ganze Keller wurden weggeschwemmt, Hallen von der Flut mitgerissen. Die Hoffnungen ruhen nun auf dem Jahrgang 2021 – die Sorgen richten sich auf 2022, wenn wirklich nichts mehr in den Kellern ist.

Peter Kriechel in seinem Weingut mit Resten der Flutnacht: Flutweinen. - Foto: gik
Peter Kriechel in seinem Weingut mit Resten der Flutnacht: Flutweinen. – Foto: gik

Kriechel ist Geschäftsführer des Weinguts Peter Kriechel in Ahrweiler und Vorsitzender von Ahrwein e.V., auch sein Weingut blieb in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli nicht verschont. „Komplett geflutet“, sagt Kriechel, als Mainz& ihn in seinem Weingut am Rande von Ahrweiler trifft, meterhoch stand das Wasser im Weinkeller, 30 Zentimeter auch im Verkaufsraum im Erdgeschoss. Flaschenlager, Barriquefässer, „das lag alles kreuz und quer“, berichtet Kriechel, um die 40.000 Liter Wein, schätzt er, habe er allein dort verloren. Es waren die guten Spätburgunder, und das nicht nur aus dem Jahrgang 2020, sondern auch 2019 und älter. „Das sind ja die Sachen, wofür man lebt als Winzer, die Weine in den Barriques, die großen Lagen“, sagt Kriechel. Ein Hefebrand im Whiskeyfass gereift, ein Portwein kurz vor der Vollendung – alles zerstört.

Und dabei hat Kriechel an dieser Stelle noch Glück gehabt: Das traditionsreiche Weinhaus seiner Familie in Marienthal, erbaut 1920 – es steht nicht mehr. Abends um 21.00 Uhr war Kriechel noch nach Marienthal gefahren, mit Sandsäcken im Auto, um die Einfahrt abzudichten – ein Witz, wie er heute weiß. Um 21.20 Uhr drehte Kriechel ein Video, da hatte sich die Ahr bereits in eine reißende Flut verwandelt, die an der Straßenkante leckte. Kurz darauf wurde die Straße vor dem Haus in Marienthal gerade überspült, „das gab es noch nie“, berichtete der 38 Jahre alte Geschäftsführer. Bis zur Dachkante stand hier am Ende das Wasser, das traditionsreiche Anwesen mit dem schönen Garten, es war nicht mehr zu retten.

- Werbung -
Werben auf Mainz&

 

Zerstörte Brücken und Häuser in Dernau nach der Flut mit der Winzergenossenschaft Dagernova (oben rechts). - Foto: gik
Zerstörte Brücken und Häuser in Dernau nach der Flut mit der Winzergenossenschaft Dagernova (oben rechts). – Foto: gik

„Man hat es nicht geglaubt, welches Ausmaß das haben könnte“, sagt Kriechel, die höchsten Hochwasser bisher lagen zwei, drei Meter niedriger. Er selbst wohnt auf der anderen Seite der Ahr, vier Meter hoch stand das Wasser in seinem Garten, die Hühner rettete er noch, abends gegen kurz vor 23.00 Uhr. Dann kam die Nacht, und Kriechel musste sehen, wie Nachbarn die ganze Nacht auf den Dächern um ihr Leben bangten. „Die Kinder haben um Hilfe gerufen, die ganze Nacht, das vergisst man nicht“, berichtet er, doch gegen die ungeheuren Wassermassen war kein Ankommen.

Das Aufräumen beherrschte in den Wochen danach alles, das große Ziel vor Augen: die Weinlese. Die verheerende Flutwelle erwischte gerade die Weinbranche im Ahrtal hart: Von 68 Weinbaubetrieben haben 65 Schäden davon getragen, berichtet Kriechel, bei manchen Weingütern stehe kein Keller und keine Halle mehr, ließ die Flut keine einzige Maschine und kein Weinfass an Ort und Stelle. Und auch vor den Weinbergen machte die Flut nicht Halt: „Alles, was eine Flachlage war, ist platt“, sagt Kriechel. Mindestens 50 Hektar Weinberge seien zerstört, „vielleicht noch mehr“, schätzt er.

Unten Zerstörung, oben die grünen Weinberge: Dernau an der Ahr fünf Tage nach der Flutkatastrophe. - Foto: gik
Unten Zerstörung, oben die grünen Weinberge: Dernau an der Ahr fünf Tage nach der Flutkatastrophe. – Foto: gik

Mit rund 560 Hektar Weinbergen gehört die Ahr ohnehin zu den kleinen Weinanbaugebieten, der Verlust von rund 50 Hektar sind ein herber Schlag. „Die Erträge sind niedrig, es ist ein schwieriges Jahr“, berichtet Kriechel: Das schlechte Wetter während des Frühjahrs, dazu die Flutschäden, der fehlende Pflanzenschutz in den Wochen danach. Gerade der Frühburgunder litt unter dem feuchten Wetter, manch ein Kollege habe nur ein Drittel der sonst üblichen Mengen ernten können, sagt Kriechel.

 

Und doch standen sie Ende September, Anfang Oktober in den Steilhängen über dem Tal, ernteten Trauben, kelterten Weine. „Wir haben es geschafft, die Keller so hinzukriegen, dass wir alles hier an der Ahr verarbeiten können“, sagt Kriechel, darauf sei die Winzergemeinde nicht wenig stolz. Eine gehörige Portion Improvisation war dazu gefragt, und massive Hilfe von außen. Im August standen die ersten Barriquefässer schon wieder auf den Winzerhöfen. „Teilweise waren die Fässer für den neuen Jahrgang schon bestellt“, berichtet Kriechel, andere Weingüter bekamen Dauerleihgaben von Maschinen und Geräte aus still gelegten Weingütern aus ganz Deutschland.

Winzer Philipp Nelles in seinem Spätburgunder-Weinberg hoch oben über der Ahr. - Foto: gik
Winzer Philipp Nelles in seinem Spätburgunder-Weinberg hoch oben über der Ahr. – Foto: gik

Die Traubenannahmen der großen Winzergenossenschaften Mayschoß-Altenahr oder Dagernova blieben von der Flut verschont, so konnte auch hier die Ernte angeliefert werden. Andere Weingüter teilten sich einfach Hallen und Equipment. Es sei die unglaubliche Hilfe gewesen, „die Mut und Kraft gegeben hat, um weiter zu machen“, sagt Phillipp Nelles, Chef des renommierten VDP-Weinguts Nelles in Heimersheim bei Bad Neuenahr. Auch in seinem Keller stand kein Fass mehr, drei Jahrgänge verlor der Topwinzer an die Fluten, schätzt er, und dabei liegt sein Weingut mehrere Hundert Meter vom Ahrufer entfernt.

 

Und doch steht Nelles jetzt hier in seinem Spätburgunder-Weinberg hoch oben über der Mondlandchaft, die die Ahr noch immer ist, und schaut auf abgeerntete Reben. Als erstes seien die Winzerkollegen da gewesen, dann strömten Hunderte freiwilliger Helfer ins Ahrtal,  berichtet Nelles, Menschen aus ganz Deutschland, ja zum Teil aus ganz Europa, die einfach anpackten, Schlamm schaufelten – und in der Weinlese halfen. Im Burgund klaubten Winzer alte Barriquefässer, die sie nicht mehr brauchten, zusammen und schickten einen Lkw damit ins Ahrtal, berichtet Nelles – die gebrauchten Fässer sind hochwillkommen. „Wir waren einfach froh, nicht alles an neuen Fässern einsetzen zu müssen, auch um unserem Stil treu bleiben zu können“, sagt er.

Schlammverkrustete Flutwein-Flaschen der Winzergenossenschaft Mayschoß-Altenahr. - Foto: gik
Schlammverkrustete Flutwein-Flaschen der Winzergenossenschaft Mayschoß-Altenahr. – Foto: gik

Besonders dramatisch im Weingut Nelles: Der 2019er stand kurz vor der Abfüllung, „eine Woche später, und unser Schaden wäre deutlich geringer gewesen“, sagt Nelles – in den Flaschen überlebten manche Weine die Flut unbeschadet. Aus meterhohem Schlamm klaubten die Winzer die Reste in ihren Kellern, aus den verschlammten Resten wurde die „Aktion Flutwein“ geboren: schlammverschmierte Weinflaschen liegen auch bei Peter Kriechel in den Gitterboxen neben dem Verkaufsraum. „Unser schlimmster Jahrgang“ nennen die Ahrwinzer die Flutreste, inzwischen wurden mehr als 175.000 dieser Flaschen verkauft, knapp 4,5 Millionen Euro an dringend benötigten Geldern kamen zusammen.

„Wir haben innerhalb von sechs Wochen die größte Weincommunity ins Leben gerufen, die es jemals gab“, sagt Kriechel stolz, mehr als 47.500 Unterstützer beteiligten sich. „Das war das mit Abstand größte Crowdfunding ever in Deutschland“, sagt er. Das Geld soll für den Wiederaufbau eingesetzt werden, für Wiederanpflanzungen in den Weinbergen, zum Wiederherstellen der Kulturlandschaft, sagt Kriechel – aber auch, um den Betrieben im kommenden Jahr die Liquidität sichern zu helfen. Denn Angst haben sie hier vor Februar, März 2021, wenn die letzten Flaschen Flutwein verkauft, die Lager endgültig leer sind, und der neue Weinjahrgang noch nicht fertig ist. Die Probleme, sagt Kriechel, die kämen für viele Winzer dann erst noch. „Der erste Sprint ist uns super gelungen“, sagt Kriechel, „der Marathon steht uns noch bevor.“

Info& auf Mainz&: Die Aktion Flutwein findet Ihr hier im Internet, den Winzern an der Ahr könnt Ihr aber auch mit der Weinaktion „SolidAHRität“ helfen – einen der dafür verkauften Weine findet Ihr zum Beispiel hier bei der Dagernova im Netz. Über die Not der Winzer an der Ahr haben wir bereits Anfang August berichtet, den Mainz&-Artikel findet Ihr hier. Eine Bilanz ein Vierteljahr nach der Flut könnt Ihr hier bei Mainz& lesen, eine Reportage aus den ersten Tagen aus dem Ahrtal könnt Ihr hier bei Mainz& lesen: „Wer warnte die Menschen an der Ahr?“.

 

HINTERLASSEN SIE EINEN KOMMENTAR

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein