Wenn Marco Sottile aus der Tür seiner Fahrzeughalle in die strahlende Frühlingssonne schaut, „dann kriege ich einen Nervenzusammenbruch“, sagt er. Sottile ist Schausteller, und bei diesem Wetter und zu dieser Jahreszeit war er noch nie einfach nur Zuhause. Volksfeste, Rummelplätze, das wäre jetzt seine Welt – wenn da nicht die Corona-Pandemie wäre. Seit zwei Wochen dürfen Läden wieder öffnen, seit einigen Tagen die Restaurants, demnächst Freizeitparks und Schwimmbäder – nur die Schausteller stehen noch immer ohne Perspektive da. Nun gibt es Ideen für Buden in den Innenstadt oder einen mobilen Freizeitpark auf dem Messegelände, doch Sottile ist skeptisch. „Wir brauchen einen Rettungsschirm“, sagt er, „sonst werden 30 Prozent unserer Betriebe das nicht überleben.“

Riesenrad und Kettenkarussell - so hätte das an Ostern beim Mainzer Rhein-Frühling aussehen sollen. - Foto: gik
Riesenrad und Kettenkarussell – so hätte das an Ostern beim Mainzer Rhein-Frühling aussehen sollen. – Foto: gik

Als am 13. März Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Shutdown aller Veranstaltungen, Feste und Großevents verkündete, traf das eine Branche eiskalt: die Schausteller. Zwei Wochen später hätte der Mainzer Rheinfrühling seine Tore am Rheinufer geöffnet, die große Frühjahrsmesse wäre der Startschuss in die Saison der Volksfeste und Freiluft-Events gewesen. „Die Lage ist katastrophal, das fängt an, in Depressionen überzugehen“, sagt Marco Sottile, Vorsitzender der Interessengemeinschaft Mainz Schausteller und Marktbeschicker (IMSM): „Wir sind die Berufsgruppe, die am längsten keine Einnahmen haben wird, aber ein Rettungsschirm oder so, da ist bis heute nichts passiert.“

86 Schaustellerbetriebe von Mainz bis Worms, und von Frankenthal bis Koblenz vertritt die ISMS, darunter sind Großunternehmer wie die Familie Göbel, die allein sieben Riesenräder betreibt, aber auch Kleinunternehmen mit zwei, drei Personen und einem Essensstand. Normalerweise stünden sie alle jetzt auf Jahrmärkten und Frühjahrsmessen, würden Weinfeste und Stadtfeste bestücken. „Uns hat es voll erwischt, der Betrieb ist auf null gefahren“, sagt Hubert Markmann aus Pützchen bei Bonn im Gespräch mit Mainz&.

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Das "Grand Soleil" der Firma Göbel ist das größte transportale Riesenrad Europas. - Foto: gik
Das „Grand Soleil“ der Firma Göbel ist das größte transportale Riesenrad Europas. – Foto: gik

Sechs Fahrgeschäfte besitzt der Schausteller, von der Riesenschaukel „Nessie“ bis hin zu Lauflabyrinthen, seine Drehkarusselss „Octopussy“ und „Kranke“ standen auch schon auf der Mainzer Johannisnacht. Mehr als 83 Volksfeste hätte Markmann in diesem Jahr in der ganzen Republik bedienen sollen, jetzt steht er ohne einen Cent an Einnahmen da – und niemand weiß, wie lange das noch so gehen wird. „Für uns tut sich Null, wir haben keinerlei Perspektive“, sagt Sottile – wann Volksfeste wieder stattfinden können, steht bislang in den Sternen. Bis Ende August sind alle Großveranstaltungen offiziell verboten, doch sogar das Münchner Oktoberfest im Herbst ist schon abgesagt – ob die Schausteller in diesem Jahr überhaupt noch einmal arbeiten können, sie wissen es nicht.

Das große Problem der Branche: „Meine letzten Einnahmen hatte ich am 23. Dezember 2019“, sagt Sottile. Die letzten Einnahmen erwirtschafteten die Schausteller auf den Weihnachtsmärkten, die Pause bis Ostern wird traditionell zum Durchschnaufen und vor allem für Reparaturen und Investitionen genutzt. Wer etwa ein neues Karussell gekauft habe, stehe jetzt mit einem Haufen Schulden da, sagt Sottile – und großen Problemen. Ein Betrieb wie die Riesenradfirma Göbel in Worms, „wenn die morgens nur das Tor aufschließen, kostet das mehr als 15.000 Euro“, sagt Sottile, „Die haben pro Monat Betriebskosten von rund 200.000 Euro.“

Karussell "Krake" bei der Mainzer Johannisnacht im Jahr 2018. - Foto: gik
Karussell „Krake“ bei der Mainzer Johannisnacht im Jahr 2018. – Foto: gik

„10.940 Euro hatte ich jetzt allein an Kosten für den TÜV-Bremsendienst“, berichtet Markmann, der 57 zugelassene Fahrzeuge für seinen Betrieb hat. Die Soforthilfe des Bundes für kleine Unternehmen bis zehn Mitarbeiter hat er beantragt und bekommen, weit komme er damit nicht, sagt Markmann. 830 Beschicker habe allein der traditionsreiche Pützchens Markt, „viele davon wissen nicht, wie sie das überleben sollen.“

Rund 5.300 Schaustellerunternehmen mit 31.800 Beschäftigten zählt der Deutsche Schaustellerbund in ganz Deutschland, auf den rund 9.750 Volksfesten im Land seien die mit mindestens 12.300 Buden und Fahrgeschäften unterwegs. Allein die Volksfeste besuchen pro Jahr rund 189,6 Millionen Menschen, 4,75 Milliarden Euro werden hier jährlich erwirtschaftet – dazu ließen die Besucher weitere 1,4 Milliarden Euro in den Kommunen. „Wenn ich sehe, wie viele Menschen bei Volksfesten in die Stadt gespült werden“, sagt Sottile, „ein Johannisfest ist doch ein Wirtschaftsfaktor für die ganze Stadt, für Taxen, Restaurants, Hotellerie.“

Bunte Lichter gegen das Wintergrau beim Mainzer Rhein-Frühling. - Foto: gik
Bunte Lichter gegen das Wintergrau beim Mainzer Rhein-Frühling. – Foto: gik

Und das sei es ja nicht allein, betont Sottile: Volksfeste seien ein Teil der Kultur in Deutschland und hätten eine lange Tradition, allein den Mainzer Rhein-Frühling gebe es seit mehr als 650 Jahren. „Wir reden hier nicht nur von Wirtschaftlichkeit, sondern auch von Kultur“, betonte der Schausteller. Die Buden mit ihren bunten Lichtern, die leuchtenden Kinderaugen, „da sieht man, dass man pure Lebensfreude in die Stadt bringt“, sagt Sottile: „Wir sind das Antidepressivum für die Menschheit.“

Ideen für Unterstützung gibt es, die Stadt Mainz kündigte bereits an, eine Wintermesse um Silvester herum ausrichten zu wollen, von Essensbuden in der Innenstadt ist die Rede. Das helfe aber nicht jedem, gibt Markmann zu bedenken: „Ich kann ja nicht ein Großkarussell in die Bonner Fußgängerzone stellen.“ Ankündigungen, den Schaustellern in Zukunft die Standgebühren in Mainz zu reduzieren oder sogar zu erlassen, „das bringt uns in der aktuell schwierigen Situation rein gar nichts“, sagte auch Sascha Barth, zweiter Vorsitzender des Schaustellerverbandes Rheinhessen: „Bis es soweit ist, wird es viele Schaustellerbetriebe in Rheinhessen und ganz Deutschland bereits nicht mehr geben.“

Schaustellerbuden mit ihren Lichtern und Schildern bringen Lebensfreude und gute Laune. - Foto: gik
Schaustellerbuden mit ihren Lichtern und Schildern bringen Lebensfreude und gute Laune. – Foto: gik

„Wir suchen nach Lösungen, um wieder ans Spielen zu kommen“, sagt auch Sottile, die Mainzer Schausteller hätten deshalb den Vorschlag gemacht, einen mobilen Freizeitpark zu errichten. „Die Freizeitparks dürfen jetzt ja deutschlandweit wieder öffnen“, sagt Sottile, ein Freizeitpark könne den Familien Spaß und den Schaustellern wenigstens ein bisschen dringend benötigten Umsatz bringen. „Das geht aber nur, wenn die geforderten Hygienemaßnahmen auch umsetzbar sind“, betont Sottile aber auch: „Der Besucher muss auch ein bisschen Spaß dran haben, Karussellfahren mit Handschuhen und Mundschutz, das ist nicht schön.“

Der Shutdown zur Eindämmung der Pandemie sei richtig gewesen, Regeln für Hygiene und Abstand weiter wichtig, betont Sottile: „Wir möchten was machen, aber auch erst dann starten, wenn wir wissen, dass wir es umsetzen können und es auch funktioniert.“ Und dann ist da noch die Frage nach dem Ort, die Mainzer SPD bat nun die Stadtverwaltung zu prüfen, ob nicht auf dem Messegelände in Hechtsheim Platz für einen mobilen Freizeitpark sei – auch wenn dort jetzt das Autokino geöffnet habe. „Dort wäre es ein zusätzliches Angebot, eine zusätzliche Attraktion auch für die vielen Familien, die dieses Jahr nicht in den Urlaub fahren können“, sagte SPD-Fraktionschefin Alexandra Gill-Gers, die „äußerst schwierige Notsituation der Schausteller“ treibe die SPD durchaus um.

Einen mobilen Freizeitpark wünschen sich die Mainzer Schausteller - ob auf der Messe oder am Rheinufer. - Foto: gik
Einen mobilen Freizeitpark wünschen sich die Mainzer Schausteller – ob auf der Messe oder am Rheinufer. – Foto: gik

„Ohne staatlichen Rettungsschirm werden wir das nicht überleben“, sagt der Bonner Kollege Markmann. Wenigstens die laufenden Betriebskosten und den Lebensunterhalt müssten irgendwie gedeckt werden können. Einen gewissen Prozentsatz des bisherigen Jahresumsatzes für das jeweilige Unternehmen, „das wäre jetzt mal fair“, sagt Sottile, und klagt: „Wir sind seit Wochen und Monaten in Verhandlungen mit Bund und Land, aber es passiert nichts Richtiges.“ Und Hilfe müsse schnell kommen, sagt Sottile, 30 Prozent seiner Kollegen drohe sonst das Aus: „Wann wird die Regierung endlich mal wach?“

Info& auf Mainz&: Über die prekäre Lage der Mainzer Schausteller haben wir bei Mainz& schon Ende März berichtet, mehr dazu lest Ihr hier. Zahlen & Fakten zum „Wirtschaftsfaktor Volksfest“ könnt Ihr hier beim Deutschen Schaustellerbund nachlesen – es sind beeindruckende Zahlen…

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